• Keine Ergebnisse gefunden

Bedürfnisse und Organisation des Arbeitsmarktes im Kriegsfalle des Arbeitsmarktes im Kriegsfalle

öffentlichen deutschen Arbeitsnachweise

36. Bedürfnisse und Organisation des Arbeitsmarktes im Kriegsfalle des Arbeitsmarktes im Kriegsfalle

Arthur Dix

Die Frage nach der wirtschaftlichen Kriegsvorsorge ist in den letzten Jahren in Deutschland zu einem Gegenstand lebhafter Erörterung ge-worden. In Tageszeitungen, Zeitschriften und größeren volkswirt-schaftlichen Veröffentlichungen hat das Thema eine vielseitige Be-handlung erfahren; und aus gewissen Anzeichen ist - sicherlich nicht zu Unrecht - auch der Schluß gezogen worden, daß die militärischen Behörden für ihr Teil dem Problem ihre ernste Beachtung keineswegs versagen.

Die Schaffung eines wirtschaftlichen Kriegsrates hat in militärischen wie in volkswirtschaftlichen Kreisen gleichermaßen an Anhängern zu-sehends gewonnen; und es würde seltsam berühren, wenn die hier und da vernommene Äußerung zutreffend sein sollte, daß an solchen amt-lichen Stellen, in deren Wirkungsbereich besonders die sozialpoliti-sche Fürsorge gehört, das rechte Interesse für die hohe Bedeutung der ganzen Frage noch nicht geweckt worden sei. Gerade die sozialpoliti-schen Ressorts sollten eifrigsten Anteil nehmen an der Lösung einer Aufgabe, die den Sozialpolitiker viel näher berührt, als es vielleicht auf den ersten Blick erscheinen mag.

(…)

Auf der Hand liegt, daß mit dem Tage der Mobilmachung der Ar-beitsmarkt eine völlig umgewandelte Gestalt annimmt. Hunderttau-sende von deutschen Arbeitskräften werden unmittelbar durch die Einberufung zur Fahne dem Arbeitsmarkte entzogen, darüber hinaus Hunderttausende ausländischer Wanderarbeiter, die unverzüglich in ihr Heimatland beordert werden: auf der einen Seite also ein außeror-dentlich verringertes Angebot an Arbeitskräften, auf der anderen Seite binnen kurzer Frist eine notwendigerweise durchaus veränderte Nach-frage. Dazu kommt ein Faktor von nicht zu übersehender Wichtigkeit:

der Umstand nämlich, daß die Dringlichkeit der Nachfrage im Kriegs-falle sehr verschieden zu bewerten und daß die verschiedene Bewer-tung praktisch von außerordentlich hoher BedeuBewer-tung ist.

Darauf wurde bereits hingewiesen, daß vor allen Dingen die Nah-rungsmittelversorgung und die Versorgung der eigentlichen Kriegsin-dustrien mit Arbeitskräften von weit überragender Bedeutung sind.

Gerade der Nahrungsmittelversorgung aber werden im Kriege beson-ders zahlreiche Hände entzogen, sowohl infolge der massenhaften Verwendung ausländischer Wanderarbeiter in der Landwirtschaft wie infolge des Umstandes, daß die ländliche Bevölkerung einen verhält-nismäßig besonders hohen Prozentsatz Militärtauglicher und kriegs-pflichtiger Reservisten enthält. Andere Zweige des Wirtschaftslebens, andere Teile des Arbeitsmarktes werden durch den Krieg nach kürze-rer oder längekürze-rer Zeit brachgelegt. Es stockt die ganze Nachfrage für die Erzeugnisse der Luxusindustrien, wenn das Volk in allen seinen Schichten schwer belastet wird durch die finanziellen Opfer des Krie-ges. Es stockt in dem Maße, in dem die Grenzen durch das Kriegsge-tümmel für den wirtschaftlichen Verkehr abgeschnitten sind, in dem Maße, in dem die Verbindungen mit dem großen Weltmarkte unter-bunden werden: die Einfuhr der von unserer Industrie benötigten Roh-stoffe, die Ausfuhr der von ihr für den Weltmarkt erzeugten Fabrikate.

Aus all den Industriezweigen, die von dieser Entwicklung betroffen werden, strömen frei werdende Kräfte auf den Arbeitsmarkt. Nicht immer und nicht überall kann der Staat dieser Stockung gelassen ge-genüberstehen; er wird sein Augenmerk darauf zu richten haben, daß zum mindesten die Zufuhr solcher Rohstoffe, deren auch die Kriegs-industrie bedarf - und dazu gehört als Bekleidungslieferantin für das Heer auch die Textilindustrie -, nicht völlig unterbunden werde; dass, sei es auch auf weiten Umwegen und mit großer Spesenverteuerung, der dringendste Bedarf auf diesem Gebiet doch gedeckt bleibe.

Im übrigen ist das gleichzeitig starke Sinken des Angebotes an Ar-beitskräften, das mit der Mobilmachung notwendigerweise verbunden ist, und der Nachfrage nach Arbeitskräften, die mit der automatischen Einschränkung vieler Industriezweige Hand in Hand geht, ein Faktor vorteilhaften Ausgleiches, insofern es gelingt, die verbleibenden Ar-beitskräfte dorthin zu bringen, wo das Interesse der Kriegführung und das Gesamtinteresse des heimischen Wirtschaftslebens ihrer am meis-ten bedarf; mit anderen Wormeis-ten: insofern es gelingt, diejenigen Ge-werbezweige, in denen ein Stillstand der Produktion unerträglich

wä-re, ja, die zum Teil während des Krieges eine gesteigerte Produktion entwickeln müssen, mit den notwendigen Arbeitskräften zu versorgen.

Kann die Lösung dieser Aufgabe dem freien Spiel der Kräfte sorglos überlassen bleiben, bis der Kriegsfall eingetreten ist? - Diese Frage wird wohl vielfach dahin beantwortet werden, daß ein solches Verfah-ren verbrecherischer Leichtfertigkeit gleichkäme, die sich am Volks-ganzen in ernster Zeit auf das bitterste rächen könnte.

Die Vorsorge für eine entsprechende Verteilung der Arbeitskräfte im Kriegsfalle würde zweifellos zu den wesentlichsten Aufgaben des wirtschaftlichen Kriegsrates zu gehören haben. Es ist keineswegs da-mit getan, daß Staat und Reich während des Feldzuges die Aufgabe übernehmen, die Arbeitslosen finanziell zu unterstützen. Diese finan-zielle Unterstützung würde große Mittel verschlingen gerade in einer Zeit, in der jeder Pfennig aus den Reichskassen in erster Linie bean-sprucht werden müßte durch die eigentlichen Kriegszwecke. Zudem bleiben selbst bei materieller Unterstützung wirklich Arbeitslose be-ständig Elemente der Unzufriedenheit und Unruhe. Mit ihrer Besch-wichtigung durch staatliche Almosen ist es nicht getan. Außerdem ha-ben ja Volkswirtschaft und Kriegsbedarf ihre Beschäftigung an geeig-neten Stellen dringend nötig. Die Riesenaufgabe, nach der Mobilma-chung einerseits der Landwirtschaft das nach der Jahreszeit stark schwankende Maß notwendiger Arbeitskräfte zuzuführen, andererseits in der Industrie die Arbeitskräfte auf ganz veränderter Grundlage zu verteilen, setzt eine gewaltige Arbeit der Arbeitsnachweise voraus, die einer Aufgabe von diesem Umfange nur gewachsen sein können, wenn sie in Friedenszeiten nach allen Richtungen hin planmäßig aus-gebaut sind, wenn sie darüber hinaus sich mit ihren Aufgaben für den Kriegsfall vertraut gemacht haben und wenn für diesen Kriegsfall ih-nen die Mittel an die Hand gegeben sind, die neue Organisation des Arbeitsmarktes mit allem Nachdruck und mit voller Wirksamkeit zu vollziehen.

(…)

In einem Aufsatz über volkswirtschaftliche Kriegsvorsorge (…) habe ich ausgesprochen, daß wir uns auf diesem so ungemein wichtigen Gebiete der Regulierung des Arbeitsmarktes im Kriegsfalle einem I-dealzustand nähern würden, wenn der Mobilmachung des Heeres eine Art Mobilmachung der allüberall verzweigten Arbeitsnachweise

der-gestalt nebenherginge, daß nach wohlvorbereitetem Plan sowohl der Landwirtschaft wie den während des Feldzuges ihrer Bedeutung für den Kriegsbedarf gemäß wichtigsten Industriezweigen die unentbehr-lichen Hände alsbald zugeführt werden könnten.

(…)

Aussichtsreiche Vorbereitungen einer Mobilmachung des Arbeits-marktes im Falle der militärischen Mobilisierung sind nur möglich bei enger Fühlungnahme zwischen der Militärverwaltung und der Leitung der Arbeitsmarkt-Organisationen. Es wäre von wesentlicher Bedeu-tung für die VorbereiBedeu-tungen der Arbeitsnachweise, wenn ihre maßge-benden Vertreter in einem wirtschaftlichen Kriegsrat vertraulich dar-über unterrichtet würden, wo und in welchem Umfange die Militär-verwaltung glaubt, ihnen eine erfolgreiche Offensive mit entsprechen-der Offenhaltung entsprechen-der Arbeitsgelegenheiten ins Aussicht stellen zu können, wo etwa mit einer zum mindesten vorläufigen Defensive auf zurückgezogenem Posten zu rechnen wäre. Aufgabe und Aussichten der Arbeitsnachweis-Mobilisierung würden natürgemäß in nicht ge-ringem Umfange von der Beantwortung dieser Fragen abhängen.

(…)

Der Arbeitsnachweis in Deutschland. 1. Jahrgang, Nr. 9, 15. Juni 1914, S. 221-223.

37. Arbeitslosigkeit und ihre Bekämpfung

.

Outline

ÄHNLICHE DOKUMENTE