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Hypothese 4: In Bezug auf die Fähigkeit, unterstützende Netzwerke zu gründen, gibt es zahlreiche Beispiele: Es sind eine Vielzahl von Initiativkinderläden entstanden

10.3. Die unzufriedenen Familien, die abgewandert sind (Typ 2)

10.3.1.3. Beurteilung der institutionelle Ressourcen

10.3.1.3.1. Beurteilung der Bildungssituation in Neukölln

Die bevorstehende Einschulung des Sohnes war ein wichtiger Grund der Familie, aus Neukölln-Nord wegzuziehen. Die Situation in Neukölln wurde schon vorher als schwierig empfunden. Die Mutter berichtete, dass der Wunsch, aus Neukölln wegzuziehen, bereits seit ca. 2003 bestanden hatte. Der jetzige Zeitpunkt schien der Familie auch wegen der Einschulung des sechsjährigen Sohnes günstig zu sein. Sie wollten beides, d. h. das Eingewöhnung in eine andere Stadt und den Schulbeginn des Sohnes, miteinander verbinden. Für Potsdam und gegen Berlin sprach auch das neue Berliner Schulgesetz.

Danach wurden im Schuljahr 2005/2006 erstmalig einundeinhalb Jahrgänge gemeinsam eingeschult. Dies führte nach Meinung der Mutter zu chaotischen Situationen. Der Stichtag für die Einschulung war nicht wie in Berlin der 30.06.2005, sondern der 30.09.2005. Dadurch war der Altersdurchschnitt homogener. In Berlin führte die

Vorverlegung des Stichtages dazu, dass erstmals fünfeinhalbjährige und fast siebenjährige Schulanfänger zusammen in die erste Klasse kamen. Dies war, in einem ohnehin schon sehr belasteten Bezirk wie Neukölln, nach Meinung der Eltern sehr problematisch. Auf die Frage, auf welche Einzugsschule ihr Sohn hätte gehen müssen, sofern sie in Neukölln wohnen geblieben wären, nannte die Mutter diese Schule. Sie hatte den Eindruck, dass das Gewaltpotential dort sehr hoch ist. Sie kam an dieser problematischen Schule des Öfteren vorbei. Eine andere Mutter aus dem Kinderladen hatte ihr erzählt, dass dort die Schülerzahl bei 36 Kindern liegt. Sie fand es problematisch, dass an den Einzugsschulen in Neukölln die deutschen Kinder mit ihrem kulturellen Hintergrund in der Minderheit sind. Sie brachte Schuluntersuchungen zur Sprache, die belegen, dass an Schulen, an denen der „ndH-Anteil“ über 30 % liegt, die Lernerfolge deutlich geringer sind. Sie behauptete, dass dies der integrierbare Teil in den Klassen sei. Bestimmte Lösungsansätze

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wie z. B. zweisprachiger Unterricht wurden bereits an einigen Grundschulen erprobt. Die Mutter vertrat die Meinung, dass die Mühe der Lehrer ins Leere laufe, sofern in einer Klasse 90 % der Kinder nicht mit der deutschen Sprache aufgewachsen sind: „dann ist da einfach nichts mehr zu wollen“ (Mutter, S.12, Interview 6). Sie fügte hinzu, dass es auch oft Familien aus „bildungsfernen Schichten sind“. Von diesen hatte sie den Eindruck, dass Bildung in diesen Familien keine Rolle spielt und damit die Gewalt entsprechend hoch ist.

Sie führte noch an, dass selbst für den Fall, dass in einer Klasse mit 30 Schülern nur fünf anderssprachige Kinder dabei wären, bereits ein Klima geschaffen sei, „wo es nicht mehr ums Lernen geht“ (Mutter, S. 12, Interview 6). Es stand für sie also überhaupt nicht zur Diskussion, ihre Kinder an einer Neuköllner Grundschule anzumelden. Bevor die Familie den Entschluss gefasst hatte, nach Potsdam zu ziehen, hatte sich die Mutter

vorsichtshalber bei einer Bekannten in Kreuzberg polizeilich angemeldet, um sich dort einen Schulplatz an einer Grundschule zu sichern, die einen guten Ruf hat. Auch dieses Suchverhalten ist bei Eltern in Neukölln und anderen belasteten Gebieten weit verbreitet.

Diese Ausführungen zeigen, wie intensiv die Eltern mit der Frage beschäftigt sind, für welche Schule sie ihre Kinder anmelden. Wie hoch sind die Anstrengungen, die sie unternehmen, um an begehrte Schulen zu gelangen? Auch hier zeigt sich, wie wichtig soziale Netzwerke zur Informationsgewinnung sein können. Die entsprechende

Information über vermeintlich gute Schulen hatte die Familie 3 über andere befreundete Paare im Haus erhalten.

Die unbefriedigende Wohnsituation und die bevorstehende Einschulung waren für die Familie ausschlaggebend dafür, Neukölln zu diesem Zeitpunkt zu verlassen. Ihr Eindruck von den Neuköllner Grundschulen war durchweg negativ. Dabei verließen sich die Eltern auch sehr stark auf die Erzählungen anderer Eltern. Andere Orientierungen waren

Studien, die belegen sollen, dass Kinder schlechter lernen, wenn in den Klassen ein hoher Anteil der Kinder nicht deutscher Herkunftssprache ist.

10.3.1.3.2. Beurteilung von Kinderbetreuungseinrichtungen und Infrastruktur

Die Frage nach der Zufriedenheit der Familie mit den Betreuungseinrichtungen ihrer Kinder beantwortete die Mutter wie folgt: „Also damit bin ich ganz zufrieden. Also gerade was …wir als sehr positiv in Erinnerung haben, ist die ehm sind diese selbst organisierten Strukturen. Sowohl P. (ihr ältester Sohn) als auch M. (die jüngere Tochter)

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waren ja nicht in staatlichen, also in kommunalen Einrichtungen oder in Einrichtungen der großen freien Träger wie der AWO oder die kirchlichen Trägern, sondern in diesen selbst organisierten Strukturen. Und die bieten halt großen Gestaltungsspielraum …“(Mutter, S.

5, Interview 6).

Rückblickend kritisierte die Mutter den Kinderladen „Kila e.V.“ dahingehend, dass dort die Vorschularbeit unzureichend sei. Ebenso war die Mutter von der Tatsache, dass eine Erzieherin lange Zeit ausgefallen war, beunruhigt. Ihrer Meinung nach konnte damit nur noch eine Betreuung, aber keine Förderung mehr stattfinden (paraphrasiert, S. 5,

Interview 6). Den Kinderladen ihrer jüngeren Tochter, der als Erzieherinneninitiative geführt wurde, hatte sie in besonders guter Erinnerung: „Es gab mehrere Elternabende, es gab auch immer Elterngespräche. Aber die Eltern mussten nicht so mitarbeiten, eh, man konnte natürlich schon noch seine Vorlieben und seine Wünsche äußern. Es wurde auch immer aufgegriffen“(… .) „Die hatten noch mal so ein anderes Kundenverständnis“. Die Frage, was die Mutter mit „Kundenverständnis“ meinte, beantwortete sie wie folgt: „Ja du, die hatten also wirklich, also die haben wirklich wahrgenommen, dass sie, also die wollten, dass die Kinder da zufrieden sind, das war auch ne ganz tolle Gruppe….“

(Mutter, S. 6, Interview 6). Was der Mutter wichtig war, war das soziale Gefüge, u. zw.

sowohl dasjenige unter den Kindern, die sich sehr gut verstanden haben sollen, als auch dasjenige unter der Elternschaft. Letztlich zog sie eine Erzieherinneninitiative einer Elterninitiative vor, weil sie dort weniger Elterndienste ausüben musste. Eltern mussten beim Kochen, Putzen usw. helfen, wenn die Reinigungskraft ausfiel. „Also das war echt toll. Die haben auch sehr viele Angebote gemacht, immer ein Ausflug gemacht jede Woche, schwimmen waren die sehr viel mit den Kindern, in Ausstellungen und so; das war ein sehr guter Kinderladen“ (Mutter, S. 6, Interview 6).

Später wurden die persönlichen Kontakte und gegenseitigen Hilfeleistungen unter der Elternschaft positiv beurteilt. Die Mutter kam noch einmal auf die selbst organisierten Strukturen speziell in Kinderläden zu sprechen, die sie besonders schätzte: „Aber wie gesagt insgesamt war die Kinderbetreuung so, fand ich sehr positiv. Also gerade durch diese Kleinstrukturierung halt“ (Mutter, S. 6, Interview 6).

Ebenso erwähnte die Mutter eine andere Betreuungseinrichtung, in der ihre Tochter auch zeitweise betreut worden war und die ihr rückblickend nicht gefallen hatte. Es handelte sich um eine Großpflegestelle, in die Kinder im Alter von 14 bis 26 Monaten

aufgenommen wurden. Die Eltern waren dort unzufrieden, weil die Kinder ihrem

Eindruck nach nicht ihrem Alter und ihren Bedürfnissen entsprechend gefördert wurden.

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Ein Beispiel: „…aber es würden auch sehr viele Kinder mit Integrationsbedarf

aufgenommen, also in einer Gruppe mit acht Kindern, waren drei Integrationskinder…“

… „Und die Erzieherinnen haben die Kinder aber nicht integriert“… sie haben das Geld mehr oder weniger genommen, das es dadurch gab, aber nicht unbedingt…., z. B. da wurden nie irgend wie Bücher vorgelesen. Vor dem Hintergrund, das eine Mädchen konnte sich nicht konzentrieren, also würden keine Bücher vorgelesen. Ja,

also…“(Mutter, S. 7/8, Interview 6). Weitere negative Aspekte wurden angeführt wie z.

B. der Umstand, dass die Kinder nicht dazu animiert wurden, trocken zu werden. Die Mutter hatte den Eindruck, dass alles, was Mühe macht, vermieden wurde. Sie nahmen die Tochter aufgrund dieser Erfahrungen wieder aus der Großpflegestelle heraus. Sie meldeten sie wieder in dem Kinderladen an, den die Mutter als positiv hervorhob. Nach Meinung der Familie ist gute pädagogische Arbeit, die auf die Kinder individuell zugeschnitten sein soll, ein Kriterium für eine qualitativ hochwertige

Betreuungseinrichtung für Kleinkinder.

Die Mutter kam dann von sich aus auf weitere Ressourcen zu sprechen, die sie durchaus in einer positiven Erinnerung hatte: „Und es gibt ja auch viele andere Strukturen im Kiez.

Also, wenn Du gerade von Ressourcen sprichst, von positiven Ressourcen, also diese unmittelbare Daseinsvorsorge, ja …“

Interviewerin: „Was meinst Du jetzt genau damit?“

„Also ich meine jetzt z.B. die LPG in der unmittelbaren Nähe ne. Wo Du sozusagen in der Genossenschaft günstig ökologische Lebensmittel kaufen konntest, ja. Alles in Lauf- oder Fahrradentfernung oder eh wie gesagt der Pauli oder der Senat“. Dies war ein öffentlicher Spielplatz, den später ein türkischer Träger übernommen hatte. „Und ehm, was weiß ich

…. unsere Friseuse kannten wir seit dem wir dort wohnen, auch ne ganz nette türkische Friseuse sozusagen. Das war z.B. wo alles sehr problemlos auch lief, ja. Oder auch Karstadt, wo du dann auch alles was Du sonst so brauchtest alles schnell und problemlos kriegen konntest, ja, also ganz viele Dinge, die man braucht, konnte man in fußläufiger Entfernung bekommen“ (Mutter, S. 6, Interview 6). Die gute Anbindung an den ÖPNV wurde auch deshalb als positiv hervorgehoben, weil die Familie damals noch kein Auto hatten.

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