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0.4 CORONAKRISE UND EINIGE SAKRAMENTSTHEOLOGISCH WICHTIGE

1.1.3 Ekklesiologische Struktur der Sakramente

Wie schon erwähnt beschreibt Theodor Schneider die Sakramententheologie unter drei Dimensionen. Zunächst beschäftigt er sich mit der anthropologischen Basis, wo er die Symbolwirklichkeit der menschlichen Sprache und Leib-Geist-Einheit als sakramentale Struktur bezeichnet. In der christologischen Struktur der Sakramente konzentriert er sich dann auf die Person Christi als „Ursakrament“ und Ort der Erfahrung Gottes. Die dritte Perspektive, die zur Sprache kommt, sind die ekklesiologische Prägung und die kirchlichen Grundvollzüge.

Schneider beschreibt die Wirklichkeit der Kirche als ein „Grundsakrament“. Er weist darauf hin, dass in den Anfängen der Neubesinnung auf diesen Charakter der Kirche der Sprachgebrauch umstritten war. Man sprach von der Kirche als „Ursakrament“65, im Laufe der Zeit jedoch wurde die Vorsilbe „Ur“ für Jesus Christus reserviert. Seit den 70-er Jahren beschreibt man die Vorordnung der Kirche vor den Einzelsakramenten mit den Begriffen

„Grundsakrament“ oder „Wurzelsakrament“.66

Was bedeutet es, dass die Kirche ein „Grundsakrament“ oder ein „Wurzelsakrament“ ist?

Theodor Schneider beginnt seine Betrachtungen mit dem Zitat aus dem Brief an die Kolosser:

„Gott wollte ihnen zeigen, wie reich und herrlich dieses Geheimnis (dieses mystérion, sacramentum) unter den Völkern ist: Christus in euch, Hoffnung auf Herrlichkeit“ (1 Kol 1,27).

„Das Gottgeheimnis Jesu Christi ist kein individuell-exklusives, sondern ein personal-inklusives, d. h. es vollzieht sich nicht ausschließlich zwischen Jesus und dem Vater, sondern vom Vater durch Jesus auf uns hin, in uns hinein.“67

Warum greift Schneider auf den heiligen Paulus zurück? Der Apostel der Heiden verwendet mit Vorliebe das Bild von der Kirche als Leib Gottes. Im Römerbrief schreibt er, dass der

64 Schneider, 1998, 24, im Original hervorgehoben.

65 Otto Semmelroth schrieb sogar ein richtungweisendes Buch „Die Kirche als Ursakrament“.

66 Vgl. Semmelroth, 1972, 318–348.

67 Schneider, 1998, 24f.

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Kreuzes- und Auferstehungsleib Jesu der Ort des entscheidenden Handelns Gottes ist, wo sich das Heilsereignis vollzieht, und dass wir durch das Sterben Jesu auch tot für das Gesetz sind (vgl. Röm 7,4), und „so sind wir, die vielen, ein Leib in Christus, als einzelne aber sind wir Glieder, die zueinander gehören“ (Röm 12,5). Und im ersten Korintherbrief betont er: „Durch den einen Geist werden wir alle in einen einzigen Leib aufgenommen, Juden und Griechen, Sklaven und Freie; und alle wurden mit dem einen Geist getränkt“ (1 Kor 12,13). Der Leib Christi bedeutet für Paulus „die leibhafte Person Jesu im Geschehen des Kreuzes und der Auferstehung; an diesem Geschehen des Sterbens und Auferstehens erhalten wir alle Anteil.“68 In diesem Kontext ist vor allem die Ortskirche ein lebendiger, charismatischer Organismus, geeint im Heiligen Geist Christi.

Dieses urchristliche Bewusstsein, dass die Christen „ein Leib in einem Geist“ sind, wurde schon in den ersten christlichen Gemeinschaften durch das Taufbekenntnis weitergegeben. Dieses Taufbekenntnis entwickelte sich im Laufe der Zeit in das apostolische Glaubensbekenntnis hinein. Im dritten Artikel dieses Glaubenssymboles befindet sich das Bekenntnis zum Heiligen Geist und unmittelbar darauf jenes zur katholischen Kirche. Schon die ersten christlichen Gemeinschaften zeigten damit ihren Glauben, dass der Heilige Geist in der Wirklichkeit der Kirche wirkt. Durch diese Gegenwart des Heiligen Geistes gewinnt die Kirche vom Grund her ihre sakramentale Struktur.69

Erst das Zweite Vatikanische Konzil betonte wieder das Verständnis der Kirche als

„Sacramentum“. Schneider hebt die Tatsache hervor, dass in der Kirchenkonstitution „Lumen Gentium“ schon der zweite Satz lautet: „Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit.“70 Schneider führt dabei eine unterhaltsame Anekdote an: Angeblich soll während des Konzils, als dieser Gedanke in die Debatte eingebracht wurde, Kardinal Ruffini von Palermo ironisch gesagt haben, ihm sei völlig neu, dass es neben den sieben noch ein achtes Sakrament gebe.71 Diese noch etwas zögernde Aussage, die Kirche sei „gleichsam das Sakrament“, hat jedoch eine eindeutige Bedeutung: Die Kirche als eine sichtbare Gruppe der Menschen zeigt an und bewirkt (als „signum et instrumentum“) die Einheit der Menschheit untereinander und die tiefe, innere Vereinigung der Menschheit mit Gott. Weiter sagt der Text

68 Schneider, 1998, 25.

69 Schneider, 1998, 25f.

70 LG 1.

71 Schneider, 1998, 27.

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der Konstitution, dass die Kirche als der Leib Christi nicht als einfache Fortsetzung der Inkarnation gesehen wird, sondern dass in der Kirche sowohl göttliche, als auch menschliche Wirklichkeit zusammengewachsen sind. In Art. 48,2 von „Lumen Gentium“ steht es geschrieben: „Auferstanden von den Toten hat er, Christus, seinen lebendigmachenden Geist den Jüngern mitgeteilt und durch ihn seinen Leib, die Kirche, zum allumfassenden Sakrament des Heiles gemacht.“72 Die Kirche ist ein Sakrament, weil die Kirche durch den von Christus gesandten Heiligen Geist das Heilszeichen für alle ist bzw. werden soll. „In dem Maße, wie das Christentum als ganzes, Leben und Tod, Erhöhung und Geistausgießung, als die Manifestation des Wirkens Gottes, als die Weise und Gestalt der Nähe Gottes, als das Ur-Sakrament Gottes beschrieben wird, in dem Maße ist das hier von der Kirche Gesagte nicht ein zusätzliches, anderes Sacramentum, sondern die geschichtliche Ausfaltung und Konkretisierung dieses Ur-Sakramentes. Durch seinen Geist und in seinem Geist ist der erhöhte Kyrios seiner Gemeinde nahe und zumindest gegenwärtig.“73

Die Gegenwart des Herrn in der Kirche ist immer lebendig, vor allem durch den verheißenen Heiligen Geist. Der Parakletos bringt eine ganz neue, nachösterliche Gegenwart Christi in seiner Kirche. Dank dem Heiligen Geist ist es für die Gemeinde der Christen möglich, einerseits eine Rückbindung an das urtümliche Christusgeschehen zu haben, andererseits kann die Kirche das Vergangene in der Gegenwart einführen. Der Geist ist die Weise, wie Christus in unserer Mitte ist. Schneider bezieht sich auf den heiligen Paulus, der in seinem 2. Korintherbrief auf den Unterschied zwischen dem alten Dienst des Gesetzes, der zum Tode führte, und dem Dienst des Geistes, der lebendig macht, hinweist. Für den Begriff „Geist“ verwendet er dabei das neue Wort „Pneuma“. Pneuma ist für den heiligen Paulus die Kraft des Herrn, durch die er selber in der Kirche wirksam und lebendig ist.74

Die Anwesenheit des Herrn wurde in der Geschichte der Kirche manchmal nur auf die eucharistischen Gestalten eingeschränkt. Doch ist der Terminus „Real-Präsenz“ Jesu Christi für die Wesensverwandlung der eucharistischen Gestalten reserviert, aber man sollte nicht vergessen, dass Christus in seiner Kirche auch auf verschiedene andere Art und Weise gegenwärtig ist: in den Werken der Liebe, in der Verkündigung des Wortes Gottes, wenn die Kirche als Gemeinschaft betet, im Vollzug der anderen Sakramente. Schneider greift auf ein Zitat von Karl Rahner zurück, der schreibt: „Vom Wesen der Kirche her wird das Wesen der

72 LG 48.

73 Schneider, 1998, 28, im Original hervorgehoben.

74 Schneider, 1998, 29f.

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Sakramente deutlich und umgekehrt: in den Sakramenten bringt sich das Wesen der Kirche selber zur Erscheinung. Es ist schon früher dargelegt worden, dass die Kirche das Grundsakrament des Heiles ist: die bleibende Präsenz der Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus an die Menschheit als Gegenwart der sich selbst mitteilenden Wahrheit und Liebe Gottes. (…) Wenn und wo die Kirche in ihrem Handeln sich in einem absoluten Engagement ihres Wesens als des Grundsakramentes des Heils (also in dem Auftrag Christi) in der individuellen Heilssituation eines einzelnen Menschen präsent setzt und diesem an ihrem eigenen Wesen durch dessen letzte Aktualisation Anteil gibt, ist das Geschehen, das wir Sakrament nennen. Diese erscheinen darum als Grundvollzüge der Kirche selbst.“75 In diesem Kontext sind die Einzelsakramente nicht beliebige Dienstleistungen, sondern ein Zeichen der Einheit der ganzen Gemeinschaft: in der Taufe wird das Kind in die Kirche aufgenommen, in der Buße ist die Versöhnung mit der Gemeinschaft eine konkrete Gestalt der Versöhnung mit Gott, in der Eucharistie isst die Kirche von dem einen Brot und wird zusammen zum Leib Christi. Die Sakramentalität der Kirche meint „von Gott bewirkte[s] Ineinander von Außen und Innen, von geschichtlich-gesellschaftlicher Menschengemeinschaft und darin geschehender Selbstmitteilung Gottes“.76

Unser Autor schließt sich also der Meinung an, dass die Kirche ein Grundsakrament ist, also ein Zeichen der Einheit der Gemeinschaft und Werkzeug für die Vereinigung mit Gott. In verschiedenen kirchlichen Grundvollzügen, nicht nur in sieben sakramentalen Riten, ist der Herr auf verschiedene Art und Weise in der Kirche gegenwärtig.

Im Anschluss an die prinzipiellen Überlegungen behandelt Schneider nun jene Fragen, die zu einem Handbuch gehören. So zeigt er zuerst verschiedene Hindernisse auf, den Begriff

„Sakrament“ in ökumenischem Kontext allgemein zu bestimmen. Vor allem besteht dieses Problem im Rang, in der Zahl und der Reihenfolge der Einzelsakramente. In der katholischen Kirche bleibt natürlich die Lehre von den sieben Sakramenten, unter ihnen bezeichnet er jedoch die Taufe und die Eucharistie als „sacramenta maiora“.77 Die beiden sind ein besonderes

75 Handbuch der Pastoraltheologie I, 1964, 357; zit. nach Schneider, 1998, 31. Schneider weist darauf hin, dass Rahner sich in diesem Sinne – vor allem in seiner bahnbrechenden Quaestio Disputata „Kirche und Sakramente“

– schon vor dem Konzil im Jahr 1961 geäußert hat.

76 Schneider, 1998, 31.

77 Schon im Mittelalter nannte man diese Sakramente „sacramenta maiora (principalia)“. Yves Congar hat in seinem Artikel „Die Idee der sacramenta maiora“ einen Aufsatz zur Idee der sacramenta maiora geschrieben. Z. B.

zählt Pseudo-Dionysios sechs Sakramente (Taufe, Eucharistie, Firmung, Priesterweihe, Mönchsweihe, Begräbnisriten) und Petrus Damiani zwölf (Taufe, Firmung, Krankensalbung, Bischofssalbung, Königssalbung, Kirchweihe, Beichte, Kanonikerweihe, Mönchsweihe, Einsiedlerweihe, Nonnenweihe, Ehe) auf.

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Zeichen des Paschas Christi. In der Taufe geschieht nämlich die Eingliederung in die Gemeinschaft der Kirche und in der Eucharistie wird diese Glaubensgemeinschaft regeneriert.

Die starke formale Gleichordnung der sieben Sakramente in der katholischen Kirche stammt vom Konzil von Trient als eine Reaktion auf die Reformation. In den ersten Jahrhunderten der Kirchengeschichte war jedoch der Begriff „Sacramentum“ viel umfassender und galt für alle Riten und Zeichen, die auf Gott verwiesen. Zeitweise zählte man sogar bis zu dreißig Sakramente. Die mittelalterliche Theologie begrenzte die Zahl der Sakramente auf die symbolträchtige Siebenzahl, auf die heilige Zahl der Fülle. Als Summe der Drei (in der Zahlenmystik eine göttliche Zahl) und der Vier (kosmische Zahl, steht u. a. für vier Himmelsrichtungen) ist die Siebenzahl als Symbol der Ganzheit und Vereinigung des Göttlichen und des Geschöpflichen. Auch wenn viele Menschen in solchen Gedanken einen Sinn finden können, ist Schneider von dieser Aufgliederung nicht völlig überzeugt.78 Er stellt kritische Fragen, warum z. B. die verschiedenen Weihestufen zum einen Sakrament reduziert wurden oder warum die Taufe und Firmung, die im Neuen Testament nie getrennt waren, zwei verschiedene Sakramente wurden. Die Beschränkung nur auf die Zweizahl der Sakramente in der Reformationskirche ist für ihn auch nicht verständlich. Im Sinne des ökumenischen Verständnisses wäre es für ihn vertretbar, vier Sakramente aufzuzählen (die Taufe, die Firmung, die Buße als Entfaltung der Taufe und die Eucharistie). Obwohl er sich dessen bewusst ist, dass die Siebenzahl der Sakramente eine symbolische Bedeutung hat, stimmt er jedoch zu, dass die jetzige Reihenfolge besser ist, weil sie auf den inneren Zusammenhang der Sakramente hinweist. Durch Taufe, Firmung und Eucharistie geschieht eine Incorporatio in Christus, die Buße ist ein Zeichen der bleibenden Barmherzigkeit Gottes trotz des menschlichen Scheiterns.

Die Eucharistie bildet und aktualisiert die örtliche Gemeinde, die Ehe und die Krankensalbung zeigen die Familie als Hauskirche, Ordo macht sichtbar und wirksam, dass der Herr durch beauftragte Menschen sich der Kirche zuwendet.

Neben den Schwierigkeiten, die aus dem historischen Erbe kommen, greift Schneider auch zwei Probleme heraus, die stark unserer gegenwärtigen Wahrnehmung von Kirchlichkeit entspringen. Zum einen ist es die moderne Reduktion des Glaubens auf die Moral und Ethik.

In diesem Zusammenhang werden die Sakramente oft als Anleitung zum sittlichen oder auch politischen Handeln verstanden. Worum es im sakramentalen Leben geht, ist jedoch viel mehr als Sittlichkeit. Sakramente sind nicht nur dazu gegeben, dass wir nur sittlich handeln und leben

78 Zum Folgenden vgl. Schneider, 1998, 33–36.

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können, sondern von Anfang an begründen sie die christliche Existenz. Im Hintergrund solch fragwürdiger Sakramententheologie steht das beschränkte Bild der Kirche als einer

„moralischen Anstalt“. Mit aller Klarheit urteilt Schneider: Die Bedeutung der Sakramente für die christliche Existenz und ihr Zusammenhang mit dem Kreuz- und Auferstehungsgeschehen ist bei solchen modernen Zugängen völlig aus dem Blickwinkel geraten.79 Zum anderen ist es aber das Problem der Klerikalisierung des Sakramentenbegriffs. Bei diesem Zugang bleibt das Subjekt des liturgisch-sakramentalen Wirkens der Kirche nicht der auferstandene Christus, sondern der menschliche Inhaber des kirchlichen Amtes. Bereits Johann Adam Möhler sagte im 19. Jahrhundert ironisch über diese Art von Ekklesiologie: „Gott schuf am Anfang die Hierarchie und für die Kirche ist bis zum Weltende mehr als genug gesorgt.“80

Die Sakramente sind also nicht nur Gnaden- oder Hilfsmittel der Religion, ein Mittel zur Verbesserung des sittlichen Lebens, sondern viel mehr: Grundvollzüge der Kirche in Grundsituationen ihrer Glieder. Im Synodenbeschluss der Würzburger Synode heißt es: „Die Kirche als vom Heiligen Geist geeignete Gemeinschaft der Gläubigen ist für die Welt das bleibende Zeichen der Nähe und der Liebe Gottes (…) In den einzelnen Sakramenten entfaltet sich das sakramentale Wesen der Kirche in die konkreten Situationen des menschlichen Lebens.

(…) Der unsichtbare Gott wendet sich im sichtbaren Zeichen des Sakramentes dem Menschen zu, um sich ihm zu schenken, und bietet ihm so das Heil an. Der glaubende Mensch nimmt dieses Geschenk in Freiheit und Dankbarkeit entgegen (…) Der glaubend sich hingebende Mensch begegnet dem sich gnadenhaft hingebenden Gott und wird dadurch heil.“81