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Weitere Erklärungsansätze zur Entscheidungsfindung und zum Familienmanagement von Jarret und Fürstenberg Familienmanagement von Jarret und Fürstenberg

7. Der sozialökologische Ansatz von Bronfenbrenner

8.4. Weitere Erklärungsansätze zur Entscheidungsfindung und zum Familienmanagement von Jarret und Fürstenberg Familienmanagement von Jarret und Fürstenberg

Aus zahlreichen Elterngesprächen geht hervor, dass Eltern, die in Neukölln oder auch in anderen belasteten Innenstadtquartieren ihre Kinder groß ziehen, permanent auf der Suche nach den optimalen Ressourcen für sich und ihre Kinder sind. Dies beginnt bei der

Auswahl des Kindergartens, setzt sich bei der Schulwahl fort. Ebenso wird bei der Ausgestaltung der Freizeit sichtbar, dass sich die Suchstrategien der Eltern in

Krisengebieten wie Neukölln-Nord mit denjenigen der Eltern in Ghettonachbarschaften der USA ähneln (Jarret 1997). Zwar gab es keine Eltern, die ihre Kinder vollkommen von der Nachbarschaft isoliert hatten, wie es in den Studien von Jarret (1997) und anderen beschrieben wird. Jedoch zeigte sich in den Interviews, dass einige Eltern aufgrund ihrer Erfahrungen und Wahrnehmungen in Neukölln, ihre Kinder sehr stark zu schützen versuchten.

Daher sollen einige Forschungsergebnisse zu Suchstrategien und den schützenden Strategien der Eltern vorgestellt werden. Insbesondere für diejenigen Familien, die nicht abwandern können oder wollen, sind diese Ansätze und Forschungsergebnisse hilfreich.

Im Anschluss an die bisherigen Ausführungen wird auf den Begriff des sozialen Kapitals eingegangen werden, dessen Mehrdimensionalität zu klären ist. Hierbei wird der

Netzwerkbegriff von Bronfenbrenner, Moen und Carbarino zugrunde gelegt werden (Kap.8.4.2).

8.4.1. Suchstrategien und Familienmanagement

Eine Annahme dieses Promotionsvorhabens ist, dass die Entscheidung der Neuköllner Eltern „wohnen bleiben oder gehen?“ auch von den institutionellen Ressourcen einer Gemeinde abhängt. Eltern müssen als Anwälte und Vermittler agieren, um an qualitativ hochwertige (Community)Ressourcen für sich und ihre Kinder zu gelangen: „ Parents must act as advocates or brokers for their children’s receipt of community

resources“(Leventhal & Brooks-Gunn 2000: 322). Brooks-Gunn et.al. gehen davon aus, dass die Ressourcen einer Gemeinde das Wohl der Kinder und der Eltern eher indirekt als direkt beeinflussen. Zudem sind die positiven Auswirkungen dieser Ressourcen auch davon abhängig, ob die Eltern überhaupt einen Zugang dazu haben. Können sie sich z.B.

den Musikschulunterricht für die Kinder leisten (Leventhal & Brooks-Gunn 2000: 322).

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Jarrett (1997, 48 ff) konnte anhand von ethnographischen qualitativen Studien mit

afrikanisch stämmigen Amerikanern mit niedrigen Familieneinkommen deutlich machen, dass viele Eltern gezielt Suchstrategien entwickeln, um ein mangelndes Angebot an Bildungs-, Kultur- und Freizeitangeboten ausgleichen zu können. Sie suchen z.B. in Nachbargemeinden nach optimalen Ressourcen für ihre Kinder. Weiterhin ergab sich, dass viele Familien beschützende Strategien entwickeln, um ihre Kinder vor negativen Einflüssen, wie z.B. kriminellem Verhalten, Drogenkonsum, Jugendbanden, sicher zu bewahren. Dazu dienen so genannte „family protection strategies“. Dazu zählen

beispielsweise das Begleiten zur Schule durch Erwachsene, das Vermeiden bestimmter Orte und Plätze zu bestimmten Zeiten, das sich Abgrenzen von Nachbarn usw. Einige Eltern isolieren ihre Kinder fast vollständig von der Nachbarschaft. Viele Eltern kanalisieren den Umgang ihrer Kinder mit Hilfe von Verboten. Oder sie suchen Verbindungen zu Netzwerken in anderen Gegenden, um ihren Kindern einen anderen Umgang zu ermöglichen. Dass Erwachsene ihre Kinder zur Schule begleiten und diese auch wieder abholen, gehört zu den gängigsten Methoden des „Child monitorings“.

Obwohl Neukölln kein Getto ist, vergleichbar mit den USA, gibt es in vielen „Kiezen“ der Neuköllner Altstadt deutliche Tendenzen einer sozial desorganisierten Gemeinde Darauf wird im 6. Kapitel näher eingegangen werden. Einige der interviewten Familien zeigten ein ähnliches Erziehungsverhalten, das Fürstenberg (1993), Jarrett (1997) und andere festgestellt haben Dieses umfasst z. B. das Suchen nach alternativen Schulen in Nachbargebieten, das Anmelden an Privat- oder konfessionsgebundenen Schulen. Auf diese Suchstrategien nach den optimalen Ressourcen für sich und ihre Kinder verwenden Eltern in Neukölln-Nord oder anderen schwierigen Gebieten einen Großteil ihrer Zeit. Sie nutzen ihre persönlichen Beziehungen, um sich den Zugang zu der Ressource Bildung zu verschaffen. Auch das Begleiten von der Schule oder Schülerladen nach Hause, die Vermeidung bestimmter öffentlicher Plätze und die Verbindung mit Elternnetzwerken sind Möglichkeiten, um den Umgang ihrer Kinder frühzeitig in die gewünschte Bahn lenken zu können.

Ebenso entwickeln Eltern auch für sich selbst Strategien, um mit den alltäglichen Unannehmlichkeiten Neuköllns besser umgehen zu können. Dies betrifft insbesondere diejenigen Eltern, die nicht weggezogen sind. Sie müssen eine Vielzahl von Einflüssen kompensieren. In welcher Weise sie dies bewältigen, wird an späterer Stelle anhand der Interviews gezeigt werden. Brooks-Gunn (1995, 2000) hat ebenso die

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Kompensationsstrategien der Mütter untersucht. Sie ordnet diese Copingstrategien dem psychologischen Kapital der Eltern zu, das einen großen Einfluss auf den Umgang der Mütter mit ihren Kindern und auf die Entwicklung der Kinder ausübt, wie in Kapitel 8.2.

erläutert wurde.

8.4.2. Soziale Netzwerke

Für die Fragen, wie Eltern ihr Lebensumfeld Neukölln wahrnehmen und ob sie in Neukölln-Nord wohnen bleiben oder wegziehen wollen, spielen offenbar die sozialen Bindungen und Netzwerke der Eltern und Kinder eine bedeutende Rolle. Bronfenbrenner, Moen und Garbarino (1984, S. 284) vertreten die Ansicht, dass eine informelle soziale Unterstützung den Familien deren Integration in die Gemeinde (Community) begünstigt.

Sie beziehen sich auf eine Definition von Elisabeth Bott: „Alle oder einige Individuen oder Gruppen, mit denen eine Person oder Gruppe in Kontakt steht gehören zu einem Netzwerk“ (1957, zit. nach Bronfenbrenner et al. 1984: 308, eigene Übersetzung).

Bronfenbrenner et.al. konkretisieren diese Definition und bezeichnen Netzwerke als die informellen Beziehungen von Familienmitgliedern, Verwandten, Freunden, Nachbarn, Arbeitskollegen. Diese seien für das Wohlergehen der Familien und für die Entwicklung der Kinder von Bedeutung. Mitchell (1969) schlägt vor, diese sozialen Netzwerke auf ihre Struktur und Funktion hin zu untersuchen. Dabei geht es z. B. um Netzwerkgröße, Dichte und ihre Funktion.

In einem zusätzlichen Netzwerkfragebogen wurden in der vorliegenden Arbeit diese Netzwerke der Eltern erfasst, insbesondere ihre Funktionen (informativ, praktisch/

materiell, psychologisch/emotional usw.), aber auch ihre Größe und Dichte.

Bronfenbrenner, Moen und Garbarino (1984: 308) bezeichnen diese Netzwerke als interpersonelle Ressource. Sie sehen einen Zusammenhang zwischen der monetären Situation der Familie und der Struktur und Größe der Netzwerke. Sie haben festgestellt, dass ausreichende finanzielle Mittel die Familien dazu befähigen, auch außerhalb ihrer Gemeinschaft Netzwerke aufzubauen. Der soziale Status wird als Proxivariable für die Qualität und die Größe von Netzwerken gesehen. Wie weitreichend die Netzwerke der befragten Familien sind und ob eher die engen oder die losen Netzwerke den Familien eine Unterstützung bieten und zur Zufriedenheit mit ihrer Lebenssituation in Neukölln beitragen, wird später untersucht werden.

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Das folgende Forschungsergebnis Garbarinos (1991) verdient Beachtung: Der Autor untersuchte die Wirkung des sozialen Kapitals in Gemeinden. Er kam zu dem Ergebnis, dass die Raten von Kindesmisshandlung in einem positiven Zusammenhang mit dem sozioökonomischen Status (SES) einer Nachbarschaft stehen. Garbarino identifizierte Nachbarschaften, in denen jeweils höhere Raten von Kindesmussbrauch festgestellt wurden, als dies erwartet worden war. Diese Fehldeutung schloss ebenso andere Nachbarschaften mit ein, bei denen die Raten von Kindesmissbrauch niedriger als erwartet ausgefallen waren. Letztere Nachbarschaften zeichneten sich durch hohe Werte des sozialen Kapitals aus. Dies bedeutet, dass jeweils dort, wo das Vertrauen innerhalb der Nachbarschaft hoch war und es dichte soziale Netzwerke gab, die Missbrauchsrate von Kindern niedriger war. Dieses Ergebnis spricht dafür, dass der sozioökonomische Status (SES) einer Gemeinde nicht der einzige Faktor ist, der sich positiv auf Familien und Kinder auswirkt. Als ebenso stark erwiesen sich die Einflüsse des sozialen Kapitals wie z. B. Vertrauensbeziehungen. Insofern können sich ein gültiges System von Werten und Normen und dichte Netzwerkbeziehungen begünstigend auf den Umgang mit Kindern auswirken.

Frauen, insbesondere diejenigen, die nicht berufstätig sind, werden als besonders anfällig für soziale Isolation gesehen. Die Interviews zeigen als Tendenz, dass in Neukölln Frauen unzufriedener mit ihrer Situation sind als ihre Männer. Welche Gründe dafür stehen, d.h.

ob es an fehlenden Unterstützungsnetzwerken oder an der familiären Arbeitsteilung oder an anderen Faktoren z. B. auf der Gemeindeebene liegen könnte, wird bei der Auswertung der Interviews zu klären sein. In der Literatur wird häufig darauf verwiesen, dass allein erziehende Frauen, sofern sie Sozialhilfe oder Harz IV beziehen, über weniger oder

kleinere Unterstützungsnetzwerke verfügen. Damit ist das Risiko, dass diese Frauen sozial isoliert sind, höher als z. B. für verheiratete Frauen (Häussermann, Kapphan 2000). Ob diese Situation auch für die hier interviewten Familien zutrifft, wird in den folgenden Abschnitten überprüft werden.

8.5. Hypothesenentwicklung: Welche Familien wandern aus Neukölln ab