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Erfahrungen der Familie mit aggressiven Verhaltensweisen Jugendlicher und Reaktionen Jugendlicher und Reaktionen

Hypothese 4: In Bezug auf die Fähigkeit, unterstützende Netzwerke zu gründen, gibt es zahlreiche Beispiele: Es sind eine Vielzahl von Initiativkinderläden entstanden

10.3. Die unzufriedenen Familien, die abgewandert sind (Typ 2)

10.4.3.2. Erfahrungen der Familie mit aggressiven Verhaltensweisen Jugendlicher und Reaktionen Jugendlicher und Reaktionen

Aufgrund der Erfahrungen mit der mangelnden Kooperationsbereitschaft der Schule, d. h.

wegen der Erfahrung, dass Menschen nicht eingreifen, wenn Jugendliche oder Kinder in Bedrängnis geraten, gründeten die Eltern eine Initiative gegen Jugendgewalt. Diese stand unter dem Motto, „es reicht“. Sie wurde auch von den Quartiersmanagements

Flughafenstraße und Reuterplatz mitgetragen. Die beiden Quartiersmanagements boten Unterstützung beim Drucken der Flyer an. Ebenso stellten sie einen Raum für die erste Veranstaltung zur Verfügung, die sehr großen Zulauf hatte. Es war eine Polizistin des Polizeiabschnitts 54 zugegen, ebenso mehrere Erzieher von Kindertagesstätten, Sozialarbeiter und viele andere. Die Projektleiterin des Quartiersmanagements

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Reuterplatz moderierte die Veranstaltung. Es gab insgesamt drei Treffen dieser Elterninitiative. Das zweite war auch noch recht gut besucht. Es waren noch die

Quartiersmanager anwesend. Das dritte Treffen war bereits weniger besucht. Es kamen nur noch drei Eltern. Ein viertes Treffen scheiterte daran, dass die Räumlichkeiten

verschlossen waren. Unter anderem war geplant, Plakate und Postkarten mit provokanten Sprüchen in drei Sprachen zu drucken. In einem weiteren Schritt sollte ein Aufruf zum Hinschauen und zur Zivilcourage erfolgen. Als es darum ging, die Aufrufe in die türkische und in die arabisch Sprache zu übersetzen und die Plakate zu drucken, konnte dies von der Initiative nicht mehr geleistet werden.

Die folgenden Sequenzen stammen aus dem Interview mit den Eltern: Auf die Frage nach den Gründen für das „Einschlafen“ der Initiative, antwortete der Vater, dass seitens der Initiative kein richtiges Konzept vorgelegen hätte. Ebenso wurden die Weltmeisterschaft 2006 und mangelnde Zeit als weitere Gründe genannt (Vater, S. 5, Interview 8,

paraphrasiert). Beide Eltern arbeiteten ca. 20 bis 30 Stunden in der Woche. Ebenso kümmerten sie sich darum, dass ihr Sohn unversehrt nach Hause kommen kann.

Außerdem erwähnte der Vater, dass sie in der Initiative nicht richtig von der Stelle gekommen seien. Er hatte den Eindruck, dass viele Teilnehmer nur ihre Geschichten erzählen wollten. Die Mutter sah die Initiative nicht als gescheitert an. Sie glaubte, dass sie etwas ins Rollen gebracht habe: „Naja, ich seh’ es auch nicht als scheitern, ich seh, dass da viel los gegangen ist, also, dass muss jetzt nicht unsere Initiative gewesen sein, aber ich glaub, das zum Teil schon so, dass die Leute bereit waren, sich zu artikulieren, also siehst ja auch Rütlischule…Ich kann mir schon vorstellen, dass der eine oder andere Lehrer auch unsere Zettel gelesen hat und das die dann auch gesagt haben, o. k, wir müssen jetzt einfach mal laut werden. Und ich finde auch, es hat sich ein bisschen was verändert, also ich seh auch so’ne Sachen nicht mehr so häufig am Straßenrand wie früher“ (Mutter, S.5, Interview 8).

Nach Beendigung des Interviews erzählte die Mutter, dass es ebenso einen runden Tisch zu dem Thema Jugendgewalt gegeben und dass die Presse davon berichtet hätte. Diesen Umstand wertete sie auch als einen kleinen Erfolg. Die Mutter war allerdings enttäuscht darüber, dass viele Mitarbeiter des Quartiermanagements nach dem ersten oder zweiten Treffen nicht mehr an dieser Initiative teilgenommen hatten. Ebenso waren der vom Quartiermanagement zugesagten Unterstützung der Initiative keine Taten gefolgt. Die Mutter hätte sich mehr Solidarität und Unterstützung für ihre Initiative gewünscht. Sie

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hatte den Eindruck, dass andere Träger oder Einzelpersonen der Initiative ein rechtes parteipolitisches Motiv unterstellt haben: „sogar, bei denen war das zum Teil so, ja macht mal, also, man hat da zum Teil auch so rausgehört also, was mich eben schon ziemlich gekränkt hat, das war immer wieder diese Unterstellung eines rechten Motives, weil darum geht es überhaupt nicht, es geht nicht darum, irgend welchen armen Ausländern da ihre Religion vorzuhalten oder wie das dann oft so umgedreht wird….“ (Mutter, S. 14, Interview 8).

Ebenso hatte die Mutter das Gefühl, dass von Seiten des Quartiersmanagements die Motivation fehlte, ihre Initiative mit zu tragen. „…aber dann erschien der einfach drei mal überhaupt nicht mehr, obwohl ich ihn angemailt habe… und es war auch nicht, keine Motivation dahinter: Ich fand’s z. B. zum Teil auch, die Leute werden bezahlt für ihre Stellen und wir sollten dann den ganzen Kladderadatsch möglichst professionell ausarbeiten, wo ich dachte, warum bieten die uns das nicht mal an, das für uns zu übernehmen, ne? Dann hätte man auch mal ein Gefühl von Rückhalt oder so. Oder wie gesagt, dieser Schulrat, der eben wie gesagt, na ja, muss ja nicht und so. Da muss ich ehrlich sagen, da ist mir meine Energie zu Schade.“…Das bringt ja nichts, ob ich mich da jetzt einsetze oder nicht…“ (Mutter, S. 14, Interview 8).

Die Mutter fühlte sich missverstanden und zu wenig unterstützt. Sie hatte erwartet, dass sie dieselbe Unterstützung erhält wie die Täter, die ihrer Meinung nach auch immer Opfer sind. „…und ich finde als Opfer hat man auch das Recht zu sagen, ich verlange, dass das aufhört und ich verlange, dass da letztendlich die Konsequenz verfolgt wird und ich hab sozusagen das gleiche Recht der Unterstützung der Quartiersmanager wie die Täter, die natürlich irgend wie auch Opfer sind…“ (Mutter, S.6, Interview 8 ). Die Mutter sah in der gegebenen Situation ein Kräfteungleichgewicht insofern, als den Tätern mehr

Aufmerksamkeit als den Opfern geschenkt wurde. Sie hatte das Gefühl, dass die Meinung bestand, dass nicht gefordert werden darf, dass ein derartiges Verhalten geahndet wird.

Die Mutter vertrat den Standpunkt, dass im Fall einer beabsichtigten Veränderung alle Seiten vertreten werden müssen, auch diejenige der Opfer und deren Familien. Ihre Erfahrung mit dem Quartiermanagement schilderte sie folgendermaßen. „Das

Quartiersmanagement und so, die waren alle nur für die armen aggressiven Jugendlichen da, die sich ausgegrenzt fühlen. Aber ich denke, wenn man wirklich was ändern will, so am Klima, dann muss man eben alle sehen, dann muss man auch die sehen, die vielleicht nicht so arm dran sind, aber vielleicht die Opfer von denen sind. Und die aber wichtig

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sind, denn sonst wird dieser Bezirk hier nämlich wirklich (ein) Getto…Und genau das wird passieren (Mutter, S. 7, Interview 8).

Der Vater empfand Hass gegenüber den Tätern. Er forderte, dass die Täter bestraft werden. Er sagte, er habe sich innerlich radikalisiert. Es falle ihm daraufhin schwer, den nötigen Abstand zu wahren. Er betonte, dass er auf keinen Fall möchte, „dass die Täter einen Spielplatz oder einen Billardtisch oder so etwas kriegen“ (Vater, S. 6, Interview 8).

Ihn wunderte es nicht, dass die Republikaner (Anmerkung: die NPD) in die

Bezirksverordnetenversammlung gewählt worden waren. Er selbst hätte zwar nicht rechts gewählt, aber er kenne viele, die sie gewählt hätten. Vater: „ich meine es ist auf jeden Fall eh, es hätte mich gewundert, wenn das nicht passiert wäre und ich finde es ist auch ein wichtiges Signal, was will man machen. Es ist natürlich gut…. (ich unterbrach ihn und fragte, ob er es befürwortet, dass die rechten so viel Stimmen erhalten haben)…. „ja, wenn immer wieder diese Radikalität sieht, wenn man Opfer ist und …man hört immer nur, ja die sind minderjährig und man wird so beschwichtigt und eh, dann hat man eigentlich psychologisch keine Wahl zu sagen, dann muss ich was anderes machen“

(Vater, S. 6, Interview 8). Hier wurden die Ohnmacht und die Wut des Vaters deutlich.

Die Mutter widersprach ihrem Partner in dem Punkt, dass sie grundsätzlich befürwortete, dass Jugendlichen Freizeitmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden. Sie betonte aber nochmals, dass sich viele auf die Seite der „große aggressive(n) Mehrheit“ stellen und dass die Opfer solcher Übergriffe zu wenig Beachtung finden (Vater, S.6, Interview 8).

Die Mutter war der Meinung, dass man auch den aggressiven Jugendlichen damit keinen Gefallen tue, sondern dass diese in eine „entsetzliche Sackgasse laufen“… „und natürlich ist es unsere Pflicht, denen Billardtische zu geben, aber es ist auch unsere Pflicht, zu sagen: so geht das ganz und gar nicht und wenn du das beim Ansagen nicht kapierst, dann wirst du leider eine Zeit lang aus dem gewohnten Umfeld heraus genommen“ (Mutter, S.

7, Interview 8). Sie denke dabei nicht an Arrest. Aber sie sei der Meinung, dass man nicht warten dürfe, bis die Täter 14 Jahre alt sind, um sie belangen zu können42.

42 Das Neuköllner Modell, nach dem jugendliche Straftäter schneller vor Gericht gestellt und verurteilt wer-den, war zu dem Zeitpunkt noch nicht so bekannt.

184 10.4.4 Soziale Beziehungen

10.4.4.1 Die Auswertung des Netzwerkfragebogens Familie

Das familiäre Netzwerk der Familie besteht aus sieben Paaren bzw. Einzelpersonen. Die Eltern des befragten Paares leben in anderen Bezirken. Zu den Eltern der Mutter hatte die Familie ca. einmal pro Woche Kontakt, zu den Eltern des Vaters seltener. Letztere wurden als weniger wichtig eingestuft. Auch die Geschwister des Paares leben in anderen

Bezirken. Die Schwester der Befragten war für das Paar emotional wichtig. Zu ihrem Bruder hatte die Befragte seltener Kontakt. Die Qualität der Unterstützung lag dort im emotionalen Bereich, wurde aber als weniger wichtig eingestuft. Der interviewte Vater hatte einen Bruder und eine Schwester. Zu beiden hatte das Paar aber seltener Kontakt.

Auch diese leben in anderen Bezirken. Dennoch wurde deren emotionale Unterstützung als wichtig eingestuft. Die Eltern der Mutter bieten sowohl in emotionaler als auch in materieller Hinsicht Unterstützungen an.

Freunde

Der Freundeskreis des Paares besteht aus sechs Personen. Die Mutter hat vier

Freundinnen, die alle in anderen Bezirken leben. Zu diesen hatte sie einmal im Monat oder seltener Kontakt. Für den Freundeskreis des Vaters wurden zwei Freunde angeführt, die ebenfalls in anderen Bezirken leben. Zu diesen hatte das Paar seltener Kontakt.

Trotzdem galt die Verbindung zu beiden Freunden als emotional sehr wichtig.

Bekannte

Zu ihren Bekannten zählte die Mutter eine Kollegin, mit der sie täglich Kontakt hat. Diese wohnte in Neukölln und war für die emotionale Form der Unterstützung der Mutter sehr wichtig. Der Vater hatte einen Kollegen, den er täglich sah. Dieser kam aus einem anderen Bezirk und war für beide Elternpaare emotional wichtig.

Elternnetzwerke

Hinsichtlich der Elternnetzwerke hatte die Mutter keine Einzelpersonen anfgeführt. „Viele Eltern “ steht im Netzwerkfragebogen. Diese wohnen in Neukölln und anderen Bezirken, sind emotional sehr wichtig.

Professionelle Unterstützung

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Bei den professionellen Helfern wurden Lehrer genannt. Diese waren für die Familie psychologisch sehr wichtig. Die Kontakthäufigkeit zu ihnen wurde mit einmal pro Monat angegeben.

Andere Bereiche

In der Kategorie „andere Bereiche“ wurden ein Homöopath und ein Arzt genannt. Diese wurden eher selten kontaktiert. Sie haben ihre Praxen in anderen Bezirken, sind aber für die psychologische und medizinische Unterstützung der Familie sehr wichtig.

Auch hier fällt auf, dass das Informationspotential kaum als Unterstützungsform erlebt wird. Aber gerade dieses stellt nach Coleman (1991) eine der wichtigsten Dimensionen des sozialen Kapitals dar. Die Bekannte aus dem Haus wurde nicht im

Netzwerkfrageboten aufgeführt. Sie galt aber insgesamt als eine wichtige Person. Die Söhne beider Familien kennen sich. Sie besuchten dieselbe Schule. Die Bekannte aus dem Haus hatte die Eltern dazu ermuntert, nach Neukölln zu ziehen. Sie war auch eine der Aktivistinnen der Elterninitiative. Der Vater sagte, die Nachbarin und sie selbst sprechen dieselbe Sprache. Dies besonders bezogen auf die aggressiven Kinder und Jugendlichen im Bezirk. Der Sohn der Nachbarin hatte ähnliche Erfahrungen wie ihr eigener Sohn gemacht. Daher kann man davon ausgehen, dass diese Personen auch eine wichtige Bedeutung für das Paar hatten.

Der Vater erwähnte, dass ihr Sohn eigentlich keine Neuköllner kenne. Den einen Jungen, den er vom Basketball kennt, würde er auch nicht unbedingt zu Hause besuchen wollen.

„Die quatschen, wenn sie sich auf der Straße sehen“ (Mutter, S. 8, Interview 8). Die Mutter ergänzte: „wenn wir vielleicht noch 10 Jahre hier wohnen würden oder so, dann würde er vielleicht sich mal mit dem besuchen oder so, aber das ist irgendwo nicht das Ziel, weil ich möchte nicht, dass das seine Realität wird“. „Er plant sein ganze, ehm, sein ganzer Weg draußen ist Planung, wie er das Risiko vermindert. Ich glaube, das ist

irgendwo nicht normal für seine Kindheit, ja“ (Mutter, S. 8, Interview 8).

Außer Basketball unternahm der Sohn nicht viel, was auch damit zusammenhängt, dass er bis 16.00 Uhr in der Schule ist.