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A. Überblick: die geplante EU-Verordnung zum Erbrecht

I. Bisherige Rechtslage

Am 14.10.2009 hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine EU-Verordnung zum Erbrecht verabschiedet. Der Prozess zur Schaffung eines euro-päischen Regelungswerks zum internationalen Erbrecht ist damit in die ent-scheidende Phase eingetreten. Bevor man sich den geplanten Neuregelungen und den hiermit verbundenen Veränderungen für die deutsche Rechtsordnung widmet, lohnt ein kurzer Blick auf die bisherige Rechtslage in Europa.

Wie bereits erläutert (2. Kap.A.II.2), schließen die bislang ergangenen Unions-rechtsakte – im vorliegend zu untersuchenden Bereich in erster Linie die EuGVVO – „Erbsachen“ von ihrem Anwendungsbereich aus. Unter Verweis darauf, dass das Erbrecht in den nationalen Rechtsordnungen zu unterschiedlich ausgestaltet sei, um die Freizügigkeit von Entscheidungen zulassen zu können,

wurde in der Vergangenheit jede Form der Harmonisierung abgelehnt380. Die Rechtsquellen des internationalen Erbrechts finden sich daher noch immer zum ganz überwiegenden Teil im autonomen Recht der einzelnen Mitgliedstaaten381. Bereits die isolierte Betrachtung des deutschen Rechts in den vorangegangenen Kapiteln hat gezeigt, zu welchen Problemen solche autonomen Regelungen füh-ren können. Dies wird noch um ein Vielfaches deutlicher, wenn man den Blickwinkel eines einzelnen Staates (hier des deutschen) verlässt und versucht, sich ein grobes Bild von der sich aus dem Flickenteppich der nationalen Vor-schriften ergebenden Lage im europäischen Rechtsraum zu verschaffen:

Zunächst sind die in der Vergangenheit diagnostizierten Unterschiede des natio-nalen Sachrechts noch immer und in nahezu unvermindertem Umfang vorhan-den382. Insbesondere die Erbanteile von Familienangehörigen und die Rechte unverheirateter oder gleichgeschlechtlicher Partner sind stark divergierend aus-geformt. Gemeinschaftliche Testamente und Erbverträge werden nur von einem Teil der Mitgliedstaaten akzeptiert, ein Pflichtteils- oder Noterbenrecht ist nicht überall vorgesehen383 usw. Die Aufzählung ließe sich nahezu beliebig fortsetzen.

Auch die Kollisionsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten weichen erheb-lich voneinander ab. Hier ist – wiederum beispielhaft – auf zwei Punkte hinzu-weisen, denen in diesem Zusammenhang zentrale Bedeutung zukommt: zum einen der Aspekt des Anknüpfungskriteriums, das letztlich darüber entscheidet, welche Rechtsordnung aus der Sicht des betreffenden Staates Anwendung findet und zum anderen die Frage nach Nachlasseinheit oder –spaltung. Während die knappe Mehrheit der 27 bzw. – lässt man Dänemark, das Vereinigte Königreich und Irland unberücksichtigt – 24 Mitgliedstaaten der EU im Wesentlichen dem

380 Haas, 131; Pintens, ZEuP 2001, 628 (644); vgl. Hausmann in unalex-Kommentar zur Brüssel I-VO Art. 1, Rn. 72.

381 DNotI, Schlussbericht, 193; Haas, 129 f.; vgl. außerdem die Kommentarliteratur zu Art. 25 EGBGB.

382 Haas, 131; SEK(2009) 411 endgültig, 2 f.; Lehmann, ZErb 2005, 320; vgl. Denkinger, 390 ff.

383 Vgl. hierzu die Aufzählung SEK(2009) 411 endgültig, 2 f.

Staatsangehörigkeitsprinzip folgt384, verwendet eine Vielzahl von Staaten räum-liche Anknüpfungspunkte (Wohnsitz, Aufenthalt oder Domizil)385. Wieder ande-re kombinieande-ren beide Ansätze oder knüpfen ganz anders an386. Die meisten Mit-gliedstaaten bestimmen das hiernach anwendbare Recht für den gesamten Nach-lass einheitlich. Einige Rechtsordnungen unterscheiden hingegen zwischen be-weglichen und unbebe-weglichen Nachlassgegenständen und wählen jeweils eigene Anknüpfungen (Nachlassspaltung)387.

Zumindest ebenso verworren stellt sich die Situation bezüglich der internationa-len Zuständigkeit der Gerichte der einzelnen Mitgliedstaaten dar. Die jeweils maßgeblichen Zuständigkeitskriterien weisen große Unterschiede auf. Am ge-bräuchlichsten sind insofern der letzte Wohnsitz des Erblassers, der Wohnsitz des Beklagten (in streitigen Verfahren) und der Ort der Belegenheit der Nach-lassgegenstände. Letzteres gilt insbesondere für Immobilien. Zum Teil wird je-doch auch auf die Staatsangehörigkeit des Erblassers oder der streitenden Par-teien abgestellt oder eine Rechtswahl des Erblassers bzw. eine entsprechende Vereinbarung der Erben zugelassen. Vereinzelt finden sich zudem besondere Anknüpfungskriterien388. Die hierdurch entstehende Zersplitterung der internati-onalen Zuständigkeit wird zusätzlich dadurch verschärft, dass viele Mitglied-staaten innerhalb des eigenen Systems Unterscheidungen vornehmen, die in an-deren Staaten nicht erfolgen389. Wie bereits ausführlich dargestellt, differenziert beispielsweise Deutschland im Hinblick auf die internationale Zuständigkeit zwischen der freiwilligen und der streitigen Gerichtsbarkeit390. Andere Staaten,

384 Bulgarien, Deutschland, Estland, Finnland, Griechenland, Italien, Litauen, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn.

385 Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Irland, Luxemburg, Malta, Rumänien, Zypern.

386 Niederlande, Lettland; vgl. zum Ganzen: DNotI, Schlussbericht, 232 ff.; Mansel, FS Ansay, 185 (187 f.).

387 Z.B. Frankreich und Großbritannien; vgl. zum Ganzen: DNotI, Schlussbericht, 232 ff.; Mansel, FS Ansay, 185 (188 f.).

388 DNotI, Schlussbericht, 194; Dörner/Hertel/Lagarde/Riering, IPRax 2005, 1 (2); Denkinger, 316 ff.

389 DNotI, Schlussbericht, 194; Haas, 133; vgl. Denkinger, 316 ff.

390 Ähnlich unterscheiden Österreich und die Niederlande.

wie z.B. Frankreich, unterscheiden auch im Hinblick auf die Zuständigkeitskri-terien zwischen beweglichem und unbeweglichem Nachlass391.

Was die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen angeht, ist die Situation insofern eine etwas andere, als viele der Mitgliedstaaten durch ein kaum zu überschauendes Netz von etwa 30 bilateralen Abkommen verbun-den sind392, die auch die Anerkennung und Vollstreckung im Bereich des Erb-rechts erfassen. Ist keines dieser Abkommen einschlägig, bestehen jedoch wie-derum erhebliche Unterschiede zwischen den autonomen Regelungen der ein-zelnen Mitgliedstaaten. Sowohl das Verfahren als auch die Voraussetzungen für Anerkennung und Vollstreckung weichen zum Teil stark voneinander ab393. Schließlich fehlt es – was nach den vorstehenden Ausführungen nicht weiter er-staunlich ist – an der Möglichkeit, die in einem Mitgliedsstaat bejahte Erbenstel-lung so auszuweisen, dass dies auch über die Grenzen des betreffenden Staates hinaus Wirkung entfaltet394.

Die Folgen der damit umrissenen diffusen Rechtslage können, je nach Fallge-staltung, geradezu verheerend ausfallen. Für den Erblasser, der über ein auf mehrere Staaten verteiltes, zum Teil unbewegliches Vermögen verfügt, bedeutet der aktuelle Zustand das Fehlen jeglicher Rechtssicherheit. Eine sinnvolle Nach-lassplanung ist stark erschwert oder gar unmöglich, jedenfalls aber mit einem erheblichen Aufwand verbunden395. Welches Recht wird dereinst auf welchen Teil des Nachlasses Anwendung finden? Die Gerichte welchen Staates werden nach welchem Verfahren zu entscheiden haben? Wie muss das Testament oder

391 DNotI, Schlussbericht, 194; Denkinger, 332 ff.; Haas, 133.

392 Die einzig multilaterale Vereinbarung in diesem Bereich dürfte die nordische Nachlasskonven-tion vom 19.11.1934 sein, an der unter anderem Dänemark, Finnland und Schweden beteiligt sind.

393 DNotI, Schlussbericht, 209 ff.

394 DNotI, Schlussbericht, 217 ff.; vgl. Dörner/Hertel/Lagarde/Riering, IPRax 05, 1 (2); Mansel, FS Ansay, 185 (190).

395 Vgl. Dörner/Hertel/Lagarde/Riering, IPRax 05, 1 (2); DNotI, Schlussbericht, 189; Lehmann, Rn.

2 ff.

eine sonstige letztwillige Verfügung gestaltet werden, um nach Maßgabe der betreffenden Rechtsordnung die gewünschten Wirkungen zu entfalten?

Die Antwort auf diese und zahlreiche weitere Fragen kann unter Umständen vom Verhalten eines Erben, eines Vermächtnisnehmers oder einer sonstigen, in irgendeiner Weise am Nachlass berechtigten Person abhängen. Welches Kollisi-onsrecht und damit letztlich auch welches materielle Erbrecht zur Anwendung kommt, richtet sich danach, welches Gericht bzw. die Gerichte welchen – nach eigener Einschätzung international zuständigen – Staates von einem der Betei-ligten angerufen werden. Für den Erben, Vermächtnisnehmer etc. bedeutet dies einerseits ebenfalls eine große Rechtsunsicherheit, andererseits jedoch die Mög-lichkeit, durch das bereits erläuterte (3.Kap. B.II.3.c.aa.) gezielte „forum shop-ping“ den Ausgang des Verfahrens vorweg zu bestimmen396.

Die vorstehend aus der Individual-Perspektive des Erblassers bzw. der am Nachlass berechtigten Personen angedeuteten Probleme stellen durchgängig auch die Rechtsordnungen als solche und damit letztlich die Allgemeinheit in den Mitgliedstaaten vor erhebliche Schwierigkeiten. Neben dem Mehraufwand, der mit der ggf. erforderlichen Anwendung ausländischen Rechts generell ver-bunden ist, sind hier in erster Linie die häufig auftretenden Konflikte zwischen Erb- und Sachenrecht sowie die immer wieder angestrengten Parallelverfahren zu nennen. Werden Verfahren zu ein und demselben Gegenstand in mehreren Mitgliedstaaten durchgeführt, so bedeutet dies im besten Fall, dass lediglich un-nötige Kosten produziert werden. Nicht selten führen solche Verfahren jedoch zu unterschiedlichen Ergebnissen, mithin dem Fehlen des bereits untersuchten internationalen Entscheidungseinklangs (4. Kap. B.II.5.) und damit der Erschüt-terung des Vertrauens in die Rechtspflege im Allgemeinen397 und die Leistungs-fähigkeit der von vielen Bürgern ohnehin misstrauisch beäugten Europäischen Union im Besonderen.

396 Dörner/Hertel/Lagarde/Riering, IPRax 05, 1 (2); Mansel, FS Ansay, 185 (190 f.); Lehmann, Rn.

2.

397 Heldrich, 123 f.; Kropholler, 36 f.