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Die Centralisierung des gewerblichen Arbeits- Arbeits-nachweises im Deutschen Reich Arbeits-nachweises im Deutschen Reich

Schriften des Freien Deutschen Hochstiftes in Frankfurt am Main.

Zehnter Band, Jahrgang 1894, Berlin 1894, S. 83-194.

6. Die Centralisierung des gewerblichen Arbeits-nachweises im Deutschen Reich

Karl Möller (…)

Der jetzige Zustand der Arbeitsvermittelung ist sehr unvollkommen.

Der Arbeiter, der Handwerksgeselle suchen sich deshalb in der großen Mehrzahl der Fälle ohne jede Vermittlung selbst Arbeit. Der Hand-werksgeselle durchzieht zu dem Zweck planlos von Ort zu Ort wan-dernd ganz Deutschland: er verdankt es einem Zufall, wenn er in ei-nem Orte gerade Arbeit findet, er ist gezwungen, oft zu betteln und verkommt dabei leider oft geistig und körperlich. Die Versuchung und die Not machen ihn nicht selten zum Säufer, Vagabunden und Verbre-cher.

(…)

Die finanzielle Einbuße, die unser deutsches Volk jährlich durch Ar-beitslosigkeit mangels einer guten Arbeitsvermittlung erleidet, ist sehr bedeutend; es sind zunächst die Arbeiter, welche bei jedem Stellen-wechsel jetzt längere Zeit ohne Arbeit zu sein pflegen. Dann sind es die Arbeitgeber, welche wenigstens in „guten Zeiten“ überall klagen, daß sie für sie geeignete Arbeiter nicht bekommen können, deshalb oft ungeeignete annehmen und häufig weder nach Menge noch nach Be-schaffenheit das fertig stellen können, was sie nach der Leistungsfä-higkeit ihres Betriebes machen müssten. Genauere Zahlen über Ar-beitslosigkeit und deren Dauer fehlen uns leider zur Zeit ganz.

(…)

Im Interesse des socialen Friedens ist also die baldige Errichtung von neutralen Arbeitsnachweisen dringend geboten.

(…)

Der Mangel einer zuverlässigen Arbeitsstatistik wird von allen Sozial-politikern als ein schwerer Schadenempfunden. Wir kennen weder die Zahl der Arbeitslosen noch deren örtliche Verteilung, wir wissen nicht, welchen Berufen sie angehören, noch wie lange die Arbeitslo-sigkeit dauert, wir wissen ebensowenig, wie und wo eine unbefriedig-te Nachfrage nach Arbeiunbefriedig-tern stattfindet, uns fehlen zuverlässige Zah-len über die Arbeitsverdienste an den verschiedenen Orten und zu ver-schiedenen Zeiten und in den verver-schiedenen Gewerken. Wir wissen nicht, welches Gewerbe mit Lehrlingen überfüllt ist, die keine Aus-sicht haben, dauernde Stellungen in dem erlernten Berufe zu erlangen und können nicht vor dem Ergreifen dieses Berufs warnen. Durch die-sen Mangel einer Arbeitsstatistik fehlt uns auch jede Möglichkeit, das Herannahen einer Arbeitskrisis vorauszusehen, wir können nicht für Beschäftigung der Arbeitslosen rechtzeitig sorgen, und es müssen ü-bereilte Notstandsarbeiten gemacht werden, die große Summen kosten und oft wenig Nutzen schaffen.

(…)

Also: man muß zur Erlangung einer guten Arbeitsstatistik ganz Deutschland überspannende Arbeitsnachweise und eine Centrale für dieselben schleunigst begründen.

(…)

Ein Arbeitsnachweis, bei dem alle Vakanzen seitens der Arbeitgeber angemeldet werden müssen, giebt die Möglichkeit, den Arbeitslosen Arbeit nachzuweisen oder zu verschaffen, und er giebt ein sicheres Merkmal für die Armenpfleger, den guten oder bösen Willen der Ar-beitslosen zu erkennen. Diese Erkenntnis hatte schon jetzt die größe-ren und bessegröße-ren Armenverwaltungen dazu geführt, selbst Arbeits-nachweise zu errichten, aber die Leistung dieser Anstalten steht in der Regel nicht im Einklang mit dem dafür erforderlichen Aufwand an Geld und Arbeit, weil es an den nötigen Anmeldungen der Arbeitge-ber fehlt, und diese sich oft ungern an Arbeitsnachweise der Armen-verwaltung wenden, deren Schützlinge sie für minderwertig ansehen.

Die Aufwendungen, welche Städte oder Vereine jetzt für die beste-henden Armenarbeitsnachweise machen, werden sich erheblich

ver-mindern, wenn letztere mit den centralisierten Nachweisen verbunden werden, während ihre Leistungsfähigkeit erheblich wächst.

Zeigt sich, daß dauernd weder am Ort selbst noch in erreichbarer Nähe Arbeit zu haben ist, so sind die Kommunen verpflichtet, Notarbeiten zu beginnen, denn nichts ist volkswirtschaftlich verkehrter und mora-lisch verderblicher, als Arbeitslose für längere Zeit aus Armenmitteln zu unterstützen, ohne sie zu beschäftigen.

(…)

Wenn also ein centralisierter Arbeitsnachweis auch selbst keine Arbeit schafft, sondern nur die Zeiten der Arbeitslosigkeit verkürzt, so wird er doch der Ausgangspunkt einer wichtigen Socialpolitik werden, die auf dem Boden der jetzigen Gesellschaft die großen Mängel der be-stehenden Zustände planvoll reformiert.

(…)

V.

Schlußfolgerungen

Durch das Vorstehende kommen wir zu folgenden Thesen.

I. Die bestehenden Anstalten für Arbeitsnachweis sind höchst unge-nügend, weil

1. die socialistischen Gewerkschaften mit ihrer großartigen Organisa-tion von 3500 Arbeitsnachweisstellen im wesentlichen nur dem Partei-interesse dienen.

2. weil die gemeinnützigen Nachweise mit viel zu geringen Mitteln arbeiten und keine Gewähr ihrer Dauer bieten, weil sie keinen Melde-zwang ausüben, keine Meldegebühr fordern und beides durch Strafen nicht erzwingen können, und weil sie endlich keine amtliche Stellung haben, von anderen Behörden keine amtlichen Mitteilungen fordern können.

3. weil die städtischen und wohlthätigen Arbeitsnachweise sich nur mit dem Nachweis für Arme u. s. w. beschäftigen.

4. weil die private geschäftliche Arbeitsvermittlung lediglich im Inte-resse des eigenen Verdienens handelt.

5. weil die Arbeitsnachweise an den einzelnen Orten nicht centrali-siert, sondern in mehrere Anstalten zersplittert sind.

II. Es ist deshalb die Errichtung örtlicher Arbeitsnachweise durch die Kommunen zunächst in allen Großstädten sowie in den industriellen Mittelstädten nebst Umgebung erforderlich; dieselben müssen folgen-de Bedingungen erfüllen:

1. Sie sind kommunale Institute, die indes eine selbständige Verwal-tung haben, und sich im wesentlichen durch die zu erhebenden Ge-bühren selbst unterhalten.

2. Die Verwaltung geschieht durch einen Vorstand, dessen Beisitzer zu gleichen Teilen von den Arbeitern und Arbeitgebern gewählt wer-den, und dessen Vorsitzender weder Arbeiter noch Arbeitgeber sein darf; derselbe wird von der Kommune ebenso wie die anderen ständi-gen Beamten der Arbeitsnachweise angestellt.

3. Es ist nötig, mit den Nachweisen Auskunftsanstalten über Charak-ter, Leistungsfähigkeit und Zahlungsfähigkeit der Arbeitgeber und Arbeiter zu verbinden, um das Engagement nach auswärts zu ermögli-chen.

4. Die örtlichen Nachweise sind verpflichtet, nach genau vorgeschrie-benen Formen die für eine Arbeitsstatistik erforderlichen Zahlenanga-ben teils wöchentlich, teils in längeren regelmäßigen Zwischenräumen dem Reichsarbeitsnachweise zu machen.

III: Nur durch eine vom Reich zu errichtende Centrale für alle örtli-chen Arbeitsnachweise ist eine schnelle und ohne viel Schreibwerk zu bewirkende Arbeitsvermittlung von Ort zu Ort zu ermöglichen und eine Reichsarbeitsstatistik herbeizuführen. Es müssen jedoch folgende Punkte dabei beachtet werden:

1. Der Reichsarbeitsnachweis muß genügend mit Beamten ausgestattet sein, um in einem Tage die von den Ortsarbeitsnachweisen einlaufen-den Berichte für die Wochenschrift „Reichsarbeitsmarkt“ zu verarbei-ten.

2. Die herauszugebende Wochenschrift muß möglichst billig sein, und darf keine Überschüsse an das Reich abliefern, sondern nur ihre Her-stellungskosten decken. Der Einzelverlauf muß möglichst erleichtert werden, um jedem zugänglich zu sein.

3. Es empfiehlt sich, diese Wochenschrift auch zur Verbreitung wirt-schaftlicher Mitteilungen und amtlicher Bekanntmachungen zu benut-zen, die in Arbeiterkreise dringen sollen.

4. Die statistischen Arbeiten des Reichsarbeitsnachweises erstrecken sich besonders auf den Umfang und die Gründe der Arbeitslosigkeit und auf die Lohnhöhe, alles bezogen auf die verschiedenen Gewerbe, Zeiten und Gegenden.

IV. Durch die Schaffung von Arbeitsnachweisen der angegebenen Art sollen folgende große Vorteile erreicht werden:

1. Fortfall des planlosen Umherwanderns der Handwerksgesellen und anderer Arbeiter und in Verbindung damit Fortfall der Verführung zum Betteln, Trinken und Vagabundieren durch dies Wandern; hier-durch ist es möglich, die Landstreicherei unter strenger Handhabung der Gesetze zu beseitigen.

2. Fortfall des planlosen Umschauens der Arbeiter und namentlich der Arbeiterinnen und damit Fortfall der Verführung zur Prostitution für letztere.

3. Verkürzung beziehungsweise Beseitigung der jetzt gelegentlich des Arbeitswechsels meist stattfindenden vorübergehenden Arbeitslosig-keit: der hierdurch jährlich für die Gesamtheit der deutschen Bürger zu erwartende Reingewinn berechnet sich auf mindestens sechsund-achtzig Millionen Mark (wahrscheinlich auf das Doppelte).

4. Erhöhung der Posteinnahmen, welche die Ausgaben der arbeitssta-tistischen Reichscentrale decken und noch Überschuß gewähren.

5. Decentralisierung der Industrie, indem man es den Arbeitgebern der kleineren und mittleren Städte möglich macht, tüchtige Facharbeiter aus den größeren Städten zu erhalten, und es den Arbeitern der kleine-ren Städte erleichtert, bei Arbeitsstockungen an den kleinen Orten Be-schäftigung zu erhalten, also Fortfall des Hauptgrundes, weshalb die beschäftigungslosen Arbeiter sich stets nach den großen Städten wen-den.

6. Die Möglichkeit, frühzeitig zu erfahren, wenn Arbeitslose sich im allgemeinen oder in bestimmten Gegenden oder gewissen Geschäfts-zweigen in besorgniserregender Weise vermehren, um rechtzeitig Ab-hilfe schaffen zu können.

7. Förderung des socialen Friedens, indem man den Hauptgrund des Arbeiterelends, der Verbrechen und der Unzufriedenheit - die Arbeits-losigkeit - nach Möglichkeit beseitigt, und indem Arbeitgeber und Ar-beiter hierbei gemeinsam thätig sind.

8. Erschwerung unberechtigter Arbeitseinstellungen und Ausschlie-ßungen, indem es den Arbeitgebern leicht wird, die feiernden Arbeiter zu ersetzen, und den ausgeschlossenen Arbeitern, anderswo Stellung zu finden. Sicherer Sieg berechtigter Strikes.

9. Hebung der Moralität, der Leistungen und des guten Benehmens der Arbeiter und Arbeitgeber durch Erteilung gewissenhafter, fachge-mäßer Auskünfte durch die Arbeitsnachweise unter Ausschluß jeder Mitteilung über die sociale und politische Parteistellung.

10. Schaffung der Grundlagen für eine gerechte und sparsame Armen-pflege, indem man nur die wirklich Arbeitsscheuen und Landstreicher zwangsweise beschäftigt, und indem man sich bemüht, Beschäftigung für die Armen, die entlassenen Verbrecher, für die durch körperliche und moralische Ursachen heruntergekommenen und die Invaliden zu finden oder zu schaffen, und Ersparung der Armenunterstützungen, wenn derartige Notleidende nutzbringend beschäftigt sind.

11. Verdrängung der socialistischen Arbeitsnachweise, sowie ähnli-cher Parteiorganisationen durch die viel vollkommeneren öffentlichen Anstalten und Verminderung des weiteren Anwachsens der socialde-mokratischen Partei infolge des Aufhörens der Thätigkeit der Gewerk-schafts-Arbeitsnachweisstellen, sowie Beseitigung der wachsenden Abhängigkeit der Arbeiter und Arbeitgeber von diesen.

Brackwede, im November 1893

Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich. 18. Jahrgang, Neue Folge, Zweites Heft, Leipzig 1894, S. 1-42.

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