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Archiv "Hauptversammlung des Hartmannbundes: Plädoyer für „Solidarpakt neuer Qualität“" (25.10.2002)

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er Hartmannbund (Verband der Ärzte Deutschlands e.V.) erwar- tet, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder die längst überfällige durch- greifende Reform im Gesundheitswe- sen zur „Chefsache“ machen wird. Eine staatsdirigistische, interventionistische Gesundheitspolitik, die perspektivlose Verwaltung des Mangels, die immer umfassender werdende Bürokratie müssten endgültig verbannt werden, so eine zentrale Forderung des Vorsitzen- den des Hartmannbundes (HB), Dr.

med. Hans-Jürgen Thomas, Facharzt für Allgemeinmedizin in Erwitte/West- falen, vor der Hauptversammlung sei- nes Verbandes am 11. Oktober im Kon- gresshaus zu Baden-Baden.

Systemtransparenz

Die mit äußerst knapper Mehrheit durch die Bundestagswahl bestätigte rot-grüne Bundesregierung stimmt al- lerdings die Funktionsträger im HB eher pessimistisch, was die erhoffte Kehrt- wende in der Gesundheitspolitik be- trifft. Der HB rief in einem Leitantrag zu einem „Solidarpakt neuer Qualität“ auf.

Gemeinsam müssten die Herausforde- rungen der demographischen Entwick- lung, der Verschlechterung der Alters- struktur, des rasanten medizinischen Fortschritts und des unbegrenzten An- spruchsniveaus der Versicherten mit adäquaten Mitteln bewältigt werden.

Wesentlich sei dabei, das tragende Soli- darprinzip der Gesetzlichen Kranken- versicherung (GKV) neu zu definieren.

Zu einem echten Solidarpakt zähle, so der HB, die drei tragenden Gestaltungs- und Strukturprinzipien der GKV – Ei- genverantwortung, Subsidiarität und So- lidarität – wieder in ein stimmiges Ver-

hältnis zu bringen. Qualität und Effizi- enz müssten nach fairen und nachvoll- ziehbaren Maßstäben austariert werden.

Den Versicherten müsse nachhaltig ins Bewusstsein gebracht werden, dass die Einrichtungen der sozialen Siche- rung, insbesondere die GKV, keine

„staatliche Sozialagentur“ sind, die aus

„himmlischen Quellen“ gespeist wer- den. Für dringend erforderlich hält der HB eine umfassende „Systemtranspa-

renz“, und zwar für alle Beteiligten, die Leistungserbringer wie die Versicher- ten. Das vor allem von der Politik ver- fochtene Postulat vom „mündigen Bür- ger“ könne nur mit einer verstärkten Ei- genverantwortung und finanziellen Ein- bindung des Versicherten in den Pakt erfolgen. Kostenklarheit und -wahrheit können nicht durch winkeladvokatische

Vorschriften und staatsdirigistische In- terventionen in das Leistungsgeschehen herbeigeführt werden. Budgetstrangu- lationen, Festbeträge und ein allumfas- sender Sachleistungskatalog seien Gift für die dringend notwendige Stabilisie- rung der Kassenfinanzen und eine Ver- lässlichkeit des Systems. Der HB macht sich stark für eine durchgängige prozen- tuale Direktbeteiligung an den Versi- cherungsleistungen. Allerdings müsse die soziale Komponente durch den Ein- bau von Überforderungs- und Härte- klauseln gewährleistet bleiben. Erneut bekräftigte der Verband eine seiner

„Uralt-Forderungen“: Umstellung des starren Sachleistungsverfahrens zugun- sten eines durchgängigen, obligatori- schen Kostenerstattungsprinzips mit so- zial verträglicher Selbstbeteiligung. Die Versicherten müssten mehr Wahl- und Entscheidungsfreiheiten erhalten, auch gesteuert durch finanzielle Anreize, wie Boni, die Aussicht auf Beitragsrücker- stattung und Beitragsermäßigungen.

Radikaler Umbau

In einem von Dr. med. Peter Kappen, Allgemeinarzt aus Seligenstadt, initiier- ten Beschluss heißt es, der Politik und Öffentlichkeit müsse plausibel gemacht werden, dass mehr als 40 Prozent des derzeitigen GKV-Beitrages überhaupt nicht bei den Leistungserbringern und den Versicherten in Form von Leistun- gen ankommen.Vielmehr gehe ein Gut- teil des mehr als 135 Milliarden Euro betragenden GKV-Etats drauf, um Löcher in anderen Sozialleistungszwei- gen (Renten-,Arbeitslosen- und Pflege- versicherung) zu stopfen, den Verwal- tungsapparat der Kassen weiter aufzu- blähen und die Arztpraxen mit einem P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 4325. Oktober 2002 AA2821

Hauptversammlung des Hartmannbundes

Plädoyer für

„Solidarpakt neuer Qualität“

Zentrale Forderungen: Der Arztberuf muss wieder attraktiv werden. Gerechtes Honorar für kompetente Leistungen

Dr. med. Hans-Jürgen Thomas: „Der Patient muss jederzeit die Gewiss- heit haben, dass der behandelnde Arzt in seiner diagnostischen und therapeutischen Entscheidung frei und unabhängig ist.“

Foto:Frank Pfennig

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Wust von bürokratischen Reglements zu überziehen.

Der HB plädiert für eine Umstellung der Pflichtversicherung im Gesund- heitswesen auf eine Pflicht zur Versi- cherung für alle (analog zur Kfz-Haft- pflichtversicherung) im Sinne einer

„Grundabsicherung“. Die Einführung von Elementen eines Kapitaldeckungs- verfahrens könne zweierlei bewirken:

die GKV zukunftssicherer zu gestalten (weitgehend losgelöst von der ständi- gen Krisenanfälligkeit infolge der de- mographischen Entwicklung) und die Eigenverantwortung der Versicherten zu stärken. Bei einer solchen Umstel- lung könnten sozial Schwache und wirt- schaftlich Benachteiligte durch Zu- schüsse aus der allgemeinen Sozialhilfe (Steuern) subventioniert werden.

Statt die Kostendämpfungspolitik und die Budgetdeckelung mechanisch fortzuführen, plädiert der HB dafür, das Einnahmenproblem der Krankenkas- sen nachhaltig zu beheben. Dies müsse dadurch geschehen, dass die Lohnbe- zugsbasis auf weitere Einkunftsarten, etwa Zinsen, Pacht und weitere Vermö- genserträge sowie Renten, erweitert wird. Auf diese Weise könnten die Lohnnebenkosten deutlich gemindert werden; zusätzlich flösse dringend be- nötigtes Geld in das System.

Die Qualitätssicherung müsse ori- ginäre Aufgabe der Ärzteschaft, insbe- sondere der Ärztekammern, bleiben.

Das ärztliche Primat bei der Qualitäts- sicherung sei deswegen so wichtig, weil mit der gesetzlichen Einführung von Disease-Management-Programmen (DMP) Tür und Tor dafür geöffnet wür- den, um die medizinischen Leistungen zu standardisieren und zu uniformieren sowie evidenzbasierte, kassengesteuer- te Leitlinien „abzuhaken“ oder kosten- dämpfungspolitisch einzusetzen.

Der HB fordert eine Revision der Rechtsverordnung über den Risiko- strukturausgleich. Es diene in erster Li- nie dem Kassenwettbewerb und führe zu einer Verschlechterung der Patien- tenversorgung, wenn der Risikostruk- turausgleich gesetzlich mit dem DMP verknüpft werde. Vielmehr müsse mit der Umsetzung der Programme die be- rufliche Unabhängigkeit und Entschei- dungsfreiheit des Arztes ebenso beach- tet werden wie die Individualität des

Versicherten. Zudem dürfe das hoch- sensible Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht durch einen überzogenen Datenaustausch belastet werden. Jeder Arzt müsse frei entschei- den, ob und wie lange er aktiv am DMP teilnehmen will. Er dürfe nicht zu „Er- füllungsgehilfen der Krankenkassen“

degradiert werden. Auch den Patienten müsse die Möglichkeit offen gehalten werden, am Programm freiwillig teilzu- nehmen. Die mit den Programmen ver- bundenen enormen Verwaltungskosten und die zu erwartenden Mehrleistun- gen infolge der strukturierten Program- me müssten außerhalb der Budgets ver- gütet werden. Für hochstehende Lei- stungen fordert der HB ein gerechtes, ausreichend verdientes Honorar.

DRG: Paradigmenwandel

Eine Umstellung auf diagnosebezogene Fallpauschalen (DRG) könne eine Rei- he von Problemen heraufbeschwören, denen rechtzeitig entgegengewirkt wer- den müsse:

Dies erfordert, so der HB,

>Aufhebung der sektoralen Budgets;

>Offenlegung des Aufwandes in den Leistungssektoren,

>Budgeterweiterung bei Leistungs- verlagerungen in den ambulanten, nach- stationären, rehabilitativen und pflege- rischen Bereich;

>schnelle Übermittlung der Be- handlungsdaten an die weiterversor- genden Ärzte, um die Versorgungskon- tinuität zu sichern und zu überwachen.

>Per Gesetz müssten Sicherungs- maßnahmen gegen eine medizinisch kontraindizierte Frühentlassung veran- kert werden.

Eine zunehmende Spezialisierung und Ökonomisierung der Krankenhäu- ser könne große Probleme bei der ärztli- chen Aus- und Weiterbildung heraufbe- schwören. Der zum Facharzt weiterge- bildete Klinikarzt müsse die personelle Stütze der Qualitätssicherung bleiben.

Komplementäre Weiterbildungsstruk- turen im stationären und im ambulanten Bereich müssten zusätzlich finanziert werden, ebenso die aufwendige medizi- nische Dokumentation und Codierung.

Große Sorgen macht sich der HB um den ärztlichen Nachwuchs und die exi-

stenzielle Sicherung des Freiberuflers Arzt. Nach den Statistiken der Bundes- ärztekammer und der KBV vom Früh- jahr 2002 ist die Zahl der Ärzte im Prak- tikum in den letzten Jahren um mehr als 20 Prozent gesunken. Fast 30 Prozent der Absolventen des Medizinstudiums quittieren den Dienst in Deutschland oder werden in anderen alternativen, arztfremden Berufsfeldern tätig. Bis zum Jahr 2010 werden allein aus Alters- gründen rund 22 000 aus dem Beruf ausscheiden. Damit verschärft sich der jetzt bereits evidente Ärztemangel vor allem im hausärztlichen Bereich und in den neuen Bundesländern. In Ost- deutschland müsse endlich das Prinzip

„Gleiches Geld für gleiche Leistungen“

verwirklicht werden; dies gelte auch für den Bereich GOÄ.

Der von der KBV für 2004 avisierte Einheitliche Bewertungsmaßstab 2000 plus (EBM 2000 plus) solle sich folgen- de Essentials zu Eigen machen:

>Umstellung der Punktwerte auf Euro-Bewertung; dies sei ein Gebot der Transparenz und ein Erfordernis einer zeitnahen Vergütung;

>exakte Kalkulation von Leistungs- bewertungen und Leistungrelationen im EBM; dies müsse auch bei den Ver- tragsabmachungen auf Bundesebene ebenso wie Risikoanteile berücksichtigt werden.

>Prinzipiell müsse das Prinzip der Einzelleistungsvergütung soweit als möglich berücksichtigt werden; die Zu- sammenfassung von Leistungen in Komplexe seien nur in einem Umfang tolerabel, wie dies medizinisch be- gründbar und nachvollziehbar ist.

Die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ), die seit fast 20 Jahren nicht mehr aktualisiert worden ist, müsse rasch an die medizinische und me- dizinisch-technische Entwicklung an- gepasst und im Punktwert zumindest der Inflationsrate angeglichen werden.

Durchgängig müsse mehr Vertragsfrei- heit für Patient und Arzt gewährleistet werden. Der Privatassekuranz wird vorgeworfen, sie wolle das Kostener- stattungsprinzip analog der GKV durch das Sachleistungsverfahren er- setzen. Dies sei systemwidrig, ver- schlechtere die Transparenz und lasse die Motivation der Leistungsträger er- lahmen. Dr. rer. pol. Harald Clade P O L I T I K

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A2822 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 4325. Oktober 2002

Referenzen

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