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3.5 EINE „NEUE“ ERLÖSUNGSLEHRE

3.5.1 Das Drama in fünf Akten

3.5.1.3 Dritter Akt: Transformation der Gerichtsbotschaft im Kreuzesgeschehen

3.5.1.2 Zweiter Akt: Gericht als Selbstgericht

Jesus Christus hat das Kommen Gottes in die Welt als ein Kommen der zuvorkommenden Liebe gezeigt. Die selbstgerechte Menschheit lehnte jedoch diese Botschaft ab628 und geriet in die Selbstisolation und ins Selbstgericht. „Wenn die Gottesherrschaft in seinem Tun und in seiner Verkündigung am Anbrechen war, dann traf jener menschliche Wille, an dem der Wille Jesu zur neuen Sammlung sich brach, das Geschick der Basileia selber.“629 Das Reich Gottes wurde einerseits von Gott her angekündigt, aber zugleich auch von denen verworfen, die zu ihrer vollkommeneren Ankunft beitragen sollen. Dem Willen Jesu steht der menschliche Wille deutlich entgegen: „wie oft wollte ich (…), ihr aber habt nicht gewollt“ (Mt 23,37).

Erst aus dieser Perspektive interpretiert Schwager die Gerichtsworte Jesu. Sie zeigen Konsequenzen offener Ablehnung der Basileiabotschaft. Die Menschen geraten in die Welt der Lüge und der Gewalt und der teuflischen Selbstdestruktion. Die menschliche Ethik scheitert, weil die Menschen nicht imstande sind, die bedingungslose Botschaft der Liebe anzunehmen.

Menschen versöhnen sich auf Kosten eines Dritten und dieser Mechanismus ist auch im Schicksal Jesu zu beobachten. Das Gericht zeigt die Folgen des menschlichen Verhaltens, wenn die Ethik scheitert. Die negative Entscheidung wirkt auf die Handelnden zurück und führt zur Verdoppelung der Sünde.

3.5.1.3 Dritter Akt: Transformation der Gerichtsbotschaft im Kreuzesgeschehen Im dritten Akt630 des Geschicks Jesu richten sich Menschen nicht gegenseitig, sondern, ähnlich wie im Sündenbockmechanismus, kommt anstelle der Selbstzerstörung die Zusammenrottung gegen einen Dritten. Schwager bezieht sich hier auf Karl Barth und spricht davon, dass in diesem Akt „der Richter gerichtet wird“.631 Christus, der das Gericht angekündigt hat, steht danach selber vor Gericht. Und genau die Kräfte, die Jesus Christus enthüllt hat, trafen ihn

627 Diese radikale Umkehrung von Umkehr und Vergebung übernimmt Schwager von Merklein, 1978.

628 Zum Folgenden: Schwager, 2015, 125–167.

629 Schwager, 2015, 134. Hervorhebung vom Autor.

630 Zum Folgenden: Schwager, 2015, 168–226.

631 Vgl. das Kapitel „Der Richter wird gerichtet. Zur Erlösungslehre von K. Barth“ in: Schwager, 2015b, 383–447.

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selber, wenn er der Gotteslästerung schuldig befunden wurde. Alle Menschen, sowohl Juden, Heiden als auch Apostel Christi, insofern sie Sünder sind und unter der Macht der Sünde stehen, wenden sich gegen Jesus. Die biblischen Protagonisten sind dabei nur Rollenträger, im theologischen Urteil verbünden sich alle Menschen der Erde gegen Jesus. Diese definitive Ablehnung heißt: „es hat sich definitiv gezeigt, dass die Mächte und Kräfte, von denen die menschliche Geschichte beherrscht wird, in einem grundsätzlichen Gegensatz zu jener Botschaft und jenem Leben stehen, das Jesu gebracht hat.“632 Damit erreicht er eine neue Deutung der Erlösung durch das Kreuz.

In einem Brief an H. U. v. Balthasar schreibt Schwager: „Die bloße Tatsache der menschlichen Sünde macht den Erlösertod noch nicht nötig. Gott hat dem Sünder zunächst sein väterliches Verzeihen angeboten. Wohl aber wurde der Erlösertod nötig, weil die Menschen gerade die Botschaft vom göttlichen Verzeihen nicht annehmen wollten.“633 Nach dieser Theorie macht also erst die Ablehnung seiner Botschaft den Tod Christi notwendig. Nicht Gott tötet seinen Sohn, sondern er stirbt, weil die Menschen die Vergebung ablehnen.

Schwager betont, dass nicht Gott, der Vater, seinen Sohn hinrichten und ihn stellvertretend anstelle der Menschen bestrafen wollte, dieses „Gericht ging nicht von Gott, sondern von den Menschen aus, und der Wille des Vaters bezog sich nur darauf, dass der Sohn den Sündern bis ins Letzte nachgehe und ihre Verlassenheit teile, um ihnen so aus der Welt der Verstockung und der Gottferne heraus nochmals eine Umkehr zu ermöglichen“.634 Schwager weist deutlich darauf hin, dass Jesus Christus, auch im Kreuzesgeschehen, die zentrale Offenbarungsgestalt bleibt. Nicht die Henker zeigen uns den Willen Gottes, sondern nur am Verhalten des Gerichteten muss es abgelesen werden, was uns Gott durch das Kreuz offenbaren will. Nun ist der Vater ein radikal gewaltfreier Gott. Kajaphas und die Henker Jesu zeigen somit, dass sie durch ihr Tun keineswegs den Willen Gottes erfüllen. Sie stehen auch stellvertretend für die ganze Menschheit da. Alle Menschen aller Zeiten und Kulturen hegen Groll gegen den Gott der Liebe, deswegen wird Jesus als notwendiger und nicht zufälliger Sündenbock verstanden.

Schwager betont die Universalität der Exklusion, also der Ablehnung Jesu. „Als verantwortlicher Täter der Sünde ist jeder Feind Christi, und als Opfer des Bösen (auch im Tun) findet sich jeder im Bereich seiner erlösenden Kraft.“635 Die Menschen sind also gleichzeitig in

632 Schwager, 2015, 216.

633 Schwager, 2017, 459.

634 Schwager, 2015, 227.

635 Schwager, 2015, 344.

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zwei verschiedenen Lagern. Sie sind einerseits verantwortlich für die Sünde und gehören zur Allianz derer, die sich gegen Gott verbinden. Andererseits sind sie Opfer eigener und fremder Sünden und gehören damit in die Gemeinschaft derer, mit denen sich der Gekreuzigte identifiziert. Die Scheidungslinie zwischen dem Reich Gottes und dem Reich dieser Welt verläuft deswegen nicht zwischen verschiedenen Menschengruppen (die Vorstellung zwischen Söhnen des Lichtes und Söhnen der Finsternis, die zur Selbstgerechtigkeit derer führt, die sich selber als Söhne des Lichtes bezeichnen), sondern diese Scheidungslinie verläuft durch jeden einzelnen Menschen hindurch. Jesus Christus wurde zum Opfer und damit auch zum Sündenbock. Er distanziert sich jedoch von der ihm aufgedrängten Rolle des Sündenbocks und hält an seiner Unschuld fest. Er identifiziert sich mit allen Opfern des Bösen, den Opfern der anderen Menschen oder den Opfern ihrer selbst. Diese Identifizierung ist identisch mit der Hingabe an sie.636 Damit kommt es zur Verwandlung der Opferrolle: victima wird zum sacrificium, Sündenbock wird zum Lamm Gottes.

Diese Überlegungen zur Erlösungslehre haben Konsequenzen für die Sakramententheologie.

Am Gründonnerstag identifiziert Jesus die Gaben von Brot und Wein mit seiner Person und seinem Geschick. Der Leib, der zum Essen gegeben wurde, zeigt, dass die Hingabe Jesu in den gewaltsamen Tod viel mehr als nur ein ethisches Vorbild war. Der Leib Christi, der freiwillig in den Tod gegeben wurde, macht deutlich, dass die Gabe der Gottesherrschaft angesichts der Ablehnung nur dank der Feindesliebe möglich war. Auf die gewaltsame Ablehnung antwortet Jesus mit noch größerer Hingabe. Mit den Worten Schwagers ausgedrückt: „Die Identifizierung

636 Niewiadomski, 2019, 212f. beschreibt den Vorgang unter starker Einbeziehung des mimetischen Begehrens:

„Im mimetischen Taumel machen die Menschen Jesus zum Opfer. Er selber entzieht sich aber der mimetischen Rivalität mit den Tätern, weil er sich an den Vater hingibt. So mögen zwar die Täter über seinen Körper verfügen, den innersten Kern seiner Person erreichen sie aber nicht. Denn: dieser ist identisch mit der Beziehung des Vaters zum Sohn. Er ist ja nicht deswegen Sohn Gottes, weil er am Kreuz stirbt. Die Gottessohnschaft Jesu macht ihn gegen alle Figurationen mimetischer Rivalität gleichsam immun. Für Schwager (und in der Folge auch für Girard) ist die christliche Trinitätslehre das exakte Gegenmodell des triangulären mimetischen Begehrens. Indem sich Jesus im Sterben dem Vater hingibt, entgeht er der in jeder Viktimisierung so gefährlich werdenden Symbiose zwischen dem Opfer und dem Täter. (…) Er kann auch jene Figuration mimetischer Rivalität unterbrechen und verwandeln, die sich direkt aus dem Hass des Opfers auf den Täter ergibt. Ein solcher Hass des Opfers schafft ja nur oberflächliche Distanz zwischen ihm und den Tätern. Auch wenn in der Fantasie des Opfers der Hass scheinbar den Täter beseitigt, so bleibt dessen Stelle nicht leer. Das Opfer selbst steht in der mimetisch strukturierten Gefahr, an die Stelle des Henkers zu treten, und ist auf dem besten Weg, sich selbst zu viktimisieren und sich selber zu opfern. Die Selbstopferung stellt ja nichts anderes dar als die mimetisch bedingte Ersetzung des Opferers durch das Opfer selbst. (…) Aus der Kraft der Hingabe zwischen dem Vater und dem Sohn kann sich das Opfer Jesus mit anderen Opfern identifizieren. Mehr noch: Er kann in den ihn misshandelnden und tötenden Tätern, in den Sündern also, nichts anderes erblicken, als er immer schon in den Sündern gesehen hat. (…) So handelt er nun als Opfer, er handelt aber anders, als die Opfer in solchen Zusammenhängen normalerweise handeln, wenn sie im Taumel mimetischer Rivalität ihre Peiniger verfluchen und ihnen die Vergeltung und Rache an den Kopf wünschen. Nicht in der direkten Konfrontation mit den Tätern, sondern über die Vermittlung eines ‚Mediators‘

wendet sich das Opfer Jesus auch an die Täter: ‚Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.‘“

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Jesu mit den Gaben von Brot und Wein wurde nur im Zusammenhang mit einem zweiten

‚Geben‘ möglich, nämlich mit der gewaltfreien Hingabe des eigenen Lebens in der Konfrontation mit den Feinden der Gottesherrschaft. Die beiden Formen des Gebens greifen ineinander und machen sich wechselseitig verständlich. Einerseits hebt der Leib, der zum Essen gegeben wurde, hervor, daß die Hingabe in den gewaltsamen Tod weit mehr als ein hohes ethisches Vorbild war. Es ging um das Geschick der Gottesherrschaft. Anderseits macht der Leib, der in den Tod gegeben wurde, deutlich, daß die Gabe der Gottesherrschaft in der Situation der Ablehnung nur dank einer Feindesliebe möglich war, die auf die gewaltsame Ablehnung mit einer noch größeren Hingabe antwortete. Keine der beiden Formen der Hingabe wird ohne die andere sinnvoll, beide zusammen bringen jedoch zum Ausdruck, wie Jesus seinen Tod als Tod für die vielen verstanden hat.“637

3.5.1.4 Vierter Akt: Österliches Urteil zugunsten des Sohnes und zugunsten seiner