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4. INTERPRETATION DER INTERVIEWS

4.1 L ERNBIOGRAFIE

4.1.3 Die Rolle von Vorbildern in der Lerngeschichte

Interview 1

Stephen Molnar erwähnt, dass er im Rahmen seiner Lernbiografie das Glück hatte, viele Leu-te kennenzulernen, die ExpertInnen in ihrem Gebiet sind. So spricht er beispielsweise von Gastvortragenden einer Therapieausbildung:

„wir hatten quasi jede Woche irgendeine Koryphäe irgendeinen Hot Shot irgendeinen Mr. Superlativ da“ (Interview 1, Z. 109-110)

72 Dabei fällt auf, dass er durch die Begriffe „Koryphäe“, „Hot Shot“ und „Mr. Superlativ“

mehrmals dasselbe betont, nämlich das Fachwissen der Lehrenden. Es scheint, dass er damit ihre Expertise besonders hervorheben beziehungsweise unterstreichen möchte.

In Zusammenhang mit dem Praktikum, das er für das Psychologiestudium absolvierte, be-schreibt er die Begegnung mit seinem Betreuer folgendermaßen:

„Ich habe dort einen Menschen kennengelernt, der so quasi mein Mentor (…) wurde, ähm der war sozusagen schwarzer Gürtel in der Ericksonschen Therapie, der hat das überhaupt nach in den deutschsprachigen Raum gebracht, also das ist auch wieder ei-ner der Koryphäen“(Interview 1, Z. 162-165)

Demnach schätzte Stephen Molnar seinen Praktikumsbetreuer sehr und bewunderte vor allem sein Fachwissen über die Ericksonsche Therapie. Außerdem beeindruckte Stephen Molnar seine Pionierarbeit im deutschsprachigen Raum. Da er seinen Betreuer von sich aus als Men-tor bezeichnet, kann man davon ausgehen, dass ihm dieser auf unterstützende Art und Weise zur Seite stand und er dadurch zahlreiche Lernerfahrungen sammeln durfte. Der Begriff des Mentors deutet auch daraufhin, dass sein Betreuer keine klassische Lehrerrolle einnahm, son-dern dass sie beide auf derselben Beziehungsebene standen. Außerdem verwendet er in Bezug auf seinen Betreuer nun zum zweiten Mal den Begriff „Koryphäe“, was wiederum aufzeigt, dass es für Stephen Molnar wichtig war sich Vorbilder zu nehmen, die über eine bestimmte Expertise verfügen.

Interview 2

Im Zusammenhang mit dem Einfluss seines Umfeldes beschreibt Thomas Jaklitsch insbeson-dere die familiäre Sozialisation, die er als eine der klassischen Stationen, die es zu durchleben gibt, versteht. Er erwähnt einen älteren Bruder, seine Mutter und in Bezug auf seinen Vater erzählt er Folgendes:

„den Herrn Papa den man nicht oft gesehen hat, also sprich wo Lernen und Sozialisa-tion ahm als Einflussgröße seitens des Herrn Papas nicht stark da war“ (Interview 2, Z. 19-21)

Mit der wiederholten Formulierung „Herr Papa“ betont er höchstwahrscheinlich die Distanz, die zwischen ihm und seinem Vater herrschte oder womöglich noch immer herrscht. (In die-sem Fall kann man allerdings nicht sagen, ob sich ihre Beziehung mittlerweile verändert hat,

73 da er seinen Vater im weiteren Interview nicht mehr erwähnt.) Wenn er von seinem Vater als Einflussgröße spricht, deutet er insgeheim an, dass seiner Meinung nach der Vater eine wich-tige Rolle bezüglich Lernen und Sozialisation spielt beziehungsweise spielen sollte. Höchst-wahrscheinlich versteht Thomas Jaklitsch es sogar als Pflicht, dass ein Vater als Vorbildrolle seine Kinder bei ihren Lernerfahrungen begleitet und ihnen als Unterstützung zur Seite steht.

Da dies in seiner Lernbiografie allerdings nicht der Fall war, hat Thomas Jakltisch seiner Mut-ter und seinen Lehrerinnen eine umso höhere Bedeutung beigemessen.

Thomas Jaklitsch schildert, dass aufgrund des Systemhintergrunds, sowohl im Kindergarten und in der Volksschule, als auch zu Hause primär Frauen für seine Erziehung zuständig wa-ren. Er spricht von weiblichen Vorbildern, die er darüber hinaus auch als Lernfiguren be-zeichnet. In diesem Zusammenhang zitiert er folgende Passage aus dem Film Fight Club:

„ja, wir sind eine Generation, die von Frauen erzogen worden sind, das heißt Lernen hat natürlich ein bisschen einen anderen Charakter“ (Interview 2, Z. 27-29)

Mit dem ersten Teil der Aussage geht er über seine persönliche Lerngeschichte hinaus und generalisiert die Vorbildwirkung von Frauen auf seine gesamte Generation. Demnach hatte nicht nur er vorwiegend Frauen als Vorbilder, sondern seine SchulkameradInnen, Freunde und alle anderen in seinem Alter sind insbesondere durch die Erziehung von Frauen geprägt worden. Als Folge meint er, Lernen habe deshalb einen anderen Charakter. Verfolgt man sein Interview weiter, wird klar, dass er mit „anderen Charakter“ auf die Multitasking Fähigkeit anspielt, die die Männer seiner Meinung nach durch die Erziehung von Frauen als informelle Fähigkeit erworben haben. (siehe Kapitel 5.1.2)

Fazit

In Bezug auf Vorbilder machten beide sehr unterschiedliche Lernerfahrungen. Die Erzählun-gen von Stephen Molnar zeiErzählun-gen, dass er seine Vorbilder vor allem aufgrund ihrer Expertise in ihrem Gebiet bewunderte, was ihn wiederum zum Lernen motivierte. Sein Praktikumsbetreuer war Experte in der Ericksonschen Therapie, einem Teilgebiet des NLPs und hatte einen gro-ßen Einfluss auf seine Lerngeschichte. Die Tatsache, dass Stephen Molnar ihn als Mentor ansah und seine Expertise schätzte, weist daraufhin, dass er eine gewisse Vorbildrolle in sei-ner Lernbiografie einnahm. Thomas Jakltisch hingegen sprach über seinen familiären Hinter-grund, insbesondere erzählte er von dem distanzierten Verhältnis zu seinem Vater. Da dieser

74 nicht oft präsent war, hatten seiner Meinung nach die Frauen in Bezug auf seine Erziehung die Oberhand. Dabei glaubt er, dass seine gesamte Generation eher Frauen als Vorbilder und Lernfiguren hatte. Demnach fand Lernen auch auf eine andere Art und Weise statt. Thomas Jaklitsch meint, dass Männer dadurch die Fähigkeit erworben haben, viele Dinge gleichzeitig zu tun. Schlussendlich kann man festhalten, dass Stephen Molnar die Vorbildrolle nach der Expertise des Lernenden formuliert, wohingegen Thomas Jaklitsch die Dominanz der weibli-chen Vorbilder in seiner Lernbiografie betont, was seiner Meinung nach einen Einfluss auf die Art des Lernens hatte.