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2. NEURO-LINGUISTISCHES PROGRAMMIEREN AUS LERNPÄDAGOGISCHER SICHT – GEGENÜBERSTELLUNG

2.3 L ERNEN AUS SUBJEKTWISSENSCHAFTLICHER S ICHT

2.3.1 Grundbegriffe subjektwissenschaftlicher Lerntheorie

2.3.1.3 Expansives versus defensives Lernen

Im Rahmen der subjektwissenschaftlichen Lerntheorie unterscheidet Holzkamp außerdem zwischen Lerngründen expansiver und defensiver Natur. Entsteht die Lernmotivation eines Subjekts durch das Interesse an einer Verbesserung der Lebensqualität, spricht man von Lern-gründen expansiver Natur. In diesem Fall hat man bei mangelnder Motivation auch die Mög-lichkeit, die Lernhandlung zu unterlassen beziehungsweise wieder aufzugeben.

Im Gegensatz dazu geht es bei Lerngründen defensiver Natur nicht darum, seine subjektive Lebensqualität zu steigern oder seinen Weltbezug zu erweitern, sondern eine Beeinträchti-gung dieser Bereiche durch Lernen abzuwenden. Lerngründe defensiver Natur werden näm-lich von äußeren Machtinstanzen initiiert, die gewisse Lernerfolge von den Subjekten einfor-dern. Im Falle mangelnder Motivation ist das Unterlassen der Lernhandlung in diesem Kon-text also keine Alternative. Die Lernhaltung, die daraus resultiert ist keineswegs als intensive Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand zu verstehen, sondern vielmehr als reine Bewäl-tigungsstrategie anzusehen. Das Subjekt lernt also, um einer Beeinträchtigung der Lebensqua-lität oder dem Verlust sozialer Zuwendung und Unterstützung entgegen zu wirken.

Diese Mischung aus Lernen und Lernverweigerung wird von Holzkamp auch als widerständi-ges Lernen bezeichnet. Dabei geht er davon aus, dass das Subjekt den äußeren Lernzwang nicht bewusst wahrnimmt. Würde das Subjekt den defensiven Charakter des Lernens erken-nen, würde sich für ihn nämlich zusätzlich die Alternative der Lernverweigerung erschließen.

Allerdings meint Holzkamp, dass das Subjekt in der Dynamik des defensiven Lernens eine realitätsverleugnende Haltung einnimmt und sich deshalb dem äußeren Lernzwang nicht be-wusst ist (vgl. ebd., S. 190-194).

41 2.3.2 Subjektwissenschaftlicher Ansatz im Kontext der Erwachsenenbildung

Die gerade vorgestellten Überlegungen der subjektwissenschaftlichen Lerntheorie hatten zwar keinen so großen Einfluss auf den psychologischen Bereich, haben allerdings das Interesse der PädagogInnen geweckt. Da Holzkamp im Rahmen seiner Lerntheorie radikale Kritik an der Schule übt, wurde die subjektwissenschaftliche Sichtweise vor allem in der Erwachsenen-bildung aufgegriffen und weitergeführt. Nach der ersten Generation aus der Psychologie, ent-stand nach Klaus Holzkamp eine zweite Generation aus PädagogInnen, die sich mit der sub-jektwissenschaftlichen Lerntheorie auseinandersetzten (vgl. Grotlüschen 2005, S.19). Unter ihnen Peter Faulstich und Christine Zeuner, die beide in der Erwachsenenbildung tätig sind und sich mit Lernen in diesem Kontext beschäftigen. Der von ihnen eingeführte Begriff der Vermittlungsdidaktik wird im Folgenden nun genauer erläutert und der sogenannten Herstel-lungsdidaktik gegenübergestellt.

Aufgrund der Schnelllebigkeit unserer Gesellschaft ergeben sich immer wieder veränderte Anforderungen, die Erwachsene ständig vor neue Herausforderungen stellen. Daher gewinnt lebensbegleitendes Lernen auch zunehmend an Bedeutung. Damit Erwachsenenbildung aber nicht als lebenslanger Zwang wahrgenommen wird, sondern die Entwicklung eigener Interes-sen fördern und zur Entfaltung der Persönlichkeit beitragen kann, sollten Voraussetzungen für expansives Lernen geschaffen werden. Dabei sollten vor allem individuelle Interessen berück-sichtigt werden und die eigenständige Lernaktivität im Vordergrund stehen (vgl. Faul-stich/Zeuner 1999, S. 25-38).

Um diese aktive Rolle der Lernenden zu ermöglichen, ist es laut Faulstich und Zeuner not-wendig, die einseitige Sichtweise der Herstellungsdidaktik zu überdenken. Die Herstellungs-didaktik ziele lediglich darauf ab, vorgegebenes Wissen an die Lernenden weiterzugeben.

Dabei wird im Rahmen der Herstellungsdidaktik das Lernen in der Erwachsenenbildung auf folgende Aspekte reduziert:

- Wissens- und Fertigkeitsorientiertheit

Kognitive und motorische Fertigkeiten stehen hier im Vordergrund. Affektive Komponen-ten wie beispielsweise emotionale oder motivationale Aspekte bleiben jedoch unberück-sichtigt.

42 - Machbarkeitsillusion

Die Machbarkeitsillusion bezieht sich auf die fälschliche Annahme, dass die Absichten und Ziele des/der Lehrenden einfach auf die Lernenden übertragbar wären. Den den wird damit eine passive Rolle unterstellt. Nach dieser Vorstellung können die Lernen-den wie Behälter mit Wissen der LehrenLernen-den gefüllt werLernen-den.

- Methodenvernachlässigung

Im Rahmen der Herstellungsdidaktik wird Wissen vorrangig über Vorträge, also frontalen Unterricht vermittelt. Die breite Methodenpalette wird hier nur selten herangezogen.

- Gegenstandsreduktion

Mit der Gegenstandsreduktion ist gemeint, dass Lerninhalte zusammenhangslos präsen-tiert werden und komplexe gesellschaftliche Verhältnisse dabei völlig außer Acht gelassen werden (vgl. ebd., S. 51).

Faulstich und Zeuner haben in diesem Zusammenhang den Begriff der Vermittlungsdidaktik eingeführt. Im Gegensatz zur Herstellungsdidaktik, kommt die Vermittlungsdidaktik der akti-ven Rolle und den individuellen Interessen der Lernenden nach.

Zu den Prinzipien der Vermittlungsdidaktik zählen nun folgende:

- Handlungsorientierung

Damit ist gemeint, dass es primär nicht um den Erwerb von Wissen geht, sondern darum, den Lernenden eine gewisse Handlungskompetenz zu vermitteln.

- Teilnehmerorientierung

Man muss bedenken, dass im Kontext der Erwachsenenbildung Lernen immer eine Art von Anschlusslernen darstellt. Daher sollten Lehrende sich über die Ausgangsbedingun-gen der TeilnehmerInnen bewusst werden, um so an individuellen ErfahrunAusgangsbedingun-gen und Ein-stellungen anknüpfen zu können. In diesem Zusammenhang ist es also von essentieller Bedeutung, die Lebensbiographien der TeilnehmerInnen miteinzubeziehen.

43 - Interessenbezug

Die Lernziele in der Erwachsenenbildung werden zwischen Lehrenden und Lernenden ausgehandelt. Dabei werden die Erwartungen der Lernenden berücksichtigt und die An-forderungen der gesellschaftlichen Anwendungsbezüge reflektiert.

- Problembezug

Mit Problembezug ist gemeint, dass sich die Lerninhalte der Erwachsenenbildung auf die Handlungsanforderungen der Lernenden beziehen sollten. Es werden also konkrete Hand-lungsmöglichkeiten für das Berufs-, als auch für das Alltagsleben erschlossen.

- Methodenoffenheit

Da eine Vielfalt an Methoden Lernprozesse besser ermöglicht und unterstützt, sollte in Abhängigkeit der Lernziele und des Lerngegenstandes eine angemessene Methodenaus-wahl getroffen werden.

- Selbsttätigkeit

Das Prinzip der Selbsttätigkeit steht in Zusammenhang mit dem Prinzip der Handlungs-orientierung. Die Lernenden eignen sich das Wissen vorrangig dadurch an, indem sie selbst tätig werden und Lerninhalte selbständig erarbeiten und anwenden, um in Folge über eine Handlungskompetenz zu verfügen.

- Gruppenbezug

Da Handlungen auch immer in Beziehung mit dem Kollektiv und der Gesellschaft stehen, erscheint es sinnvoll, in der Erwachsenenbildung neben individuellen Problemen auch gemeinsame Probleme zum Lerngegenstand zu machen.

Laut Faulstich und Zeuner ist Erwachsenenbildung als dynamisches Geschehen zu verstehen und didaktisches Handeln zeichnet sich durch eine adäquate Methodenauswahl aus. Aufgabe der Lehrenden ist es also, die Lernmöglichkeiten der Lernenden in den zu vermittelnden Lerngegenstand miteinzubeziehen. Außerdem sollten Lehrende Lernende dabei unterstützen, den Lerngegenstand in eigener Tätigkeit selbständig zu erarbeiten. Dabei finden die Lern-Lehr-Interaktionen auf gleichberechtigter Ebene statt (vgl. ebd., S. 52f).

44 2.3.3 Gegenüberstellung der subjektwissenschaftlichen Lerntheorie mit den

An-nahmen der NLP

Im Rahmen der subjektwissenschaftlichen Lerntheorie werden die Lernenden als Subjekte bezeichnet, da sie die Welt aus ihrer individuellen Perspektive, also aus subjektiver Sicht wahrnehmen und verstehen. Diese Grundüberlegung steht in Zusammenhang mit den An-nahmen des NLPs. Im Kontext der NLP wird nämlich, wie bereits im vorherigen Kapitel an-gesprochen, in Bezug auf die Lernenden eine konstruktivistische Sichtweise vertreten. Dabei konstruieren die Lernenden ein subjektives Weltbild in ihren Köpfen. Aus subjektwissen-schaftlicher Sicht ist damit allerdings weniger die Konstruktion der Welt und der in ihr leben-den Menschen, als auch des Wissens gemeint. Vielmehr geht es hier darum, dass Lernende aufgrund ihrer subjektiven Sichtweise individuelle Lebensinteressen entwickeln und in die-sem Zusammenhang auch subjektive Bedeutungszuschreibungen entstehen. Ein zentrales In-teresse der Lernenden wäre beispielsweise die Aufrechterhaltung oder gar Verbesserung ihrer Lebensqualität.

Auf der Grundlage dieser Lebensinteressen und Bedeutungszuschreibungen handelt das Sub-jekt je nach seinen Absichten, Vorsätzen und Plänen, also intentional. Daher spricht man im Rahmen der subjektwissenschaftlichen Lerntheorie auch von intentionalem Lernen, hinter dem Lernen steckt also eine zielgerichtete Absicht. Im Vergleich dazu, gibt es im Zusammen-hang des NLPs die Absicht, ein bestimmtes Verhalten zu ändern oder aber eine bestimmte Handlungskompetenz zu erwerben. In der NLP nimmt man allerdings an, dass der Lernpro-zess selbst vielmehr von der Seite der Lehrenden gesteuert wird.

Weder in der Subjektwissenschaft noch in der NLP steht die Vermittlung von Wissen im Vordergrund, stattdessen spielt der Erwerb von Handlungskompetenzen eine entscheidende Rolle. Im Kontext der subjektwissenschaftlichen Lerntheorie führen Hindernisse im Leben zu einer sogenannten Handlungsproblematik, die wiederum als Voraussetzung für eine Lern-handlung angenommen wird. Diese Überlegung könnte man gut auf die NLP ummünzen, da man hier auch davon ausgeht, dass die Individuen aufgrund bestimmter Anforderungen im Berufs- und Privatleben ihr Handlungsrepertoire erweitern oder spezielle Verhaltensweisen oder Gewohnheiten ablegen beziehungsweise ändern möchten. In diesem Zusammenhang zielt der Lernprozess sowohl aus der Sicht der Subjektwissenschaft als auch im Rahmen der NLP darauf ab, dass die erworbenen Handlungskompetenzen von Dauer sind und zudem in unterschiedlichen Situationen Anwendung finden.

45 Stellt man die subjektwissenschaftliche Lerntheorie den Annahmen der NLP gegenüber, kann man klar erkennen, dass sich die beiden Sichtweisen in einigen Aspekten grundlegend vonei-nander unterscheiden. So nimmt man in der Subjektwissenschaft an, dass es sich bei Lernen immer um einen bewusstes Prozess handelt, wohingegen in der NLP der Großteil der Lern-prozesse unbewusst ablaufen. Darüber hinaus spielt das Unterbewusstsein generell eine sehr große Rolle in der NLP. Ursachen für mögliche Lernwiderstände finden demnach auch ihren Ursprung im Unterbewusstsein.

Im Gegensatz dazu, tritt laut der subjektwissenschaftlichen Lerntheorie Lernverweigerung nur in Zusammenhang mit defensivem Lernen auf. Defensives Lernen, oder auch widerständiges Lernen genannt findet im Kontext äußerer Lernzwänge statt. Trotz mangelnder Motivation und fehlendem Interesse kommt es zu einer Lernhandlung, die eine drohende Beeinträchti-gung der Lebensqualität abwenden sollte. Darüber hinaus ist das Subjekt in diesem Fall äuße-ren Machtinstanzen sozusagen ausgeliefert und läuft außerdem Gefahr an sozialer Zuneigung und Unterstützung einzubüßen.

Im Rahmen der subjektwissenschaftlichen Lerntheorie wird außerdem die aktive Rolle der Lernenden hervorgehoben. Dabei wird der eigenständigen Lernaktivität also ein hoher Stel-lenwert beigemessen. Demnach sollten die Lerninhalte weitgehend selbständig von den Ler-nenden erarbeitet werden. Um den Erwerb einer Handlungskompetenz zu fördern, sollten die Lehrenden in Lernsettings die Selbsttätigkeit der Lernenden unterstützen. Im Gegensatz dazu, wird in der NLP eher eine passive Rolle des/der Lernenden vermittelt. Wie bereits im vorhe-rigen Kapitel diskutiert wurde, haben die Lehrenden in der NLP die Aufgabe die Lernenden anzuleiten. Außerdem werden die Lernziele vorwiegend von den Lehrenden definiert und verfolgt. In der subjektwissenschaftlichen Lerntheorie werden Lernziele hingegen zwischen Lehrenden und Lernenden auf gleichberechtigter Ebene ausgehandelt.

2.4 Situated Learning - Theorie des situierten Lernens

Jean Lave und Etienne Wenger haben den Begriff des situated learning, also situierten Ler-nens eingeführt und beschreiben in ihrer Theorie die Bedeutung des sozialen Umfeldes in Bezug auf das Lernen. Laut Lave und Wenger kann der Lernprozess nicht unabhängig vom sozialen Umfeld des Lernenden betrachtet werden. Lernen findet also immer im sozialen

46 Kontext statt, innerhalb einer praxisbezogenen Gemeinschaft, der sogenannten community of practice. Des Weiteren haben Lave und Wenger in Zusammenhang mit dem situierten Lernen den Begriff der legitimate peripheral participation geprägt. Bei der legitimierten peripheren Partizipation handelt es sich um einen Prozess, der als zentrale Charakteristik des situierten Lernens, das Streben der Individuen nach einer Partizipation in der soziokulturellen Gemein-schaft beschreibt. Die Lernintention und die Bedeutung des Lernens ergeben sich aus dem Wunsch heraus, ein Teil der Gemeinschaft oder - wie Lave und Wenger es nennen - full parti-cipant zu werden. Die Partizipation des Individuums in der sozialen Praxis wird als funda-mentale Form des Lernens verstanden (vgl. Lave/Wenger 2003, S. 29-48).

Im Folgenden werden nun die Anfänge und Grundüberlegungen der situierten Lerntheorie näher dargestellt. Anschließend wird geklärt, was nun genau unter Lernen als legitimierte periphere Partizipation verstanden wird. Daraufhin werden der soziale Charakter des Lernens und Lernen im Kontext soziokultureller Gemeinschaften beschrieben. Abschließend wird dis-kutiert, welche Bedeutung den Lernprozessen in Zusammenhang mit der Produktion und Re-produktion einer community of practice zukommt.

2.4.1 Anfänge und Grundüberlegungen der situierten Lerntheorie

Im Institute for Research on Learning wurde im Jahre 1988 die Diskussion über die Lehre als Ausbildungsform laut. Dabei sprach man über Lernende als Auszubildende und bezeichnete Lehrende und Computer als Meister. Des Weiteren machte man sich Gedanken über die kog-nitive Lehre und man sah das ganze Leben als Lehre an. In diesem Zusammenhang entstand auch die Frage nach den Charakteristiken des Lernens und dem Begriff des situated learning wurde immer mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Frühere Arbeiten über die Handwerkerlehre in Westafrika, intelligente TutorInnensysteme und die kulturelle Transparenz von Technolo-gien motivierten Lave und Wenger eine adäquate Lerntheorie zu entwickeln. Aufgrund ihrer Erfahrungen im Feld, erkannten sie, dass sich Lernprozesse durch die legitimierte periphere Partizipation in praxisbezogenen Gemeinschaften erklären und charakterisieren lassen.

Im Zuge der Entwicklung der situierten Lerntheorie haben Lave und Wenger ihren Fokus auf die Beziehung zwischen Wissen und Lernen, Bedeutungsaushandlungen und Eigenschaften der Lernaktivität gerichtet. Dabei stellten sie fest, dass es keine Aktivität gibt, die nicht situ-iert ist. Darüber hinaus kritisieren sie die einseitige Sichtweise, die das Individuum in einer

47 passiven Rolle sieht, das lediglich das Wissen über die Welt erhält und in sich aufnimmt.

Vielmehr gehen sie von einer Aktivität in und mit der Welt aus, wobei sich das handelnde Individuum, die Aktivität und die Welt gegenseitig konstituieren.

Um die Situiertheit jeder Aktivität und somit auch des Lernens zu begründen, argumentieren Lave und Wenger, dass sogar allgemeines Wissen nur in speziellen Situationen und Gegeben-heiten zum Einsatz kommt. Unter allgemeines Wissen fällt beispielsweise die Abstraktionsfä-higkeit, der Einsatz dieser Fähigkeit ist jedoch immer situiert. So wie das Wissen über allge-meingültige Regeln erst in speziellen Lebenssituationen Anwendung findet. Aufgrund der Struktur der Welt beinhaltet jedoch jede Spezifität auch etwas Allgemeines. Dies ist der Grund weshalb oft lieber Geschichten herangezogen werden, um bestimmte Ideen zu vermit-teln. Allgemeines Wissen wird also in spezifischen Situationen erworben und kommt in ande-ren Lebensumständen wieder zum Einsatz. Dabei kommt es beim allgemeinen Wissen darauf an, anhand von Bedeutungsaushandlungen der Vergangenheit und der Zukunft die Bedeutung der gegenwärtigen Situation zu konstruieren (vgl. ebd., S. 29-34).

2.4.2 Lernen als legitimierte periphere Partizipation

Im Rahmen der Theorie des situierten Lernens wird die Praxis nicht als Teil des Lernens be-trachtet, sondern Lernen als wichtiger Bestandteil der sozialen Praxis in der Lebenswelt ver-standen. Dabei dient das Konzept der legitimierten peripheren Partizipation dazu, das Enga-gement des Individuums in der sozialen Praxis zu beschreiben, was wiederum die Vorrauset-zung für das Lernen als integrativer Teil dieser Praxis darstellt. Wirft man einen näheren Blick auf den Begriff legitimate peripheral participation, macht es laut Lave und Wenger wenig Sinn die drei einzelnen Aspekte getrennt voneinander zu interpretieren, da sich die Be-deutung dieser Aspekte nur aus dem Kontext des ganzen Konzeptes ergibt.

Vor dem Hintergrund des Konzeptes, beschreibt legitimierte Partizipation das Streben des Individuums nach Zugehörigkeit. Peripher bedeutet im Zusammenhang des Konzeptes, dass es mehrere Wege gibt, sich im Feld der Teilnahme zu positionieren. So kann man beispiels-weise mehr oder weniger engagiert sein und danach dementsprechende Positionen einnehmen.

Diese Positionen beziehungsweise Perspektiven zu wechseln beziehungsweise zu ändern, ist Teil des Lernprozesses und spiegelt die Identitätsentwicklung und die verschiedenen Formen der Mitgliedschaft wider.

48 Die Begriffskombination legitimate peripherality wird folgendermaßen verstanden: Möchte ein Individuum seine Teilnahme an der Gemeinschaft intensivieren, was aus gesellschaftlicher Sicht legitim erscheint, dient die periphere Position als Ausgangslage und kann zusätzlich eine motivierende Wirkung haben. Hindert die periphere Position das Individuum allerdings daran, ein Teil der Gemeinschaft also full participant zu werden, kann diese Position auch entmutigend sein. Daher kann legitimate peripherality für die Bewegung und den Austausch zwischen den communities of practice sowohl hinderlich als auch förderlich sein. Dieser Wi-derspruch betont wiederum die Dynamik des Konzeptes. Das Streben danach ein Teil der Gemeinschaft, also ein full participant zu werden, geht ja davon aus, dass ein Individuum im Lernprozess noch kein full participant ist. Der Begriff peripherality ist also positiv zu verste-hen und weist auf den aktiven Lern- und Entwicklungsprozess hin, den das Individuum im Zuge seiner wachsenden Beteiligung an der Gemeinschaft durchläuft.

Abschließend sei noch gesagt, dass es sich bei der legitimierten peripheren Partizipation we-der um eine Ausbildungsform, noch um eine pädagogische Strategie owe-der eine spezielle Lehr-technik handelt. Vielmehr wird mithilfe dieses Konzeptes Lernen aus analytischer Sicht be-trachtet, um so Lernprozesse besser zu verstehen. Diese analytische Perspektive wirft ein neu-es Licht auf den Lernprozneu-ess und beleuchtet bneu-esondere Schlüsselaspekte dneu-es Lernens.

Lave und Wenger sehen das Konzept der legitimierten peripheren Partizipation als Rahmen an, in dem die Theorie der situierten Aktivität und die Theorien über die Produktion und Re-produktion der Gesellschaftsordnung in Beziehung zueinander gesetzt werden. Die Verbin-dung dieser Theorien wird dadurch erklärt, dass sich die IdentitätsbilVerbin-dung und -veränderung innerhalb der community of practice in der täglichen Aktivität des Individuums widerspiegeln (vgl. ebd., S. 34-47).

2.4.3 Sozialer Charakter des Lernens

Im Rahmen konventioneller Lerntheorien wird der Lernprozess als bloße Übertragung und Verarbeitung von Wissen verstanden. Unter dieser Auffassung wird das Wissen von Lehren-den vermittelt oder entsteht im Kontext von Interaktionen mit anderen. Außerdem geht man in diesem Zusammenhang davon aus, dass es sich beim Lernen um einen unproblematischen Vorgang handelt. Diese einseitige Sichtweise der Internalisierung von Wissen vernachlässigt

49 jedoch die Eigenschaften des/der Lernenden, die Welt und ihre Beziehungen zueinander.

Demnach wird der soziale Charakter des Lernens also völlig außer Acht gelassen.

Die Theorie des situierten Lernens legt ihren Fokus hingegen auf das Lernen als Partizipation in der sozialen Praxis und interessiert sich für Wechselbeziehungen zwischen newcomers und old-timers. Im Gegensatz zur Sichtweise des Lernens als Internalisierung, bezieht sich die Theorie des situierten Lernens auf die Lernenden als handelnde Individuen in der Welt. In dieser sozial und kulturell strukturierten Welt gibt es einerseits objektive Tätigkeitsformen und -systeme, andererseits das subjektive Verständnis der Individuen über diese Formen und Systeme. Dabei beeinflussen sowohl die objektiven Gegebenheiten, als auch deren subjektive Interpretationen die Welt wechselseitig. Das Wissen über die Welt wird also ständig im Zuge der menschlichen Tätigkeit verändert und neu geschaffen. Zu den Komponenten der theory of social practice zählen also die Menschen, deren Handlungen und die Welt, die allesamt die individuellen Denk- und Lernprozesse bestimmen (vgl. ebd., S. 47-49).

2.4.4 Lernende im Kontext soziokultureller Gemeinschaften

Im Gegensatz zu anderen Lerntheorien, richten Lave und Wenger ihren Fokus nicht nur auf das Individuum selbst, sondern betrachten die Lernenden vor dem Hintergrund sozialer Struk-turen. Dabei wird die Teilnahme des/der Lernenden an der sozialen Praxis berücksichtigt und das Individuum als Mitglied einer soziokulturellen Gemeinschaft gesehen.

Demnach beschränkt sich Lernen nicht nur auf bestimmte Tätigkeiten, sondern bezieht sich auf den Menschen als Ganzes, der darauf abzielt ein volles Mitglied der sozialen Gemein-schaft zu werden. Aus dieser Perspektive ergeben sich im Zuge der Partizipation auch neue Aufgaben und Funktionen für das Individuum. So verändern sich die Lernenden auch im Lau-fe des Lernprozesses, was wiederum zu ihrer Identitätsbildung beiträgt. In diesem Zusam-menhang versteht man unter Identität die Beziehung des Individuums zu seiner Position und Partizipation in der sozialen Gemeinschaft. Identität, Wissen und soziale Mitgliedschaft be-dingen also einander (vgl. ebd., S. 49-54).