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Feministische Kritik an Mainstream-Typologien

Im Dokument Ruth Abramowski Das bisschen Haushalt (Seite 132-136)

ressourcenorientierten Messung sozialer Ungleichheiten

5. Zur systematischen Ausklammerung der innerhäuslichen Arbeitsteilung in der

5.2. Feministische Kritik an Mainstream-Typologien

Das Konzept der Dekommodifizierung70 nimmt nahezu ausschließlich Bezug auf das männliche Erwerbsmodell (weil nicht alle in gleichem Ausmaß am Erwerbsleben teilnehmen, Frauen sind weniger kommodifiziert): „[…] any further development of the concept of ʻwelfare regimeʼ must incorporate the relationship between unpaid as well as paid work and welfare“ (Lewis 1992:

159). Das Konzept der Stratifizierung richtet das Hauptaugenmerk auf Machtressourcen durch Klassenbeziehungen. Die Typologie ist insgesamt auf eine Staats-Markt-Relation begrenzt und vernachlässigt Genderungleichhei-ten, wobei eine genderdifferenzierte Betrachtung von Wohlfahrtsstaaten einschließlich der innerhäuslichen Hausarbeiten/unbezahlten Arbeit vor-nehmlich von Jane Lewis, Ilona Ostner und Ann Shola Orloff angeregt wur-de.

„Its [mainstream comparative research] concepts are explicitly gender-neutral – but the categories of workers, state-market relations, stratification, citizenship, and decommodification are based on a male standard; moreover, gender relations and their effects are ignored” (Orloff 1993a: 307).

Ann Shola Orloff wirft dies insbesondere Esping-Andersen (1985; 1989;

1990) und Korpi (1989 sowie Esping-Andersen/Korpi 1987) vor und leitet aus ihrem Vorwurf einen integrativen Ansatz von Mainstreamkonzepten der Power Resource School und der Genderdimension ab (vgl. Orloff 1993a:

303):

1. Die Staats-Markt-Relation wird zur Staats-Markt-Familien-Relation ausgeweitet, wodurch wohlfahrtsstaatliche Leistungen auch für die Familie berücksichtigt werden. Ein für diese Dissertation zentraler Kritikpunkt ist, dass „Power resource analysts simply do not discuss power relations within the family“ (Orloff 1993a: 313). Ferner sind

„[…] gender hierarchies, power relations within families, and the so-cial organization of caring and domestic labor” in diese Dimension zu integrieren (Orloff 1993a: 322).

2. Die Dimension der Stratifizierung wird durch die Berücksichtigung von staatlicher sozialer Absicherung in Bezug auf die Genderrelation, insbesondere die Behandlung von bezahlter und unbezahlter Arbeit, erweitert. Orloff übt vornehmlich an der impliziten Annahme von An-gehörigen der Power Resource School Kritik, dass Frauen zwischen

70 „Thus concepts such as ʻdecommodificationʼ or ʻdependencyʼ have a gendered meaning that is rarely acknowledged. While Esping-Andersen (1990) writes of decommodification as a necessary prerequisite for workers’ political mobilization, the worker he has in mind is male and his mobilization may depend as much on unpaid female household labour as state policies“ (Lewis 1992: 161).

unbezahlter Hausarbeit und bezahlter Erwerbstätigkeit gewählt hätten (vgl. Orloff 1993a: 317). Teilzeitarbeit sei doch gerade der Versuch, Erwerbsarbeit und Hausarbeiten miteinander zu vereinbaren, sodass diese Tätigkeiten nicht als einander ausschließende Bereiche verstan-den werverstan-den können.

3. Zugang zu bezahlter Arbeit und die Fähigkeit, einen autonomen Haushalt zu führen (Freiheitsargument der Individualisierung)71 wer-den zusätzlich innerhalb der Dimension der De-kommodifizierung thematisiert.

Ein Wandel der paternalistischen Vorstellungen von führenden Wohlfahrts-staatsforscherInnen kann nach Orloff durch eine Evaluierung von

„(1) the extent to which the state has taken over the provision of welfare services (an aspect of state-family-market relations), (2) the relative treatment of paid and unpaid workers (an aspect of stratification), (3) the bases of people’s claims to services (an aspect of social citizenship rights), (4) women’s access to paid work, and (5) women’s capacities to form an maintain autonomous households”, er-reicht werden (Orloff 1993a: 323).

Durch die feministische Auseinandersetzung Ostners (1998) mit der Wohl-fahrtsstaatstypologie Esping-Andersens (1990) wurde das Konzept der De-Familialisierung72 entwickelt.

„Frauen, so die These, müssten, um dem Mann vergleichbar in den Arbeitsmarkt integriert sein zu können, erst wie dieser „kommodifiziert“ (beschäftigungsfähig) werden, konkret: von der Pflicht, zuhause für Kinder und ältere Familienangehö-rige zu sorgen, befreit, also „de-familialisiert“ werden“ (Leitner et al. 2004: 16).

„Die anvisierte (Re-)Kommodifizierung erfordert langfristig eine Familialisierung von Frauen. Gleichzeitig bedeutet ein Mehr an De-Familialisierung ein Weniger an De-Familialisierung, wobei allerdings höchst ambi-valente Entwicklungen und Differenzierungen zwischen unterschiedlichen Grup-pen von Frauen festzustellen sind“ (Leitner et al. 2004: 17).

Negative De-Familialisierungsmaßnahmen bzw. Re-Kommodifizierungs-maßnahmen schränken das Spektrum an möglichen Lebensentwürfen ein, positive erweitern den Optionsrahmen durch Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie (vgl. Leitner et al. 2004: 17; Leitner 2013: 26). Neben De-Familialisierungstendenzen können auch Familialisierungstendenzen in Deutschland festgestellt werden. Positive Maßnahmen fördern insbesondere

71 Die Handlungsoption eine Beziehung zu beenden und eine autonome Haushaltsführung zu übernehmen – das „Right of Exit” nach Albert O. Hirschmann (1970) – könnte auch das Machtverhältnis in Paarbeziehungen beeinflussen.

72 Die De-Familialisierung bezeichnet den „Prozess der Auslagerung von Pflege- und Betreu-ungsarbeit aus der Familie“ im Unterschied zur Re-Familialisierung, die den „Prozess der Rückverlagerung von Pflege- und Betreuungsarbeit in die Familie“ beschreibt (Leitner 2013: 16).

verheiratete Eltern, die es sich leisten können, nicht erwerbstätig zu sein (vgl.

Leitner et al. 2004: 17).

„Während also kinderlose Ehepartner zu Erwerbstätigen werden sollen, wird Ehepaaren mit Kindern weiterhin die Türe zum Ernährermodell offen gehalten bei gleichzeitiger Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ (Leit-ner et al. 2004: 17).

Negative Maßnahmen der Re-Familialisierungstendenzen betreffen Kürzun-gen im Sozialversicherungsbereich, wodurch die Existenzsicherung für Nied-rigeinkommensbezieherInnen prekär wird (vgl. Leitner et al. 2004: 19)73.

„Beide Entwicklungen treffen Frauen in besonderer Weise: Zum einen werden Lebensentwürfe selektiv eingeschränkt (und gleichzeitig erweitert), zum anderen sind Frauen aufgrund geschlechtsspezifischer Arbeitsmarktdisparitäten von so-zialen Kürzungsmaßnahmen stärker betroffen und damit schneller auf familiale Unterstützung (oder Sozialhilfe) angewiesen, obwohl mit dieser Unterstützung angesichts gesamtgesellschaftlicher Individualisierungstendenzen nicht mehr oh-ne weiteres gerechoh-net werden kann“ (Leitoh-ner et al. 2004: 19).

Esping-Andersen reagierte (1999) auf die Kritik, indem er die Differenzie-rung von familialistischen und de-familisierenden Regimen74 einführte. Sozi-aldemokratische Regime werden folglich als de-familisierend definiert, libe-rale Regime werden über marktabhängige Dienstleistungen de-familisiert und konservative Regime werden als familialistisch klassifiziert.

„Man kann dieser Analyse zunächst entgegen halten, dass (1) auch in den sozial-demokratischen Wohlfahrtsstaaten die Familie immer noch der Hauptdienstleister im Pflege- und Betreuungsbereich ist und (2) die De-Familisierung in den libera-len Wohlfahrtsstaaten einen starken schichtsspezifischen Bias enthält, da sich nur ein Teil der Bevölkerung de-familisierende Dienste leisten kann und die Qualität der erlangten De-Familisierung nach Einkommen variiert. Der Hauptkritikpunkt betrifft jedoch das zweite Indikatorenset, das Esping-Andersen zur Bestimmung des Familialismusgrads einsetzt [Anteil älterer Menschen, die bei ihren Kindern wohnen; arbeitslose Jugendliche, die bei ihren Eltern wohnen und die Anzahl der wöchentlich von Frauen verrichteten Stunden für Hausarbeiten]. Dieses bildet Ergebnisse wohlfahrtsstaatlicher Rahmenbedingungen ab, enthält aber keine In-formationen zur strukturellen Ausgestaltung dieser Rahmenbedingungen und kann auch nichts zum Verhältnis zwischen strukturellen Rahmenbedingungen und Ergebnissen aussagen. Wenn es aber, wie in der oben zitierten Definition [s.

u. Fußnote 74], um diejenigen sozialpolitischen Maßnahmen geht, die als struktu-73 Die Differenzierung zwischen positiven/negativen De-Familisierungsmaßnahmen (=Re-Kommodifizierungsmaßnahmen) und Re-Familisierungsmaßnahmen (=De-Kommodifi-zierungsmaßnahmen) wurde bereits von Ostner (2003) eingeführt (vgl. Ostner 2003: 54).

74 Ein familialistisches Regime „[…] is one in which public policy assumes – indeed insists – that household must carry the principal responsibility for their members‘ welfare. A de-familizing regime is one which seeks to unburden the household and diminish individuals’

welfare dependence on kinship” (Esping-Andersen 1999: 51).

relle Rahmenbedingungen familisierend oder de-familisierend wirken, d. h. der Familie als Ort der Wohlfahrtsproduktion mehr oder weniger Gewicht beimes-sen, sollten diese sozialpolitischen Maßnahmen auch ins Zentrum der Analyse gestellt werden“ (Leitner 2013: 23).

In Abgrenzung zu Esping-Andersen und unter Berücksichtigung dieser Kritik hat Leitner (2003) eine Familialismustypologie75 entwickelt, die auf der Ge-genüberstellung von familisierenden und de-familisierenden Maßnahmen beruht (vgl. Leitner 2013: 37):

Der erste Typus, der explizite Familialismus, klassifiziert familisierende Maßnahmen, die Familien in ihren Betreuungs- und Pflegeaufgaben unter-stützen. Darüber hinaus wird ein Fehlen von de-familisierenden Maßnahmen konstatiert, wodurch keine andere Wahl als die familiale Pflege und Betreu-ung ermöglicht wird.

Im Rahmen des optionalen Familialismus werden sowohl familisierende als auch de-familisierende Maßnahmen typologisiert. Familiale Pflege und Betreuung werden ermöglicht, ohne hierbei verpflichtend zu sein.

Im impliziten Familialismus werden weder familisierende noch de-familisierende Maßnahmen gewährt. Gleichwohl werden Pflege und Betreu-ung hauptsächlich von der Familie übernommen, weil es keine anderen Al-ternativen gibt.

Der De-Familialismus ist durch seine de-familisierenden Maßnahmen ge-kennzeichnet. Es bestehen keinerlei familisierende Maßnahmen, weshalb die Familie in Bezug auf Pflege und Betreuung zwar entlastet wird, jedoch auch kein Recht auf familiale Pflege und Betreuung besteht (vgl. Leitner 2003:

358f.; Leitner 2013: 26f.). Die Typologie Leitners wird im Rahmen der theo-riegeleiteten Fallauswahl in Bezug auf die Beschreibung und Differenzierung der konservativen Länder nochmals aufgegriffen, wobei ihre empirischen Fallbeispiele vertieft werden.

Aufgrund der feministischen Kritik an der international vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung hat Korpi (2000) einen Ansatz entwickelt, Klas-senbeziehungen und Genderungleichheiten als integrative Dimensionen zu analysieren. Folglich gehen Korpi (2000) wie auch Orloff davon aus, dass eine Kommodifizierung von Frauen einen Weg der Unabhängigkeit vom männlichen Ernährer für Frauen darstellt.

„Two additional dimensions are proposed to capture the effects of state social provision on gender relations: access to paid work and capacity to form and maintain an autonomous household” (Orloff 1993a: 303).

Insofern sei es von Relevanz, Frauen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu er-möglichen. Das bevorzugte Modell nach Korpi (ebenso nach

Esping-75 Für eine tabellarische Übersicht der Familialismustypen nach Leitner (2003, 2013) s.

Tabelle 27 im Anhang.

Andersen) ist eindeutig das „Adult Worker Model“, das eine modernisie-rungstheoretisch-egalitaristische Perspektive erzielt. Doch ist eine Integration in den Arbeitsmarkt zwar wichtig, aber nicht um jeden Preis. Es gilt zumin-dest eine Differenzierung der Arbeitsbereiche respektive die Segregation sowie die Flexibilität des Arbeitsmarktes zu berücksichtigen (z. B. Dienst-leistungssektor in Schweden).

Im Dokument Ruth Abramowski Das bisschen Haushalt (Seite 132-136)