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Raymund Schwager467 wurde am 11. November 1935 im schweizerischen Balterswil (Kanton Thurgau) als zweites von sieben Kindern einer Bauernfamilie geboren. Nach dem Gymnasialabschluss bei den Kapuzinern trat er im Jahre 1955 in den Jesuitenorden ein. Im Rahmen seiner Ordensausbildung studierte er zunächst in Pullach bei München Philosophie (1957–1960) und dann in Lyon-Fourvière Theologie (1963–1967). Dazwischen war er als Erzieher in der Stella Matutina, einem Privatgymnasium des Jesuitenordens, in Feldkirch (Vorarlberg) tätig. Am 31. Juli 1966 empfing Raymund Schwager die Priesterweihe.

Im Jahre 1969 schloss er sein Doktoratsstudium an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Fribourg ab. Weil das Thema seiner Dissertation lautete: „Ignatius und seine Exerzitien im Wandel der Kirche“468, verbrachte er während der Arbeit daran einige Zeit in Spanien auf den Spuren des Heiligen. In seiner Dissertation beschreibt Schwager die lebensgeschichtliche Dynamik bei Ignatius und beweist, dass sich in seinen Exerzitien ein juridisch und militärisch geprägtes Verhältnis zur Kirche widerspiegelt; er bezeichnet sein Verhältnis zur Kirche als

„dramatisch“469. In diesem Werk sind schon die Grundrisse seiner Dramatischen Theologie zu erkennen und das Leitwort „dramatisch“ zieht sich danach durch sein ganzes wissenschaftliches

466 Niewiadomski, 2014, 9.

467 Zur ausführlichen Biographie von Schwager vgl. https://www.uibk.ac.at/systheol/schwagerdrama/raymund-schwager/ [17.12.2020]; Moosbrugger, 2019; Wandinger, 2007.

468 Die Arbeit wurde unter dem veränderten Titel „Das dramatische Kirchenverständnis bei Ignatius von Loyola“

im Jahre 1970 veröffentlicht. Dieses Buch wurde in RSGS Bd. 1 von M. Moosbrugger kritisch ediert.

469 Schwager, 2016, 43.

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und pastorales Wirken. Das Rigorosum legte Schwager am 10. Jänner 1970 magna cum laude ab.

Von 1970 bis 1977 war er Mitglied der Redaktion der schweizerischen Zeitschrift

„Orientierung“, wo er zahlreiche Artikel veröffentlichte und sich in die redaktionelle Profilierung einbrachte. In dieser Zeit nahm er Kontakt mit dem franko-amerikanischen Literaturwissenschaftler und Anthropologen René Girard auf. Diese Begegnung, inspiriert durch die Lektüre von „La Violence et le Sacré“, prägte seine ganze spätere wissenschaftliche Arbeit. In seinem ersten Brief vom 18.03.1974 an René Girard schrieb Schwager, dass er das Buch bewundernswert findet und es ihn beeindruckt hat und er dazu neigt, seine Theorie zu akzeptieren.470 Der im Jahre 1974 begonnene Briefwechsel dauerte jahrelang; der Briefdialog der beiden Wissenschaftler wurde im Jahre 2014 als fünfter Band im Rahmen der Reihe

„Raymund Schwager Gesammelte Werke“ veröffentlicht. Der gegenseitige Einfluss der beiden Wissenschaftler wird in den späteren Werken von Raymund Schwager deutlich erkennbar.

Schwager übernahm Girards Hypothese vom mimetischen Begehren, das zum eskalierenden Konflikt und zur kollektiven gewalttätigen Ausstoßung eines Dritten (Sündenbockmechanismus) führt. Schwager, als ein wichtiger Gesprächspartner von Girard, beeinflusste aber auch seine Theorie vor allem in der Frage nach dem Opfercharakter des Todes Christi. In der Festschrift zum 60. Geburtstag Schwagers „Vom Fluch und Segen der Sündenböcke“ würdigt René Girard den entscheidenderen Vorstoß von Raymund Schwager in der Entwicklung seiner mimetischen Theorie, vor allem im Kontext der Kritik des Hebräerbriefes.471

1977 wurde Raymund Schwager Professor für Dogmatische und Ökumenische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck. Zweimal leitete er diese als Dekan (1985–1987 und 1999–2003). Er verstand sich nie als ein Einzelkämpfer in der theologischen Forschung, sondern sein Bemühen, verschiedene Menschen zum Gespräch zu sammeln, war ein wesentlicher Zug seiner Arbeit. Sein Anliegen war, innertheologische und interdisziplinäre Gesprächskreise und Forschungsprogramme zu gründen, die sich mit den wichtigsten Problemen der Zeit, vor allem mit dem Problem der Gewalt und mit der Friedensthematik, beschäftigen sollen.

470 Vgl. Schwager, 2014, 47.

471 Girard, 1995, 29.

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Auf seine Initiative wurde das interdisziplinäre Forschungszentrum „Religion-Gewalt-Kommunikation-Weltordnung“472 und das interfakultäre Forschungsprogramm „Weltordnung–

Religion–Gewalt“ gegründet. Raymund Schwager war einer der Gründungsmitglieder der wissenschaftlichen Gesellschaft „Colloquium on Violence and Religion“ (1991)473 und deren erster Präsident (1991–1995); sie verdankt seinem Engagement ihre Effizienz. Von 1984 bis 1990 war er Vorsitzender des universitären Senatsarbeitskreises „Wissenschaft und Verantwortlichkeit“ und von 1992 bis 1996 Vorsitzender des Arbeitskreises der Dogmatiker und Fundamentaltheologen des deutschen Sprachraums. Im Jahre 1998 bekam er als zweiter Theologe den großen Wissenschaftspreis des Landes Tirol (zum ersten Mal wurde der Preis 1984 an Karl Rahner kurz vor dessen Tod verliehen).474 Eine wesentliche Rolle spielte auch die Forschungsgruppe „Dramatische Theologie“, wo Schwager den wissenschaftlichen Austausch mit seinen StudentInnen und gleichgesinnten KollegInnen suchte.475 Die Forschung Schwagers und sein theologischer Ansatz wurden von seinen zahlreichen SchülerInnen und KollegInnen übernommen und bis heute weitergeführt.

Das theologische Denken von Raymund Schwager wurde vor allem durch die Kategorie des Dramas geprägt. Diesen Terminus, den er von Roland Barthes übernahm,476 entwickelte er eigenständig im Rahmen seiner „Dramatischen Theologie“. Seine Theologie stellt fest, dass die Geschichte der Offenbarung Gottes dramatisch ist, d. h. die Heilsgeschichte besteht aus einem Netz zahlreicher Ereignisse, Initiativen und Reaktionen und das dramatische Modell beinhaltet eine Vielfalt von Akteuren – dem göttlichen und den menschlichen mit ihren Interaktionen. Die ganze Heilsgeschichte ist daher wie ein Drama zu verstehen. Raymund Schwager veröffentlichte Bücher und unzählige Beiträge und Artikel, in denen seine Dramatische Theologie zur Sprache kommt.477

Raymund Schwager verstarb unerwartet am 27. Februar 2004, kurz vor seiner Emeritierung.

Sein dramatischer Ansatz wird im Rahmen der Innsbrucker Dramatischen Schule der Theologie

472 Entsprechende Informationen zur Geschichte und den Forschungszielen siehe:

https://www.uibk.ac.at/forschung/profilbildung/religion-gewalt-kommunikation-weltordnung.html.de [17.12.2020]; eine Art der Sammlung von Ergebnissen findet man in: Schwager, Niewiadomski, 2003.

473 Weitere Informationen zur Geschichte und Wirkung von COV&R siehe: https://violenceandreligion.com/

[17.12.2020] und Williams, 2012.

474 Vgl. https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunstkultur/abteilung/Landespreise_Ehrungen/PREISTR_LP_

fuer_Wissenschaft_bis_2020.pdf [17.12.2020].

475 https://www.uibk.ac.at/rgkw/drama/ [17.12.2020]; vgl. auch Niewiadomski, Siebenrock, 2010.

476 Im Rahmen seiner Dissertation prägt Schwager den Begriff dramatisch bei der Beschreibung des Verhältnisses des Ignatius zur Kirche. Roland Barthes bezeichnete die Sprache der Exerzitien als dramatisch. Vgl. Schwager, 2016, 175 (Anm. 179); vgl. auch Barthes, 1967, 59.

477 Die vollständige Bibliografie Raymund Schwagers befindet sich im RSGS, Band 8, 2017, 518–544.

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weitergeführt. In den Jahren 2004–2006 wurde sein wissenschaftlicher Nachlass im Raymund Schwager-Archiv geordnet und der Forschung (unter anderem auch meiner) zugänglich gemacht.478 In den Jahren 2014–2017 wurden im Herder Verlag die gesammelten Schriften von Raymund Schwager in acht Bänden veröffentlicht. Im Rahmen der Serie „Beiträge zur mimetischen Theorie. Religion–Gewalt–Kommunikation–Weltordnung“ wurden viele Publikationen zu den Themen der „Dramatischen Theologie“ veröffentlicht.479 An der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck wurden zahlreiche Tagungen und Symposien organisiert.480

Im Nachwort zur Reihe „Raymund Schwager Gesammelte Schriften“ schrieb Jozef Niewiadomski, ein geistiger Sohn Schwagers481: „Wozu eine Reihe der Gesammelten Schriften eines vor 13 Jahren verstorbenen Theologen? Weil er die geistige Atmosphäre und auch die verschärfte Konflikthaftigkeit der Gegenwart in seinem Theologieentwurf gleichsam vorwegnahm, ist seine Theologie gerade heute aktueller als zur Zeit ihrer Entstehung. Lange vor dem Schock des 11. September 2001 erkannte Schwager, dass die unheilvolle Verbindung von Religion und Gewalt zu den entscheidenden Herausforderungen der Zukunft zählen wird.

Sein Leben lang hat er mit dem Problem der ambivalenten religiös motivierten Gewalt gerungen, sich immer wieder von gewaltbeladenen Gottesbildern und destruktiver Frömmigkeitsmentalität nicht nur distanziert, sondern nach Kriterien einer gewalttransformierenden Hermeneutik der Offenbarungsschriften, der christlichen Tradition und der dogmatischen Lehre der Kirche gesucht. Das von ihm entwickelte Modell einer dramatischen Systematik erlaubte ihm selber, aber auch einer ganzen Reihe seiner Schüler, einen neuen und kreativen Zugang zur theologischen Reflexion gesellschaftspolitischer und religiöser Realitäten.“482

478 Das Register gibt genaue Auskunft über das vorhandene Material:

https://www.uibk.ac.at/systheol/schwagerdrama/schwager-archiv/registraturplan-schwager-archiv20101217.pdf [17.12.2020].

479 Vgl. https://www.lit-verlag.de/publikationen/reihen/beitraege-zur-mimetischen-theorie.-religion-gewalt-kommunikation-weltordnung/?p=1 [17.12.2020].

480 Das erste Symposium fand im Jahre 1991 statt (vgl. Niewiadomski, Palaver, 1992), dann 2000 (vgl.

Niewiadomski, Wandinger, 2003), 2012 (vgl. Moosbrugger, Niewiadomski, 2015a); 2015 (vgl. Niewiadomski, 2017); 2019 (vgl. ZkTh 142 Heft 3, 2020).

481 Niewiadomski, 2017a, 551.

482 Niewiadomski, 2017a, 545f.

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