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Archiv "Hauptversammlung des Hartmannbundes: Gegen den Trend zur Staatsmedizin" (05.11.2004)

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ie im Hartmannbund (Verband der Ärzte Deutschlands e.V. – HB) organisierten Mandatsträger wol- len dem fortschreitenden Trend zur

„Staatsmedizin“ Einhalt gebieten. Für den Ärzteverband führt kein Weg daran vorbei, das marode System der gesundheitlichen Sicherung, insbeson- dere die Gesetzliche Krankenversi- cherung, völlig neu zu positionieren und durch durchgreifende

Reformmaßnahmen für mehr Nachhaltigkeit in der Finanzierung und Planbarkeit für die Ak- teure und Leistungsträ- ger des Systems zu sor- gen. Für die meisten der 87 Delegierten bei der 51.

Hauptversammlung des Verbandes am 22./23. Ok- tober im Rathaus Schöne- berg zu Berlin ist evident:

Das ausschließlich umla- gefinanzierte System der Gesetzlichen Kranken- versicherung (GKV) fährt gegen die Wand, wenn nicht rasch ein System- wechsel eingeleitet wird.

Hektische Reformaktivi- täten, ein zunehmender

Staatsinterventionismus und vor allem die überbordende Bürokratie gängeln den Medizinbetrieb und führen zur Demotivation. Ärzte und übrige Lei- stungserbringer fühlen sich unter staatliche Kuratel gestellt.

Der HB-Delegierte, Dr. med. Klaus Reichel, Internist/Belegarzt aus Hers- bruck, brachte die Unmutsbekundun- gen auf den Punkt: „Immer dann, wenn sich der Staat einmischt und bürokrati- sche, durch den Gesetzgeber gegängelte Mammutgremien, wie etwa der Gemein- same Bundesausschuss, Entscheidungs-

gewalt ausüben, geht es dem Gesund- heitssicherungssystem immer schlech- ter. In das Arzt-Patienten-Verhältnis wird immer mehr Misstrauen gesät. De- motivation und Frust lähmen die tägli- che Arbeit des Arztes.“

Der HB-Vorsitzende, Dr. med. Hans- Jürgen Thomas, Facharzt für Allge- meinmedizin in Erwitte/Westfalen, ließ kein gutes Wort an der jüngsten Ge- sundheitsreform (GKV- Modernisierungsgesetz).

Den Krankenkassen und mit einer großen Macht- fülle ausgestatteten Ent- scheidungsgremien auf

„mittlerer Ebene“ würde die alleinige Definitions- und Regulierungsmacht zugeschanzt werden. Dia- gnostik und Therapie wür- den überwiegend durch ökonomische Vorgaben dominiert, Professoren- Expertisen würden dazu eingespannt, um je nach Kassenlage oder politi- scher Opportunität den dringend erforderlichen Weiterentwicklungspro- zess in „Paragraphenze- ment“ erstarren zu lassen (Hans-Jürgen Thomas).Als Negativbei- spiele der Reform à la Ulla Schmidt und Horst Seehofer nannte Thomas: den mit allen Mitteln eines Nebengesetzgebers ausgestatteten Gemeinsamen Bundes- ausschuss, dessen Machtfülle gestärkt, dessen Richtlinienkompetenz weiter ausgebaut wurden (und die Verbind- lichkeit von Richtlinien für Ärzte und Patienten noch stringenter gefasst wor- den sei). Die sachverständigen Einga- ben von Ärzteverbänden und medizi- nisch-wissenschaftlichen Fachgesell- schaften würden von Technokraten und

der Politik umfunktioniert, um die Be- rufsausübung der Ärzte in Kliniken und Praxen unter den Bedingungen der Ökonomie zu komprimieren.

Das neu gegründete Institut für Qua- lität und Wirtschaftlichkeit in der Ge- setzlichen Krankenversicherung unter Leitung von Prof. Dr. med. Peter Sa- wicki, ehemaligem Chefarzt aus Köln, maße sich an, den Nutzen und die Effi- zienz von diagnostischen und therapeu- tischen Verfahren, insbesondere die Ko- sten-Nutzen-Relation von Arzneimit- teln, unter dem Vorwand der evidenz- basierten Medizin zu bewerten. Als ei- ne „organisierte Verantwortungslosig- keit“ geißelte Thomas die Philosophie und Zielrichtung der immer mehr um sich greifenden Expertokratie: Durch Gremienentscheidungen am grünen Tisch soll die Verantwortung so lange zerteilt werden, bis sie nicht mehr zuge- ordnet werden kann. Ärzte, die sich auf ihr Erfahrungswissen („innere Evi- denz“) verlassen, würden durch eine standardisierte, evidenzbasierte Medi- zin gegängelt, bei der innovative Tech- nologien und Diagnose- und Therapie- ansätze nur dann prinzipiell verord- nungsfähig erklärt würden, wenn Ärzte, die Innovationen verschreiben, im Nach- hinein den Sanktionsinstrumenten der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Krankenkassen (Regress) ausgesetzt werden.

Eine klare Absage erteilte der Hart- mannbund den Absichten, die Kran- kenversicherung in eine umfassende Zwangsversicherung (wohlklingend:

„Bürgerversicherung“) umzufunktio- nieren. Dies sei ein Etikettenschwindel.

Es sei ein Irrglaube zu unterstellen, die Kassenbeiträge könnten dadurch spür- bar sinken. Allenfalls sei eine minimale Beitragsreduktion in Höhe von 0,2 Pro- zentpunkten zu erwarten, nicht jedoch, wie die SPD und Bündnisgrünen vor- rechnen, eine Beitragssatzsenkung von 1,6 bis 1,9 Prozentpunkten.

Der HB stimmt allerdings der Politik insoweit zu, als er das umlagefinanzier- te, lohnbasierte GKV-Finanzierungssy- stem für gescheitert und überholt er- achtet. Die Bürgerversicherung führe nicht zu mehr Wettbewerb, sondern ver- stärke den Trend zur Einheitskasse und verbreitere die Trasse zur staatsdirigier- ten Medizin. Allein dadurch, dass die P O L I T I K

A

A3000 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 455. November 2004

Hauptversammlung des Hartmannbundes

Gegen den Trend zur Staatsmedizin

Plädoyer für mehr Transparenz und Eigenverantwortung

„Es ist eine intellek- tuelle Unredlichkeit, mit der die Gesund- heitsreform verkauft wird.“

Dr. med. Hans-Jürgen Thomas, HB-Vorsitzender

Fotos:Kerstin van Ark

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private Krankenversi- cherung (PKV) ihrer Substitutivfunktion ent-

ledigt werde und zu einer reinen Zu- satzversicherung denaturiere, würden die Wahlmöglichkeiten des Einzelnen, der Wettbewerb und die Transparenz unterminiert. Die Beschwichtigungen der gesundheitspolitischen Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, Birgitt Bender, ließ der Hartmannbund nicht gelten: Gesetzliche und private Kran- kenversicherungen könnten nebenein- ander existieren; die privaten Versiche- rungsunternehmen könnten weiter Rendite machen, allerdings unter glei- chen Start- und Wettbewerbsbedingun- gen und bei Einführung eines Kontra- hierungszwanges für beide Versiche- rungszweige und der Transportabilität der Alterungsrückstellungen (heute in der PKV fast 80 Milliarden Euro).

Eine weitere umstrittene These von Bender: Nicht die Verschlechterung des Altersaufbaus der Bevölkerung, viel- mehr der rasante medizinische Fort- schritt sei der eigentliche Kostentreib- satz in der Gesundheitssicherung. Zu- dem seien die Privatversicherten in einer „babylonischen Gefangenschaft“

der PKV. Die Alterungsrückstellungen seien nicht transportabel, und es herr- sche kaum Wettbewerb. Die Alterungs- rückstellungen in der privaten Kran- kenversicherung seien zudem kein aus- reichendes Gesundheitssicherungska- pital. Im Durchschnitt kämen lediglich 8 000 Euro auf einen privat Versicher- ten als Sicherungskapital. Ganz im Ge- gensatz zur Rentenversicherung, bei welcher das Altersri-

siko versicherungs- mathematisch kalku- lierbar sei, seien eine versicherungsmathe- matisch kalkulierte Kapitaldeckung mit Alterungsrückstellung

oder ein Kopfprämienmodell in der GKV nach Überzeugung der Bündnis- grünen kaum zukunftsträchtig.

Der HB ist davon überzeugt, dass weder die Bürgerversicherung noch die Kopfprämie (Gesundheitsprämie) – reinrassig – mehrheitsfähig ist und vor 2006 realisiert wird. Wahrscheinlicher sei ein Mix aus beiden Modellen. In je- dem Fall müssten sowohl die Finanzie-

rungs- als auch die Leistungsseite neu positioniert und der Leistungskatalog der Krankenversicherung durchforstet und Redundantes und obsolet Gewor- denes aufgegeben werden. Der HB plä- diert – wie bereits in seinem Eckpunk- tepapier von 2003 einmütig in Baden- Baden beschlossen – für das Kaskover- sicherungsmodell, bei dem der Gesetz- geber die allgemeinen Rahmenbedin- gungen dekretiert und eine Pflicht zur Versicherung für jedermann vor- schreibt. Dabei müsse der Gesetzgeber einen standardisierten Mindestkatalog für die Grund- und Regelversorgung vorgeben, der nicht abwählbar ist. Dar- über hinausgehende Wahl- und Kom- fortleistungen können im Bereich der Soll- und Kann-Leistungen individuell gebucht und durch Prämien abgesichert werden. Dieser Leistungsbereich sei mit höheren Zuzahlungen verbunden;

Zusatzversicherungen seien das „Mittel der Wahl“. Wie bereits zu Zeiten des er- sten Nachkriegsvorsitzenden des Hart- mannbundes, Dr. Friedrich Thieding, plädiert der Hartmannbund für eine Umstellung des intransparenten, lei- stungsfeindlichen Sachleistungsverfah- rens auf ein generelles Kostenerstat- tungsprinzip – bei Einführung direkter Vertragsbeziehungen zwischen Arzt und Patient und einer ein- heitlichen Gebühren- ordnung mit festen Euro-Beträgen. Ge- nerell sollte eine pro- zentuale Direktbetei- ligung vor allem an Medikamenten- und Heilmittelkosten eingeführt wer- den. Das System sollte sozial abgefedert und durch Überforderungs- und Härte- fallregelungen für sozial Schwache und chronisch Kranke austariert werden.

Der soziale Ausgleich solle prinzipiell über das Steuersystem und durch eine Refundierung der gesetzlichen Kran- kenversicherung aus Steuermitteln be-

werkstelligt werden.

Das HB-Modell bein- haltet als tragende, konstitutive Elemente das wettbewerb- liche Nebeneinander verschiedener Ver- sorgungs- und Versicherungsformen bei Koexistenz von privater und Ge- setzlicher Krankenversicherung. Prin- zipiell sollten kleinere Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung (bis zu 300 Planbetten) nicht mehr in der heutigen Form als „Liegekrankenhäu- ser“ geführt werden. Durch eine Flexi- bilisierung sollten die Krankenhäuser auf personaler Basis geöffnet werden für kooperativ arbeitende Ärzteteams und Partnerschaftsgesellschaften. Als Regelversorgungsform werden Team- arztkliniken vorgeschlagen, bei denen die Freiberufler Ärzte als Gesellschaf- ter und Mitträger infrage kämen. Klini- ken der Schwer- und Maximalversor- gung (insbesondere Universitätsklini- ken) sollten sich um die Forschung und Lehre, die Weiterbildung und die Kran- kenversorgung bemühen. Die Maxi- malversorger könnten geöffnet werden, um hoch spezialisierte ambulante und stationäre Leistungen aus einer Hand und integriert zu erbringen. Die Öff- nung der Krankenhäuser dürfe aller- dings nicht zu einem „Verdrängungs- wettbewerb zulasten der niedergelasse- nen Ärzte führen“, postuliert der ein- stimmig angenommene Leitantrag. Ei- ne finanzielle Ausstattung der Kran- kenversicherung über kapitalgedeckte Alterungsrückstellungen sei unver- zichtbar. Eine kooperative Versorgung sei unter Einschaltung neuer Versor- gungsformen (Integrationsversorgung, Medizinische Versorgungszentren) bei Aufhebung jeglicher Budgets und Grenzen der einzige Weg, um Doppel- strukturen zu vermeiden und Redun- danzen und Leerläufe abzustellen. Di- rekte Vertragsbeziehungen zwischen Arzt und Versicherten dürften weder durch Managementgesellschaften noch durch Krankenkassen gestört werden.

Der HB fordert: konsequente Um- setzung der Vorgaben des Arbeits- zeitgesetzes und der EU-Normen (auch höchstrichterliche Entscheidun- gen); adäquate Vergütung aller ange- stellten Ärzte; Schaffung wirtschaftli- cher Rahmenbedingungen für Praxis- und Klinikärzte. Dr. rer. pol. Harald Clade

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 455. November 2004 AA3001

„Die Öffnung der Krankenhäuser darf nicht zu einem Verdrängungs- wettbewerb zulasten der nieder- gelassenen Ärzte führen.“

„Um dem drohenden Ärzte-

mangel entgegenzuwirken,

müssen Anstrengungen

unternommen werden, um

das Arztbild aufzuwerten.“

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