inen Totalverriß bescherte die Hauptversammlung des Hart- mannbundes (HB) dem Ge- setzentwurf der Bundesregierung zur GKV-Gesundheitsreform 2000, der in den kommenden Wochen in die entscheidenden parlamentarischen Runden gehen wird. Bestärkt wurde der HB während seiner Baden-Ba- dener Tagung durch das klare Nein zum Gesetzentwurf des Vorsitzenden der CDU und der CDU/CSU- Bundestagsfraktion, Dr. Wolfgang Schäuble, und durch den gesundheits- politischen Experten der FDP-Bun- destagsfraktion, Dr. Dieter Thomae.
Beide Politiker kündigten an, sowohl die Union als auch die Liberalen wür- den den Gesetzentwurf in toto ableh- nen. Kaum ein zentrales Reform- element des Regierungsentwurfs sei im Bundesrat vermittelbar, weil die ordnungs- und gesundheitspolitische Richtung nicht stimme. Das sektoren- übergreifende Global-
budget, die Datensam- melwut und Überre- glementierung fügten dem Gesundheitssy- stem Schaden zu.
Schäuble versi- cherte, daß auch die unionsregierten neuen Bundesländer dem Gesetzeswerk die Zu- stimmung verweigern würden. Es sei eine Fehlspekulation der Regierung, die Zu- stimmung aller Ost- länder für das Re- formwerk im Bundes- rat damit erkaufen zu wollen, daß die West- versicherten ein So- lidaritätsopfer zugun-
sten der vier bankrotten AOKs in den neuen Ländern erbringen. Solche Po- lit-Tricks müßten entlarvt werden.
Wenn die Beiträge vor allem der Er- satz- und Betriebskrankenkassen in den alten Bundesländern dadurch er- höht werden müßten, würde für einen politischen Scheinerfolg kurzfristig das Ziel der Beitragssatzstabilität ge- opfert.
Rationierung droht
Bei der öffentlichen Kundgebung begründete der Vorsitzende des Hart- mannbundes, Dr. med. Hans-Jürgen Thomas, Allgemeinarzt in Erwitte, warum der Gesetzentwurf schleunigst in den Reißwolf gehöre. Er sei patien- tenfeindlich, mittelstandszerstörend und ideologisch vorgeprägt, durch- setzt mit vielen handwerklichen Mängeln. Diese Einschätzung teilte der gesundheits- politische Experte der FDP-Bundes- tagsfraktion Tho- mae. Der liberale Abgeordnete sagte, der Gesetzentwurf sei unausgewogen und treffe gerade die sozial schwa- chen Versicherten und Kranken, die das Gesetz eigent- lich besser versor- gen und absichern wollte.
Die planwirt- schaftliche Global- budgetierung führe automatisch zur Ra- tionierung, weil – am Versorgungsbe-
darf vorbeigehend – unzureichende Mittel den Leistungssektoren zuge- teilt würden. Erschwerend kommt hinzu, daß der Leistungskatalog un- verändert bleiben soll und den Versi- cherten weitreichende Ansprüche ga- rantiert werden. Dadurch drohe die Zwei-Klassen-Medizin und eine Be- grenzung medizinisch notwendiger Leistungen auf bestimmte Gruppen von Versicherten oder eine Aussteue- rung bei einzelnen Indikationen und/oder ab einer bestimmten Alters- gruppe, wie dies bei Transplantatio- nen, Hüftoperationen oder der Dau- erdialyse beispielsweise im britischen National Health Service die Regel sei.
Thomas: Infolge der rigorosen Ausgabenbegrenzung sowohl im am- bulanten als auch im stationären Be- reich werde die rasche Umsetzung und Implementierung der neuesten Untersuchungs- und Behandlungsme- thoden unmöglich gemacht, aber den Bessersituierten Mittel und Wege eröffnet, dennoch unter Abkürzung von Rationierungs- und Wartelisten gegen „Bares“ an die Leistungen her- anzukommen.
Der Hartmannbund-Vorsitzende wurde von Thomae und Schäuble in der Forderung unterstützt, das Ver- hältnis von Solidarität, Subsidiarität und Eigenverantwortung neu zu ord- nen und sämtliche Zweige der sozialen Sicherung in ihrer herkömmlichen Fi- nanzierungssystematik zu überprüfen.
Es müsse mehr auf Eigenverantwor- tung gesetzt werden. Sicherungssyste- me, die diesen Grundsatz verletzten und die Verantwortung auf anonyme Institutionen übertragen, deren Legi- timation zu hinterfragen ist (etwa die Krankenkassen), liefen Gefahr, über die Verhältnisse zu leben und mit per- manenten Interventionen die Schutz- bedürftigen am meisten zu treffen.
Es sei eine „Beleidigung der Ärz- teschaft“, wenn nach den Vorstellun- gen von Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer die Krankenkassen al- lein darüber bestimmen sollen, was den Versicherten nützt, welche Medi- kamente sie nehmen und welchen Arzt sie aufsuchen müssen (etwa über ein obligatorisch vorgeschaltetes Primär- arztsystem). Zugleich warf Thomas den Krankenkassenverbänden „feuda- listische Verschwendungssucht vor“:
So seien im Jahr 1998 die Verwaltungs- A-2786 (18) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 44, 5. November 1999
P O L I T I K AKTUELL
Hauptversammlung des Hartmannbundes
Globalbudget – „Eklatant verfassungswidrig“
Der Hartmannbund lehnt den Gesetzentwurf zur GKV-Gesundheitsreform 2000 kompromißlos ab.
E
Dr. med. Hans-Jürgen Thomas, Vorsitzender des Hartmannbundes: „In der Gesundheits- politik müssen medizinische Überlegungen absoluten Vorrang vor wirtschaftlichen Erwä- gungen haben.“ Fotos: Frank Pfennig
kosten bei den Ersatzkassen um 6,3 auf 13,1 Milliarden DM gestiegen. Der Verfassungsrechtler Prof. Dr. jur. Rü- diger Zuck, Stuttgart, forderte die Poli- tik auf, endlich auch die gläsernen Krankenkassen zu schaffen.
Während die Krankenkassen un- ter dem Motto „schneller, größer, protziger“ unkontrolliert agierten, werde den Ärzten das Äußerste an Einsparungen abverlangt. Dabei sei- en die Leistungserbringer nicht im- stande und vom Gesetz auch nicht
dafür vorgesehen, vor allem das Mor- biditätsrisiko zu tragen und die Kran- kenkassen zu entlasten. Die Ärzte sei- en sich jedenfalls zu schade, erneut den Sündenbock für alle Finanzie- rungskalamitäten zu spielen; sie seien nicht die Finanziers der Kassen, son- dern die Anwälte und die Leistungs- erbringer im Dienste der Patienten.
Es sei legitim, betonte Thomas, wenn auch die Ärzte nach Jahren des
„eisernen Sparens“ und der zur Zeit existenzvernichtenden Honorarein- bußen wieder eine Anpassung an die gestiegenen Lebenshaltungskosten verlangten. Zudem sei die geplante Reform arbeitsplatzfeindlich. Die Budgets verhinderten das Wachstum des innovativen und leistungsintensi- ven Gesundheitswesens. Hunderttau- sende der über 4,2 Millionen Arbeits- plätze seien dadurch gefährdet. Da- durch, daß die Trasse in Richtung mehr Planwirtschaft verbreitert wer-
de, werde zugleich der „Gesundheits- standort Deutschland“ geschwächt.
Der HB befürchtet einen Kas- senstaat, wenn dieser über Einkaufs- modelle und Versorgungsnetze diktie- ren könne, was Sache ist. Bei der Krankenhausfinanzierung dürften die Länder nicht aus ihrer Verantwortung für die Planung und die Letztentschei- dung entlassen werden. Die Kranken- hausplanung dürfe nicht zu einer bloßen kassenbestimmten Standort- planung degenerieren; sie dürfe auch
nicht einseitig durch wirtschaftliche Interessen der Krankenkassen be- stimmt werden. Die Krankenhausärz- te und Ärztekammern müßten unmit- telbare Mitwirkungsrechte erhalten.
Schützenhilfe durch Verfassungsrechtler
Die Fundamentalkritik des Hart- mannbundes wurde noch übertrof- fen durch das vernichtende Urteil des Verfassungsrechtlers Rüdiger Zuck, der als Anwalt in der Kranken- haus- und Kassenarztrechtsberatung engagiert ist. Das Globalbudget und die strikte Bindung der Ausgaben an die Grundlohnsumme der Versi- cherten bei verschärfter Beitragssatz- stabilität führten zu einem verfas- sungswidrigen Systembruch. Den Versicherten werde ein unverminder- ter Leistungsanspruch suggeriert und
durch das SGB V zugesichert. Die Leistungserbringer müßten aber we- gen einer permanenten Unterfinan- zierung der GKV Leistungen unter- halb der Kostendeckung erbringen.
Das sei rechtlich nicht tolerabel, zu- mal der niedergelassene Arzt das Exi- stenzrisiko trage.
Das Benchmarking sowohl im Bereich der Arzneimittelversorgung als auch im Krankenhausbereich sei unzumutbar im Hinblick auf das im Grundgesetz geforderte Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Die Pro-Kopf- Ausgaben seien regional unterschied- lich, ebenso die Befreiungsquoten, der Anteil der chronisch Kranken und die Morbiditätsentwicklung (ins- besondere in den neuen Ländern).
Das Benchmarking lasse diese äuße- ren Rahmenbedingungen unberück- sichtigt und verstoße deshalb gegen Artikel 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (Grundrecht der Berufsfreiheit). Die Positivliste greife in die Therapiefrei- heit des Arztes und das Selbstbestim- mungsrecht des Patienten ein. Zudem sei jede Art von Listenmedizin euro- parechtlich unzulässig.
Mit den erweiterten Kompeten- zen des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen werde parallel zu den Krankenkassen eine Organisation aufgebaut, um ein planwirtschaftli- ches System zu stützen. Das Gesetz sei per se ungerecht, auch wenn mög- licherweise der Arztbezug und die Pa- tientenbezogenheit der Daten auf Grund des Einspruches des Bundes- datenschützers jetzt anonymisiert werden sollen. Die Anhäufung von Daten bei den Krankenkassen und beim MDK führe zu einer verfas- sungswidrigen Disparität bei den Ver- tragspartnern. Eine gleichermaßen paritätische Dateninformation ist aber die Grundvoraussetzung für funktionierende, praxisgerechte Ver- träge.
Die Leistungserbringer würden bei einer „Vernetzungsmanie“ zu
„bloßen Objekten“ einer partiellen Sy- stemveränderung. Für die von einer in- tegrierten Versorgung ausgeschlosse- nen Leistungserbringer führe die abge- schottete Vernetzung zu einer Verlet- zung der Grundrechte nach Maßgabe von Art. 12 Abs. 2 GG (Berufsfreiheit) und von Art. 14 Abs. 1 GG (Eigen- tumsgarantie). Dr. Harald Clade A-2787
P O L I T I K AKTUELL
Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 44, 5. November 1999 (19)
„Es ist fünf vor zwölf“, so das Motto einer Demonstration gegen die patientenfeindliche und arbeitsver- nichtende Gesundheitsreform 2000 auf dem Augusta-Platz und vor dem Kongreß-Haus in Baden-Baden