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A. Der Begriff der internationalen Zuständigkeit

4. Autonomes deutsches Recht

Der von EuGH und BVerfG entwickelte Anwendungsvorrang zugunsten des Unionsrechts, sowie der im Völkerrecht anerkannte Grundsatz des Vorrangs staatsvertraglicher Regelungen führen dazu, dass autonomes34 deutsches Recht nur dort zur Anwendung kommt, wo weder europäisches Sekundärrecht, noch staatsvertragliche Bestimmungen eingreifen35. Hierbei gilt es zu beachten, dass ein Staat ausschließlich die Zuständigkeit seiner eigenen Gerichte unmittelbar regeln kann36, eine Tatsache, die sich bereits aus dem vorrangig zu prüfenden Begriff der Gerichtsbarkeit und letztlich aus dem Grundsatz staatlicher Souve-ränität ergibt.

Der deutsche Gesetzgeber hat die internationale Zuständigkeit nicht etwa allge-mein und im Zusammenhang mit dem internationalen Privatrecht geregelt.

Vielmehr sind die betreffenden Normen innerhalb der verschiedenen Verfah-rensgesetze, namentlich in ZPO und FamFG (früher FGG) verstreut37. Für den Rechtsanwender erschwerend kommt hinzu, dass nur wenige dieser Normen die

32 Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16. September 1988, veröffentlicht im BGBl 1994 II, 2660 ff.; neu gefasst am 30. Oktober 2007, in der revidierten Fassung veröffentlicht im ABl EU 2007 Nr. L 339 vom 21.12.2007, 3 ff.

33 Schlosser, Einleitung Rn. 14 ff.; Kropholler, 577 ff.; Stein/Jonas/Roth Vor § 12, Rn. 29 f.

34 „Autonomie“ von altgriechisch αυτονομία bedeutet „sich selbst Gesetze gebend“.

35 Kropholler, 572 f.; Wieczorek/Schütze/Hausmann Vor § 12, Rn. 46; Savigny/Schäuble in: Haus-mann/Hohloch, Handbuch des Erbrechts, 1802 f.; Geimer, Rn. 1881; Stein/Jonas/Roth Vor § 12, Rn. 32; Oppermann/Classen/Nettesheim, 207; Koenig/Haratsch, Rn. 122 ff.

36 RGZ 9, 393, 396; BGH NJW 1956, 1031; Neuhaus, 410; Wieczorek/Schütze/Hausmann Vor § 12, Rn. 46.

37 Schütze, 42 f.; Kropholler, 573; Patzina, Rn. 90 ff.

internationale Zuständigkeit ausdrücklich regeln (vgl. z.B. die §§ 98 ff.

FamFG). Zum weit überwiegenden Teil muss die internationale Zuständigkeit mittelbar aus den Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit abgeleitet wer-den, vgl. insbesondere die §§ 12 ff. ZPO, 105 FamFG. Man spricht insofern von der Doppelfunktionalität der Gerichtsstandsnormen38. Wie noch zu zeigen sein wird, handelt es sich hierbei jedoch lediglich um einen Grundsatz, der an ver-schiedensten Stellen eingeschränkt, erweitert oder sonst durchbrochen wird39.

III. Bedeutung

Die Prüfung von Zuständigkeiten ist, jedenfalls in der deutschen Rechtsordnung, regelmäßig von eher nachrangiger Bedeutung. Ob ein Rechtsstreit von einem Amts- oder Landgericht bzw. vom Landgericht des einen Bezirks oder aber von dem eines anderen entschieden wird, wirkt sich auf die Möglichkeit der Rechts-verfolgung und die mit ihr verbundenen Erfolgsaussichten grundsätzlich nicht weiter aus.

Geradezu gegenteilig verhält es sich in auslandsbezogenen Rechtsstreitigkeiten mit der Prüfung der internationalen Zuständigkeit. Dies ergibt sich bereits aus der in der Regel großen räumlichen Entfernung ausländischer Gerichte und der hiermit verbundenen Hindernisse. So bedeutet die Bejahung einer ausländischen internationalen Zuständigkeit in der Vielzahl der Fälle nicht nur einen geogra-phisch erschwerten Zugang zu Gericht und Beweismitteln, sondern auch eine erhebliche Kostenbelastung und sprachliche Schwierigkeiten, die zur echten Hürde erwachsen können40. Von zumindest ebenso großer Bedeutung sind die Konsequenzen, die die internationale Zuständigkeit für die Wirkung der erstrit-tenen Entscheidung hat. Verbindlich und vollstreckbar ist ein Urteil im Aus-gangspunkt – jedenfalls bis heute – nur in dem Staat, in dem es ergangen ist.

Inwieweit es auch im Ausland Wirkung entfaltet, hängt dann von den dort

gel-38 Gottwald, 180; Schack, Rn. 189; Schütze, 43; MK ZPO/Patzina § 12, Rn. 90.

39 Stein/Jonas/Roth Vor § 12, Rn. 34 ff.; MK ZPO/Patzina § 12, Rn. 95 ff.; Wieczorek/Schütze/

Hausmann Vor § 12, Rn. 62 ff.

tenden Vorschriften über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen ab41. Der entscheidende Aspekt, der die internationale Zustän-digkeit in Fällen mit Auslandsbezug zu der wichtigsten aller Weichenstellungen macht, liegt jedoch in deren unmittelbarer Verknüpfung mit der Frage des an-wendbaren Rechts. Sowohl das anzuwendende Verfahrensrecht, als auch das von dem betreffenden Gericht zugrunde zu legende Kollisionsrecht bestimmen sich grundsätzlich nach der lex fori. Mit der Bejahung der internationalen Zu-ständigkeit eines Staates geht damit in aller Regel auch die Anwendung von dessen Prozess- und Kollisionsrecht einher. Da insbesondere letzteres im Erb-recht noch immer nicht vereinheitlicht ist, bestimmt die internationale Zustän-digkeit mittelbar also auch über das anzuwendende Sachrecht und damit häufig über die Entscheidung des Prozesses42.

IV. Untersuchungsgegenstand

Mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit bleibt noch auf die folgenden Aspekte hinzuweisen:

Zu untersuchen ist ausschließlich die sog. direkte oder unmittelbare Zuständig-keit, also die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen deutsche Stellen das Recht und die Pflicht haben, in einem bestimmten Fall tätig zu werden. Außer Betracht bleibt hingegen die Frage, ob die Stellen eines ausländischen Staates aus Sicht des deutschen Rechts die Kompetenz zu einer bestimmten Verrichtung hatten und ob diese folglich im Inland Wirkung entfaltet, d.h. anerkannt werden kann (sog. indirekte oder mittelbare Zuständigkeit43).

Auch wenn im 5. Kapitel die in der Entstehung begriffene EuErbVO und damit originär europäisches Recht untersucht werden soll, das die Rechtslage in

sämt-40 Wieczorek/Schütze/Hausmann Vor § 12, Rn. 42; Kropholler, 590; derselbe in Hdb IZVR, 204.

41 Kropholler, 590; derselbe in Hdb IZVR, 204; Wieczorek/Schütze/Hausmann Vor § 12, Rn. 42.

42 Vgl. statt vieler: BGHZ 44, 46, 50.

43 Kropholler, 590 f.; Jellinek, 26 f.; Makarov, 704; Heldrich, 71.

lichen Unionsstaaten44 reformieren wird, bildet den Gegenstand der vorliegen-den Betrachtung allein die deutsche Rechtsordnung. In dem angesprochenen 5.

Kapitel wird daher ausschließlich zu prüfen sein, in welcher Weise die deutsche Rechtslandschaft durch das Inkrafttreten der vorgeschlagenen Verordnung ver-ändert würde.