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Die Aufgaben und Stellung des Landrabbiners

2. Organisatorische Struktur der jüdischen Gemeinde

3.2 Die Aufgaben und Stellung des Landrabbiners

Der Landrabbiner besaß eine Doppelstellung: Er war zum einen geistliche Oberbehörde, zum anderen staatliches Aufsichtsorgan.3 Als geistliche Oberbehörde hatte er als Rabbiner unter anderem die Entscheidung in Ritualfragen wahrzunehmen: die Autorisation und Approbation der Schächter, Thorarollenschreiber und Beschneider, das Vollziehen von Trauungen und Konfirmationen, das Halten von Predigten, das Ausüben des Lehramtes sowie die "Leitung der auf Religionsgesetz beruhenden inneren Einrichtungen des Kultus und Ritus".4 Dazu gehörten sowohl übertragbare wie nicht übertragbare Funktionen. Zu den übertragbaren gehörten das Vornehmen von Trauungen, die er von einem Unterrabbiner vornehmen lassen konnte.5

Ausschließlich zuständig war der Landrabbiner in Fragen des Kultus und Ritus, so daß er einen erheblichen Einfluß auf die Form des Gottesdienstes in den einzelnen

1 Vgl. A. Löb: Die Rechtsverhältnisse der Juden, S. 71; L. Lazarus: Die Organisation der preußi-schen Synagogengemeinden, S. 63.

2 Die Quellenbasis dieses Abschnittes sind vor allem die Akten des Hildesheimer Regierungs- und des Hannoverschen Oberpräsidenten über die Verwaltung des Rabbinats. Der Bestand ist weitgehend vollständig erhalten. Für eine eingehendere Untersuchung der Entwicklung des Landrabbinates wären allerdings noch die Schreiben der einzelnen Gemeinden des Bezirks heranzuziehen, die in den Akten der einzelnen kommunalen Archive erhalten sind. Diese ebenfalls zu verwenden, wäre über das Thema dieser Arbeit hinausgegangen. Auch so war mit den hier benutzten Quellen die Skizzierung der Entwicklung des Rabbinates möglich.

3 L. Lazarus: Die Organisation der preußischen Synagogengemeinden, S. 62.

4 A. Löb: Die Rechtsverhältnisse der Juden, S. 75.

5 Näheres bei A. Löb: Die Rechtsverhältnisse der Juden, S. 75f.; vgl. zu den weiteren übertragbaren Rechten A. Löb: Die Rechtsverhältnisse der Juden, S. 76f.

Gemeinden des Bezirks nehmen konnte. Hierzu gehörten zum Beispiel die Notwendigkeit seiner Zustimmung zu Änderungen der Liturgie und des Ritus, während er selbst mit Zustimmung der Gemeinde Änderungen vornehmen konnte.6 Zu den viel-fältigen Pflichten des Landrabbiners gehörte zudem die seelsorgerische Betreuung insbe-sondere der kleineren Gemeinden.7 Der Hildesheimer Landrabbiner Abraham Lewinsky selbst führte in einem seiner Tätigkeitsberichte gegenüber dem Regierungspräsidenten aus, daß er auch in auswärtigen Gemeinden seelsorgerische Tätigkeit leiste. Ebenso halte er dort Gottesdienste ab und gebe Religions- und Konfirmationsunterricht.8

Der Einfluß des Landrabbiners auf das religiöse Leben und dessen Ausdrucksformen in den einzelnen Gemeinden konnte also ganz erheblich sein. Andererseits war es dem Landrabbiner aber auf der Grundlage seiner weitreichenden Befugnisse auch möglich, in religiösen Fragen vermittelnd und schlichtend einzugreifen.

Neben seinen geistlichen Amtspflichten führte der Landrabbiner auch die staatliche Aufsicht über das Synagogenwesen seines Bezirks. Dazu gehörte die unmittelbare teils mittelbare Aufsicht über die Kultusbeamten der Gemeinden. Über sie hatte er die Disziplinargewalt inne. Auch konnte er Gemeindeversammlungen einberufen und ihnen beiwohnen, die Protokollbücher einsehen, sich Bericht erstatten lassen etwa über Etat oder Vermögensverwaltung der Gemeinden.9 Jedoch scheinen diese Rechte in späterer Zeit entweder nicht oder nicht mehr im vollen Umfang wahrgenommen worden zu sein, wie eine Äußerung auf einer Tagung im Jahre 1932 zeigt, auf der die Frage nach der zu-künftigen rechtlichen Verfassung der jüdischen Religionsgemeinschaft diskutiert wurde:

"Landrabbiner Dr. Freund - Hannover empfahl gleichfalls dringend, am Institut der Landrabbinate festzuhalten. Das Landrabbinat sei im Jahre

6 Auch stand ihm zu festzulegen, welcher Psalm oder Choral nach der Predigt gesungen werden sollte. Der Landrabbiner war zudem verantwortlich für die Gestaltung der Feier des Geburtstags des Königs oder der Königin in der Synagoge (vgl. dazu insgesamt und zu weiteren Rechten A.

Löb: Die Rechtsverhältnisse der Juden, S. 77f.).

7 Vgl. hierzu auch folgende Passage aus dem Schreiben des Vorstandes der Synagogengemeinde Hildesheim an dem Regierungspräsidenten: "Jede, auch die kleinste Gemeinde, kann bei dem zu-ständigen Landrabbiner sich Hilfe holen und findet dort die autoritative Instanz, die in allen religiösen und sozialen Angelegenheiten ihr beisteht." (Schreiben (in Abschrift) vom 9.10.1931 (NHStA Hannover Hann. 122a, Nr. 4200)).

8 Bericht des Landrabbiners an den Regierungspräsidenten vom 10.2.1926 (NHStA Hannover Hann. 122a, Nr. 4220).

Gerade von den kleineren Gemeinden wurde die Tätigkeit der Landrabbiner anerkannt. Sie hoben deren bedeutsamen Verdienste hervor, die sie hier für den Erhalt des religiösen Lebens hätten. Dies zeigte sich besonders auf einer Tagung beim Oberpräsidenten, bei der es unter anderem um die Frage ging, ob die Institution der Landrabbinate in der Provinz Hannover auch nach der Gesetzesrevision in Preußen beibehalten werden sollte (vgl. Protokoll der Sitzung beim Oberpräsidenten vom 12.2.1932 (NHStA Hannover Hann. 122a, Nr. 4200)).

9 Vgl. hierzu und zu weiteren Aufsichtsrechten A. Löb: Die Rechtsverhältnisse der Juden, S. 86f.;

L. Lazarus: Die Organisation der preußischen Synagogengemeinden, S. 62.

1687 von den Regenten eingeführt worden und habe sich in den beinahe 250 Jahren seiner Geschichte glücklich bewährt. An der Beibehaltung der veralteten Verwaltungskontrollbefugnisse habe allerdings keiner mehr Interesse und die Landrabbiner selbst hätten sich auch in der Ausübung dieser Befugnisse mehr und mehr zurückgehalten".10

Die Schulaufsicht11 des Landrabbiners in den jüdischen Volks- und Religionsschulen blieb auch nach dem Gesetz über die Beaufsichtigung des Unterrichts- und Erziehungswesens vom 11.3.1872 weiter bestehen. Es regelte die Schulaufsicht in dem Sinne, daß sie nun vom Staat und nicht mehr wie bisher von den Religionsgesellschaften ausgeübt wurde.12 Man mußte nun nicht mehr bei der Auswahl der Schulinspektoren auf konfessionelle Verhältnisse Rücksicht nehmen, wenngleich der Staat, so es ihm ratsam schien, dies weiter tat. Aus diesem Grund verblieb das Recht der Schulaufsicht beim Landrabbiner, nur geschah dies von 1872 an im Auftrag der Schulinspektionen.13 Dieser Auftrag erging bei seiner Anstellung, ein Widerruf war jederzeit möglich.14

Das von der Weimarer Verfassung betonte Prinzip einer deutlicheren Trennung von Staat und Kirche brachte eine neue Situation. Aufgrund dieser Regelung wurden 1919 per Ministerialerlaß sämtliche Geistliche aus dem Kreisschulaufsichtsamte entlassen.

Auch dem Hildesheimer Landrabbiner wurde der "bisher erteilte Auftrag zur Wahrnehmung der staatlichen Schulaufsicht über die jüdischen Volksschulen des Bezirks"15 entzogen. Seine Aufgaben nahmen nun die jeweils örtlich zuständigen Kreisschulinspektoren wahr, die Beamte aus dem Lehrerstand waren.16

Abschließend sei noch kurz auf das Verfahren der Wahl der Landrabbiner eingegan-gen, da es die Auswahl der Personen und das Verhältnis der Gemeinden zueinander nicht unerheblich beeinflußte. Die Gemeinde, in welcher der Landrabbiner seinen Sitz hatte

10 Protokoll der Sitzung beim Oberpräsidenten vom 12.2.1932 (NHStA Hannover Hann. 122a, Nr.

4200).

In gleicher Weise äußerte sich auch der Vertreter Hildesheims, Dr. Berg, auf dieser Tagung.

11 Die Aufsicht des jüdischen Religionsunterrichts in den christlichen Volksschulen und insbesondere den jüdischen Volksschulen oblag ebenfalls dem Landrabbiner (vgl. A. Löb: Die Rechtsverhältnisse der Juden, S. 124ff.). So hatte er darauf zu achten, "daß es den jüdischen Kindern nicht am Religionsunterrichte fehle, und für die Anstellung von geprüften jüdischen Religionslehrern zu sorgen" (vgl. A. Löb: Die Rechtsverhältnisse der Juden, S. 125f.).

12 Vgl. zu dem Gesetz ebenda, S. 119.

13 Dies scheint auch im Falle des Hildesheimer Landrabbinates so gewesen zu sein, denn für das Jahr 1907 findet sich ein Beleg dafür, daß das Amt des Hildesheimer Kreisschulinspektors tatsächlich von Landrabbiner A. Lewinsky ausgeübt worden ist (vgl. Der Gemeindebote. Beilage zur 'Allgemeinen Zeitung des Judenthums'. 71. Jg., Nr. 4 v. 25.1.1907, S. 3).

14 Vgl. A. Löb: Die Rechtsverhältnisse der Juden, S. 120f.

15 Vgl. Schreiben des Regierungspräsidiums an das Oberpräsidium vom 7.11.1919 (NHStA Hannover Hann. 122a, Nr. 5043).

16 Ebenda.

und in der er zugleich Ortsrabbiner war, die Hauptgemeinde also, schlug aus der Zahl der Bewerber drei Kandidaten zur Wahl vor.17 Sie erfolgte durch die Vertreter der Gemeinden des jeweiligen Landrabbinats, von denen jede eine Stimme besaß, die Hauptgemeinde allerdings zwei. Zur Wahl war die absolute Mehrheit erforderlich.18 Allein diese Stimmenverteilung in der Wahlversammlung, bei der die Hauptgemeinde ge-gen die übrige-gen keinen Kandidaten allein durchsetzen konnte und somit entscheidend auf ihre Zustimmung angewiesen war, hatte wahrscheinlich bereits erheblichen Einfluß auf die Auswahl der Kandidaten. Diese mußten nämlich konsensfähig sein. Sie durften bei-spielsweise nicht durch ihre religiöse Haltung die übrigen Gemeinden gegen sich auf-bringen. Diesem Wahlverfahren allein wohnte die Tendenz inne, daß Rabbiner mit extre-meren Positionen kaum eine Chance hatten – seien es nun liberale oder orthodoxe. Mit dieser Rücksichtnahme ist speziell im Falle des Hildesheimer Landrabbinates zu rechnen, da es – wie noch zu sehen – während des gesamten Zeitraums seines Bestehens unter den Bezirksgemeinden nie unumstritten war.

Vor dem Hintergrund der Situation des Jahres 1842, in welchem man aufgrund des hannoverschen Emanzipationsgesetzes das Gebiet des Königreichs in vier Landrabbinate gliederte, ist die Verleihung so umfangreicher Aufsichts- und Kontrollbefugnisse der Rabbiner durchaus sinnvoll gewesen. Im Falle des Hildesheimer Bezirks bedeutet das: Es gab zu dieser Zeit nur eine Gemeinde mit eigenem Rabbiner, die übrigen waren zu klein und ihre finanziellen Mittel zu gering, um eine solche Stelle unterhalten zu können. In dieser Lage bot die Institution des Landrabbinates die Chance, die religiöse Betreuung oder das Schulwesens erheblich zu fördern und zu verbessern. Das mußte dann proble-matisch werden, wenn in einzelnen Gemeinden ebenfalls Rabbiner angestellt wurden, die dann die religiösen Aufgaben des Landrabbiners weitgehend übernahmen, – und damit sein Amt weitgehend überflüssig wurde. Genau das ist schließlich im Falle des Hildesheimer Rabbinates geschehen.