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0.4 CORONAKRISE UND EINIGE SAKRAMENTSTHEOLOGISCH WICHTIGE

1.1.5 Hinweise auf die Theologie der einzelnen Sakramente

1.1.5.4 Buße

Seine Reflexion über das Sakrament der Buße beginnt Schneider mit der Feststellung erstaunlicher Wandlungen der Bußpraxis und – was damit auch zusammenhängt – des Bußsakramentes. Die Häufigkeit der Beichte hat in den letzten Jahrzehnten der Kirchengeschichte so radikal nachgelassen, dass dieser Umbruch nur mit dem Nachlassen der Kommunionfrömmigkeit im Mittelalter zu vergleichen ist. Ein Gottesbild, das den Menschen bloß Angst und Schrecken einjagte, und wohl auch der Machtmissbrauch haben sicher dazu beigetragen, dass viele Menschen ihre Beichtpraxis aufgegeben haben. Wo soll die dogmatische Reflexion ansetzen? Schneider macht auf die „Übermacht des Bösen“ aufmerksam, ruft biblische und dogmatische Texte über das Böse und die Sünde in Erinnerung und wendet sich der Frage nach der Erfahrbarkeit der Vergebung zu. Der Problemzusammenhang Buße, Umkehr und Vergebung stellt einen zentralen biblischen Topos dar. So findet man im Alten Testament zahlreiche Texte, die zur Umkehr und Buße aufrufen, und der Ruf zur Umkehr steht auch im Zentrum der Verkündigung Jesu.117 Der Durchgang durch die Kirchengeschichte zeigt, wie unterschiedlich die konkreten Formen dessen waren, was man mit dem Bußsakrament bezeichnen kann. Was soll also die Dogmatik in diesem Kontext festhalten?

114 Schneider, 1998, 158.

115 Schneider, 1998, 158, im Original hervorgehoben.

116 Vgl. Schneider, 1998, 158f.

117 Schneider, 1998, 184.

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In der anthropologischen Perspektive liegt diesem Sakrament die Erfahrung unserer Schwäche und der Vergebung zugrunde. Gleich wie im Alltagsleben, wenn wir unseren Nächsten gegenüber etwas Unrechtes getan haben, müssen wir uns manchmal das Wort der Vergebung zusagen lassen. In der Beichte übernimmt Gott die Initiative, er bietet uns zunächst seine Versöhnung an. „Zu wissen, dass wir selbst angenommen und bejaht sind trotz unseres Versagens, versetzt uns in die Lage, frei von der existenziellen Sorge um uns selbst, die Kräfte unseres Verstandes und unseres Herzens im Dienst an den anderen einzusetzen.“118

Die ekklesiologische Dimension der Buße wurde durch das Zweite Vatikanische Konzil neu ins Zentrum der gläubigen Aufmerksamkeit gerückt. Sie wurde in der Kirchenkonstitution folgendermaßen beschrieben: „Die aber zum Sakrament der Buße hinzutreten, erhalten für ihre Gott zugefügten Beleidigungen von seiner Barmherzigkeit Verzeihung und werden zugleich mit der Kirche versöhnt, die sie durch die Sünde verwundet haben und die zu ihrer Bekehrung durch Liebe, Beispiel und Gebet mitwirkt.“119 Jede menschliche Sünde verwundet die Kirche nicht nur in einem mystisch-abstrakten Sinn, sondern auf Grund der Tatsache, dass in der Sünde ein konkretes Mitglied der Gemeinde beeinträchtigt ist, was sein ganzes Glaubensleben und kirchliches Engagement betrifft. Schneider macht darauf aufmerksam, dass der französische Theologe Henri de Lubac lange vor dem Konzil bereits im Jahre 1938 das bahnbrechende Werk

„Catholicisme, Les aspects sociaux de dogme“ veröffentlicht hat, in dem er die gemeinschaftliche Dimension des Bußsakramentes betonte. Das Werk löste bei vielen Theologen „tiefes Erschrecken“ darüber aus, dass man im Zeitalter der heilsindividualistischen Mentalität diese tiefe Wahrheit vergessen konnte.120 Weil der Sünde – bei aller persönlichen Verantwortung – ein Gemeinschaftscharakter eigen ist, ist deren Vergebung im Kontext von Christus totus zu glauben, sie wird von Christus, dem Haupt mit dem Leib, also von Christus mit der Kirche vergeben.121 Diese Feststellung wird durch den neuen „Ordo paenitentiae“

bestätigt: „Die ganze Kirche wirkt als das priesterliche Volk beim Werk der Versöhnung, das ihr von Gott anvertraut worden ist, auf verschiedene Weise mit.“122

118 Schneider, 1998, 192.

119 LG 11.

120 Vgl. Schneider, 1998, 205. Das Werk von de Lubac wurde von H. U. v. Balthasar ins Deutsche übersetzt und 1943 unter dem Titel „Katholizismus als Gemeinschaft“ publiziert. Die Neupublikation im Jahr 1970 trägt einen neuen Titel: „Glauben aus der Liebe“.

121 Vgl. Rahner, 1967, 447–471.

122 OP Nr. 8; 1974 wurde unter Paul VI. diese neue „Ordo paenitentiae“ promulgiert; sie kennt drei sakramentale Formen des Bußsakramentes: Feier der Versöhnung für den einzelnen Pönitenten, Feier der Versöhnung für mehrere Pönitenten mit Einzelbekenntnis, Feier der Versöhnung für mehrere Pönitenten mit allgemeiner Lossprechung.

46 1.1.5.5 Die Krankensalbung

Schneider weist am Anfang seiner Betrachtungen auf zahlreiche Missverständnisse hin, die dieses Sakrament (verstanden als „Letzte Ölung“) im Laufe der Geschichte betroffen haben und die noch nicht vollständig ausgeräumt wurden. Die Krankensalbung ist nicht Sterbesakrament, das man erst kurz vor dem unvermeidlichen Tod empfangen kann. Sie ist auch nicht die Todesweihe, weil der Aspekt der Stärkung in der Krankheit und das Gebet um die physische Heilung damit untrennbar verbunden ist. Sie ist auch keine „Eintrittskarte zum Himmel“, die uns automatisch das ewige Leben garantiert.

Die Frage nach einer anthropologischen Basis dieses Sakramentes setzt bei der Erfahrung der Krankheit an. Die Krankheit eines Menschen kann der Anlass für das Wirken Gottes sein.

Krankheit ist im Neuen Testament eine der bevorzugten Situationen, in denen sich die Liebe Gottes und seine Zuneigung zu den Menschen manifestiert. Gott interessiert sich für das Heil der Menschen, wobei „Heil“ nicht nur das ewige, zukünftige Leben des Menschen bedeutet, sondern auch die Linderung oder Veränderung seiner jetzigen Unheilssituation und seines Leides in der Krankheit.123 Schneider hebt auch die christologische Dimension der Krankensalbung hervor. Jesus wendet sich eindeutig gegen die damalige jüdische Anschauung, Krankheit sei ein Beweis dafür, dass der Mensch in Sünden geboren wurde. Die Krankenheilungen sind besondere Zeichen der anbrechenden Gottesherrschaft. Die Krankheiten sind wie Unheilssituationen, die Jesus bewältigen und überwinden kann.124 Bei der Frage der ekklesiologischen Dimension kann der Gemeinschaftscharakter der Krankensalbung in der Feier selber sichtbar werden. Es besteht die Möglichkeit, dieses Sakrament im Rahmen einer größeren Zusammenkunft zu feiern. Alle Sakramente sind Zeichen der Gemeinschaft der Gläubigen mit Gott und untereinander, sie sind die Grundvollzüge der Glaubensgemeinschaft. Bei der Krankensalbung sind weder der Kranke noch der Priester ausschließlich als Einzelpersonen im Blick. Sie sind in der Feier der Salbung als Glieder der ganzen Kirche tätig. Die Krankensalbung soll deutlich zeigen, dass der Kranke den Beistand der ganzen Gemeinde empfängt, dass die Kirche immer an der Seite der kranken Glieder steht.125

123 Vgl. Schneider, 1998, 220f.

124 Vgl. Schneider, 1998, 218–220.

125 Vgl. Schneider, 1998, 228f.

47 1.1.5.6 Ordo – Priesterweihe

Im Kontext des Sakramentes der Priesterweihe geht es Schneider in seinem Handbuch nicht um die Frage des „Amtes in der Kirche“, sondern um das besondere Dienstamt als einer

„unverzichtbaren Funktion in der Kirche, die für ihren Selbstvollzug wesentlich ist.“126 Deswegen streift er nur kurz die – bis heute heiß diskutierten – Fragen: hierarchische Struktur versus demokratische Kultur, weist hin auf die missverständliche Begrifflichkeit des Begriffes Priester und beschreibt die wichtigsten Etappen der Gestaltung des Leitungsamtes.

Bei der Frage nach den Grunddaten dessen, was heute „Priesterweihe“ genannt werden kann, ist die Antwort Schneiders überraschenderweise sehr vage. Man vermisst in diesem Zusammenhang selbst den im allgemeinen Teil erarbeiteten dreifachen Zugang zum Verständnis dessen, was ein Sakrament sei. Schneider knüpft bloß an das Zeichen der Handauflegung an: „Die Ordination in Form von Handauflegung verweist und verpflichtet den Ordinierten auf das in der Heiligen Schrift festgehaltene apostolische Zeugnis von Gottes Tat in Jesus, auf das lebendige Evangelium. Der Ordinierte soll bevollmächtigter Zeuge des Evangeliums Jesu Christi vor der Gemeinde sein.“127 Zu christologischen Begründungsfiguren ist einerseits zu bemerken, dass in den Evangelien das Wort „Priester“ nicht im Zusammenhang mit Jesus gebraucht wird, andererseits aber schon der Hebräerbrief das ganze Christusereignis als einen neuen Kult beschreibt, den Christus als der eigentliche Hohepriester nach der neuen Ordnung vollzogen hat. Christus ist Hohepriester, weil er sich selber zur Gabe macht, in ihm sind Opfernder und Opfergabe vereint. Sein ganzes Leben – mit dem Kreuzesgeschehen – wird zum Kult und zur Selbsthingabe.128

Im ekklesiologischen Blickwinkel weist Schneider darauf hin, dass das Priesteramt in den kirchlichen Gemeinden wichtig und unverzichtbar ist. Jeder Christ gehört zum priesterlichen Volk Gottes, jeder hat seine einzigartige Stelle in der Kirche. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass jeder alles kann und auch alles tut. Die Amtsträger haben, wie alle Gläubigen, am priesterlichen Charakter des Gottesvolkes Anteil. „Nach neutestamentlicher Redeweise sind sie allerdings keine »Kultdiener« im herkömmlichen Sinn des Wortes, sind nicht mit den

»binnenkirchlichen Sakralfunktionen« beauftragt, für die sie ausgesondert wären. Sie sind Vorsteher der Eucharistiefeier, weil sie die beauftragten, durch Handauflegung mit dem

126 Vgl. Schneider, 1998, 236.

127 Schneider, 1998, 255, im Original hervorgehoben.

128 Schneider, 1998, 243.

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Heiligen Geist erfüllten Leiter und Hirten der Gemeinde sind.“129 Mit praktischen Fragen nach den Kriterien der Auswahl der Kandidaten (Zölibatsfrage), Ordination der Frau und der ökumenischen Diskussion endet das Kapitel über das Weihesakrament.

1.1.5.7 Ehe

Der letzte Teil des Handbuchs beginnt mit der Einschränkung der Thematik. Schneider will nicht über Ehe „in jeder Hinsicht“ reden. Nur die sakramentstheologisch relevanten Ansichten kommen hier zur Sprache. Gemäß der Strukturierung des Kapitels über die „Allgemeine Sakramententheologie“ fängt auch der Teil über die Ehe mit den anthropologisch-soziologischen Daten an. Die Ehe ist eine „geschichtliche“ Größe in sich. Diese Gemeinschaft zwischen Mann und Frau wurde im Laufe der Geschichte erheblichen Wandlungen unterworfen und unterschiedlich gelebt. Gerade der Wandel im Verständnis und auch im Erleben dessen, was menschliche Sexualität ist, bringt große Herausforderungen mit sich, eine Theologie der Ehe zu entwickeln, die auf der Höhe der Zeit wäre. Schneider greift auf die Beschlüsse der Würzburger Synode zurück, bezieht sich auf Publikationen der führenden deutschen Theologen wie Joseph Ratzinger, Walter Kasper, Karl Lehmann, aber auch des Moraltheologen Franz Böckle und liefert einige Grundlinien zu einem vertieften Verständnis der sakramentalen Ehe.

Wie die meisten Theologen knüpft er an die schöpfungstheologischen Fragen an und bringt die systematische Bedeutung der Epheserstelle (Eph 5,21–33) zur Sprache, um die sakramentale Grundstruktur der Ehe zu demonstrieren. „Es geht nicht um einen Einsegnungsritus, sondern um das strukturelle Gegenübersein des Menschen zu Gott, das im menschlichen Gegenüber und Einssein sich zeigt, abbildet und realisiert. In dem Maße nämlich, wie sich Gottes Zuneigung zu den Menschen (…) zeigt in Jesus Christus, in dem Maße gewinnt auch die Ehe, die diese Gottesoffenbarung kennt und anerkennt, Zeichencharakter von neuer Dichte und wird zu einem Sakrament des Neuen Bundes.“130

Das Sakrament der Ehe hat seine besondere Bedeutung vor allem im ekklesiologischen Aspekt.

Das Zweite Vatikanische Konzil spricht von Ehe und Familie als „Hauskirche“: „Die christlichen Gatten (…) bezeichnen das Geheimnis der Einheit und der fruchtbaren Liebe zwischen Christus und der Kirche und bekommen daran Anteil (vgl. Eph 5,32). Sie fördern sich kraft des Sakramentes der Ehe gegenseitig zur Heiligung durch das eheliche Leben sowie in der Annahme und Erziehung der Kinder und haben so in ihrem Lebensstand und in ihrer Ordnung

129 Vgl. Schneider, 1998, 245.

130 Schneider, 1998, 286.

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ihre eigene Gabe im Gottesvolk (vgl. 1 Kor 7,7) (…) In solch einer Art Hauskirche sollen die Eltern durch Wort und Beispiel für ihre Kinder die ersten Glaubensboten sein und die einem jeden eigene Berufung fördern, die geistliche aber mit besonderer Sorgfalt.“131 Schneider bezieht sich in diesem Zusammenhang vor allem auf Karl Rahner und seine vor dem Konzil veröffentlichte bahnbrechende Studie „Kirche und Sakramente“. Er beschreibt die Ehe als Wesensverwirklichung der Kirche, „als gütige, als gnadenhaft geheiligte, wirklich die kleinste Gemeinschaft, die kleinste, aber noch wahre Gemeinde der Erlösten und Geheiligten, deren Einheit noch auf demselben Grund aufbauen kann, auf dem die Einheit der Kirche gegründet ist, also die kleinste, aber wahre Einzelkirche.“132 Die Kirche vollzieht sich in einem besonderen Sinn im Sakrament der Ehe. Sie ist nicht nur ein Hinweis auf die Einheit zwischen Jesus Christus und der Kirche, sondern die Ehe stellt dieses Mysterium der Einheit in sich selber dar, indem sie es vollzieht und so als gegenwärtig wirksam erweist.

1.1.6 Ein ungewöhnliches Schlusswort

Den Teil über die Allgemeine Sakramentenlehre beschließt Schneider mit einigen Zeilen, die auch heute – im Zeitalter der ausufernden Skandalmentalität – aktuell sind. „In den Sakramenten wird die Botschaft Jesu Christi gegenwärtig, wirkt sein Heiliger Geist, wendet Gott selbst sich zu uns. Dieses Wirken Gottes ist im Entscheidenden unabhängig von der Sündhaftigkeit und Unwürdigkeit des werkzeuglichen, menschlichen Spenders. Sakramente sind das Werk Gottes in Jesus Christus zu uns Menschen. Heil ist Gnade, Geschenk, von Gott gegeben, seine Zuwendung, seine Liebe. Liebe kann nur empfangen werden, und dieses Empfangen und Annehmen im Glauben ist wesentlich für den Vollzug des Sakramentes, für das Erreichen dessen, was Gott in diesen heiligen Zeichen an uns tun will. Aber seine Zuwendung geschieht in dem richtig gesetzten Zeichen und nicht in der inneren Identifikation des Spenders mit der Zuwendung Gottes. Die Zusage Gottes ist Gottes Wort und Gottes Tat.

Die Unverbrüchlichkeit und Unwiderruflichkeit seiner Zusage verlangt die Setzung des Zeichens im Namen und im Sinne der Kirche und bindet sie daran.“133

Das ganze Handbuch endet jedoch mit einer rabbinischen Geschichte, deren Sinn sich jede Leserin und jeder Leser selber entschlüsseln muss.134 So beende auch ich diese Darstellung des

131 LG 11.

132 Rahner, 1961, 99.

133 Schneider, 1998, 52f.

134 Diese Geschichte ist überraschenderweise nicht in der neuesten siebten Auflage zu finden. In der ersten, im Jahre 1979 veröffentlichten Auflage war sie kommentarlos an Stelle eines Nachworts zu finden.

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vermutlich populärsten Handbuchs der Sakramententheologie des letzten Viertels des 20.

Jahrhunderts mit dieser Geschichte:

NÄHE UND FERNE

Ein Schüler fragte den Baalschem: „Wie geht das zu, daß einer, der an Gott hängt und sich ihm nah weiß, zuweilen eine Unterbrechung und Entfernung erfährt?“ Der Baalschem erklärte:

„Wenn ein Vater seinen kleinen Sohn will gehen lernen, stellt er ihn erst vor sich hin und hält die eignen Hände zu beiden Seiten ihm nah, daß er nicht falle, und so geht der Knabe zwischen den Vaterhänden auf den Vater zu. Sowie er aber zum Vater herankommt, rückt der um ein weniges ab und hält die Hände weiter auseinander, und so fort, daß das Kind gehen lerne.“135

1.2 ANSÄTZE EINER KOMMUNIKATIVEN SAKRAMENTENTHEOLOGIE:

ALEXANDRE GANOCZY

Zu den einflussreichsten Theologen des zwanzigsten Jahrhunderts gehört auch zweifellos der Ungar Alexandre Ganoczy.136 In seinem Buch „Einführung in die katholische Sakramentenlehre“137 will er theologisch interessierten Lesern einen leichten Einstieg in die katholische Sakramententheologie ermöglichen. Der Großteil seines nicht allzu umfangreichen

135 Buber, 1949, 150. Zit. nach Schneider, 11979, 304.

136 Alexandre Ganoczy (eigentlich Sándor Gánóczy), am 12. Dezember 1928 in Budapest geboren, ist ein ungarischer Theologe und Dogmatiker. Er studierte Theologie in Budapest, Paris und Rom und erhielt 1953 seine Priesterweihe in der Diözese Esztergom. Er promovierte 1963 an der Päpstlichen Universität Gregoriana zum Doktor der Theologie und 1969 an der Sorbonne zum Doktor der Philosophie. 1966–1971 Dozent an der Theol.

Fakultät des Institut Catholique Paris und der Universität Münster. 1972 erhielt er den Lehrstuhl für Dogmatik in Würzburg, den er bis zu seiner Emeritierung 1996 innehatte. Ganoczy war zunächst bekannt geworden durch seine Arbeiten über Johannes Calvin: „Calvin, théologien de l’Eglise et du ministère“, Paris 1964; „Le jeune Calvin“, Zabern, 1966; „Ecclesia ministrans. Dienende Kirche und kirchlicher Dienst bei Calvin“, Freiburg-Basel-Wien, 1968. Von 1978 bis 1990 war Ganoczy Mitglied des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen in Deutschland. Er fungierte als Berater im Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen und als Mitglied des Redaktionskomitees von „Concilium“. Zahlreiche Buchveröffentlichungen, u. a.: „Sprechen von Gott in heutiger Gesellschaft“, Freiburg, 1974; „Der schöpferische Mensch und die Schöpfung Gottes“, Mainz, 1976; „Einführung in die katholische Sakramentenlehre“, Darmstadt, 1979; „Schöpfung und Kreativität“, Ostfildern, 1980; „Einführung in die Dogmatik“, Darmstadt, 1983; „Suche nach Gott auf den Wegen der Natur“, Ostfildern, 1992; „Der dreieinige Schöpfer – Trinitätstheologie und Synergie“, Darmstadt, 2001. Ehrendoktor der Universität Genf (1982) und der Theologischen Fakultät der Károli-Gáspár-Universität der Reformierten Kirche in Budapest (1994). Ihm wurden zwei Festschriften gewidmet: „Creatio ex amore: Beiträge zu einer Theologie der Liebe: Festschrift für Alexandre Ganoczy zum 60. Geburtstag“, Thomas Franke (Hg.), Würzburg, 1988; und

„Grenzgänge der Theologie: Professor Alexandre Ganoczy zum 75. Geburtstag“, Otmar Meuffels, Jürgen Bründl (Hg.), Münster, 2004.

137 Das Buch wurde zunächst 1979 von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft (Darmstadt) herausgegeben;

insgesamt 3 Auflagen: 1979, 1984 und 1991. Das Buch wurde ins Englische („An Introduction to Catholic Sacramental Theology“, New Jersey, 1984) und ins Französische („La Doctrine catholique des sacrements“, Paris, 1988) übersetzt. Für die Darstellung seiner Sakramententheologie benutze ich die zweite (im Jahr 1998 erschienene) Auflage.

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Buches besteht in der Referierung des gängigen Handbuchwissens.138 Dort beschreibt er den Sakramentsbegriff in seiner geschichtlichen Entwicklung, die klassischen, mit der Sakramentenpraxis verbundenen Fragen und Probleme, wie etwa Wirksamkeit, Einsetzung, Siebenzahl der Sakramente. Schlussendlich sind es die Schwerpunkte der Lehre von den einzelnen Sakramenten in der Geschichte der Kirche und in der Gegenwart, die in den Fokus der Aufmerksamkeit gestellt werden. Interessanterweise spielt auch bei Ganoczy, so wie schon bei Schneider, der Begriff „Ritus“ eigentlich keine systematische Rolle, deswegen kommt er auch im Sachregister, mit dem das Büchlein endet,139 nicht vor. Das letzte, ganze 30 Seiten umfassende Kapitel bringt ein Plädoyer „für ein kommunikationstheoretisches Sakramentsverständnis“.140

1.2.1 Eine Sakramententheologie für den Menschen der „heutigen Industriegesellschaft“?

Die Bemühung Ganoczys ist von einem hohen Selbstverständnis begleitet. So fragt er – gleichsam rückblickend auf das dargestellte Traditionswissen – zu Beginn des letzten Kapitels seines Buches: „Es läßt sich fragen, ob das letzte Wort über das Sakramentale in den Sakramenten bereits gefallen ist, so daß der ‚Einführer‘ in diese bisher so ‚bewegte‘ Lehre nur noch das bisher Gesagte einzubringen hätte. Oder hat er die Freiheit, etwa aufgrund der Selbstbefragung des Menschen, der unter den Bedingungen heutiger Industriegesellschaft lebt, nach einer neuen Synthese mit bisher systematisch kaum benutzten Denkelementen Ausschau zu halten? Gehört nicht zu seiner Aufgabe, daß auch er selbst eine Arbeitshypothese umreißt, die in aller wissenschaftlichen Bereitschaft zur Selbstrevision vielleicht zum besseren Verständnis auch der einzelnen Sakramente im Horizont gegenwärtiger Erfahrung und Praxis beitragen könnte?“141

Alexandre Ganoczy sucht also in seinen Betrachtungen den Dialog mit Human- und Kommunikationswissenschaften und betrachtet die Kirche von ihrem Wesen her als eine Kommunikationsgemeinschaft. Die Legitimation dafür liefert ihm eine bestimmte Exegese der Konzilsdokumente, allen voran die Liturgiekonstitution. Die Arbeit des Konzils „befolgte allem Anschein nach zwei Vorsätze: a) definitiv anmutende Definitionen vermeiden (…), b) die für

138 Das ganze Buch umfasst 136 Seiten; das handbuchartige Wissen ist auf den Seiten 1–105 zu finden.

139 Vgl. Ganoczy, 1979, 147f.

140 Vgl. Ganoczy, 1979, 106–136; vgl. auch Ganoczy, 1991. Der Schüler Ganoczys Hans Otmar Meuffels hat 1994 mit einer Arbeit über Kommunikative Sakramententheologie an der Universität München habilitiert. Die umfassende Arbeit ist bei Herder publiziert worden. Vgl. Meuffels, 1995.

141 Ganoczy, 1979, 107.

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heutiges Christsein relevanten Wirklichkeiten mit vornehmlich praktisch-theologischem Blick zu erfassen suchen“. Deswegen erscheinen die Sakramente in der Liturgiekonstitution „auch unter Berücksichtigung von Gegebenheiten, die heute von den sog. Human- und Kommunikationswissenschaften erforscht werden.“142 Demnach kann sich ein von ihm anvisiertes Sakramentsverständnis auf das Konzil berufen.

Den Einstieg in die theologische Reflexion bildet eine kommunikative Anthropologie. Etwas unvermittelt spricht Ganoczy davon, dass „die philosophische Anthropologie vom Menschen der Industriegesellschaft“ das Menschenbild vertritt, die man auch beim niederländischen Dogmatiker E. Schillebeeckx in seinem Sakramentsbuch findet.143 Der Mensch ist „ein geistiges Wesen“, sein Geist gibt sich zu erkennen, er teilt sich auch durch die Leiblichkeit mit.

Diese klassischen Aussagen ergänzt Ganoczy durch Erkenntnisse, die er aus der Kommunikationswissenschaft gewonnen hat.144 Die menschliche Person kann man nie isoliert

Diese klassischen Aussagen ergänzt Ganoczy durch Erkenntnisse, die er aus der Kommunikationswissenschaft gewonnen hat.144 Die menschliche Person kann man nie isoliert