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Doppelfunktionalität der Gerichtsstandsnormen

B. Einzelfragen und Problemfelder

II. Die internationale Zuständigkeit in streitigen Erbrechtsverfahren Wie bereits erläutert, fand im Bereich des streitigen Erbrechtsverfahrens bereits

1. Doppelfunktionalität der Gerichtsstandsnormen

Den Bereich der bis zum 01.09.09 noch in den §§ 606 ff. ZPO geregelten Ehe- und Kindschaftssachen einmal ausgenommen, enthielt und enthält die Zivilpro-zessordnung keine ausdrückliche Normierung der internationalen Zuständig-keit83. Hierin ist richtiger Weise nicht etwa eine Regelungslücke zu sehen84, vielmehr ergibt sich die Doppelfunktion der Normen über die örtliche Zustän-digkeit bereits aus der Entstehungsgeschichte der ZPO. Zwar war das Problem der internationalen Zuständigkeit zur Zeit der Beratung des Gesetzes in seiner Bedeutung noch nicht klar erkannt (vgl. oben 2. Kap. A.I.), dessen ungeachtet geht aus den Materialien des Gesetzes aber zweifelsfrei hervor, dass der Gesetz-geber mit den Gerichtsstandsnormen auch die Frage entscheiden wollte, wann die deutschen Gerichte in Fällen mit Auslandsberührung überhaupt tätig werden sollen85. Dementsprechend enthalten einige der Zuständigkeitsvorschriften sogar ausdrückliche Regelungen speziell für Auslandsfälle: die §§ 15, 23, 23a86 und 27 Abs. 2 ZPO betreffen primär die internationale Zuständigkeit – freilich ohne diese beim Namen zu nennen – und regeln lediglich zusätzlich die Frage der ört-lichen Zuständigkeit. Diejenigen Vorschriften der §§ 12 ff. ZPO, die eine

mög-83 BGHZ 44, 46; Kropholler Hdb IZVR I Kap. III, Rn. 30; Heldrich, 168.

84 Stein/Jonas/Roth vor § 12, Rn. 32; MK ZPO/Patzina § 12, Rn. 93; Kropholler Hdb IZVR I Kap.

III, Rn. 33.

85 Kropholler Hdb IZVR I Kap. III, Rn. 31 f.; Wieczorek/Schütze/Hausmann Vor § 12, Rn. 48, Fn.

96; Heldrich, 168, Fn. 1; MK ZPO/Patzina § 12, Rn. 90; Stein/Jonas/Roth vor § 12, Rn. 32; a.A.:

Walchshöfer, ZZP 80 (1967), 165 (185 ff.).

86 Zum 01.09.2009 weggefallen.

liche Auslandsberührung nicht ausdrücklich ansprechen, haben einen identi-schen Regelungsumfang: sie regeln ebenfalls sowohl die internationale, wie auch die örtliche Zuständigkeit. Nachdem der Schwerpunkt bei diesen Vor-schriften jedoch mehr auf letzterer Kategorie liegt, wird der Aspekt der interna-tionalen Zuständigkeit nicht ausdrücklich erwähnt87.

Die Überlegungen und Beweggründe, die den Gesetzgeber zu einer Zeit, in der das Problem der internationalen Zuständigkeit – wie bereits erwähnt – noch nicht voll erkannt war, dazu bewogen haben dürften, derart doppelfunktionale Normen zu schaffen, sind plausibel und ohne weiteres nachvollziehbar: Örtli-cher und internationaler Zuständigkeit kommt die gemeinsame Aufgabe der räumlich besten Abgrenzung zu, was in den meisten Fällen zu denselben An-knüpfungsmomenten führt88.

Mit der ständigen Rechtsprechung des BGH89, die sich bereits auf eine gefestig-te Judikatur des Reichsgerichts stützen konngefestig-te90 und der die Literatur nahezu einhellig gefolgt ist91, ist daher davon auszugehen, dass die Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit die Frage der internationalen Zuständigkeit mitregeln (Grundsatz der Doppelfunktionalität der Gerichtsstandsnormen).

a. Qualifikation und Auslegung

Wenn also die internationale Zuständigkeit im streitigen Erbrechtsverfahren an-hand der einschlägigen Gerichtsstandsnormen der ZPO zu bestimmen ist, drän-gen sich unmittelbar die foldrän-genden beiden Fradrän-gen auf. Erstens: nach Maßgabe

87 Vgl. Kropholler Hdb IZVR I Kap. III, Rn. 33 ff.; MK ZPO/Patzina § 12, Rn. 93; Stein/Jonas/

Roth vor § 12, Rn. 32; Wieczorek/Schütze/Hausmann Vor § 12, Rn. 48.

88 Kegel/Schurig, 897; Stein/Jonas/Roth vor § 12, Rn. 32.

89 BGHZ 44, 46; 94, 156 (158); 115, 90 (92); 120, 334 (337); besonders deutlich: BGH NJW 1997, 2245.

90 RGZ 126, 196 (198); 150, 265 (268).

91 M.w.N.: Stein/Jonas/Roth vor § 12, Rn. 32; Wieczorek/Schütze/Hausmann Vor § 12, Rn. 48; kri-tisch: Pfeiffer, 77, 785; Walchshöfer, NJW 1972, 2164 (2165); derselbe in ZZP 80 (1967), 165 (185 ff.).

welcher Rechtsordnung sind die zu behandelnden Sachverhalte unter die in den betreffenden Normen beschriebenen Anknüpfungsgegenstände wie beispiels-weise den der Erbschaft (§ 27 Abs. 1 ZPO) zu subsumieren? Und zweitens:

nach welchem Recht sind die sonstigen Zuständigkeitsvoraussetzungen und An-knüpfungsmomente wie z.B. der „Wohnsitz“ (§ 13 ZPO) zu präzisieren? Auch wenn beide Fragen zum Teil vermengt und scheinbar beliebig mit den Begriffen Qualifikation oder Auslegung überschrieben werden92, sollten sie entsprechend der Terminologie des internationalen Privatrechts auseinander gehalten und als erstens Qualifikation und zweitens Auslegung verstanden werden93.

Die bisweilen anzutreffende begriffliche Ungenauigkeit dürfte wohl damit zu erklären sein, dass beide Fragestellungen in gleicher Weise zu beantworten sind.

Wann immer Zuständigkeitsvorschriften des autonomen deutschen Rechts An-wendung finden (z.B. die Gerichtsstandsnormen der ZPO), erfolgen sowohl Qualifikation als auch Auslegung grundsätzlich nach der lex fori, also nach deutschem Recht94. Von diesem Grundsatz sind nur wenige Ausnahmen zu ma-chen:

Zum einen wird die Staatsangehörigkeit stets nach dem Recht des Staates beur-teilt, dessen Staatsangehörigkeit in Rede steht95. Zum anderen wird für die Be-stimmung des vertraglichen Erfüllungsortes im Sinne des § 29 ZPO nach herr-schender Meinung auf das Vertragsstatut, mithin die lex causae, abgestellt96. In-soweit sei jedoch bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass § 29 ZPO im Erbrecht wohl kaum eine Rolle spielen wird. Nachdem diese Vorschrift aus-drücklich auf eine vertragliche Verpflichtung abzielt, findet sie auf Verfügungen (von Todes wegen) und damit insbesondere auch auf Erbverträge keine

Anwen-92 So z.B. Schröder, 135; Schack, Rn. 46 ff.

93 Kropholler, Hdb IZVR Kap. III, Rn. 79; vgl. Wieczorek/Schütze/Hausmann Vor § 12, Rn. 60.

94 Kropholler Hdb IZVR I Kap. III, Rn. 80 f.; vgl. Savigny/Schäuble in: Hausmann/Hohloch, Hand-buch des Erbrechts, 1804; Wieczorek/Schütze/Hausmann Vor § 12, Rn. 60; Riezler, 137.

95 Riezler, 137; Linke/Hau, Rn. 67; Wieczorek/Schütze/Hausmann Vor § 12, Rn. 60.

96 Kropholler Hdb IZVR I Kap. III, Rn. 80; Wieczorek/Schütze/Hausmann Vor § 12, Rn. 60.

dung97. Schließlich soll nach umstrittener und im Ergebnis wohl abzulehnender Ansicht über das Vorliegen eines Wohnsitzes im Ausland nach ausländischem Recht zu entscheiden sein98.

Hinsichtlich aller übrigen Anknüpfungsgegenstände und -momente findet nach allgemeiner Meinung ausschließlich die lex fori Anwendung, sind Qualifikation und Auslegung nach deutschem Recht vorzunehmen.

b. Die Gerichtsstände im Einzelnen

Mit Blick auf den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung kommt aus-schließlich den Gerichtsstandsnormen der ZPO Bedeutung zu, die in originär erbrechtlichen Streitigkeiten, also in solchen Verfahren eröffnet sind, die in Fol-ge eines Erbfalls auftreten und aus dem Erbrecht resultieren.

Es sind dies zunächst die parteibezogenen allgemeinen Gerichtsstände der §§ 12 ff. ZPO. Hinzu kommen der besondere Gerichtsstand des Aufenthaltsorts nach § 20 ZPO, der einschränkend auszulegende besondere Gerichtsstand des Vermö-gens und des GeVermö-genstandes nach § 23 ZPO sowie der besondere Gerichtsstand der Widerklage, § 33 ZPO. Nachdem keiner dieser Gerichtsstände einen spezi-fisch erbrechtlichen Bezug aufweist, kann insofern auf die entsprechende Kommentarliteratur verwiesen werden.

Speziell auf den Bereich des Erbrechts zugeschnitten ist demgegenüber der be-sondere bzw. erweiterte Gerichtsstand der Erbschaft (§§ 27 f. ZPO), dessen Sinn und Zweck gerade darin liegt, die im Zusammenhang mit einem Erbfall auftre-tenden Rechtsstreitigkeiten vor einem regelmäßig sach- und vollstreckungsna-hen Gericht zu konzentrieren99.

97 OLG Celle, MDR 1962, 992; Musielak/Heinrich § 29, Rn. 6; MK ZPO/Patzina § 29, Rn. 12.

98 Geimer, Rn. 1269 m.w.N; einschränkend: Musielak/Heinrich § 16, Rn. 2; MK ZPO/Patzina § 16, Rn. 3; a.A: Neuhaus, FamRZ 1961, 540 (541), Kropholler Hdb IZVR I Kap. III, Rn. 276 f.

99 Savigny/Schäuble in: Hausmann/Hohloch, Handbuch des Erbrechts, 1806; Musielak/Heinrich § 27, Rn. 1; Zöller Vollkommer § 27, Rn. 1; Stein/Jonas/Schumann §27, Rn. 1a.

§ 27 Abs. 1 ZPO knüpft an den allgemeinen Gerichtsstand des Erblassers zur Zeit seines Todes an und verweist damit auf die bereits angesprochenen §§ 12 ff. ZPO. Voraussetzung für die Anwendung des Verweises ist, dass das betref-fende Verfahren einen der in § 27 Abs. 1 ZPO enumerativ aufgezählten Streit-gegenstände zum Inhalt hat. Die Klage muss also die Feststellung des Erbrechts, Ansprüche gegen den Erbschaftsbesitzer, Ansprüche aus Vermächtnis, Ansprü-che aus sonstigen Verfügungen von Todes wegen, PflichtteilsansprüAnsprü-che oder die Teilung der Erbschaft zum Gegenstand haben. Nachdem die verschiedenen Va-rianten weitestgehend selbst erklärend sind und sämtliche Einzelheiten in den einschlägigen Kommentierungen umfassend aufgearbeitet wurden, sei an dieser Stelle lediglich darauf hingewiesen, dass die Parteirolle der Beteiligten an den benannten Verfahren für die Anwendung des § 27 Abs. 1 ZPO ebenso gleich-gültig ist, wie die Art der bemühten Klage100. Auch ohne die vereinzelt vorge-schlagene großzügige Auslegung101 bzw. analoge Anwendung der Regelung102 dürften daher nahezu sämtliche, durch einen Erbfall entstehenden Ansprüche und Rechtsverhältnisse erfasst sein103.

§ 27 Abs. 2 ZPO stellt für deutsche Erblasser Hilfsgerichtsstände am letzten in-ländischen Wohnsitz bzw. – falls ein solcher nicht vorhanden ist – beim Amts-gericht Schöneberg zur Verfügung (§ 15 Abs. 1 S. 2 ZPO). Hintergrund der Re-gelung des § 27 Abs. 2 ZPO ist die Tatsache, dass das deutsche autonome inter-nationale Privatrecht in Art. 25 EGBGB deutsches Sachrecht auch dann für an-wendbar erklärt, wenn ein deutscher Erblasser keinen allgemeinen Gerichtsstand in Deutschland hatte. In diesen Fällen soll dann auch ein inländischer Gerichts-stand eröffnet sein104. Zum Teil wird aus dieser Überlegung eine internationale

100 Anders nur im Fall der ausdrücklich erwähnten Klage auf Feststellung des Erbrechts, Zöller/

Vollkommer § 27, Rn. 3; Tho/Pu/Hüßtege § 27, Rn. 1; MK ZPO/Patzina § 27, Rn. 4.

101 Baumbach/Hartmann § 27, Rn. 2.

102 Staudinger/Dörner (2007) Art. 25 EGBGB, Rn. 817.

103 Vgl. Musielak/Heinrich § 27, Rn. 3 f.; MK ZPO/Patzina § 27, Rn. 4; Stein/Jonas/Schumann § 27, Rn. 6; Savigny/Schäuble in: Hausmann/Hohloch, Handbuch des Erbrechts,1804.

104 Stein/Jonas/Schumann § 27, Rn. 3; Zöller/Vollkommer § 27, Rn. 2; MK ZPO/Patzina § 27, Rn.

1; Baumbach/Hartmann § 27, Rn. 10.

Zuständigkeit analog § 27 Abs. 2 ZPO auch für sonstige Konstellationen abge-leitet, in denen deutsches materielles Erbrecht zur Anwendung kommt105. Ange-sichts der Tatsache, dass der Gesetzgeber in § 27 Abs. 2 ZPO jedoch ausdrück-lich an die in diesen Fällen gerade nicht bestehende deutsche Staatsangehörig-keit des Erblassers angeknüpft hat, erscheint die Annahme einer solchen

„Gleichlaufzuständigkeit“ als problematisch.

Während § 27 ZPO wie dargestellt einen Gerichtsstand für diejenigen Ansprü-che und Rechtsverhältnisse eröffnet, die durch den Erbfall als solAnsprü-chen entstehen, regelt § 28 ZPO den Gerichtsstand für Klagen der Nachlassgläubiger und erwei-tert den besonderen Gerichtsstand der Erbschaft damit für sämtliche Verfahren betreffend solche Nachlassverbindlichkeiten, die nicht bereits von § 27 ZPO ab-gedeckt sind106. Im Hinblick auf den Begriff der Nachlassverbindlichkeit wird auf die gesetzliche Regelung in § 1967 BGB und die zugehörige Kommentarli-teratur verwiesen. Zu beachten ist jedoch, dass der Gerichtsstand des § 28 ZPO nur zeitlich begrenzt zur Verfügung steht. Während im Fall eines Alleinerben erforderlich ist, dass sich noch zumindest ein Nachlassgegenstand im Bezirk des nach §§ 27, 12 ff. ZPO zuständigen Gerichts befindet, kommt es bei Erbenge-meinschaften darauf an, dass die gesamtschuldnerische Haftung nach § 2058 BGB für die streitgegenständliche Nachlassverbindlichkeit noch besteht107. Keine der vorstehend benannten Vorschriften normiert einen ausschließlichen Gerichtsstand, so dass grundsätzlich das Wahlrecht nach § 35 ZPO eröffnet wä-re. Nachdem die Vorschriften des deutschen autonomen Rechts jedoch aus-schließlich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte zu begründen vermögen108, kommt § 35 ZPO nur dann zur Anwendung, wenn zusätzlich nach

105 Heldrich, 197; Stein/Jonas/Schumann § 27, Rn. 5; vgl. Prütting/Gehrlein/Lange § 27, Rn. 1.

106 Stein/Jonas/Schumann § 27, Rn. 1; Prütting/Gehrlein/Lange § 28 Rn. 1 f.; Baumbach/Hartmann

§ 28, Rn. 1 f.

107 Savigny/Schäuble in: Hausmann/Hohloch, Handbuch des Erbrechts, 1810; Tho/Pu/Hüßtege § 28, Rn. 2 f.; Zöller/Vollkommer § 28, Rn. 3 f.; MK ZPO/Patzina § 28, Rn. 3 f.

108 Dies folgt bereits aus den Grenzen der aus der staatlichen Souveränität erwachsenden Gerichts-barkeit, vgl. BGH JZ 1958, 241 (242); Müller-Gindullis, 79; Matthies, 30; Schweizer, DRiZ 1968, 365 (366).

ausländischem Recht die internationale Zuständigkeit eines ausländischen Ge-richts eröffnet ist109.

2. Erweiterungen

In verschiedenen Konstellationen wird die Eröffnung der internationalen Zu-ständigkeit deutscher Gerichte bejaht bzw. zumindest diskutiert, obwohl gerade keine der doppelfunktionalen Gerichtsstandsnormen der §§ 12 ff. ZPO Anwen-dung findet. Da die beschriebenen Erweiterungen jedenfalls im Grundsatz nicht auf bestimmte Streitgegenstände beschränkt sind, können sie auch im Bereich des Erbrechts Bedeutung erlangen.

a. Notzuständigkeit

Die bedeutsamste dieser Erweiterungen ist die sog. Notzuständigkeit in Fällen eines negativen Kompetenzkonfliktes. Ein solcher negativer Kompetenzkonflikt kann entstehen, weil die einzelnen Staaten jeweils nur die internationale Zustän-digkeit ihrer eigenen Gerichte regeln können110. Die Staaten reklamieren ihre Zuständigkeit hierbei aus gutem Grund nicht für jede Klage, sondern stellen Streitigkeiten mit geringem Inlandsbezug der Klärung durch ein ausländisches – sachlich näheres – Gericht anheim. Nachdem die ausländischen Rechtsordnun-gen an die beschriebene Einschätzung nicht gebunden sind, treten immer wieder Konstellationen auf, in denen sich kein Staat für international zuständig hält – man spricht von einem negativen Kompetenzkonflikt111. Entstehen kann eine solche „allseitige Unzuständigkeit“ aus den unterschiedlichsten Gründen112. Bei-spielhaft sei insofern lediglich auf die Fälle hingewiesen, in denen der Staat,

109 Stein/Jonas/Roth § 35, Rn. 8; Musielak/Heinrich § 35, Rn. 5; MK ZPO/Patzina § 35, Rn. 8.

110 Dies folgt aus der völkerrechtlichen Begrenzung der Gerichtsbarkeit, die sich letztlich aus dem Grundsatz der Gebietshoheit ergibt, vgl. Matthies, 30; Schweizer, DRiZ 1968, 365 (366); Neu-haus, 399 f.

111 MK ZPO/Patzina § 12, Rn. 98; Wieczorek/Schütze Einl., Rn. 164; Geimer, Rn. 1024 ff.

112 Geimer, Rn. 1024 ff.; Kropholler Hdb IZVR I Kap. III, Rn. 182 ff.; MK ZPO/Patzina § 12, Rn.

98.

dem der Erblasser angehörte, an den letzten Wohnsitz anknüpft, der betreffende Wohnsitzstaat aber die Staatsangehörigkeit des Erblassers für maßgeblich er-klärt. Ein internationaler negativer Kompetenzkonflikt kann sich jedoch auch aus rein tatsächlichen Verhältnissen ergeben. Zu denken ist insofern beispiels-weise an die Sachverhalte, in denen das zuständige ausländische Gericht wegen Stillstandes der Rechtspflege infolge eines Bürgerkrieges nicht angerufen wer-den kann113. Schließlich ist von einem – wenn auch auf das deutsche Staatsge-biet beschränkten – negativen Kompetenzkonflikt in den Fällen auszugehen, in denen einem ausländischen Urteil die Anerkennung verweigert wird ohne dass eine inländische Zuständigkeit eröffnet wäre114.

In sämtlichen der vorstehend angedeuteten Konstellationen droht dem Kläger die Rechtsverweigerung. Auch wenn die sog. Justizgewährungspflicht unter-schiedlich hergeleitet und begründet wird, herrscht im Ergebnis Einigkeit darü-ber, dass der Staat verpflichtet ist, dies zu verhindern115. Die hierbei vereinzelt vorgeschlagene Lösung mittels einer sog. Renvoi-Zuständigkeit116, die gegeben sein soll, wenn die nach deutschem Recht unzuständigen deutschen Gerichte von dem an sich zuständigen ausländischen Staat für zuständig erklärt werden, vermag nicht zu überzeugen. Diese Konstruktion führt im Ergebnis dazu, dass ausländische Regelungen über die Zuständigkeit deutscher Gerichte entschei-den. Die den deutschen Zuständigkeitsvorschriften zugrunde liegenden Wertent-scheidungen würden ausgehebelt117. Stattdessen ist mit der ganz herrschenden Meinung in den betreffenden Fällen die Eröffnung einer sog. Notzuständigkeit zu prüfen. Hierbei handelt es sich um eben eine solche Wertentscheidung, die immer dann zur Eröffnung einer deutschen internationalen Zuständigkeit führt,

113 MK/ZPO Patzina § 12, Rn. 99; Stein/Jonas/Roth vor § 12, Rn. 37; Geimer, Rn. 1027.

114 Wieczorek/Schütze/Hausmann Vor § 12, Rn. 84; Geimer, Rn. 1029; Kropholler Hdb IZVR I Kap. III, Rn. 184.

115 Stein/Jonas/Roth vor § 12, Rn. 37; Kropholler Hdb IZVR I Kap. III, Rn. 187; Wieczorek/Schüt-ze/Hausmann Vor § 12, Rn. 85.

116 Milleker, 81 ff.; Neuhaus, 416; Schröder, 789 ff.

117 MK ZPO/Patzina § 12, Rn. 100; Stein/Jonas/Roth vor § 12, Rn. 37; Kropholler Hdb IZVR I Kap.

III, Rn. 196 ff.

wenn ein hinreichendes Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage gerade in Deutschland gegeben ist118.

b. Ordre-public-Zuständigkeit

Was die sog. Ordre-public-Zuständigkeit angeht, so ist zwischen folgenden pro-zessualen Konstellationen zu unterscheiden:

Verstößt ein vor einem ausländischen international zuständigen Gericht erwirk-tes Urteil gegen den deutschen ordre-public119 und wird ihm infolgedessen gem.

§ 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO die Anerkennung versagt, so ist nach allgemeinen Grundsätzen die bereits erläuterte Notzuständigkeit eröffnet, die sich in der ge-schilderten Variante als „Ordre-public-Zuständigkeit“ bezeichnen lässt. Dies ist weitestgehend unstreitig120.

Stark umstritten ist hingegen, ob eine solche Ordre-public-Zuständigkeit auch bereits dann zu bejahen ist, wenn ein ausländisches Urteil noch überhaupt nicht vorliegt, wenn also lediglich zu erwarten ist, dass das ausländische Gericht in-ternational zwingende Normen bzw. Rechtsgrundsätze nicht anwenden wird.

Während die einen dies aus Rechtsschutzgründen für erforderlich halten121, leh-nen die anderen eine solche Zuständigkeit unter Verweis auf die unsichere Prognose ab122.

118 Wieczorek/Schütze/Hausmann Vor § 12, Rn. 86 f.; Stein/Jonas Roth vor § 12, Rn. 37; Krophol-ler Hdb IZVR I Kap. III, Rn. 192 ff; Rosenberg/Schwab/Gottwald, 161.

119 Was in diesem Zusammenhang unter dem deutschen ordre-public zu verstehen ist, soll hier nicht weiter untersucht werden.

120 Geimer, Rn. 1054; Stein/Jonas/Roth vor § 12, Rn. 41; Kropholler Hdb IZVR I Kap. III, Rn. 193;

Pfeiffer, 753;

121 Kropholler Hdb IZVR I Kap. III, Rn. 193; Pfeiffer, 759.

122 Geimer, Rn. 1054; Stein/Jonas/Roth vor § 12, Rn. 41.

c. Gleichlaufzuständigkeit

Das für Nachlasssachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach dem sog. Gleich-laufgrundsatz regelmäßig eröffnete forum legis, eine Statutszuständigkeit also, die sich allein aus der Anwendbarkeit deutschen Sachrechts ergibt, wird für den Bereich der streitigen Gerichtsbarkeit zu Recht nahezu einhellig abgelehnt123. Die Rechtsnähe allein stellt – unabhängig von der Klageart124 – keinen ausrei-chenden Zuständigkeitsgrund dar125. Würde man die Frage der internationalen Zuständigkeit unmittelbar mit der nach dem anwendbaren Recht verknüpfen, so wäre die Zuständigkeit von mitunter hochproblematischen kollisionsrechtlichen Fragen abhängig. Die für den Kläger so bedeutsame Vorhersehbarkeit des Ge-richtsstands würde beeinträchtigt126. Umgekehrt besteht keinerlei Bedürfnis für die vorgeschlagene Erweiterung. Sollten ausländische Gerichte die eigene Zu-ständigkeit mit der Begründung ablehnen, es sei deutsches Sachrecht anzuwen-den, stünde erforderlichenfalls das oben beschriebene Instrument der Notzu-ständigkeit zur Verfügung127.