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B. Einzelfragen und Problemfelder

II. Die internationale Zuständigkeit in streitigen Erbrechtsverfahren Wie bereits erläutert, fand im Bereich des streitigen Erbrechtsverfahrens bereits

3. Einschränkungen

Entsprechend den beschriebenen Erweiterungen der nach §§ 12 ff. ZPO eröffne-ten internationalen Zuständigkeit, werden verschiedene Fallgestaltungen disku-tiert, in denen die Zuständigkeit deutscher Gerichte eingeschränkt werden soll.

a. Zuständigkeitserschleichung

Die internationale Zuständigkeit soll insbesondere dann zu verneinen sein, wenn der Kläger den Eintritt der Zuständigkeitsvoraussetzungen arglistig bzw.

miss-123 Stein/Jonas/Roth vor § 12, Rn. 40; Geimer, Rn. 1041; Schack, Rn. 216; a.A.: Neuhaus, 428 ff.

124 Heldrich will das forum legis für Gestaltungsklagen zulassen: Heldrich, 181 ff.

125 Wieczorek/Schütze/Hausmann Vor § 12, Rn. 63; Schack, Rn. 216; Geimer, Rn. 1048 ff.

126 Schack, Rn. 216; Stein/Jonas/Roth vor § 12, Rn. 40; Wieczorek/Schütze/Hausmann Vor § 12, Rn. 63.

127 MK ZPO/Patzina § 12, Rn. 112; Stein/Jonas/Roth vor § 12, Rn. 40; Geimer, Rn. 1053.

bräuchlich herbeiführt. Anders als in den Fällen bloßer Simulation, in denen der Tatbestand der betreffenden Gerichtsstandsnorm schlicht nicht erfüllt ist oder in den Konstellationen, in denen der Kläger sich lediglich eine bereits bestehende Zuständigkeit zunutze macht (sog. forum shopping), wird hier also beispielswei-se ein Wohnsitz im Inland allein deshalb begründet, um zur Anwendung des dem Kläger günstigen deutschen Sach- bzw. Prozessrechts zu gelangen. Der Kläger manipuliert den Sachverhalt128.

Wie mit derlei Fallgestaltungen konstruktiv umzugehen ist, ist im Einzelnen nicht abschließend geklärt. Während die einen auf die Grundsätze von Treu und Glauben verweisen und dem Beklagten einen Arglisteinwand eröffnen wollen129, geht die wohl herrschende Lehre davon aus, dass sich das Erschleichen einer Zuständigkeit bereits dadurch vermeiden lässt, dass man sich bei der Auslegung der einzelnen Gerichtsstandsnormen stark am Telos der jeweiligen Vorschrift orientiert130. Im Ergebnis wird die von der Rechtsprechung bisher geübte Zu-rückhaltung bei der Annahme von Zuständigkeitserschleichungen131 jedoch übereinstimmend begrüßt132. Die Gerichtsstandsnormen der §§ 12 ff. ZPO tra-gen dem im Bereich der (internationalen) Zuständigkeit erhöhten Bedarf an Rechtssicherheit dadurch Rechnung, dass sie grundsätzlich an objektive Kriteri-en anknüpfKriteri-en. Hiermit wäre es nicht vereinbar, wKriteri-enn die Bejahung der interna-tionalen Zuständigkeit auf breiter Front davon abhängig gemacht würde, mit welchem subjektiven und dementsprechend kaum sicher festzustellenden Hin-tergrund der Kläger die Voraussetzungen einer bestimmten Zuständigkeitsvor-schrift verwirklicht133.

128 Riezler, 333; Neuhaus, 195; Schack, Rn. 489.

129 Geimer, Rn. 1015; Reu, 205; vgl. (unter missverständlichem Hinweis auf das Verhältnis von örtlicher und internationaler Zuständigkeit) Stein/Jonas/Roth vor § 12, Rn. 42.

130 Wieczorek/Schütze/Hausmann Vor § 12, Rn. 89; Kropholler Hdb IZVR I Kap. III, Rn. 180;

Schack, Rn. 491.

131 Vgl. z.B. BGH FamRZ 1971, 519: Keine Zuständigkeitserschleichung bei einem Wechsel der Staatsangehörigkeit nur 16 Tage vor Einreichung der Scheidung.

132 Geimer, Rn. 1015; Stein/Jonas/Roth vor § 12, Rn. 42; Schack, Rn. 490.

133 Kropholler Hdb IZVR I Kap. III, Rn. 178; Wieczorek/Schütze/Hausmann Vor § 12, Rn. 88.

Die Verneinung der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte kommt also nur in Ausnahmefällen in Betracht und setzt voraus, dass die Zuständigkeit offensichtlich erschlichen wurde. Derlei Konstellationen dürften insbesondere im Bereich erbrechtlicher Streitigkeiten äußerst selten sein.

b. Wesenseigene Unzuständigkeit

Unter Verweis auf die sog. wesenseigene Unzuständigkeit bzw. – je nach Ak-zentuierung – die wesenseigene Zuständigkeit oder eine „sachliche staatliche Unzuständigkeit“134 wurde die grundsätzlich eröffnete internationale Zuständig-keit deutscher Gerichte in der Vergangenheit für eine Vielzahl von Konstellati-onen verneint135. Angesichts der zunehmenden Anzahl und Bedeutung von Fäl-len mit Auslandsberührung ist man sich heute jedoch einig, dass auch hinsicht-lich derartiger Zuständigkeitseinschränkungen äußerste Zurückhaltung geboten ist136.

Mit Blick auf den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass die internationale Zuständigkeit nicht etwa lediglich deshalb abgelehnt werden kann, weil das deutsche Gericht ausländisches Sach-recht anzuwenden hat bzw. gezwungen ist, das deutsche VerfahrensSach-recht z.B.

dem ausländischen Erbstatut anzupassen137. Die Zuständigkeit kann allenfalls dann zu verneinen sein, wenn das ausländische Recht dem deutschen Richter eine Tätigkeit abverlangt, die mit seinem herkömmlichen Aufgabenbereich selbst nach Anpassung des deutschen Verfahrensrechts gänzlich unvereinbar wäre138.

134 Riezler, 230 ff.

135 Sehr weitgehend insbesondere Reu, 171 ff.; Riezler, 230 ff.; zum Teil wird das „Phänomen“ der wesenseigenen Unzuständigkeit auch im Bereich der Gerichtsbarkeit verortet, vgl. Kropholler, 586 f.; OLG Düsseldorf, OLGZ 1967, 61 ff.

136 Geimer, Rn. 1001; Schack, Rn. 504 ff.; vgl. Stein/Jonas/Roth vor § 12, Rn. 43 ff.

137 Vgl. BGHZ 47, 324 f. für den Fall der im italienischen Recht vorgesehenen Trennung ohne Auf-lösung des Ehebandes; Stein/Jonas/Roth vor § 12, Rn. 44 f.; Wieczorek/Schütze/Hausmann Vor

§ 12, Rn. 94.

138 BGHZ 47, 324 f.; Schack, Rn. 506; Wieczorek/Schütze/Hausmann Vor § 12, Rn. 94.

c. Positiver Kompetenzkonflikt

Unter verschiedenen Überschriften und Schlagworten werden Einschränkungen der nach den §§ 12 ff. ZPO eröffneten internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte dann erwogen, wenn eine internationale Zuständigkeit für das betref-fende Verfahren auch im Ausland gegeben ist. Man spricht von einem „positi-ven Kompetenzkonflikt“.

aa. Forum shopping

Der Begriff des „forum shoppings“ steht für das Verhalten des Klägers, der das Forum für seine Klage bei Eröffnung der internationalen Zuständigkeit in ver-schiedenen Staaten systematisch und berechnend um bestimmter rechtlicher oder tatsächlicher Vorteile Willen auswählt139. So kann der Kläger durch die Wahl eines bestimmten Gerichtsstands nicht nur über das anzuwendende Pro-zessrecht, sondern insbesondere über das Kollisionsrecht und damit letztlich auch das zur Anwendung kommende Sachrecht entscheiden140.

Die hiermit verbundene Begünstigung des Klägers löst in der einschlägigen Li-teratur zu Recht Unbehagen aus141. Zwar streitet der Grundsatz „actor sequitur forum rei“ auch auf der Ebene der internationalen Zuständigkeit für den Beklag-ten. Dessen Abwehrmöglichkeiten im Hinblick auf die hier ungleich bedeutsa-meren Folgen des dem Kläger nach § 35 ZPO zustehenden Wahlrechts sind je-doch äußerst beschränkt. Sieht man einmal von der wohl eher theoretischen Möglichkeit der Verlagerung des Vermögens bzw. des Wohnsitzes ab, so bleibt ihm – sofern sich nicht der Kläger ausdrücklich entsprechend verpflichtet hat –

139 MK ZPO/Patzina § 12, Rn. 103; Kropholler, 618; Wieczorek/Schütze/Hausmann Vor § 12, Rn.

76.

140 Wieczorek/Schütze/Hausmann Vor § 12, Rn. 77 f.; Geimer, Rn. 1099; Stein/Jonas/Roth vor § 12, Rn. 53.

141 Kropholler, 619; Stein/Jonas/Roth vor § 12, Rn. 53; Wieczorek/Schütze/Hausmann Vor § 12, Rn.

76.

lediglich die nicht unproblematische Erhebung einer negativen Feststellungskla-ge sowie in Extremfällen eine auf § 826 BGB Feststellungskla-gestützte SchadensersatzklaFeststellungskla-ge142. So unbefriedigend die geschilderte Rechtslage auch sein mag, ist sie als – jeden-falls derzeitige – Entscheidung des Gesetzgebers hinzunehmen. Sog. forum shopping ist nicht nur legal, sondern auch legitim. Der klägerische Anwalt han-delt pflichtwidrig, wenn er nicht zu einer entsprechenden Wahl des Gerichts-stands rät143. Will man die hiermit eröffnete Möglichkeit eines „exzessiven fo-rum shoppings“ unterbinden, bedarf es eines Tätigwerdens des nationalen bzw.

supranationalen Gesetzgebers. Während eine gewisse Reduzierung der konkur-rierenden bzw. die Einschränkung sog. exorbitanter internationaler Zuständig-keiten schlicht die Zahl der dem Kläger zur Auswahl stehenden Gerichtsstände verringern würde, dürfte die auf lange Sicht erstrebenswerte Vereinheitlichung des Internationalen Privatrechts und/oder des nationalen materiellen Rechts be-reits den Anreiz für sog. forum shopping entfallen lassen144.

Nach geltendem Recht beschreibt der Begriff des forum shoppings lediglich ein legales Phänomen. Eine Einschränkung der internationalen Zuständigkeit ver-mag er nicht zu begründen145.

bb. Forum non conveniens

Die im angloamerikanischen Rechtsraum angewandte Lehre vom forum non conveniens erlaubt es einem an sich international zuständigen Gericht, die eige-ne Zuständigkeit mit dem Hinweis abzuleheige-nen, dass die betreffende Streitigkeit besser von dem ebenfalls zuständigen Gericht eines anderen Staates zu

ent-142 Die h.M. lehnt die Möglichkeit einer Unterlassungsklage außerhalb des beschriebenen Ausnah-mefalls einer ausdrücklichen Verpflichtung des Klägers zu Recht ab, vgl. Wieczo-rek/Schütze/Hausmann Vor § 12, Rn. 80 ff.; Geimer, Rn. 1108 ff; a.A. Schlosser, Justizkonflikt, 37.

143 MK ZPO/Patzina § 12, Rn. 103; Stein/Jonas/Roth Vor § 12, Rn. 53; Geimer, Rn. 1096.

144 Kropholler, 619; Stein/Jonas/Roth vor § 12, Rn. 53; Wieczorek/Schütze/Hausmann Vor § 12, Rn.

79.

145 MK ZPO/Patzina § 12, Rn. 103; Stein/Jonas/Roth vor § 12, Rn. 53.

scheiden sei. Ob dies der Fall ist, hat das angerufene Gericht nach eigenem Er-messen zu entscheiden, wobei es sowohl Fragen der Sach- und Beweisnähe, als auch öffentliche Interessen wie die Arbeitsüberlastung des Gerichts, die finanzi-elle Belastung der Steuerzahler etc. zu berücksichtigen hat146.

In der älteren Rechtsprechung und Literatur ist unter Verweis auf eine angeblich größere Einzelfallgerechtigkeit vereinzelt dafür plädiert worden, die Lehre ins deutsche Recht zu übernehmen147. Ein Vorschlag, der von der herrschenden Meinung zu Recht abgelehnt wird. In der schottischen Rechtsordnung, der der Gedanke des forum non conveniens ursprünglich entstammt, werden ebenso wie im englischen und us-amerikanischen Recht verhältnismäßig geringe Anforde-rungen an die (internationale) Zuständigkeit gestellt. Die Lehre vom forum non conveniens stellt vor diesem Hintergrund ein geeignetes Mittel dar, um dem Zu-fluss unerwünschter Streitigkeiten zu begegnen. Außerdem dient sie als Ersatz für die im angelsächsischen Rechtskreis fehlende Einrede anderweitiger Rechts-hängigkeit148. In der deutschen Rechtsordnung besteht hingegen kein Bedarf für ein solches Instrument. Das deutsche Zuständigkeitsrecht basiert auf konkreten Gerichtsstandsnormen mit festen Anknüpfungen und sorgt auf diese Weise für ein hohes Maß an Vorhersehbarkeit und damit Rechtssicherheit. Eine Lehre, die die Zuständigkeit in jedem Einzelfall von der Ermessensentscheidung des Ge-richts abhängig macht, würde – vorausgesetzt sie wäre mit dem Verfassungsge-bot des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG vereinbar149 – in die-sem System nicht nur einen Fremdkörper darstellen, sondern zu einem erhebli-chen Verlust an eben dieser Rechtssicherheit führen150.

Soweit aus der größeren Sachnähe eines ausländischen Staates tatsächlich der Bedarf nach einer Zuständigkeitseinschränkung erwächst, ist diesem im Wege

146 Schack, Rn. 493 ff.; Wieczorek/Schütze/Hausmann Vor § 12, Rn. 90; Geimer, Rn. 1073.

147 Vgl. OLG Zweibrücken FamRZ 1973, 479 ff.; OLG Frankfurt StAZ 1975, 98; Wengler, NJW 1959, 127, 130.

148 Kropholler, 619; derselbe in Hdb IZVR Kap. III, Rn. 204; MK ZPO/Patzina § 12, Rn. 104.

149 Vgl. Schack, Rn. 499; Wieczorek/Schütze/Hausmann Vor § 12, Rn. 92; gänzlich ablehnend:

Geimer, Rn. 1075, MK ZPO/Patzina § 12, Rn. 105.

150 Schack, Rn. 502; Kropholler Hdb IZVR I Kap. III, Rn. 209; Geimer, Rn. 1075 ff.

einer engen bzw. einschränkenden Auslegung der einzelnen Gerichtsstandsnormen zu begegnen151. Der Verweis darauf, man sei forum non conveniens ist einem deutschen Gericht hingegen versagt.

cc. Ausschließliche ausländische Zuständigkeit

Umstritten ist, ob bzw. inwieweit die deutsche internationale Zuständigkeit in solchen Konstellationen einzuschränken ist, in denen die ausschließliche Zu-ständigkeit eines ausländischen Staates begründet ist. Zwar besteht Einigkeit dahingehend, dass die inländische Zuständigkeit nicht allein dadurch berührt wird, dass im Ausland eine ausschließliche Zuständigkeit beansprucht wird.

Nach dem Grundsatz der lex fori bestimmt allein deutsches Recht über die Er-öffnung der internationalen Zuständigkeit152. Streitig ist jedoch, wann ein aus-ländischer Gerichtsstand nach eben dieser lex fori als ausschließlich zu gelten hat. Die wohl herrschende Meinung bejaht dies immer dann, wenn in einem ent-sprechend gelagerten Sachverhalt auch eine ausschließliche deutsche internatio-nale Zuständigkeit gegeben wäre. Wenn also dieselben Anknüpfungsmomente, die aus gutem Grund eine ausschließliche deutsche Zuständigkeit zu begründen vermögen, ins Ausland weisen, soll spiegelbildlich die ausschließliche ausländi-sche Zuständigkeit zu akzeptieren sein und eine daneben grundsätzlich eröffnete konkurrierende deutsche Zuständigkeit entfallen153.

Nachdem die §§ 12 ff. ZPO für originär erbrechtliche Streitigkeiten eine aus-schließliche deutsche Zuständigkeit nicht vorsehen (1.b.), kommt damit selbst nach der völkerrechtsfreundlichen herrschenden Meinung eine Einschränkung der deutschen internationalen Zuständigkeit wegen einer ausschließlichen aus-ländischen Zuständigkeit im hier relevanten Bereich nicht in Betracht.

151 Wieczorek/Schütze/Hausmann Vor § 12, Rn. 93; Schack, Rn. 502; a.A.: Geimer, Rn. 1077a.

152 OLG Düsseldorf NJW 1969, 380; Stein/Jonas/Roth vor § 12, Rn. 50; MK ZPO/Patzina § 12, Rn.

97.

dd. Ausländische Rechtshängigkeit

Fraglich ist, wie es sich auf die grundsätzlich eröffnete internationale Zustän-digkeit deutscher Gerichte auswirkt, wenn der betreffende Streitfall bereits im Ausland rechtshängig ist. Würde man in dieser Konstellation ungeprüft auch ein Gerichtsverfahren in Deutschland einleiten, so bestünde die Gefahr wider-sprüchlicher Entscheidungen, die den Rechtsfrieden nachhaltig stören und die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung hindern könnten. Ein Konflikt, den es bereits aus Gründen der Prozessökonomie in einer möglichst frühen Pha-se des Verfahrens zu löPha-sen gilt154.

Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung dieser Problematik, die gleichsam an der Schnittstelle von Entscheidungs- und Anerkennungszuständigkeit zu veror-ten ist, findet sich nur im Seerecht. Das in § 738a HGB aufgestellte Gegensei-tigkeitserfordernis erscheint jedoch rechtspolitisch fragwürdig, weshalb die Vorschrift übereinstimmend für nicht verallgemeinerungsfähig gehalten wird155. Stattdessen findet nach allgemeiner Meinung die Regelung des § 261 Abs. 3 Nr.

1 ZPO entsprechende Anwendung. Sofern mit einer Anerkennung des ausländi-schen Urteils zu rechnen ist (positive Anerkennungsprognose), kann die Streit-sache während der Dauer der ausländischen Rechtshängigkeit also nicht in Deutschland anhängig gemacht werden156.

So klar und unproblematisch dieses Prioritätsprinzip auf den ersten Blick klin-gen mag: Die Einzelheiten der analoklin-gen Anwendung des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO sind äußerst streitig und zum Teil bis heute nicht geklärt. Um den Rahmen der vorliegenden Darstellung nicht zu sprengen, sollen nachfolgend daher

ledig-153 Wieczorek/Schütze/Hausmann Vor § 12, Rn. 74; MK ZPO/Patzina § 12, Rn. 97; Matthies, 43;

a.A.: Stein/Jonas/Roth vor § 12, Rn. 47; umstritten ist darüber hinaus, was gelten soll, wenn der ausländische Staat die aus deutscher Sicht eröffnete ausschließliche Zuständigkeit überhaupt nicht in Anspruch nimmt, vgl. Kropholler Hdb IZVR I Kap. III, Rn. 156.

154 Vgl. BGH NJW 1986, 2195 (2196) m.w.N.; Wieczorek/Schütze/Hausmann Vor § 12, Rn. 83;

MK ZPO/Patzina § 12, Rn. 76; Riezler, 452 ff.

155 Soergel/Kronke Art. 38 EGBGB Anh IV, Rn. 116; Geimer, Rn. 2705.

156 BGH NJW 1986, 2195 f.; MK ZPO/Patzina § 12, Rn. 75; Wieczorek/Schütze/Hausmann Vor § 12, Rn. 83; Soergel/Kronke Art. 38 EGBGB Anh IV, Rn. 116 f.

lich die wichtigsten Streitpunkte aufgezeigt und die jeweils herrschende Mei-nung angedeutet werden.

Umstritten sind bereits die Voraussetzungen der Anwendung des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO. Zwar besteht Einigkeit darüber, dass die Frage des Bestehens aus-ländischer Rechtshängigkeit grundsätzlich nach der ausländischen Verfahrens-ordnung zu beantworten ist157. Vereinzelt wird jedoch vertreten, dies könne dann nicht gelten, wenn nach den einschlägigen ausländischen Vorschriften „Rechts-hängigkeit“ bereits mit der Einreichung der Klage bzw. des Antrags bei Gericht eintritt158.

Die vorzunehmende Anerkennungsprognose wirft häufig praktische Anwen-dungsprobleme auf. So kann beispielsweise das Prozessverhalten des Beklagten im Ausland die Rechtslage im Hinblick auf die Anerkennung der anstehenden Entscheidung unerwartet verändern oder ein sich abzeichnender Verstoß gegen den inländischen ordre public überraschend geheilt werden159.

Zwar ist man sich grundsätzlich einig, dass eine Ausnahme von der Anwendung des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO zu machen ist, wenn dem Inlandskläger andernfalls eine unzumutbare Beeinträchtigung des Rechtsschutzes droht. Unklar ist jedoch, unter welchen Voraussetzungen von einer derartigen Beschneidung der klägeri-schen Rechte auszugehen ist160.

Auch die Rechtsfolge des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO ist problematisch und streitig.

Während eine Ansicht die nachträglich erhobene inländische Klage in jedem Fall als unzulässig abweisen möchte161, lässt die wohl herrschende Meinung in

157 Soergel/Kronke Art. 38 EGBGB Anh IV, Rn. 117; MK ZPO/Becker-Eberhard § 261, Rn. 74;

Geimer, Rn. 2697 ff.

158 Geimer, Rn. 2701; Heiderhoff, 195; Schack, Rn. 756 ff.

159 Schack, Rn. 755; Geimer, Rn. 2717 ff.; Dohm, 262.

160 Vgl. MK ZPO/Patzina § 12, Rn. 76; Geimer, Rn. 2725; derselbe in NJW 1984, 527 (529); BGH NJW 1952, 705 f.; 1983, 1269 f.; 1986, 2195 f.

161 Vgl. Stein/Jonas/Roth § 261, Rn. 23.

Ausnahmefällen eine Aussetzung des Verfahrens analog § 148 ZPO zu162. Wie-der anWie-dere bejahen die beschriebene Aussetzungsmöglichkeit weitergehend oWie-der gar generell163.

Schließlich drohen zusätzliche Probleme dann, wenn sich sowohl das in- als auch das ausländische Gericht für „später angerufen“ halten und daher eine Ent-scheidung in der Sache nicht treffen. In der umgekehrten Konstellation, in der sich beide Gerichte für „zuerst angerufen“ und folglich in der Sache entschei-dungsbefugt halten, schließt sich die Frage an, wie das inländische Gericht mit der Tatsache umzugehen hat, dass das ausländische Gericht die aus der eigenen Sicht zeitlich vorangehende inländische Rechtshängigkeit „übergangen“ hat164. Wie die vorstehende Auswahl an ungeklärten bzw. streitigen Rechtsfragen deut-lich macht, war die Behandlung ausländischer Rechtshängigkeit nach dem bis zum 01.09.2009 geltenden autonomen Recht in hohem Maße problematisch.

d. Fehlende Anerkennung bzw. Vollstreckbarkeit

Vereinzelt wurde schließlich vertreten, die nach den §§ 12 ff. ZPO eröffnete in-ternationale Zuständigkeit deutscher Gerichte sei dann zu verneinen, wenn ab-zusehen ist, dass das betreffende Urteil im Ausland keine Wirkung entfalten, also nicht anerkannt bzw. jedenfalls nicht vollstreckt werden wird165.

Dem ist entschieden entgegen zu treten. § 606a Abs. 1 Nr. 4 ZPO (jetzt § 98 Abs. 1 Nr. 4 FamFG), der eine entsprechende Abhängigkeit von der Anerken-nung im Ausland vorsah, war allein der besonderen Bedeutung geschuldet, die der Gesetzgeber der Vermeidung hinkender Rechtsverhältnisse in der besonde-ren Konstellation der Eheverfahbesonde-ren beimisst. Die Vorschrift stellte gerade eine

162 BGH NJW 1986, 2195 f.; MK ZPO/Patzina § 261, Rn. 76.

163 Geimer, Rn. 2688, 2724; derselbe in NJW 1984, 527 (528); Dohm, 278 ff.

164 Soergel/Kronke Art. 38 EGBGB Anh IV, Rn. 118; Geimer, Rn. 2704 c, f, g.

165 Walchshöfer ZZP 80 (1967), 165 (188 f., 199, 205, 216).

Ausnahme von dem allgemeinen Grundsatz dar, nach dem das Interesse an in-nerstaatlichem Rechtsschutz schwerer wiegt als das Streben nach internationa-lem Entscheidungseinklang166. Gegen die Berücksichtigung der fehlenden Aner-kennung im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung sprechen zudem rechtsprakti-sche Überlegungen. Wollte man die internationale Zuständigkeit davon abhän-gig machen, dass das entsprechende Urteil im Ausland anerkannt wird, so müss-te jedes deutsche Gericht vor der Entscheidung über die eigene Zuständigkeit gegebenenfalls umfangreiche Überlegungen zur Anerkennung nach dem auslän-dischen Recht unter Umständen gleich mehrerer Staaten anstellen. Ein Auf-wand, der auch mit dem begrüßenswerten Bemühen um internationalen Ent-scheidungseinklang nicht zu rechtfertigen ist167. Schließlich würde das beschrie-bene Abhängigkeitsverhältnis dazu führen, dass ausländische Gesetzgeber ver-mittelt über die eigenen Anerkennungsregelungen Einfluss auf die internationale Zuständigkeit nach „autonomem“ deutschem Recht nehmen könnten. Ein Zu-sammenhang, der mit dem herrschenden Verständnis der aus der Gebietshoheit abgeleiteten staatlichen Gerichtsbarkeit nur schwer zu vereinen ist. Nach ganz herrschender Meinung wirkt sich die zu erwartende Verweigerung der Anerken-nung des Urteils daher selbst dann nicht auf die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts aus, wenn die betreffende Entscheidung in erster Linie im Ausland Wirkung erzielen soll und der Rechtsstreit dort erforderlichenfalls noch einmal geführt werden muss168.

Dass auch die im Ausland fehlende Vollstreckbarkeit (aus sonstigen Gründen) keine Auswirkungen auf die internationale Zuständigkeit haben kann, ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass das Rechtsschutzbedürfnis auch bei reinen Inlandsfällen nicht etwa lediglich deshalb zu verneinen ist, weil der Beklagte vermögenslos ist. Ob eine Entscheidung vollstreckt werden kann, ist erst im Rahmen des gegebenenfalls erforderlichen Zwangsvollstreckungsverfahrens zu

166 Wieczorek/Schütze/Hausmann Vor § 12, Rn. 64; Schack, Rn. 210; Stein/Jonas/Roth vor § 12, Rn. 49; Geimer, Rn. 991.

167 Stein/Jonas/Roth vor § 12, Rn. 49; Schack, Rn. 210.

168 BGH WM 1980, 410 (412); Heldrich, 120, 122, 162 f.; Adam, 105 f., Fn. 52; a.A.: Walchshöfer ZZP 80 (1967), 165 (188 f., 199, 205, 216).

prüfen. Die Frage der Zuständigkeit im Erkenntnisverfahren bleibt hiervon un-berührt169.