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Fazit der Familie 3: die unzufriedenen ehemaligen Neuköllner (Typ 2) (Typ 2)

Hypothese 4: In Bezug auf die Fähigkeit, unterstützende Netzwerke zu gründen, gibt es zahlreiche Beispiele: Es sind eine Vielzahl von Initiativkinderläden entstanden

10.3. Die unzufriedenen Familien, die abgewandert sind (Typ 2)

10.3.1.6. Fazit der Familie 3: die unzufriedenen ehemaligen Neuköllner (Typ 2) (Typ 2)

Diese Familie verfügte in ihrer Zeit in Berlin über mehrere unterschiedliche geschlossene und dichte Netzwerke, die der Familie für verschiedene Bereiche der

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Alltagsstrukturierung dienlich waren. Ebenso hatten die Netzwerke auch

psychisch/emotional eine große Bedeutung. Die Familie konnte sowohl auf Unterstützung aus der direkten Verwandtschaft zurückgreifen als auch auf Freunde, Bekannte, auf diverse Elternnetzwerke, auf eine Kinderfrau und andere professionelle Helfer. Die Mutter der Befragten hatte, obwohl sie nicht in Berlin wohnt, die Kinder des Öfteren ca. 4 Tage im Monat betreut. Dies geschah meist dann, wenn die Kinder krank waren. Der Freundeskreis dieses Paares ist etwas kleiner als bei den zufriedenen Paaren. Aber der Bekanntenkreis unterscheidet sich in der Größe, Dichte und der Kontakthäufigkeit nicht wesentlich von denen aus der Gruppe der Zufriedenen. Die Elternnetzwerke, die sie über die Kinderläden geknüpft hatten, bestanden aus diversen Paaren. Auch wenn es keine Angabe zur Funktion dieser Unterstützer gibt, kann man davon ausgehen, dass dort Reziprozität, Vertrauensbeziehungen und das Informationspotential von Bedeutung waren. Die Angaben zur Kontakthäufigkeit und Dichte der Netzwerke lassen den Schluss zu, dass die Familie mobil und umweltoffen genug war, um auch außerhalb Neuköllns diese Netzwerke zu pflegen. Im qualitativen Interview wurden auch die positiven Bezüge zu anderen Paaren erwähnt und als wichtig erachtet.

Die Paarbeziehung war offenbar teilweise konfliktreich. Denn beide mussten sowohl zum Familienerwerb als auch zur Kindererziehung beitragen und wollten dies auch. Bei unvorhersehbaren Ereignissen wie z. B. dann, wenn die Kinder krank wurden, kam es aber ab und an zu Konflikten bezüglich der Arbeitsteilung.

Bei dieser Familie war es teilweise mit der Gesundheit der Mutter nicht so gut bestellt.

Dies ging aus einer Schilderung der Mutter außerhalb des Interviews hervor. Es war auch ein Grund mit dafür, dass Neukölln als anstrengend, stressig und teilweise gefährlich wahrgenommen wurde. Nach Brooks-Gunn (1995) ist der physische und mentale

Gesundheitszustand ein Faktor, der zum familieninternen sozialen Kapital gehört. Wenn das familieninterne Kapital in diesem Punkt nicht stark ausgeprägt ist, dann wirken exogene Faktoren extrem störend und verstärken die Unzufriedenheit mit der derzeitigen Wohn- und Lebenssituation. Beispiele dafür sind ein starkes Verkehrsaufkommen, Rücksichtslosigkeit im Straßenverkehr, Müll und Hundekot auf den Gehwegen usw.

Andere Ressourcen des Sozialkapitals wie Familie, Freunde, Bekannte der Familie reichten also nicht aus, um die negativen Seiten, insbesondere den hohen Stresspegel von Neukölln, zu kompensieren.

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Insgesamt bestand die Wahrnehmung der Mutter darin, dass es keinen allgemeingültigen Wertekonsens in der Öffentlichkeit Neuköllns gibt bzw., dass Normen und Regeln sozial nicht kontrolliert werden. Dies hatte sie mit eigenen Erfahrungen hinsichtlich anderer Verkehrsteilnehmer oder Hundebesitzer verbunden. Für sie zählten aber auch die Erfahrungen und Erzählungen von Bekannten und Freunden.

Nach Bronfenbrenners sozial-ökologischem Ansatz (1981) konstruieren sich Menschen ihre Umwelt vor allem ausgehend von ihrer eigenen Wahrnehmung. Die Umwelt wird ebenso von den sozialen Beziehungen und von den Informationen geprägt, die diese in sich bergen. Am Beispiel des Faktors Bildung wurde deutlich, wie sensibel Familien auf dasjenige reagieren, was Dritte über die Schulsituation in Neukölln denken und

verbreiten. Die Befürchtung der Eltern hierbei war, dass die Kinder nicht ihren Neigungen und Fähigkeiten entsprechend gefördert werden. Ebenso befürchteten sie, dass die Kinder in Neukölln auch außerhalb der Schule nicht frei und unbeschwert aufwachsen können.

Dies wegen der erlebten und von anderen übermittelten Berichte über gewalttätige Auseinandersetzungen unter Kindern und Jugendlichen. Aufgrund ihrer eigenen

Befürchtungen und aufgrund des Erlebten entschlossen sie sich, Neukölln zu verlassen.

Bevor sie ihren Umzug nach Potsdam realisieren konnten, haben sie sich erfolgreich mittels der Konstitution neuer und des Erhaltes bestehender Netzwerke den Zugriff zu qualitativ hochwertigen institutionellen Ressourcen verschafft. So z.B. zu optimalen Kinderbetreuungseinrichtungen wie zu dem Kidsgarden e.V. Solange sie in Neukölln wohnten, dienten diese sozialen Bindungen auch als Puffer, um stressige Faktoren zu mildern.

Obwohl die Familie mit der „Daseinsvorsorge“ (ÖPNV, LPG, Frisör usw.) sehr zufrieden gewesen war, war sie der Überzeugung, dass diese nicht ausreicht, um die negativen exogenen Faktoren der Umgebung kompensieren zu können. Aufgrund der qualitativen Berichte der Mutter und des Netzwerkfragebogens kann man schließen, dass das Paar über die Fähigkeit verfügte, diverse Kapitalarten (soziales, ökonomisches und

Bildungskapital) zu akkumulieren. Dies in einer Weise, dass diese Akkumulation ihren Bedarfen entsprach. Dazu zählten insbesondere eine ruhige, grüne, nicht so stressig erlebte Wohngegend, gute Bildungs- und Betreuungseinrichtungen. Ihre eigenen

Erfahrungen und die Berichte Dritter ließen sie zu dem Schluss kommen, dass Neukölln-Nord ein Getto ist, aus dem man besser wegziehen sollte, was dieses Paar auch getan hat.

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10.4. Familie 4. Typ 2: die Unzufriedenen, die abgewandert sind

Das Interview wurde mit einem Paar und dessen 12-jährigen Sohn in deren Wohnung geführt. Diese Familie konnte mit Hilfe einer Elterninitiative gegen Jugendgewalt für Interviews gewonnen werden. Die interviewte Mutter hatte diese Initiative ins Leben gerufen.

Dieses Interview unterschied sich von den anderen Interviews insbesondere darin, dass diese Familie nicht aus dem Kinderladen Kila e.V. rekrutiert worden ist. Da die

Themenschwerpunkte dieses Interviews andere waren als diejenigen in den Interviews der Eltern aus dem Kinderladen, weichen die folgenden Kapitelüberschriften etwas von denen der übrigen Interviews ab.

10.4.1. Familiärer Hintergrund

Das interviewte Paar war verheiratet, hatte einen Sohn, der zum Interviewzeitpunkt 12 Jahre alt war. Beide Eltern sind Sozialpädagogen und arbeiten als Familien- und

Einzelfallhelfer bei der Lebenshilfe. Beide arbeiteten 25 bis 30 Stunden in der Woche und kümmerten sich etwa zu gleichen Teilen um die familiären Angelegenheiten sowie um das Familieneinkommen. Die Mutter ist Künstlerin. Sie malte und stellte ihre Bilder auch auf Ausstellungen aus.

Die Mutter kam ursprünglich aus Berlin-Mariendorf. Der Vater ist Berliner, aber nicht in Neukölln aufgewachsen.

10.4.2. Wohnung und Wohnumfeld

Die folgenden Sequenzen zur Wohnung und Wohnumgebung werden paraphrasiert wiedergegeben: Bevor die Familie nach Neukölln-Nord gezogen ist, haben sie in Kreuzberg gelebt. Geldnot hatte die Familie nach Neukölln verschlagen (Mutter, S. 1, Interview 8). Die Familie hatte etwas mehr als drei Jahre in einem Altbau in der Sonnenallee nahe der Weichselstraße, d. h. im statistischen Gebiet Roseggerstraße gewohnt. Die Wohnung war ausreichend groß für drei Personen. Sie war hell und sehr hübsch eingerichtet. Links und rechts der Wohnung befinden sich zwei Geschäfte, u. zw.

ein Imbiss und Lebensmittelgeschäft. Bei dem Interviewbesuch der Familie fiel auf, dass leere Ost- und Gemüsekisten auf dem Gehweg und unter dem Bäumen abgestellt waren.

Das Haus machte einen sanierungsbedürftigen Eindruck. Es roch im Treppenhaus nach Dönerprodukten.

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Ein Grund für den Umzug der Familie nach Neukölln-Nord war, dass eine gute Bekannte sowie eine Freundin bereits in dem Haus gewohnt hatten. Diese Freundin hatte ihr die Wohnung in der Sonnenallee sehr empfohlen. Im Januar 2007 ist das Paar nach Steglitz umgezogen. Die Mutter berichtete, dass sie die Wohnung in der Sonnenallee immer nur als eine Notlösung angesehen habe. Die Übergriffe, die ihr Sohn erleben musste, haben das Paar schließlich dazu veranlasst, wieder umzuziehen: „Dazu sind wir hier auch nicht verwurzelt, wir konnten uns im Grunde nicht vorstellen, dass es so schlimm ist“ (sie meint das aggressive Verhalten einiger Jugendlicher) „und dachten, o.k., jetzt aus dieser Not heraus und mit diesem Hintergrund eben, H. (eine Freundin) im Haus und Schulfreunde und so und ich finde es gibt ja auch ganz nette Abwechslung“ (Mutter, S. 12, Interview 8).

Die Frage nach dem Kontakt zu den Nachbarn beantwortete der Vater damit, dass dieser ganz in Ordnung sei. Jedoch verhielten sich angeblich einige Familien, auch deutsche, etwas merkwürdig. Dies, indem sie betont Abstand zu den übrigen Mitbewohnern halten.

Eine türkische Familie lebe ohnehin in ihrer eigenen Welt. Der Vater habe die türkische Familie zwar gegrüßt. Es wurde aber nicht zurückgegrüßt. Ebenso hatte der Vater schon einmal einer türkischen Familie geholfen, die Koffer hoch zu tragen. Wieder andere Mieter wurden als Psychopathen bezeichnet: „Na ja, die reden wirres Zeug, drohen das Haus an zu zünden“ (Vater, S.9, Interview 8). Ein anderer Mieter des Hauses soll halb nackt und barfuß durch die Straßen gelaufen sein. Die Mutter ergänzte, dass einer der Bewohner tot in der Wohnung gelegen habe, dass die Polizei die Tür aufbrechen musste.

Ebenso wurde von der Polizei die Tür einer anderen Wohnung mit einem

Vorhängeschloss versiegelt, die der ehemalige Mieter aber wieder abgenommen hätte

„…..und hat jetzt wieder sein festes Bett“ (Mutter, lacht, S. 9). Die Mutter bezeichnete den Kontakt zu den Nachbarn als mittelprächtig. Sie hätte schon in Häusern gewohnt, in denen sie weniger Kontakt hatte. Für den Wegzug aus Neukölln war sicherlich ein Grund mit, „dass Du die Hälfte der Bewohner nicht kennst“ (Mutter, S. 10). Der Vater ergänzte, dass die Studenten ganz o. k seien. Sie seien aber auch nur auf der Durchreise

(paraphrasiert, S. 10).

10.4.3. Beurteilung der institutionellen Ressourcen 10.4.3.1. Einige Beispiele institutioneller Ressourcen

Die Frage nach der Qualität und der Nutzung von institutionellen Ressourcen wurde von der Familie wie folgt beantwortet. Der Sohn und sein Vater nutzten den neu gebauten

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Basketballplatz an der Hasenheide. Ebenso wurde die Helene Nathan Bibliothek als besonders positiv hervorgehoben. Insgesamt gesehen, hatten die institutionellen Ressourcen des Bezirkes für die Familie keine große Bedeutung. Bezogen auf die

Bildungsinstitutionen, d.h. speziell auf Grundschulen in Neukölln, hatte die Mutter einen sehr negativen Eindruck: Mutter, S. 7, Interview 8: „also ich hab manchmal das Gefühl, in Neukölln versucht niemand ernsthaft die Kinder zu beschulen, weil das aussichtslos ist. In gewisser weise auch die Konsequenz, (...) weil die Kinder sehen kein Sinn in der Schule, weil ihnen keine Perspektive offen steht und also braucht man hier die Kinder auch nicht lang mit Schule quälen, aber das ist irgend wie alles nichts, wo ich sage, das möchte ich jetzt für mein Kind…“ (Mutter, S. 7, Interview 8).

Diese Aussage macht deutlich, dass die Mutter von der Schulsituation in Neukölln ein ganz bestimmtes negatives Bild hatte. Dies besonders von den Neuköllner Kindern und Jugendlichen. Dieser Eindruck ist wohl auch vor dem Hintergrund ihrer eigenen

Erlebnisse und derjenigen ihres Sohnes entstanden. Ihr Sohn ist in Kreuzberg zur Grundschule gegangen. Zum Interviewzeitpunkt besuchte er das Gymnasium in Tempelhof und spielte Basketball in Kreuzberg.

Eine weitere Institution, die in diesem Interview angesprochen wurde, ist das

Quartiermanagement und dessen Funktion. Die Bewertung dieser Institution wird im folgenden Abschnitt noch näher erläutert werden. Hier fühlte sich das Paar in ihren Belangen von den Mitarbeitern und Projektleitern nicht genügend verstanden und vertreten.

Das Hauptthema dieses Interviews war das aggressive Verhalten einiger Jugendlicher in den Nebenstraßen von Neukölln-Nord, unter dem der damals 11-jährige Sohn der Familie besonders gelitten hatte. Der Sohn wurde, kurz nachdem sie nach Neukölln-Nord

zugezogen waren, insgesamt achtmal angegriffen, davon auch einmal in Kreuzberg (Sohn, S. 1, Interview 8, paraphrasiert). Die Übergriffe erfolgten teilweise durch zwei oder drei Jugendliche bzw. Kinder. Das Alter der Angreifer wird auf 12 bis 14 Jahre geschätzt.

Einige davon waren wohl auch Mitglied einer Bande oder einer bekannten Gang. Im Laufe des Interviews wurden mehrere Vorfälle angesprochen. Die meisten Übergriffe passierten auf dem Heimweg von der Schule. Daher nahm der Sohn eine zeitlang eine Abkürzung über einen Gewerbeparkplatz in der Weichselstraße, um von dort aus zur Wohnung seiner Eltern zu gelangen. Nach Berichten der Eltern griffen ihn selbst dort Jugendliche des Öfteren an und bedrohten ihn. Sie verlangten Geld, Zigaretten und Handys. Mehrere Übergriffe wurden auch von Schülern einer Grundschule in der

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Donaustraße verübt. Die Mutter berichtete, dass sich regelmäßig Kinder bzw. Jugendliche dieser Schule an der Ecke Weichselstraße postierten und dort Kinder bedrohten, beraubten und verprügelten (Mutter, S. 4, Interview 8, paraphrasiert). Die Mutter erfuhr erst später von einer befreundeten Nachbarin, dass ihr Sohn angegriffen worden war. Sie konnte zusammen mit ihrem Sohn die Täter identifizieren. Sie gingen daraufhin in diejenige Schule, in der sie die Eltern die Täter vermuteten und baten um ein Gespräch mit der Direktorin. Ihr Ziel war es, dass das Verhalten der gewalttätigen Kinder und Jugendlichen sanktioniert wird. Diese Schüler sollten lernen, dass Gewalt nicht der richtige Weg ist.

Die Mutter war besonders darüber verärgert, dass ihr Anliegen von der Schulleitung offenbar nicht ernst genommen worden ist. Nach zwei Besuchen der Eltern in der

entsprechenden Grundschule wusste die Direktorin noch nicht einmal, dass die Eltern an ihrer Schule das Problem zur Sprache gebracht hatten. Die Kinder und Jugendlichen setzten derweil ihre Angriffe gegen andere Kinder fort. Daraufhin informierte die Mutter den Schulrat. Dieser reagierte ebenfalls nicht so, wie die Eltern es sich erhofft hatten.

Unter anderem regte die Mutter einen Elternabend zu dem Thema Gewalt an der Schule an. Der Schulrat kanzelte sie mit der Begründung ab, das würde zu viel Unruhe in die Klassen und in die Schulen bringen. Die Mutter kam zu dem Schluss, dass die Position des Schulrates fehlbesetzt sei (Mutter, S. 3, Interview 8, paraphrasiert, S. 3).

Die folgenden Ausführungen stammen nicht aus dem Interview, sondern aus der Teilnahme an der Initiative gegen Jugendgewalt, die die interviewte Mutter ins Leben gerufen hatte.

10.4.3.2. Erfahrungen der Familie mit aggressiven Verhaltensweisen