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Der öffentliche Arbeitsnachweis und die Organi- Organi-sationen Organi-sationen

öffentlichen deutschen Arbeitsnachweise

30. Der öffentliche Arbeitsnachweis und die Organi- Organi-sationen Organi-sationen

M. Naumann

Der Ausbau des öffentlichen Arbeitsnachweises in Deutschland voll-zieht sich nicht ohne Kämpfe. Immer neue Gegensätze entstehen und müssen überwunden werden. Zuerst war es der Gegensatz zwischen Stadt und Land. Die ländlichen Kreise brachten den von städtischen Körperschaften begründeten Arbeitsnachweisen das äußerste Mißtrau-en Mißtrau-entgegMißtrau-en. In langsamer, mühevoller Arbeit ist dieses MißtrauMißtrau-en zerstreut worden. Die Landwirte haben erkannt, daß ihre Befürchtun-gen, die Arbeitsnachweise würden zur Entvölkerung der ländlichen Bezirke beitragen, unbegründet sind. Die Landwirtschaftskammern sind in ihrer Mehrzahl dem Verbande Deutscher Arbeitsnachweise beigetreten, Stadt und Land wirken friedlich zusammen.

Alsdann kam der Kampf mit den Arbeitgeberverbänden, der jahrelang von letzteren mit großer Heftigkeit geführt wurde. Die Vertreter der öffentlichen und paritätischen Arbeitsnachweise wurden als dem Le-ben fernstehende Theoretiker, als Leute vom grünen Tisch, als unbe-wußte und beunbe-wußte Förderer der Sozialdemokratie hingestellt. Dieser Kampf ist noch nicht beendet, aber die Gegensätze haben sich doch abgeschwächt. Er wird in anderen Formen geführt. Beide Gegner ha-ben im Laufe der Zeit Wandlungen durchgemacht. Die öffentlichen Arbeitsnachweise haben immer mehr praktische Erfahrungen gesam-melt. Die Arbeitgeberverbände haben im Laufe der Jahre gleichfalls viel zugelernt. Sie haben das zuerst von vielen erstrebte Ziel, durch den Arbeitsnachweis die Gewerkschaften zu vernichten, aufgegeben.

Der Arbeitsnachweis soll ihnen immer noch als Waffe dienen, aber neben den Kampfzweck ist der friedliche Zweck, Arbeit zum besten beider Teile zu vermitteln, immer mehr in den Vordergrund getreten.

Die Arbeitgeber haben ihre Arbeitsnachweise größtenteils technisch vervollkommnet, sie haben es aufgegeben, Arbeiter wegen ihrer Zu-gehörigkeit zu einer Organisation, einer politischen Partei oder wegen ihres Hervortretens in wirtschaftlichen Kämpfen von der Vermittlung auszuschließen, sie haben durch ihre Vertreter vor der Öffentlichkeit erklären lassen, daß sie das System der schwarzen Listen verwerfen.

Sie erkennen auch die Berechtigung des öffentlichen Arbeitsnachwei-ses an und sind, wie die Kongresse in Breslau und Hamburg bewiesen haben, bereit, in einer Reihe von Fragen mit den Vertretern des öffent-lichen Arbeitsnachweises zusammenzuwirken.

Zwischen öffentlichem Arbeitsnachweis und Arbeitnehmern bestan-den bisher weniger Streitpunkte. Es muß anerkannt werbestan-den, daß die Arbeitnehmer verhältnismäßig früh ihre gegensätzliche Stellung zum öffentlichen Arbeitsnachweis aufgegeben haben und bereit waren, an seinem Ausbau mitzuarbeiten. Bestanden auch in Einzelheiten ver-schiedene Auffassungen, so ist es doch deshalb niemals zum Bruch gekommen, die Vertreter der Arbeitnehmerorganisationen erweisen sich verständigen Erwägungen zugänglich.

Inzwischen aber hat sich langsam ein neuer Gegensatz vorbereitet, der auf dem Arbeitsnachweiskongreß in Hamburg zu einem Zusammen-stoß zwischen den Vertretern der freien Gewerkschaften und denen des öffentlichen Arbeitsnachweises geführt hat. Neben den öffentli-chen allgemeinen Arbeitsnachweisen, die von Gemeindeverbänden oder gemeindlich unterstützten Vereinen unterhalten werden, sind in den letzten Jahren in verschiedenen Gewerben sogenannte paritätische Facharbeitsnachweise entstanden. Sie haben mit der Mehrzahl der öf-fentlichen Arbeitsnachweise das gemeinsam, daß sie von einer paritä-tischen Kommission verwaltet werden, unterscheiden sich aber sonst in wesentlichen Punkten von ihnen. Träger des Arbeitsnachweises sind bei ihnen die vertragschließenden Organisationen: entweder nur ein Arbeitgeberverband und eine Arbeitnehmervereinigung, die freie Gewerkschaft, oder auch auf einer Seite oder auf beiden Seiten mehre-re Verbände. Die paritätische Kommission wird aus Vertmehre-retern der be-teiligten Verbände gebildet und hat in der Regel keinen unparteiischen Vorsitzenden. Auch die Beamten des Arbeitsnachweises, die eigentli-chen Vermittler, sind regelmäßig Angestellte ihrer Verbände, ein Ar-beitgeber und ein Arbeitnehmer. Die Verträge über den Arbeitsnach-weis sind teilArbeitsnach-weise im Anschluß an Tarifverträge, teilArbeitsnach-weise unabhän-gig von solchen geschlossen worden.

(…)

Bei einigen dieser Nachweise besteht die Bestimmung, daß nur für ta-riftreue Betriebe vermittelt werden darf. Bei einigen anderen werden

bei der Vermittlung die Mitglieder der vertragschließenden Verbände bevorzugt.

Wohl zu unterscheiden von solchen paritätischen Facharbeitsnachwei-sen sind Fachabteilungen, wie sie einige größere Arbeitsnachweise, z. B. der Münchener, errichtet haben, sie werden nach den Grundsät-zen des allgemeinen Arbeitsnachweises geleitet.

Es sind indessen in einigen Orten auch die paritätischen Facharbeits-nachweise in engere Verbindung mit den städtischen Arbeitsnachwei-sen getreten und haben sich ihnen als Fachabteilungen angeschlosArbeitsnachwei-sen.

Eine solche Verbindung hatte in Hannover zwischen dem öffentlichen Arbeitsnachweis und dem Facharbeitsnachweis der Maler stattgefun-den. Die Folge davon war, daß beim städtischen Arbeitsnachweise die organisierten Maler vor den unorganisierten bevorzugt wurden. Von diesem Sachverhalt hatte der preußische Handelsminister Kenntnis erhalten. Auf seine Anregung hin ist alsdann die Bestimmung über die Bevorzugung der organisierten Arbeiter gestrichen worden.

Dieses Vorkommnis, über dessen Einzelheiten näheres nicht bekannt war, wurde von den Vertretern der freien Gewerkschaften auf dem Arbeitsnachweiskongreß in Hamburg zur Sprache gebracht. Sie knüpften daran die Forderung, daß der Kongreß gegen das Vorgehen des Ministers einmütig Einspruch erheben solle. Der Kongreß hat die-sem Wunsche nicht entsprochen.

(…)

Die Bevorzugung Organisierter bei der Vermittlung wäre die denkbar schwerste Verletzung der Parität und der einer öffentlichen Körper-schaft obliegenden Pflichten. Der Grundsatz der Parität besagt nicht nur, daß Arbeitgebern und Arbeitern gleiche Rechte eingeräumt wer-den, er besagt nicht minder, daß innerhalb der Arbeiterschaft keine Bevorzugungen stattfinden dürfen. Eine aus öffentlichen Mitteln un-terhaltene Anstalt, zu deren Kosten alle Gemeindeangehörigen beitra-gen müssen, darf nicht einzelnen Gruppen von Arbeitern Vorrecht ein-räumen und sich damit in den Dienst von Sonderbestrebungen stellen.

(…)

Der öffentliche Arbeitsnachweis hat sich als Ziel gesteckt, die gesamte Arbeitsvermittlung in Deutschland nach einheitlichen Grundsätzen zu

ordnen, Angebot und Nachfrage nicht nur innerhalb eines Ortes oder eines Berufszweiges, sondern von Ort zu Ort, von Beruf zu Beruf aus-zugleichen. Er will damit die wichtige volkswirtschaftliche Aufgabe erfüllen, die Arbeitslosigkeit auf ein Mindestmaß zurückzuführen und die Arbeitskräfte so zu verteilen, daß sie am wirksamsten werden. Er will, wie ein Schlagwort lautet, für jeden Arbeiter die beste Stelle, für jede Stelle den besten Arbeiter suchen. Die Erfüllung dieser Aufgabe erfordert es, daß der Arbeitsnachweis seine Tätigkeit auf alle Arbeiter gleichmäßig erstreckt. Sobald er nur für bestimmte Gruppen vermit-telt, macht er sich selbst die Erfüllung seiner Aufgabe unmöglich.

(…)

Die Vertreter des öffentlichen Arbeitsnachweises sind es gewohnt, bald nach rechts, bald nach links Front machen zu müssen und dann abwechselnd bald als Sozialisten, bald als Reaktionäre verschrieen zu werden. Sie dürfen sich durch solche Parteiäußerungen nicht beein-flussen lassen. Sie erstreben weder das „besondere Vertrauen“ der Ar-beiter noch das der Arbeitgeber, sondern wollen unparteiisch der Sa-che dienen. Wenn sie dies Ziel selbst im Auge behalten, so wird sich das Vertrauen beider Teile schließlich von selbst einfinden.

Soziale Praxis und Archiv für Volkswohlfahrt. 22. Jahrgang, Nr. 21, 20. Februar 1913, Sp. 610-613.

31. Reichsarbeitslosenversicherung

I.

Die Frage der Arbeitslosenversicherung ist dazu berufen, in der bevor-stehenden Reichstagssession einmal recht gründlich erörtert zu wer-den.

(…)

Daß ernsthafte Erörterungen bevorstehen, zeigt auch der Eifer der Un-ternehmerverbände und -vertretungen, die jetzt fast tagtäglich gegen die Arbeitslosenversicherung Stellung nehmen und die Reichsregie-rung in gleichem Sinne zu beeinflussen suchen. So hat der Vereini-gung deutscher Arbeitgeberverbände, die neue deutsche

Unterneh-merzentrale, auf einer am 7. d. M. in Hannover abgehaltenen Arbeits-nachweiskonferenz nach einem Vortrag von Dr. Stojentien sich in ei-ner Resolution scharf gegen den Gedanken eiei-ner Arbeitslosenversi-cherung ausgesprochen. Es heißt in jener Resolution:

„Die Versammlung sieht in der Steigerung der volkswirtschaftlichen Produktivität und in der Vermehrung der Arbeitsgelegenheit den wirk-samsten Weg zur Einschränkung der Arbeitslosigkeit und ist über-zeugt, daß eine Arbeitslosenversicherung die Steigerung der Produkti-vität erheblich erschweren müßte. Die Unternehmerschaft muß, nach-dem soeben erst die Reichsversicherungsordnung und das Reichsge-setz über die Angestelltenversicherung ihr namhafte Opfer auferlegt haben, die Uebernahme weiterer, aus einer Arbeitslosenversicherung ihr zugemuteten Lasten ablehnen. Die Konferenz warnt auf das nach-drücklichste vor den für die Volkswirtschaft verhängnisvollen Folgen, die aus einer Ueberspannung des Versicherungsgedankens und einer immer weitergehenden Verminderung der Selbstverantwortlichkeit sich ergeben. Sie wendet sich endlich gegen die Förderung des sog.

Genter Systems, weil dieses eine einseitige Stellungnahme zugunsten der der Arbeitgeberschaft feindlichen Kampfgewerkschaften der Ar-beiter bedeutet. Aus diesen Gründen bedauern die Arbeitgeber auf das lebhafteste die Stellungnahme der Kgl. Bayrischen Staatsregierung, die in mehrfachen Erläuterungen diese Versicherungseinrichtung emp-fohlen und gefördert hat.“

(…)

Mit solchen Schlagworten ziehen unsere Großindustriellen gegen eine Versicherung zu Felde, die in Belgien, Holland, Frankreich, in der Schweiz, in weitem Umfange öffentlich anerkannt, in Dänemark, Norwegen und Großbritannien bereits landesgesetzlich geregelt ist. In der deutschen Unternehmercentrale scheint man entweder allen geisti-gen Anstrengungeisti-gen abhold oder der Meinung zu sein, für die deut-schen Gesetzgeber seien die allerplumpsten Begründungen gerade gut genug.

(…)

Correspondenzblatt der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands.

23. Jahrgang, Nr. 46, 15. November 1913, S. 693-695.

II.

Das wachsende Interesse für die Frage der Arbeitslosenversicherung zeigt sich auch in den Kreisen der Wissenschaft und Sozialpolitik. Un-ter den zahlreichen Artikeln und Schriften der letzten Zeit über dieses Problem greifen wir besonders eine Schrift von Dr. Karl Kumpmann = Bonn heraus, die das Thema im Sinne einer reichsgesetzlichen Lösung behandelt. Der Verfasser untersucht zunächst in etwas umständlicher Weitschweifigkeit das Problem der Arbeitslosigkeit, ihre Bedeutung für die Volkswirtschaft, Begriffsbestimmung, zahlenmäßige Umgren-zung und Bekämpfung.

(…)

Das A und O der Arbeitslosenversicherung sind in der Tat die ge-werkschaftlichen Einrichtungen. Nur wo diese als Vorspann benutzt werden, wo auf diesen aufgebaut wird, geht die Versicherung glatt vonstatten. Darüber kommt alle Gegnerschaft gegen die Gewerk-schaftsbewegung nun einmal nicht hinweg. Jede Zwischenlösung der Arbeitslosenversicherung muß in erster Linie mit den Gewerkschaften rechnen. Die Gewerkschaften wissen recht wohl, daß nicht alle Ar-beitnehmer ihnen angehören. Sie wollen den Außenstehenden die Möglichkeit, sich gegen Arbeitslosigkeit zu sichern und dazu öffentli-che Zuschüsse in Anspruch zu nehmen, nicht verschließen und haben deshalb gegen die Schaffung von gemeindlichen Versicherungskassen mit städtischen Zuschüssen nichts einzuwenden. Auch Versicherungs-vereine auf Gegenseitigkeit, die den Mindestbedingungen genügen, mögen solche Zuschüsse erhalten. Aber Spareinrichtungen sind zur Arbeitslosenversicherung ungeeignet, weil sie bei dem Arbeiter das Gefühl der Sicherung erwecken wollen, ohne eine wirkliche Sicher-heit bieten zu können. Die Arbeiterschaft bekämpft sie und wird sie zu verhindern suchen. Sie wird allerdings nicht so weit gehen, die Ein-führung des Genter Systems im jeweiligen Falle wegen der Zuschüsse zu Sparfonds scheitern zu lassen, aber sie lehnt jede Verantwortung für solche ungeeigneten Surrogate der Arbeitslosenversicherung ab.

Die Reichsarbeitslosenversicherung wird kommen, früher oder später, je nachdem die gesetzgebenden Faktoren sich von der Auffassung be-freien können, daß die Arbeiterschaft politisch zu Kreuze kriechen

muß, ehe sie in ihren Daseinsbedingungen vor den verheerenden Sturmwirkungen der kapitalistischen Wirtschaftsweise geschützt wird.

Das hat die politisch und wirtschaftlich so gut organisierte Arbeiter-schaft Deutschlands nicht nötig und sie würde es auch mit Entrüstung von sich weisen. Sie wird aber mit nimmermüder Zähigkeit fortfahren, die Wirkungen der Arbeitslosigkeit der öffentlichen Meinung zum Bewußtsein zu bringen und zugleich Rechenschaft zu verlangen über die fadenscheinigen Gründe der Regierung, die die Industriellen und Junker mit Schutzzöllen und Liebesgaben füttert, die deutsche Arbei-terschaft aber skrupellos dem Arbeitslosenelend überläßt, weil diesel-be von ihrem Koalitionsrecht nach eigenem Gutdünken Gebrauch macht. Wer in diesem Streit der Stärkere ist, dürfte sich im Verlauf weniger Jahre herausstellen.

ebenda, Nr. 47, 22. November 1913, S. 709-711.

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