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1.2 ANSÄTZE EINER KOMMUNIKATIVEN SAKRAMENTENTHEOLOGIE: ALEXANDRE

1.2.1 Eine Sakramententheologie für den Menschen der „heutigen Industriegesellschaft“?

Die Bemühung Ganoczys ist von einem hohen Selbstverständnis begleitet. So fragt er – gleichsam rückblickend auf das dargestellte Traditionswissen – zu Beginn des letzten Kapitels seines Buches: „Es läßt sich fragen, ob das letzte Wort über das Sakramentale in den Sakramenten bereits gefallen ist, so daß der ‚Einführer‘ in diese bisher so ‚bewegte‘ Lehre nur noch das bisher Gesagte einzubringen hätte. Oder hat er die Freiheit, etwa aufgrund der Selbstbefragung des Menschen, der unter den Bedingungen heutiger Industriegesellschaft lebt, nach einer neuen Synthese mit bisher systematisch kaum benutzten Denkelementen Ausschau zu halten? Gehört nicht zu seiner Aufgabe, daß auch er selbst eine Arbeitshypothese umreißt, die in aller wissenschaftlichen Bereitschaft zur Selbstrevision vielleicht zum besseren Verständnis auch der einzelnen Sakramente im Horizont gegenwärtiger Erfahrung und Praxis beitragen könnte?“141

Alexandre Ganoczy sucht also in seinen Betrachtungen den Dialog mit Human- und Kommunikationswissenschaften und betrachtet die Kirche von ihrem Wesen her als eine Kommunikationsgemeinschaft. Die Legitimation dafür liefert ihm eine bestimmte Exegese der Konzilsdokumente, allen voran die Liturgiekonstitution. Die Arbeit des Konzils „befolgte allem Anschein nach zwei Vorsätze: a) definitiv anmutende Definitionen vermeiden (…), b) die für

138 Das ganze Buch umfasst 136 Seiten; das handbuchartige Wissen ist auf den Seiten 1–105 zu finden.

139 Vgl. Ganoczy, 1979, 147f.

140 Vgl. Ganoczy, 1979, 106–136; vgl. auch Ganoczy, 1991. Der Schüler Ganoczys Hans Otmar Meuffels hat 1994 mit einer Arbeit über Kommunikative Sakramententheologie an der Universität München habilitiert. Die umfassende Arbeit ist bei Herder publiziert worden. Vgl. Meuffels, 1995.

141 Ganoczy, 1979, 107.

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heutiges Christsein relevanten Wirklichkeiten mit vornehmlich praktisch-theologischem Blick zu erfassen suchen“. Deswegen erscheinen die Sakramente in der Liturgiekonstitution „auch unter Berücksichtigung von Gegebenheiten, die heute von den sog. Human- und Kommunikationswissenschaften erforscht werden.“142 Demnach kann sich ein von ihm anvisiertes Sakramentsverständnis auf das Konzil berufen.

Den Einstieg in die theologische Reflexion bildet eine kommunikative Anthropologie. Etwas unvermittelt spricht Ganoczy davon, dass „die philosophische Anthropologie vom Menschen der Industriegesellschaft“ das Menschenbild vertritt, die man auch beim niederländischen Dogmatiker E. Schillebeeckx in seinem Sakramentsbuch findet.143 Der Mensch ist „ein geistiges Wesen“, sein Geist gibt sich zu erkennen, er teilt sich auch durch die Leiblichkeit mit.

Diese klassischen Aussagen ergänzt Ganoczy durch Erkenntnisse, die er aus der Kommunikationswissenschaft gewonnen hat.144 Die menschliche Person kann man nie isoliert betrachten, sondern mitten in ihrer Verflochtenheit in Systemen, die der Person vorgegeben sind. Eingebunden in Systeme bleibt der Mensch niemals eine Monade; es ist seine Fähigkeit zur Interaktion, die das Menschsein in diesem Zusammenhang auszeichnet. Der Mensch kann also niemals nichts „senden“ oder „zeigen“ – er ist in seinem Wesen „animal communicans“145. Er ist ein souveräner Sprach-, Tat-, und Offenbarungsproduzent und er antwortet auch auf die Reaktionen und Taten der anderen.146 Sie belegen den Menschen als Kommunikationssubjekt mit ihren Informationen, sodass ein dynamisches Teilsystem zustande kommt.

Laut Ganoczy sollten alle sakramentalen Feiern auch gleich ablaufen – und sie sollten alle

„Konzelebrationscharakter“ haben. „Alle Mitfeiernden seien aufgerufen, zugleich Empfänger und Spender, Nehmende und Gebende zu sein. Der Mensch, der die Sakramente entweder nur konsumiert oder darüber willkürlich zu verfügen sucht, ist weder ein wahrhaftiger Kommunikant noch ein schriftgemäßer Christ.“147

142 Vgl. Ganoczy, 1979, 107.

143 Vgl. Schillebeeckx, 1960. Bereits in dieser These wird deutlich, dass bei Ganoczy der Begriff

„Industriegesellschaft“ bloß als Schlagwort benutzt wird und dies nicht nur an dieser Stelle.

144 Der hohe Anspruch, den das Plädoyer erweckt, wird relativiert durch den Anmerkungsapparat zu diesem Kapitel. Dort verweist Ganoczy eigentlich nur auf den evangelischen Theologen H.-D. Bastian, 1972 und den Soziologen J. L Aranguren, 1967. Erst Meuffels, 1995 hat die theoretischen Grundlagen des Plädoyers umfassender bearbeitet. Er benutzte die philosophischen Ansätze von K. O. Apel, J. Habermas, S. J. Schmidt und H. Peukert.

145 Ganoczy, 1979, 116.

146 Zum Folgenden Ganoczy, 1979, 111–112.

147 Ganoczy, 1979, 112.

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Die anthropologischen Andeutungen werden durch die christologische Dimension der Sakramente vertieft.148 Jesus Christus überwindet die durch die Sünde gestörte Kommunikation zwischen den Menschen und Gott, auch die Kommunikationsstörungen zwischen den Menschen. Die Rede von Jesus Christus als dem „Ursakrament“ gefällt Ganoczy nicht, weil sie den auferweckten Herrn „nach dem Modell eines Ritus, eines objektiven Kultgeschehens oder einer mystisch verbrämten Größe fehlstilisiert“149. Ein kommunikationstheoretischer Ansatz lässt den Herrn vor allem als „Mittler“ nennen. Jesus Christus ist wie der neue Moses, der Mitarbeiter Gottes bei der Gründung des Neuen Bundes. Er setzte sein Leben bis zum Tod für die Überwindung der großen Kommunikationsstörung zwischen Gott und Menschen ein. „Er vereinigt alle drei Pole des kommunikativen Systems in sich: Sender, Empfänger, Medium. Er sendet, empfängt und mediatisiert in einem, und dies sowohl seitens Gottes wie seitens der Menschen.“150 Jesus Christus ist „Mittler“151 und diese Bezeichnung bedeutet seinen Kommunikationsdienst.

Der Standort der Kommunikation ist die Kirche als Gemeinde Christi. Der Kirche wird nicht mehr eine unbestimmte, globale Sakramentalität zugesprochen. Der Gedanke, dass die Kirche kraft ihrer Existenz ein wirksames Gnadenzeichen sein könne, ist für Ganoczy utopisch und fällt deswegen weg. Er bezieht sich dabei auf die biblische Vorstellung von kleinen Gemeinden, deren Mitglieder kommunikationsfähige Zeugen sind. Die Kirche „ist das Kommunikationskollektiv Gottes unter den Menschen, die oft unter Bedingungen des inneren und äußeren Widerspruchs sendend-empfangende ‚ministra dei‘“.152

Es ist schon jetzt wichtig, sich darüber zu verständigen, was der Ansatz zu leisten vermag. Am Anfang dieses Kapitels habe ich die Worte des Autors zitiert, mit denen er das Selbstverständnis charakterisierte. Seine Sakramententheologie sollte dem „Menschen, der unter den Bedingungen heutiger Industriegesellschaft lebt“, eine neue Synthese aus den Elementen der Tradition anbieten. Gerade im Kontext der Thematik dieser Arbeit „Transformation des Alltags“ hat diese Ankündigung Neugier und Interesse geweckt. Umso größer ist nun die Enttäuschung, weil sich die Ankündigung bloß als Schlagwort entpuppte.

148 Zum Folgenden Ganoczy, 1979, 112–114.

149 Ganoczy, 1979, 113.

150 Ganoczy, 1979, 114.

151 Hervorhebung vom Autor.

152 Ganoczy, 1979, 114. Solche und ähnliche Formulierungen haben teilweise scharfe Kritik provoziert, so etwa bei Vorgrimler, 1987, 81: „Die Umschreibung der Mitteilung der Gnade Gottes geschieht bei diesen Versuchen auf zweideutige und mißverständliche Weise.“

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