• Keine Ergebnisse gefunden

Der bayrische Ministerialerlaß betreffend Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung

des öffentlichen Arbeitsnachweises

48. Der bayrische Ministerialerlaß betreffend Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung

Josephine Levy-Rathenau

Das bayrische Staatsministerium hat vor kurzem einen umfassenden Erlaß betreffend Lehrstellenvermittlung und Berufsberatung veröf-fentlicht und sich damit den wärmsten Dank aller in der Berufsbera-tungsarbeit Stehenden verdient. Wird doch damit zum ersten Male von einer Staatsbehörde die Tatsache anerkannt, daß wir zum Wiederauf-bau unseres Wirtschaftslebens, zur Erziehung eines leistungsfähigen Nachwuchses auf den Gebieten von Handwerk, Industrie und Handel der planmäßigen Berufszuführung der Jugendlichen bedürfen und daß es an der Zeit ist, diese Arbeit gerade jetzt zielbewußt zu fördern.

Die Bestimmungen des Erlasses knüpfen an die verschiedenen zur Regelung des Arbeitsnachweiswesens erlassenen Verordnungen an und betonen, daß alle Bemühungen einen Überblick über die Bewe-gung des Arbeitsmarktes zu erhalten, unwirksam und unvollständig

bleiben müssen, wenn dabei nicht auch die Vermittlung des Nach-wuchses an Arbeitskräften mit erfaßt wird. Dieser Begründung für den Erlaß kann man nicht nachdrücklich genug zustimmen, da alle in der Beratungsarbeit tätigen Praktiker sich wohl darüber einig sind, daß ih-re Arbeit durch das Fehlen statistischen Materiales außerordentlich erschwert wird. Aus diesem Grunde sind ja auch Erwägungen darüber im Gange, ob es nicht möglich sein würde, durch einheitliche Statis-tikführung, die letzten Endes beim Kaiserlich Statischen Amte zu-sammenlaufen müßte, zuverlässige Unterlagen von Angebot und Nachfrage der Lehrstellensuchenden und Lehrherren zu erhalten.

Da, wie der Erlaß mit vollem Recht ausführt, „bei dem großen Verlust von Arbeitskräften jeder Erwerbsstand bestrebt sein wird, sich einen möglichst tüchtigen jungen Nachwuchs zu sichern“, muß über die Verteilung der Jugendlichen auf die verschiedenen Erwerbsstände künftig fortlaufend ein Überblick möglich sein.

Die einleitenden Bemerkungen des Erlasses schließen mit zwei sehr erfreulichen Feststellungen. Sie betonen, daß unter Lehrstellenvermitt-lung nicht nur die VermittLehrstellenvermitt-lung in jenen Berufen verstanden werden soll, die wie Handwerk und Handel einen geregelten Lehrgang auf-weisen, sondern die Vermittlung der Anfangsplätze für jugendliche Arbeiter und Arbeiterinnen überhaupt, also auch solcher in der Indust-rie sowie in der Land- und Hauswirtschaft. Diese weitgehende Ausle-gung des Begriffes Lehrstellenvermittlung wird sicher den Jugendli-chen zum großen Segen werden und viel dazu beitragen, daß die jun-gen Anfänger geordneter Ausbildung und Lehre zugeführt und ihre Lehrjahre zweckmäßig gestaltet werden können.

Die zweite dankbar empfundene Bemerkung: „Unter Schülern sind ferner auch Schülerinnen zu verstehen“, sollte ja als Selbstverständ-lichkeit eigentlich nicht besonders erwähnt werden; wir Frauen sind aber so wenig verwöhnt, daß es uns wohltuend berührt, wenn uns einmal in einem so wichtigen Erlaß von vornherein Gerechtigkeit zu-teil wird.

Was nun die sachlichen Forderungen des Erlasses betrifft, so kann man ihnen im großen und ganzen gern zustimmen. Es wird zunächst

die Tätigkeit der Schule charakterisiert, wobei bemerkenswert ist, daß nicht nur die aus der Volkshauptschule zur Entlassung kommenden Kinder, sondern auch die Absolventen höherer Schulen beraten wer-den sollen, sofern sie schon mit Abschluß der VI. Klasse austreten. Es sollen, wie das das jetzt ja schon in zahlreichen Städten üblich ist, Merkblätter und Fragebogen verteilt und ausgefüllt, mit ergänzenden Bemerkungen des Lehrers und Schularztes versehen und schließlich gesammelt an die Lehrstellenvermittlung abgegeben werden.

Die Ergebnisse der gesammelten Fragebogen sind zu Übersichten nach einheitlichen Mustern zusammenzustellen, und zwar dort, wo kein Arbeitsamt besteht, von der Gemeindebehörde, sonst vom Ar-beitsamt. Jedenfalls sind die Arbeitsämter in den Besitz des Gesamt-materials zu setzen, damit sie die Zahl der Gesuche öffentlich bekannt geben können.

„Im Anschluß an die Arbeitsämter und wenn möglich unter Eingliede-rung in diese sind von den Gemeinden nach Maßgabe des Bedürfnis-ses Berufsberatungsstellen für Jugendliche einzurichten.“ So erfreu-lich diese Bestimmung an und für sich auch ist, so muß man doch be-dauern, daß durch diesen Satz erneut der leider noch viel zu stark ver-breiteten Anschauung, als wenn Lehrstellenvermittlung und Berufsbe-ratung zwei verschiedenartige, nebeneinander stehende Aufgaben sind, Nahrung gegeben wird.

Es kann doch keinem Zweifel unterliegen, daß eine von sozialpoliti-schen Gesichtspunkten ausgehende Lehrstellenvermittlung ein Teilge-biet der Berufsberatungsarbeit, und nicht etwas außerhalb ihrer Zu-ständigkeit liegendes ist. Der Vermittlung einer Lehrstelle muß unbe-dingt die Berufsberatung, d. h. die Besprechung aller Fragen betr.

Eignung des Jugendlichen für den gewählten Beruf, in dem er eine Lehrstelle zu seiner Ausbildung sucht, vorangehen. Der Vermittlungs-akt selbst ist ein formales Glied in der Kette der notwendigen Hand-lungen, um den Jugendlichen dem für ihn geeigneten Ausbildungslatz (Lehrstelle) zuzuführen. Freilich hat die Berufsberatung nicht nur die Aufgabe, Wege der Ausbildung durch praktische Anlernung oder ge-ordnete Lehre zu weisen, sondern muß den Ratsuchenden auch bei der Wahl geeigneter fachschulmäßiger Unterweisung behilflich sein kön-nen und für diesen Teil ihrer Aufgaben geht die Berufsberatung über

die Lehrstellenvermittlung hinaus. Das wird aus der Formulierung des Erlasses aber nicht ohne weiteres klar.

Sehr interessant ist die Bestimmung 10 des Erlasses, die von den pri-vaten Berufsberatungsstellen handelt und betont, daß dort „nur sach-kundige und erfahrene Personen“ verwendet werden dürfen. Da über die Qualitäten der Personen, die an den Arbeitsämtern diese Aufgaben übernehmen sollen, nichts gesagt ist, so liegt die Vermutung nahe, daß die dort vorhandenen Kräfte alle als „sachkundig und erfahren“ gelten sollen. Bei aller Hochschätzung der an Arbeitsnachweisen tätigen Be-amten darf hinter diese Anschauung doch wohl ein Fragezeichen ge-setzt und gesagt werden, daß gerade an der Gewinnung geeigneter Persönlichkeiten für die so verantwortungsvolle Beratungsarbeit die guten Absichten des Erlasses leicht scheitern könnten. Es muß deshalb unbedingt zunächst für die Ausbildung und Fortbildung der künftig auf dem Gebiete der Berufsberatung tätigen Beamten beiderlei Ge-schlechts Sorge getragen werden.

Da im allgemeinen die Absicht besteht, die fachliche Ausbildung der Arbeitsnachweisbeamten erheblich zu verbessern, so wird es vielleicht möglich sein, bei Gelegenheit von Fortbildungskursen für bereits täti-ge Arbeitsvermittler auch diese ihnen neu zutäti-gewiesenen Aufgaben eingehend zu berücksichtigen. Dabei wird man sich unter keinen Um-ständen damit begnügen können, den Berufsberatern den Gebrauch gedruckter Ratgeber für die Berufswahl zu empfehlen, wie der Erlaß das bedauerlicherweise tut. Es liegt sonst die Gefahr vor, daß der Be-rufsberater sich der Mühe überhoben glaubt, sich selbst durch sorgfäl-tige eigene Erhebungen dauernd fortzubilden und lediglich an Hand von gedruckten Angaben, die für den örtlichen Bezirk unter Umstän-den durchaus unzutreffend sein können, seine Ratschläge erteilt.

Selbst wenn der Erlaß in einem Nachsatz darauf hinweist, daß die ge-druckten Ratgeber die Verhältnisse und Anforderungen der einzelnen Berufe immer nur in großem Umfange schildern können, genügt diese Warnung erfahrungsgemäß nicht.

Sehr dankenswert sind dagegen die allgemeinen Bestimmungen die ausdrücklich betonen, daß die Jugendlichen nur in solchen Lehrstellen untergebracht werden sollen, die ihren Neigungen entsprechen und

ihren körperlichen und geistigen Kräften angemessen sind. Vielleicht wäre es zweckmäßig gewesen, die zweite Bedingung voranzustellen, aber es darf von einem tüchtigen Berufsberater wohl ohne weiteres angenommen werden, daß er die Neigungen nicht besonders berück-sichtigt, wenn die Kräfte sie nicht gerechtfertigt erscheinen lassen.

Der Erlaß betont, daß es Aufgabe der Beratungsstelle sein wird, mit den beteiligten Kreisen zusammen zu wirken. Hoffentlich wird das auch in der Praxis zur Durchführung gelangen, denn auch hier liegen genügend Erfahrungen vor, um zu zeigen, daß nur gemeinsame Arbeit aller interessierten Stellen gute Erfolge verbürgt.

Der letzte Paragraph des Erlasses ordnet an, daß die Bestimmungen bezüglich der Lehrstellenvermittlung mit Rücksicht auf die Kriegs-verhältnisse vorerst nicht in Kraft treten sollen, wenngleich die Ge-meinden ermächtigt sind, sie einstweilen zu vollziehen. Das ist natür-lich sehr bedauernatür-lich, denn gerade jetzt wäre es notwendig, wenigs-tens mit den Vorarbeiten zu beginnen, damit bei der nach Kriegsbeen-digung zu erwartenden Arbeitslosigkeit die Bevölkerung schon von dem Bestehen der Beratungs- und Lehrstellenvermittlungstellen Kenntnis hat und sich an sie wendet.

Hoffentlich werden deshalb recht viele Gemeinden schon jetzt von der ihnen gegebenen Anregung Gebrauch machen und mindestens dafür Sorge tragen, daß durch Schulung ihrer Beamten diese in den Stand gesetzt werden, die neu zu übernehmenden Aufgaben künftig gut zu erfüllen. Vor allem wird das bayrische Beispiel eines amtlichen Erlas-ses hoffentlich in Preußen und anderen Bundesstaaten bald nachge-ahmt werden.

Der Arbeitsnachweis in Deutschland. 5. Jahrgang, Nr. 5, 20. Februar 1918, S. 84-86.

49. Der gewerkschaftliche Wiederaufbau nach dem

Outline

ÄHNLICHE DOKUMENTE