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Die Dimensionen der Macht in Paarbeziehungen

Im Dokument Ruth Abramowski Das bisschen Haushalt (Seite 195-200)

Die Kategorien respektive Typen der Macht stellen abstrahierte Verallgemei-nerungen dar, die den Zweck verfolgen, als ein idealtypisches Gesamtbild von Macht Arbeitsteilungsarrangements in Partnerschaften theoriegeleitet zu erklären. Werden die bisherigen theoretischen Ansätze systematisch betrach-tet, können folgende Dimensionen herausgearbeitet werden:

Auf der Mikroebene werden Machtfähigkeiten im Sinne von Sen als Fä-higkeiten/Aktivitäten, die spezifische Machtressourcen voraussetzen und von einer Person zur Realisierung einer bestimmten Handlungsalternative genutzt werden, verstanden. Es handelt sich um Machtaspekte, die nach Webers Verständnis zur Durchsetzung des eigenen Willens im Rahmen der mögli-chen Handlungsalternativen dienen („So wird etwa in Anlehnung an die be-kannte Weber’sche Definition von „Macht“ nur dort gesprochen, wo der machtausübende bzw. „machtbesitzende“ Akteur ein bestimmtes Verhalten des anderen Akteurs intendiert“) und die gemäß Held unter dem Terminus des „interaktionistischen Machtbegriffs“ zusammengefasst werden können (Held 1978: 64, Hervorhebungen im Original; die Verf.). Der erste Typus wird bezeichnet als

1. Interaktionelle Macht: Diese dient den unterschiedlichen Einfluss-möglichkeiten innerhalb sozialer Beziehungen in Form von Fähigkei-ten sowie Ressourcenkonstellationen. Zentral sind hierbei Prozesse der Entscheidungsfindung verbunden mit der Frage, welche Aspekte zu Gunsten der Durchsetzung des eigenen individuellen Willens zweckdienlich sind. In Anlehnung an die Rational-Choice-Ansätze ist dieser Typus im Sinne einer Verhandlungsmacht zu verstehen, wobei die Verhandlungsmacht maßgeblich durch Machtressourcen, wie das Humankapital, das Einkommen und den Erwerbsstatus, beeinflusst wird.

Mischtypen, die jeweils aus mikro- und makrosoziologischer Perspektive zu betrachten sind, d. h. einerseits als Machtfähigkeiten von Verwirklichungs-chancen, andererseits als Befähigung bzw. Ermächtigung interpretiert werden können, sind die kulturelle Macht, die institutionelle Macht und die Macht der Teilhabe:

2. Kulturelle Macht: Die kulturelle Macht (nach French/Raven (1959) und Hallenbeck (1966) Legitimate power, nach Safilios-Rothschild

gen in Abhängigkeit von den Machtstrategien durchgeführt werden, die in einer gegebenen Gesellschaft die Körper und die Willen besetzen“ (Foucault 1978: 10).

(1975) authority, s. Kapitel 8.1.) ist eine Form der Macht, mittels der in Anlehnung an die Gendertheorien nach Bielby/Bielby (1989), Bri-nes (1994) und die Honeymoon-Hypothese nach Künzler (1994) durch Werte sowie Normen legitimierte kulturspezifische Benachteiligungen oder Begünstigungen analysiert werden können. Dieser zweite Typus impliziert kulturelle Leitbilder, die sich als manifeste Muster in Ein-stellungen113 widerspiegeln. Kulturelle Rollenvorstellungen könnten beispielsweise dem Mann (oder der Frau) eine größere Entschei-dungsmacht zugestehen (für einen einführenden Überblick s. Hui-nink/Konietzka (2007): Kapitel „Beziehungsdynamik, Macht und Zu-friedenheit in Paarbeziehungen“).

3. Institutionelle Macht:

„Institutions in the sense of organizations, and not only « moral » or cultural institutions or ideologies, are doing gender as well as or even more effectively than individual actors, and a gendered functioning of the institutional envi-ronment where a couple lives may create strong incentives to accept sex-specific master-statuses even if the partners have other, e.g., egalitarian, nor-mative convictions“ (Levy et al. 2002: 33).

Institutionen, seien sie auf der Ebene familialen sozialen Handelns als dauerhafte Regelmäßigkeiten angesiedelt oder auf der Ebene sozial-struktureller Bedingungen, die Ausdruck in organisatorischen Formen finden (Verankerung von Strukturen in Institutionen als Organisati-onsform nach Levye et al.), sind miteinander zu verknüpfen, insofern als die Teilhabe an unterschiedlichen sozialen Feldern, beispielsweise Erwerbsarbeit, Familie und Kinderbetreuungseinrichtungen (sowohl lebenszyklisch wechselnd als auch die zeitgleiche Teilhabe an unter-schiedlichen Institutionen), im Wechselverhältnis zu betrachten ist.

„Sie sind mit unterschiedlicher Strukturierungsmacht untereinander und rela-tionaler Abhängigkeit voneinander ausgestattet und gestalten Lebensläufe hochwirksam geschlechtsspezifisch“ (Krüger/ Levy 2000: 380).

Nach Krüger/Levy schließen Institutionen sowohl handlungsleitende kulturelle Institutionen (Normen, Leitbilder; hier: kulturelle Macht) als auch die organisatorische Verfasstheit von Institutionen (hier:

Teilhabe und strukturelle Macht) ein, woraus die zweidimensionale Wirkung der mikro- und makrosoziologischen Perspektive dieser Machtdimension folgt (vgl. Krüger/Levy 2000: 380).

Der Masterstatus (s. Kapitel 3.3.) nach Krüger/Levy (2000) erfährt ei-ne Erweiterung in Form des vorliegenden reintegrativen

Machtansat-113 „Während Einstellungen und damit auch Intentionen primär auf der auf der Mikroebene von Bedeutung sind und individuelle Wahlentscheidung erfordern, verdichten sich Werte auf der Mesoebene zum Wertsystem, das Leitbildcharakter hat. Auf der Makroebene fügen sich Werte und Normen zu einem gesellschaftlich verankerten Wert- und Normsystem zu-sammen“ (Baumgartner 2008: 37).

zes, indem die Dimensionen des Masterstatus unter Bezugnahme der Macht herausgearbeitet werden. Den Forderungen, dass

1. („Bringing the Family back In“) „Familie […] als eine Kombina-tion unterschiedlich vergesellschafteter Lebensläufe ins Zentrum [rückt]“ und mit den, in der Lebensverlaufsforschung nicht be-rücksichtigten, Anliegerinstitutionen verknüpft wird,

2. „[…] nicht nur individuelle Verläufe, sondern auch die Relationa-lität von Lebensläufen untereinander zu thematisieren“ ersucht werden und

3. „Institutionenvernetzungen auf der Basis von Komplementärbe-ziehungen in der Lebenslaufstrukturierung“ in den Mittelpunkt ge-stellt werden

kann mittels dieser Vorgehensweise nachgegangen werden (Krü-ger/Levy 2000: 393, Hervorhebungen im Original; die Verf.). Ferner wird nicht nur das Anliegen Bringing the Family back In, sondern auch Bringing Power back In vertreten. Die von Krüger/Levy (2000) konzipierte Mehrdimensionalität der Institutionen erfährt hier eine Anwendung auf die Machtdimensionen, um innerhäusliche Arbeitstei-lungsarrangements zu erklären.

Institutionelle Regulierungen werden innerhalb dieses Machttyps vor-nehmlich auf die unterschiedlichen familialen Formen bezogen – In-stitutionen „formen“ Beziehungen. Je nach Form verändert sich die Erwartungshaltung. Während beispielsweise in einer Ehe eher traditi-onelle Rollenbilder erwartet werden können, wären es in einer Koha-bitation möglicherweise eher egalitäre Rollenbilder. Diese These ist auf unterschiedliche Erwartungssicherheiten zurückzuführen: Ehepaa-re empfinden eine höheEhepaa-re Erwartungssicherheit aufgrund ihEhepaa-rer ange-nommenen Partnerschaftsstabilität als unverheiratete Paare, woraus ein Vertrauen resultiert (nach verhandlungstheoretischer Argumenta-tion ein impliziter Vertrag), irgendwann eine Gegenleistung für die erbrachte Eigenleistung (z. B. Hausarbeit) zu erhalten. Makrosoziolo-gisch gilt es Unterschiede zwischen den europäischen Regionen zu beobachten, die z. B anhand von Eheschließungs-/ sowie Scheidungs-raten erfasst werden könnten und die folglich einen Teilaspekt des Ausmaßes der Traditionalisierung einer Region messen.

„[…] der relationale Bezug zwischen Institutionen scheint Familie und Ge-schlecht weder aus ihren subjektiven Verpflichtungsmustern zu entlassen, noch aus ihrer sozialstrukturellen Vermittler[Innen]rolle zwischen biographi-schen Optionen und inkompatiblen institutionellen Verfügbarkeits-Ansprüchen“ (Krüger/Levy 2000: 379).

4. Macht der Teilhabe: Auch die Macht der (multiplen) Teilhabe an ver-schiedenen sozialen Feldern (das Teilhabe-Theorem nach

Krü-ger/Levy (2000)) kann zum einen als Machtfähigkeit, z. B. in Form der ausgeführten Erwerbsbeteiligung als ökonomische Teilhabechan-ce, aufgefasst werden. Wesentlich ist hierbei die Annahme, dass Indi-viduen zeitgleich an unterschiedlichen sozialen Feldern teilnehmen können, die ggf. konkurrierende Rollenerwartungen auslösen, nach Ausmaß der Verpflichtung differenziert werden können und dyna-misch zu betrachten sind (vgl. Krüger/Levy 2000: 382f.). Zum zwei-ten sind darüber hinaus die Teilhabechancen im Sinne der Ermächti-gung relevant, beispielsweise einer politischen ErmächtiErmächti-gung (Em-powerment), inwiefern Frauen die Freiheit haben, politisch aktiv zu werden. Eine Operationalisierung dieser Dimension wird beispiels-weise gemäß der Makro-Gender-Indizes häufig über den Anteil an Parlamentssitzen, die von Frauen besetzt sind, vorgenommen.

Makroebene: Nach Sen sind es die Befähigungen, die hier als Ermächtigun-gen verstanden werden, die das Ausmaß an Handlungsfreiheit (anders formu-liert: die Verwirklichungschancen, die zur Verfügung stehen) bestimmen.

Der eigene Wille, wie er von Weber betont wird, kann aufgrund einer einge-schränkten Handlungsfreiheit von der in die Tat umgesetzten Handlungsal-ternative abweichen. Foucault beschreibt die Allgegenwart der Macht, deren Ausdruck mikrosoziologisch in sozialen Beziehungen wie auch makrosozio-logisch im Kontext von strukturellen Bedingungen (die er als juristische Macht bezeichnet) Ausdruck findet.

5. Strukturelle Macht/Ermächtigung/Empowerment: Die strukturelle Ermächtigung bezieht sich auf ein Normsystem, das den Handlungs-spielraum reguliert, wer in welcher Weise durch makrosoziologische Rahmenbedingungen begünstigt wird und die Möglichkeit der Teilha-bechance ausschöpfen kann. Insbesondere politische (Frauen-)Rechte, das Wahlsystem und staatliche Kinderbetreuungseinrichtungen sind Indikatoren, die es für die Erklärung innerhäuslicher Arbeitsteilungs-arrangements zu berücksichtigen gilt (gleichwohl kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird). Vielmehr ist nach Fuwa (2004) ein Einfluss gender-egalitärer Politik anzunehmen.

Während das interaktionelle Machtkonzept, das nach Held (1978) auch als interaktionistisch bezeichnet wird,

„[…] bei aller Differenzierung von einer partikulären Relation zwischen zwei Interaktionspartnern aus[geht] […] kann nun – nicht mit logischer Ausschließ-lichkeit, sondern im Sinne eines Kontinuums verschiedener Machtkonzeptio-nen – ein struktureller Machtbegriff gegenübergestellt werden. […] Struktu-relle Macht beruht auf immateriellen und materiellen Gütern, welche von den Mitgliedern eines Systems nachgefragt werden“ (Held 1978: 64, Hervorhe-bungen im Original; die Verf.).

Folglich ist auch die ökonomische Stärke eines Landes (z. B. Bruttoin-landsprodukt) als eine strukturelle Dimension der Macht zu verstehen.

Dem Umstand, dass der strukturelle Machtbegriff den Interaktions-prozess zwischen Akteuren ausblendet, dafür von konkreten Interakti-onen abstrahieren kann (vgl. Held 1978: 68), wird über die Konzeptu-alisierung der Machtdimensionen Rechnung getragen. Hieraus ergibt sich eine dynamische Perspektive, dass nicht nur interaktionelle Machtformen von der kontextuellen Entwicklung, sondern auch Machtstrukturen von situativen Faktoren abhängig sind.

Festzuhalten ist, dass die Ebenen der Macht als reflexiv zu verstehen sind, d.

h. sich wechselseitig beeinflussen. Veränderungen der Mikroebene haben als

‚bottom-up-Prozess‘ Auswirkungen auf die strukturellen Komponenten der Makroebene; umgekehrt haben Veränderungen der strukturellen Bedingun-gen als ‚top-down-Prozess‘ RückwirkunBedingun-gen auf die individuellen Verhal-tensweisen.

„Die Strukturierung sozialer Systeme zu analysieren bedeutet, zu untersuchen, wie diese in Interaktionszusammenhängen produziert und reproduziert werden;

solche Systeme gründen in den bewußt [sic!] vollzogenen Handlungen situierter Akteure, die sich in den verschiedenen Handlungskontexten jeweils auf Regeln und Ressourcen beziehen“ (Giddens 1992: 77).

Nicht nur die Frage von Struktur und Handlung, von Mikro- und Makroebe-ne, sondern insbesondere die Kontextualisierung ist wesentlich für die Erklä-rung sozialer Phänomene. „In order to study power, therefore, one must be concerned with the social context within which power relations take place“

(Osmond 1978: 51). Schlussfolgernd sind Machtverhältnisse114 „dispositiv“:

Welche Machtdimension inwiefern wirkt – nach Foucault: das „Spiel von Positionswechseln“ – ist eine Frage des Kontextes (Foucault 1978: 119f.).

Kurz: Mittels dieses Machtansatzes wird die Erfassung von Handlung, Kultur und Struktur kontextualisiert. Die Gesamtmenge der Verwirklichungschan-cen von Macht bildet das „Power-Capability Set“, das über die dargestellten Dimensionen ausdifferenziert werden kann.

Die Ausgangsannahmen, die aus der oben geführten theoretischen Dis-kussion erschlossen werden, sind zusammenfassend:

1. Macht beeinflusst als ein mehrdimensionales Konstrukt die innerhäus-liche Arbeitsteilung in Paarbeziehungen

2. Macht ist allgegenwärtig

3. Macht ist latent, lässt sich jedoch in unterschiedliche Dimensionen ausdifferenzieren

114 Der hier verwendete Begriff des Machtverhältnisses ist in diesem Sinne umfassender als der Begriff der Machtstruktur: Er impliziert, daß [sic!] eine durch die relativen Statuspositi-onen bzw. Ressourcen gegebene Machtstruktur in der Beziehung zwischen den Akteuren verändert werden kann [Möglichkeit der Modifikation durch interpersonal skills], ohne daß [sic!] die anfängliche Ressourcenverteilung selbst verändert wird“ (Held 1978: 68).

4. Macht wird sozial konstruiert, d. h. Macht erfordert die Existenz sozi-aler Beziehungen

5. Machtverhältnisse sind dispositiv 6. Macht ist relational

7. Modernisierungsvorstellung: Jeglicher modernisierungstheoretischer Annahmen über eine Orientierung am liberalen Egalitarismus zum Trotz besteht eine Diskrepanz zwischen der Egalitätsnorm und dem tatsächlichen Verhalten traditioneller Arbeitsteilungsarrangements.

9.4. „Bringing Power Back In“: Die Verteidigung des Machtansatzes

Werden Machtansätze entweder einer ökonomischen reduktionistischen Per-spektive oder gar einer Banalisierung ausgesetzt, so werden leichtfertige Fehlschlüsse getroffen: Wird beispielsweise argumentiert, dass ausschließlich eine Diskriminierung (nach Foucault die Unterdrückung als rein juristische Machtdimension) von Frauen (schwache, arme Frau im Gegensatz zum star-ken, faulen Mann) der Kern von Machtansätzen sei, ist missverstanden wor-den, dass es nicht um normative Schuldzuweisungen geht. Außerdem basiert die Fokussierung auf eine Durchsetzungsrelation innerhalb der Paarbezie-hung auf einer unterkomplexen Argumentation, die die verschiedenen Di-mensionen von Macht nicht berücksichtigt. Würde das Paar der schwachen, armen Frau und des starken, faulen Mannes isoliert betrachtet, würde die Machtposition des Mannes vollkommen überschätzt werden. „A zero-sum concept of power, in which A is the „victor“ and B is the „victim“, is not adequate for describing many kinds of power relationships“ (Baldwin, D.

1978: 1241). Die soziologische Innovation ist in einer Typologie der Macht zu suchen, die Machtstrukturen herausbildet, ferner der Mehrdimensionalität des Begriffes gerecht werden kann. Diese Verknüpfung von ökonomischen, austauschtheoretischen, soziologischen, mikro- und makrosoziologischen Theorien erzielt ein komplexes Gefüge zur Erklärung innerhäuslicher Ar-beitsteilungsarrangements.

„Die Multidimensionalität der familiären bzw. ehelichen Machtstruktur und die Existenz verschiedener Machtebenen zeigt, daß [sic!] es nicht nur aus methodo-logischen, sondern auch aus theoretischen Gründen nicht möglich ist, die Macht-struktur allein durch die Verteilung von Entscheidungskompetenzen [s. familien-soziologische Machtkonzepte] zu bestimmen“ (Held 1978: 74).

Durch die Betrachtung des Zusammenhangs von innerhäuslichen Arbeitstei-lungsarrangements und mehrdimensionalen Machtverhältnissen werden ge-samtgesellschaftlich geschlechtsspezifische Arbeitsteilungen als Differenz

Im Dokument Ruth Abramowski Das bisschen Haushalt (Seite 195-200)