• Keine Ergebnisse gefunden

Exkurs: Die jüdischen Kinder auf den weiterführenden Schulen

7. Das jüdische Schulwesen in Hildesheim

7.3 Die Entwicklung der jüdischen Schule in Hildesheim 1871–1933

7.3.5 Exkurs: Die jüdischen Kinder auf den weiterführenden Schulen

In welchem Ausmaß waren auch die jüdischen Bürger Hildesheims bestrebt, ihre Kinder auf weiterführende Schulen zu schicken ? Dieser Frage soll anhand von Beispielen für einige Schulen nachgegangen werden.

Höhere Töchterschule - Goetheschule: Im Jahre 1858 wurde eine Städtische höhere Töchterschule gegründet, die aus zwei privaten Instituten hervorgegangen war, der Rautenbergschen Schule und dem Steinhardtschen Institut.90 Später erfolgte die

85 Artikel des Lehrers Stern anläßlich zum 100jährigen Bestehen der Hildesheimer Schule. In:

Nachrichtenblatt. Amtliches Organ für die Synagogen-Gemeinden Hannover und Braunschweig vom 27.4.1928, Nr. 6.

86 Das geht daraus hervor, daß jüdische Kinder in den allgemeinen Statistiken zum Besuch der nichtjüdischen Volksschulen kaum jüdische Kinder aufgeführt sind (StA Hildesheim Best. 102, Nr. 5977).

87 Vgl. z.B. Handbuch der jüdischen Gemeindeverwaltung und Wohlfahrtspflege 1924/25, S. 54.

88 J. Walk: Jüdische Schule und Erziehung im Dritten Reich, S. 23.

89 Ebenda, S. 22.

90 J. H. Gebauer: Geschichte der Stadt Hildesheim. Bd. 2, S. 434.

Umwandlung der bis dahin protestantischen Schule in eine Simultanschule.91 Nachdem zuvor bereits das neunte Schuljahr eingeführt worden war, war die Schule ab 1902 zehnklassig.92 1909 erfolgte die Anerkennung als Höhere Lehranstalt. Ostern 1909 wurde der zehnklassigen Anstalt eine Frauenschulklasse angegliedert, Ostern 1910 bezie-hungsweise 1911 traten dazu die zweite Abteilung "sowie Kurse zur Ausbildung von Sprach-, Turn-, Handarbeits- und Hauswirtschaftslehrerinnen".93 Ab 1912 begann der Aufbau des Oberlyzeums mit der Möglichkeit zum Abitur. Die Schule bot damit mehrere Ausbildungszweige: einmal mit dem Abitur oder nach dem Lyzeum, das etwa einer heutigen Realschule entsprach, abzuschließen. Im Anschluß an das Lyzeum konnte die Frauenoberschule mit einer praktischen Ausbildung und dann das Lehrerinnenseminar besucht werden.94

Jüdische Eltern ließen ihre Töchter in erheblichen Maße an dieser Schule unterrichten.

Bereits 1883 lag die Zahl der jüdischen Schülerinnen nahe bei 10 Prozent. Wenngleich es deutliche Schwankungen gab, die wohl durch geburtenschwächere Jahrgänge erklärt werden können, lag die Schülerzahl von 1883 durchschnittlich bei 9 Prozent, zum Teil sogar deutlich darüber.95 Da die jüdische Bevölkerung in Hildesheim nur rund ein Prozent ausmachte, wird deutlich, wie sehr die jüdischen Familien bestrebt waren, ihre Töchter möglichst auf weiterführende Schulen zu schicken.

Allerdings sank der hohe Anteil jüdischer Kinder an den Schülerzahlen der Töchterschule etwa ab 1913. In dem Zeitraum von 1910-14 lag der Anteil jüdischer Schülerinnen noch bei 8,8, ab 1914 bis 1921 dann nur noch bei 4,3 Prozent.96 Das hatte vor allem den Grund, daß die Schülerzahlen des Lyzeums nach 1914 deutlich anstiegen, die Zahl der jüdischen Kinder ab 1913 jedoch sank. Denn lag die Zahl der Schülerinnen – soweit sie hierzu vorliegen – ab etwa 1898/ 99 deutlich bei über 30, zum Teil sogar über 40, so besuchten nach 1913 nie mehr 30, meist bedeutend weniger, das Lyzeum. Ein gleiches Bild ergibt sich auch für das Oberlyzeum: für die Jahre 1910 bis 1914 lag hier noch der durchschnittliche Anteil jüdischer Schülerinnen bei 3,3 Prozent,97 von 14 bis

91 Ebenda, S. 465.

92 Vgl. zur Umwandlung in eine zehntklassige Schule Verwaltungsbericht des Magistrats zu Hildesheim für die Zeit vom 1. April 1902 bis 1. April 1903, S. 81.

93 Zitat und Belege nach Verwaltungsbericht der Stadt Hildesheim für die Zeit vom 1. April 1909 bis 31. März 1914, S. 197.

94 Vgl. zu dieser Entwicklung ebenda; Verwaltungsbericht der Stadt Hildesheim vom 1. April bis 31. März 1928, S. 405; 125 Goethegymnasium Hildesheim 1858-1983. Festschrift. Hg. v.

Wolfgang Schmidt. Hildesheim 1983, S. 19.

95 Verwaltungsbericht des Magistrats zu Hildesheim für das Jahr 1883, S. 55.

96 Verwaltungsbericht der Stadt Hildesheim für die Zeit vom 1. April 1909 bis 31. März 1914, S.

199; Verwaltungsbericht der Stadt Hildesheim vom 1. April bis 31. März 1928, S. 408.

97 Verwaltungsbericht der Stadt Hildesheim für die Zeit vom 1. April 1909 bis 31. März 1914, S.

199.

1921 waren es dann nur noch 1,9 Prozent.98 Der Grund war hier ebenso, daß die Schülerzahlen insgesamt stark zunahmen, während die Zahl der jüdischen Kinder in etwa stagnierte.

Die Zahl der Mädchen, die das Lyzeum besuchten, lag also stets über der der Oberlyzensiatinnen. Dies ist schon aus dem Grunde wenig verwunderlich, als das Lyzeum erheblich mehr Klassen umfaßte – einschließlich der Vorschule sieben. Danach gliederte es sich in eine dreijährige Fortsetzung des Lyzeums und die sechsjährige gym-nasiale Anstalt, die zum Abitur führte. Daher ist die Zahl derer, die das Abitur anstrebten, höher als die Anzahl der Oberlizensiatinnen angibt. Es ist aber zu vermuten, daß dieses Bildungsziel in jüdischen Familien in Hildesheim häufiger angestrebt wurde als bei nichtjüdischen. Ein Indiz hierfür ist der Anteil an Oberlyzensiatinnen, der höher war als der jüdische Bevölkerungsanteil. Das war, wie noch zu sehen, auch an anderen Schulen so.

Die hohe Anzahl jüdischer Schülerinnen ist sicher auch Folge der besonderen Sozialstruktur der Gemeinde. Eine breite Schicht etwa der Arbeiterschaft gab es – im Gegensatz zur übrigen Bevölkerung – nicht.99 Dies ist in einer Zeit, in der der Schulbesuch auch wesentlich von den sozialen Verhältnissen der Eltern abhing, von ent-scheidender Bedeutung. Darin liegt ein wesentlicher Grund für den insgesamt hohen Anteil von jüdischen Kindern an den weiterführenden Schulen.

Zum Andreanum: Schon Mitte des 19. Jahrhunderts zeichnete sich die Aufteilung des Gymnasiums in einen realwissenschaftlichen und einen humanistischen Bereich ab.100 Ab 1868 gab es eine reale Prima. Sie hatte den Status einer Realschule 1. Ordnung und bot die Möglichkeit zum Abitur.101 In den Jahren 1885/97 dann erfolgte die institutionelle Trennung des humanistischen Andreanums und des Andreas-Realgymnasiums.102

Soweit die unvollständig überlieferten Schulprogramme darüber Auskunft geben, lag der Anteil jüdischer Schüler auf dem Andreanum in der Zeit von 1869 bis 1883 bei 2,7 bis 5,96, meist jedoch bei über 5 Prozent.103 Man unterschied in aller Regel nicht zwi-schen dem realwissenschaftlichen und humanistizwi-schen Teil, so daß keine Aussagen dar-über möglich sind, welchen Zweig Juden bevorzugten. Lediglich für das Jahr 1885 sind

98 Verwaltungsbericht der Stadt Hildesheim vom 1. April bis 31. März 1928, S. 408.

99 Vgl. II, Kap. 11.2.

100 Florian Radvan u. Eva-Maria Smolka: Zur Geschichte des Gymnasium Andreanum. Dokumente einer Schulgeschichte von 13. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Hildesheim 1994, S. 36.

101 75 Jahre Scharnhorstschule Hildesheim. Neusprachliches und mathematisch-naturwissenschaftli-ches Gymnasium für Jungen. Hg. v. Gerhard Bratsch. Hildesheim 1960, S. 24.

102 F. Radvan u. E.-M. Smolka: Zur Geschichte des Gymnasium Andreanum, S. 36ff.

103 Programm des Gymnasiums und der Realschule I. Ordnung des Königlichen Gynasiums Andreanum Ostern 1869ff.; ab 1886 dann Programm des Königlichen Gynasiums Andreanum 1888f.

Zahlen überliefert: Danach lag der Anteil jüdischer Kinder im humanistischen Zweig bei 4,52 Prozent (27 von 597 Schülern insgesamt), im realwissenschaftlichen jedoch bei 5,94 Prozent (6 von 101 Schülern insgesamt).104 Offenbar war also eine realwissenschaftlich orientierte Schulausbildung unter der jüdischen Bevölkerung angesehener, akzeptierter als unter der nichtjüdischen.

Ab 1885 enthalten die Schulprogramme des Andreanums nur noch Abgaben zum hu-manistischen Teil. Sie wurden jedoch nur bis 1914 veröffentlicht. Der Anteil jüdischer Schüler lag nun meist deutlich niedriger als vor 1883 – überwiegend unter 3 Prozent.

Nur in den Jahren 1898/99 bis 1901/02 sowie 1914/ 15 lag er über 4 Prozent.105 Die Zahl der Juden war auch absolut im Vergleich zu der Zeit, als noch realer und humanistischer Teil in einer Schule verbunden waren, deutlich zurückgegangen: Vor 1883 lag ihre Zahl überwiegend bei etwa 40, dann auch stets deutlich unter 20.106 Offenbar, darauf wird gleich noch einzugehen sein, hatte das Andreanum für viele jüdische Familien an Anziehungskraft verloren.

Wie bereits angedeutet, bestand das Andreas-Realgymnasium als eigenständige Schule seit 1885/ 87. In den ersten Jahren ihres Bestehens – von 1886/ 87 bis 1888/ 89 lag der Anteil jüdischer Schüler bei 5,43 bis 7,88 Prozent deutlich höher also als zur gleichen Zeit am Andreanum.107 Die Schülerzahlen am Realgymnasium waren jedoch deutlich geringer – daher auch der höhere absolute Anteil. Nach 1888/ 89 ging der absolute Anteil der jüdischen Kinder zurück – meist lag er bei etwa 3 Prozent.108 Grund hierfür war weniger ein Rückgang der jüdischen Schülerzahlen als vielmehr eine deutliche Zunahme der Schülerzahlen insgesamt: Während die Zahl der jüdischen Schüler stagnierte, verdoppelte sich etwa die der nichtjüdischen.

Auffallend ist dabei, daß die Zahlen von jüdischen Kindern auf dem Realschulzweig ab 1902/ 03 – erst ab da liegen Zahlen hierüber vor – deutlich höher lagen als auf dem regulären.109 Erst in den Jahren 1908/ 09 und 1909/ 10 näherten sie sich wieder an.110

Der hohe Anteil von jüdischen Kindern am Realgymnasium, die Präferenz für den Realschulzweig – all das zeigt, das diese moderne, stärker praktisch-naturwissenschaft-lich orientierte Schulform unter den Juden schneller Akzeptanz fand als unter

104 Programm des Königlichen Gynasiums Andreanum Ostern 1885, S. 16.

105 Ebenda 1889ff.

106 Programm des Gymnasiums und der Realschule I. Ordnung des Königlichen Gynasiums Andreanum Ostern 1869ff.

107 Programm des Königlichen Andreas-Realgymnasiums zu Hildesheim 1887, S. 24; Programm des Königlichen Andreas-Realgymnasiums zu Hildesheim 1888, S. 25; Programm des Königlichen Andreas-Realgymnasiums zu Hildesheim 1889, S. 12.

108 Programm des Königlichen Andreas-Realgymnasiums zu Hildesheim. Hildesheim 1890; 1892-93, 1897; 1900; 1903-04; 1908-10.

109 Programm des Königlichen Andreas-Realgymnasiums zu Hildesheim 1903-08.

110 Programm des Königlichen Andreas-Realgymnasiums zu Hildesheim 1909-10.

Nichtjuden. Dies mag daher rühren, daß Juden ganz besonders in kaufmännischen Berufen konzentriert waren111 und diese Schulform ihnen daher weit geeigneter zur Ausbildung schien. Damit mag auch zusammenhängen, daß in den Listen der Abiturienten nur wenige Juden zu finden sind. Im 19. und auch noch Anfang des 20.

Jahrhunderts waren Abgänge mit der Oberprimareife keine Seltenheit, ermöglichten sie dennoch einzelne Studiengänge oder Karrieren als Beamter oder Offizier. Hinzu kamen noch zusätzliche Anreize wie das 'Einjährigenprivileg'. Gerade für die Juden ist daran entscheidend, daß es einerseits gesellschaftlich üblich und akzeptiert war, nicht noch die Oberprima zu absolvieren, und daß es für die Berufe, die die Juden vornehmlich anstrebten, das Abitur überflüssig war.

Das Josephinum: Auf diesem Jungengymnasium lag die Zahl der jüdischen Schüler deutlich niedriger als auf dem Andreanum und Andreas-Realgymnasium112 – stets lag es unter 3, meist sogar unter 1 Prozent.113 Von 1894/95 bis 1920/21 scheinen keine jüdi-schen Schüler die Schule besucht zu haben.114 Vergleichbares gilt auch für die evangeli-schen Schüler. Wahrscheinlich war man katholischerseits bestrebt, das Josephinum als einheitliche Konfessionsschule zu führen. Gerade Ende der 1920er Jahre erreichte die ab-solute Schülerzahl der jüdischen Kinder mit 11 bis 12 wieder den Stand von Ende der 1860er Jahre, nachdem sie sonst stets deutlich unter zehn gelegen hatte.115 Da sich aber im gleichen Zeitraum Gesamtschülerzahl beinahe verdoppelte,116 blieb der jüdische Schüler Anteil auch Ende der 1920er Jahre mit 2,18 Prozent relativ gering.117

111 Vgl. II, Kap. 11.2.1.

112 Eine Ausnahme ist hier das Schuljahr 1869/70, in dem der Anteil der jüdischen Schüler bei 4,83% lag (Bernhard Gerlach u. Hermann Seeland: Geschichte des Bischöflichen Gymnasium Josephinum in Hildesheim von der Aufhebung der Gesellschaft Jesu im Jahre 1773 bis zur Zerstörung der Anstaltgebäude des Josephinums 1945. Bd. 1. Hildesheim 1950, 161).

113 Ebenda, S. 192; ebenda. Bd. 2, S. 11.

114 Detaillierte Angaben über den Anteil jüdischer Kinder auf dem Josephinum gibt es von 1878 bis 1894 sowie von 1911 bis 1929 (ebenda. Bd. 1, S. 192; ebenda. Bd. 2, S. 11). Für die Schuljahre 1894/95 sowie 1911/12bis 1919/20 haben sicher keine jüdischen Schüler das Josephinum besucht (Ebenda). Für den Zeitraum von 1895/96 bis 1910/11 enthalten die Aufstellungen keine Hinweise zur Konfession der Schüler (ebenda. Bd. 1, S. 216). Da es unmittelbar vor wie nach diesem Zeitraum keine jüdischen Schüler gab, war das vermutlich auch von 1895/96 bis 1910/11 nicht anders.

115 Ebenda. Bd. 1, S. 161; S. 192; ebenda. Bd. 2, S. 11.

116 1869/70: 269 Schüler; 1928/29: 550 Schüler (ebenda. Bd. 1, S. 161; ebenda. Bd. 2, S. 11).

117 1869/70 lag er noch bei 4,83% (ebenda. Bd. 1, S. 161).

Soweit Zahlen darüber vorliegen, scheinen die Juden auch auf dem Josephinum den Realzweig bevorzugt zu haben: 1869/70: Gymnasium: 2,6%; Realabteilung 8,57%; 1876/77: Gymansium:

0,32%; Realabteilung 5,77% (ebenda. Bd. 1, S. 161).

Zu bedenken beim Josephinum wie beim Andreanum ist allerdings, daß ein Teil der Schüler nicht aus Hildesheim kam - gleiches wird auch bei den jüdischen Schülern der Fall gewesen sein.

Die Unterlagen lassen jedoch nicht erkennen, in welchem Maße das geschah.

Daß der Anteil jüdischer Schüler an den weiterführenden Schulen deutlich höher lag als es dem jüdischen Bevölkerungsanteil entsprach ist für das Deutsche Reich insgesamt hinreichend belegt.118 Ähnliches gilt auch für Hildesheim, wenngleich hier deutlich ver-schiedene Entwicklungen zwischen den beiden Jungengymnasien, dem Andreanum und dem Josephinum bestanden. Insgesamt nahm der relative Anteil der jüdischen Kinder ab – vor allem, weil die der nichtjüdischen weitaus stärker zunahm.

7.4 Fazit

Die Schule hat erkennbar eine wichtige Stellung im Gemeindeleben eingenommen. Nicht unbeträchtliche finanzielle Mittel waren für ihren Unterhalt und die Besoldung der Lehrer nötig. Über den Sinn und den Wert dieser Ausgaben muß innerhalb der Gemeinde Konsens geherrscht haben. Sonst wäre der Erhalt dieser Institution auch in Zeiten sehr niedriger Schülerzahlen nicht zu erklären – und auch nicht, weshalb beinahe alle Kinder aus der Gemeinde die jüdische Schule besuchten.119 Gerade dieser letzte Punkt lenkt den Blick auf ihre entscheidende gemeindeinterne Funktion: die Stärkung jüdischen Gemeinschafts- und Zusammengehörigkeitsgefühls. Die Schule wurde sogar von Kindern besucht, deren Eltern sich zwar als jüdisch, allerdings nicht mehr als besonders religiös verstanden.120 Offenbar wirkte sie auch in dieser Hinsicht integrierend. Vor allem aber bedeutete der beinahe obligatorische Besuch von Kindern aus der Gemeinde eine nicht zu unterschätzende Intensivierung gesellschaftlicher Begegnung. Hier doku-mentierte sich Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinschaft. Dem wird noch an anderer Stelle noch nachzugehen sein.

Was die Stärkung jüdischer Tradition und Kultur betrifft, so ist die Bedeutung der Schule noch schwieriger abzuschätzen. Sicher, traditionelle, wenngleich von der Reform stark modifizierte jüdische Bildung wurde weiter vermittelt – aber ebenso profane, wohl vor allem bürgerlich geprägte Inhalte. Die Schule steht daher beinahe symbolhaft für das auch in anderen Zusammenhängen zu beobachtete Bestreben der Gemeinde, die eigene Tradition zu wahren und sich dennoch der übrigen Gesellschaft anzunähern.

Mit Blick auf die 1920er Jahre wird man jedoch sagen müssen, daß die Schule nicht mehr das einzige, vielleicht auch nicht einmal der wichtigste Faktor zur Festigung

118 Vgl. z.B. Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866-1918. Bd. 1. München 1990, S. 400.

119 Vgl. z.B. die ganz konträre Auffassung über die Akzeptanz der jüdischen Schulen von Y. Weiss mit Blick auf die Situation im Reich insgesamt Yfaat Weiss: Die deutsche Judenheit im Spiegel ihres Erziehungswesens 1933-1938. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 43 (1991), S. 249; vgl. auch die von Y. Weiss angeführten Fälle (ebenda, S. 250ff.).

120 Vgl. hierzu den Brief Von Frau N. [der Name wurde anonymisiert] an den Verfasser vom 9.2.1995.

scher Identität für die nachfolgende Generation war. Die diese Zeit prägende Polarisierung der Hildesheimer Jugendbewegung121 spricht nämlich dafür, daß innerhalb und zwischen den verschiedenen Richtungen heftige Debatten über die Position der jüdi-schen Minderheit zur nichtjüdijüdi-schen Mehrheitskultur geführt wurden. Wahrscheinlich hat dies nachhaltiger zur Bewußtseinsbildung dieser Gruppe beigetragen, als es die Schule vermochte.

121 Vgl. II, Kap. 9.7.

8. Exkurs: Zwischen Integration und Bewahren eigener