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Blended Counselling: ein neuer Ansatz für die Studienberatung

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Blended Counselling: Konzeption eines Online- Online-Beratungsportals für berufl ich qualifi zierte

3. Blended Counselling: ein neuer Ansatz für die Studienberatung

3.1 Blended Counselling

Der Begriff des Blended Counselling ist noch sehr neu in der universitären Bera-tungslandschaft (Weiß/Engelhardt 2012). Es bleibt abzuwarten, ob er sich als Be-griff wirklich dauerhaft etablieren wird, da im englischsprachigen Raum im Zu-sammenhang mit Studierendenberatung eher die Begriffe „Advisory Service“ oder auch „Guidance“ gebräuchlich sind und „Counselling“ meist mit der psychosozi-alen Beratung in Verbindung gebracht wird. Aktuell wird jedoch im deutschspra-chigen Raum auch im Hochschulbereich der Ausdruck „Blended Counselling“ ge-nutzt, wenn, in Anlehnung an das Konzept des Blended Learning, die Kombination von internetgestützten und als Präsenzen gestaltete (Beratungs-)Einheiten gemeint ist (z.B. Weiß/Engelhardt 2012; Reindl/Weiß 2012; Novacek 2012).

Nahezu alle Studieninteressierten nutzen das Internet als primäre Informati-onsquelle für die Recherche zur Vorbereitung auf eine Studienentscheidung (Hei-ne/Willich et al. 2010; Hachmeister/Harde et al. 2007: 82). Jede Hochschule prä-sentiert ihr Angebot inzwischen auf einer eigenen Website, jedoch gibt es im Be-reich der Web 2.0 Anwendungen (Social Media) noch viel nicht ausgeschöpftes Potenzial. Häufi g wird heute ad hoc „eben mal Facebook“ implementiert, um auch

„was mit Social Media“ zu machen, oder es wird eine FAQ-Liste veröffentlicht und „virtuelle Studienberatung“ genannt (Reindl/Weiß 2012: 11; Heussen/Steu-ber 2004). Dabei wird meist nicht gründlich genug refl ektiert, welches Medium zu welchem Zweck sinnvoll zu verwenden ist; Web 2.0 Tools werden unsystematisch und eher kreativ denn strukturiert und gut durchdacht eingesetzt. Es bietet sich je-doch nicht für jede Art von Beratungssituation ein Chat oder eine Facebook-Seite an, und für reine Informationsanliegen ist persönlicher Kontakt oft nicht notwen-dig. Auch wenn die Nutzung neuer Medien „modern“ ist, ist sie nicht gleichzeitig mit Erfolg verbunden. „Der Einsatz digitaler Medien führt keineswegs automatisch zu irgendwie besseren Lösungen als konventionelle Bildungsangebote. Im Gegen-teil – ihr unüberlegter Einsatz führt oft zu Ergebnissen, die geringe Akzeptanz bei Lernenden, geringe Lernerfolge und Effi zienz mit sich bringen“ (Kerres 2001: 85;

vgl. auch Kerres/Preussler 2015). Was Kerres (2001) für den Umgang mit Neuen Medien für den Bereich des Lernens einleuchtend darlegt, gilt analog auch für den

Einsatz von Web 2.0 Tools für Beratungszwecke. Das Medium an sich ist nicht für den Erfolg verantwortlich: „Es besteht die Gefahr, dass diese Einführung des Me-diums zum eigentlichen Ziel wird und nicht die Lösung eines – zu bestimmenden – Bildungsanliegens“ (Kerres 2001: 89f.).

Aus diesem Grund ist die theoretisch fundierte Konzeptionierung des Blended Counselling Ansatzes von essenzieller Bedeutung. Im Folgenden sollen, ausgehend von den Anforderungen an eine Studienberatung speziell für berufl ich Qualifi zierte (s. Kap. 2.3), die Grundzüge des Portals skizziert werden.

3.2 Blended Counselling für berufl ich qualifi zierte Studieninteressierte Aus der Defi nition von Beratung nach Sickendiek, Engel und Nestmann (1999) las-sen sich drei welas-sentliche Elemente für ein Beratungsgespräch identifi zieren: (1) Zu Beginn des Gesprächs erfolgt die Klärung eines oder mehrerer Anliegen. (2) Es werden die benötigten Informationen für eine Lösung identifi ziert und entweder sofort kommuniziert oder ggf. recherchiert. (3) Während des gesamten Prozesses stellt sich die Beraterin/der Berater den Ratsuchenden als Gegenüber für die Refl e-xion von Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung.

Ausgehend von diesen drei Elementen wird im Folgenden der Aufbau des Blen-ded Counselling Settings beschrieben.

Anliegenklärung

Die Anliegenklärung steht am Anfang des Prozesses. Nun ist gerade berufsqualifi -zierten Studieninteressierten zunächst häufi g noch gar nicht bekannt, welche Fra-gen für sie von Relevanz sind. So besteht der erste wesentliche Schritt darin, einen Überblick über die relevanten Anliegen bereitzustellen. Diese Übersicht soll online entweder für ein selbstständiges Durcharbeiten zur Verfügung gestellt werden oder als eine Art „guided tour“ erfolgen, die ermöglicht, die Anliegen sukzessive nach-einander zu bearbeiten. Weiß ein(e) Ratsuchende(r) schon, welche Informationen sie/er benötigt, kann die „guided tour“ jederzeit beendet und stattdessen selbststän-dig durch das Portal navigiert werden. Zugrundeliegendes Ziel ist bei beiden Vari-anten, die Nutzer(innen) des Portals dazu anzuleiten, selbst aktiv zu werden. Auf diese Weise wird gleichzeitig die für ein Studium sehr wesentliche Kompetenz des selbstgesteuerten Lernens adressiert (vgl. Knowles 1975; Song/Hill 2007).

Bereitstellung von relevanten Informationen

Die für die Zielgruppe relevanten Informationen fi nden sich in Modulen, die bei den jeweiligen Navigationspunkten der „guided tour“ verlinkt und auch in einem auf einer übergeordneten Ebene dauerhaft sichtbaren Menü verortet sind. Die Mo-dule entsprechen den in Kapitel 2.3 skizzierten Informations- und Beratungsanlie-gen der berufl ich qualifi zierten Studieninteressierten:

1. Hochschulzugangsberechtigung: Habe ich eine Hochschulzugangsberechtigung?

Wenn ja, für welche Fächer?

2. Studienentscheidung: Ich weiß noch nicht genau, welches Fach/welchen Studi-engang ich studieren möchte.

3. Kompetenzcheck: Welche Kompetenzen habe ich und wo habe ich evtl. noch Nachholbedarf?

4. Vorbereitung: Ich möchte mich gezielt auf das Studium vorbereiten. Welche An-gebote helfen mir, meine Lücken zu schließen? Einbettung der InOS-Vorberei-tungskurse

5. Anrechnung: Habe ich bereits Vorleistungen/Kompetenzen erworben, die ich auf ein Studium anrechnen lassen kann?

6. Finanzierung: Welche Möglichkeiten der Finanzierung gibt es? (BAföG, Stipen-dien, etc.)

7. Vereinbarkeit Studium, Beruf und Familie: Welche organisatorischen Rahmenbe-dingungen und welche Unterstützungssysteme gibt es?

Im Sinne des selbstgesteuerten Lernens soll jedes Modul interaktive Elemente be-inhalten (und nicht nur Informationen, die lediglich passiv rezipiert werden wür-den).

Die Beraterin/der Berater als Gegenüber für Refl exion

Im Online-Setting des Portals wird der Informations- und Beratungsprozess in der Regel zunächst von den Ratsuchenden allein gestartet (wobei es natürlich auch möglich ist, das Portal in ein Beratungsgespräch einzubeziehen). Um sich Refl e-xion, Rückmeldung, Spiegelung und Beratung einzuholen, gibt es auf dem Portal zwei Möglichkeiten:

1. An jeder Stelle des Prozesses werden die passenden Ansprechpartner(innen) für das jeweilige Anliegen transparent kenntlich gemacht, und es wird schnelle und unkomplizierte Kontaktaufnahme ermöglicht. Je nach Tageszeit können unter-schiedliche Medien und Tools genutzt werden: Telefon, E-Mail, ein Formular, das direkt auf der Website eingebunden ist, und/oder Chat. Wichtig ist, dass ge-nau an diesen Stellen tatsächlich unkompliziert und niedrigschwellig der persön-liche Kontakt ermöglicht wird und man z.B. nicht erst lange nach den Kontakt-informationen suchen muss.

2. Ein weiterer wesentlicher Bestandteil des Portals besteht in der Bereitstellung von strukturierten Abfolgen interaktiver Online-Elemente und (face-to-face-) Gesprächen. Ein Beispiel: Die Klärung der Hochschulzugangsberechtigung er-folgt zunächst mittels interaktiver Abfrage. Das Ergebnis kann anschließend per Knopfdruck an die zuständigen Ansprechpartner(innen) im Immatrikula-tionsamt versandt werden mit der (automatisierten) Bitte, Rücksprache zu hal-ten. Liegt die Rückmeldung durch Mitarbeiter(innen) des Immatrikulationsamts vor, werden im Modul „Studienentscheidung“ und „Kompetenzcheck“ passen-de Tests und/opassen-der Fragebögen zur Verfügung gestellt bzw. freigeschaltet, die

Refl exionsmöglichkeiten hinsichtlich der Studienfachwahl bieten. Auf Wunsch wird schließlich das Ergebnis der Tests wiederum mit einer Terminanfrage bei der Studienberatung zur Besprechung der Auswertung als E-Mail versandt. Je nach Anliegen sind verschiedene vorstrukturierte Wege denkbar. Diese Vorstruk-turierung ermöglicht auf der einen Seite engmaschige Begleitung und erhöht die Verbindlichkeit, lässt aber dennoch genügend Raum für selbstständige Entschei-dungen. Der Prozess kann jederzeit abgekürzt oder gestoppt werden, doch wenn der Wunsch nach persönlicher Kommunikation da ist, kann die passende An-sprechperson unkompliziert kontaktiert werden.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die wesentlichen konstituieren-den Merkmale des Blended Counselling Konzepts die systematisierte Vorstruktu-rierung der gangbaren Wege und die damit verbundene sinnvolle Verknüpfung von Online- und Präsenzelementen sind. Gleichzeitig bleiben die Nutzer(innen) immer vollständig in der Entscheidungshoheit, welche Kommunikationswege und -mittel sie in welcher Reihenfolge nutzen möchten – und welche nicht.

3.3 Chancen, Herausforderungen, Grenzen

Bischof und Neuss (2013) skizzieren die gegenwärtige Organisation und Struktur von Studienberatung in Deutschland. Vielen Kritikpunkten an dem aktuellen Bera-tungssystem kann ein Portal begegnen, das im Sinne des Blended Counselling An-satzes konzipiert ist, es bleiben dennoch einige Herausforderungen und Grenzen, die im Folgenden ebenfalls diskutiert werden sollen.

Systematisierte Strukturierung

Ein erheblicher Mehrwert des Blended Counselling Portals liegt in der syste-matisierten Strukturierung und der Transparenz. Die Ratsuchenden werden da-rüber informiert, welche Themen für sie relevant sind und wer die passenden Ansprechpartner(innen) für persönliche Nachfragen sind. So kann im Prinzip nichts Wichtiges übersehen oder vergessen werden. Der „Beratungsdschungel“, von dem häufi g gesprochen wird, weicht einem transparenten System.

Zugänglichkeit

Durch den niedrigschwelligen Einstieg spricht ein Web-Portal auch Zielgruppen an, die zwar Beratung benötigen, jedoch nicht die Schwelle einer face-to-face-Bera-tung überschreiten würden (vgl. Bischof/Neuss 2013: 14). Von großem Wert für die Zielgruppe der berufl ich qualifi zierten Studieninteressierten sind außerdem die Zeit- und Ortsfl exibilität des Angebots sowie die unkomplizierte und schnelle Kon-taktaufnahme.

Gezielte Vorbereitung eines persönlichen Beratungsgesprächs

Die übersichtliche Aufbereitung aller Themen, die für Berufsqualifi zierte auf dem Weg in ein Studium relevant sein können, sowie die Nutzbarkeit verschiedener Module – von der Prüfung der Hochschulzugangsberechtigung über Anrechnungs-möglichkeiten bis hin zu Kompetenzchecks – ermöglichen es Ratsuchenden, sich ganz gezielt auf ein Beratungsgespräch vorzubereiten. Viele Fragen sind schon vor-her geklärt und ermöglichen, sich in der persönlichen Begegnung auf die wesentli-chen Entscheidungsprozesse zu konzentrieren. Die kognitiven Kapazitäten werden nicht mehr so sehr durch Faktenrezipieren beansprucht sondern können für kom-plexere Transferleistungen und die Vorbereitung des weiteren Vorgehens genutzt werden (vgl. z.B. Sweller 2006).

Aktualität der Informationen

Zwar ist die Konzipierung des Portals zunächst zeit- und ressourcenaufwändig und erfordert Engagement aller Beteiligten im Beratungssystem. Ist das System jedoch aufgesetzt, profi tieren auch die Berater(innen) in verschiedener Hinsicht und in er-heblichem Maße davon: Alle verfügen nun jederzeit über die aktuellsten Informati-onen. Sie befi nden sich also immer auf demselben – korrekten – Informationsstand, und es werden von allen dieselben Informationen herausgegeben – also weder fal-sche noch widersprüchliche. Sie können sich außerdem jederzeit selbst einen ak-tuellen Überblick über alle zielgruppenrelevanten Informationen, Veranstaltungen und Angebote innerhalb und außerhalb der Universität verschaffen. Selbst für die Mitarbeitenden der Universität ist es nämlich bisweilen schwierig bis unmöglich, über alle Aktivitäten in den verschiedenen Bereichen – von den Fakultäten über die zentralen Service-Einrichtungen bis hin zu Drittmittelprojekten – informiert zu sein.

Entlastung der Beratung von Informationsvermittlung

Durch die verstärkte Verlagerung der Informationsvermittlung und der selbstgesteu-erten Refl exion von Kompetenzen und Wünschen in den Zeitraum vor einem per-sönlichen Gespräch bleibt in der face-to-face-Begegnung wesentlich mehr Raum für das Kerngeschäft der Beratung. Durch diese inhaltliche und zeitliche Entlastung können folglich mehr Ratsuchende intensiver beraten werden.

Vereinfachung und Verbesserung der Abläufe durch Vernetzung der Beratungsein-richtungen; Dokumentation und Erfolgskontrolle

Von einem vermehrten Austausch und besserer Vernetzung zwischen den einzelnen Einrichtungen über das Portal profi tieren nicht nur die Ratsuchenden. Reibungslo-sere Übergänge zwischen den Abteilungen (z.B. wenn Informationen aus verschie-denen Bereichen benötigt werden) erleichtern auch dem Beratungssystem die Ar-beit und ermöglichen effi zientere Abläufe. Aktuell fängt „[j]ede/r Berater/in […]

stets von vorne an. […] Die Informationen, die ein/e Berater/in im Laufe eines Beratungsprozesses bereits gesammelt hat, stehen anderen Berater(inne)n nicht zur Verfügung. […] Zudem kann sich das Beratungssystem nie vergewissern, ob den

Studierenden, die sich einmal an eine Beratungsstelle gewandt haben, umfassend und abschließend geholfen wurde“ (Bischof/Neuss 2013: 15). Dies wird jedoch möglich, wenn das Beratungsportal Dokumentations- und Auswertungsfunktionen für jedes Nutzer(innen)profi l bereitstellt. Werden Ratsuchende an eine andere Ab-teilung weitergeleitet, können Fakten und „Beratungsgeschichte“ schnell und un-kompliziert abgerufen werden. Selbstverständlich kann dies aus datenschutzrecht-lichen Gründen nur mit dem Einverständnis der jeweiligen Ratsuchenden erfolgen.

Nutzbarkeit

Die Ratsuchenden fi nden eine gut vorbereitete, strukturierte Plattform vor, jedoch müssen sie auch über bestimmte Kompetenzen verfügen, um das Angebot sinn-voll nutzen zu können. Sie müssen die für sie relevanten Informationen herauszie-hen, Ergebnisse richtig interpretieren und die richtigen Schlussfolgerungen daraus ziehen können. Bei eigenständiger Nutzung ohne Rücksprache mit einer Ansprech-partnerin oder einem Ansprechpartner liegt die Interpretation und Nutzung der Er-gebnisse zunächst ganz bei den Ratsuchenden selbst (vgl. Reiß/Moosbrugger et al.

2009: 73).

Abschließend kann festgehalten werden: Die erfolgreiche Implementation eines Blended Counselling Portals bringt, wie oben dargelegt, nicht nur erhebliche Mehr-werte für die Ratsuchenden sondern auch für das Beratungssystem mit sich. Ne-ben der garantierten Aktualität der Inhalte stellt das Portal eine Schnittstelle für die Zusammenarbeit zur Verfügung, das Prozesse und Qualität der Beratungsarbeit in erheblichem Maße unterstützen kann. Voraussetzung ist allerdings, dass sich die Berater(innen) mit den Zielen der Implementation identifi zieren können und sich aktiv und langfristig an der Durchführung und der stetigen Weiterentwicklung be-teiligen. Nur mit dem Commitment aller Beteiligten ist eine erfolgreiche und quali-tätsgesicherte Umsetzung möglich.

Im Dokument Übergänge gestalten (Seite 39-44)

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