• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Hauptversammlung des Hartmannbundes: Rückbesinnung auf traditionelle Tugenden" (29.09.2000)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Hauptversammlung des Hartmannbundes: Rückbesinnung auf traditionelle Tugenden" (29.09.2000)"

Copied!
3
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

A

uf den Tag genau kehrte der Hart- mannbund (Verband der Ärzte Deutschlands e.V.) an den Ort seiner Gründung zurück. Vor 100 Jah- ren wurde der Ärzteverband vom Leip- ziger Sanitätsrat Dr. Carl Eduard Her- mann Hartmann, praktischer Arzt und Geburtshelfer, am 13. September 1900 gegründet. Dies war für den Hartmann- bund (HB), mit fast 42 000 Ärztinnen und Ärzten der mitgliederstärkste freie Ärzteverband mit fachübergreifender Mitgliedschaft, Anlass, der Verbands- gründung mit einem Festakt in der Tho- maskirche zu gedenken und seine Mit- glieder zu Schulterschluss, mehr Ge- schlossenheit und Kampfbereitschaft aufzurufen.

Die „Duldungsstarre“ der Mehrzahl der Ärzte sei längst überschritten, kon- statierte der Vorsitzende des Hartmann- bundes, Dr. med. Hans-Jürgen Thomas, Allgemeinarzt aus Erwitte, unter dem Beifall des Auditoriums der Hauptver- sammlung im Leipziger Interconti. Eine geschlossene Interessenvertretung des Freiberuflers Arzt sei in Zeiten des ra- schen wirtschaftlichen Wandels und der Verschlechterung der existenziellen Rah- menbedingungen dringender denn je.

Dringend müsse der staatlichen Gän- gelung, der Überbürokratisierung der Arztpraxen und der Klinikbetriebe und der Bevormundung durch die Kranken- kassen und andere „omnipotente Mäch- te“ Einhalt geboten werden. Ähnlich klingende Thesen und die Aufforderun- gen, der Bittstellerei der Ärzte bei Bes- serverdienenden entgegenzuwirken, war die Losung Hartmanns vor einhundert Jahren und Beweggrund zur Gründung des Ärzteverbandes. Thomas in Leipzig:

Nur freiberuflich tätige und beruflich un- abhängige Ärzte, losgelöst von allen Zwängen der Budgetierung, können sich

hinreichend um das Wohl der Patienten kümmern. Ohne ein liberalisiertes, inno- vatives und prosperierendes Gesund- heitswesen sei eine medizinisch hochste- hende Versorgung nicht zu gewährlei- sten, sei Gesundheit nicht „machbar“.

Heute bestehe die Gefahr, dass das Ge- sundheitssicherungssystem bei fortdau- ernder Budgetdeckelung in eine Zwei- Klassen-Gesellschaft mit Rationierun- gen und Ausweichreaktionen abdriftet.

Eigennutz und Gemeinwohl

Prof. Dr. Kurt Biedenkopf, sächsischer Ministerpräsident und bekennender Or- doliberaler, sagte in seiner Ansprache, dass es eines gerüttelten Maßes an politi- scher Klugheit und Souveränität bedür- fe, um das Verhältnis von Eigennutz und Verantwortung für Gesellschaft und Ge- meinwohl in einem freien Berufsstand zu ordnen und auszuwiegen. Biedenkopfs Thesen: Die Verfassung und die soziale Marktwirtschaft garantierten den Inter- essenverbänden, die berechtigten Inter- essen des Einzelnen und der Mitglieder gegenüber der Gesellschaft und der Po- litik zu vertreten. Um die Ordnungs- und

Wertevorstellung, die von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen werden, durchzusetzen und bei der Ge- sellschaftsgestaltung zu berücksichtigen, gebe es aber kein formales Verfahren.

Solidarität und marktwirtschaftliches Handeln und Gestalten bedeute – nach Bekenntnis des Liberalen Franz Böhm, Biedenkopfs Lehrer – solidarische Teil- habe am Vorteil aller. Der pure Ei- gennutz und die wirtschaftlichen Interes- sen von Gruppierungen müssten über- listet werden, um Gerechtigkeit und Ge- meinnutz zu stiften. Allerdings könne ge- meinwohlorientiertes Handeln weder durch Gesetz noch durch Verwaltungs- vorschriften erzwungen werden. Voraus- setzung für den Freiberufler Arzt sei es, dass der freie Marktzutritt erhalten bleibt und ein Mindestmaß an Entschei- dungssouveränität garantiert wird. Frei- heit bedeute Selbstbestimmung und Selbstverantwortung für den hilfesu- chenden Patienten. Würden diese Kau- telen beachtet, so dürfe das von „Verbän- den beherrschte“ Gesundheitswesen nicht als purer Lobbyismus und längst obsoleter Korporatismus abgetan wer- den. An die Ärzteschaft appellierte der Ministerpräsident, auch unpopuläre Schritte zu unternehmen, etwa gegen den Medikamentenmissbrauch und die Mittelvergeudung anzugehen, auch wenn hierbei vermeintlich gegen Verbündete vorgegangen werde.

Der Hartmannbund beschloss wäh- rend der Hauptversammlung einmütig das von HB-Vordenker Prof. Dr. med.

Ernst-Eberhard Weinhold (Nordholz) entworfene „Leipziger Manifest“. Dies fordert zur Geschlossenheit und zur Ein- heit des Arztberufes auf. Nur bei Ge- schlossenheit und einer genossenschaft- lich organisierten Basis könnten die be- rechtigten ärztlichen Anliegen kraftvoll P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 39½½½½29. September 2000 AA2497

Hauptversammlung des Hartmannbundes

Rückbesinnung auf

traditionelle Tugenden

Der Hartmannbund rief anlässlich seines hundertjährigen Bestehens in Leipzig zu mehr Geschlossenheit und Kampfbereitschaft aller Ärzte auf.

Hans-Jürgen Thomas: „Krank- heit lässt sich nicht budge-

tieren.“ Foto:

Frank Pfennig

(2)

und solidarisch gegenüber der Bevölke- rung, der Politk und der Regierung plau- sibel vertreten – wenn auch nicht ohne Abstriche – durchgesetzt werden. Aller- dings: Die fantasielose Kostendämp- fungspolitik, die schematische Ausgaben- deckelung und heckenschnittartige Lei- stungskürzungen müssten endlich passé sein. Auch dürften keine Lastenverschie- bungen vom Staat auf die Sozialversiche- rungsträger, auch innerhalb der einzel- nen Sozialleistungszweige, vorgenom- men werden (Stichwort: „Verschiebe- bahnhöfe“). Der HB hat sich für weitere streikähnliche Öffentlichkeitsaktionen und teilweise Schließungen von Arztpra- xen ausgesprochen, ohne allerdings die Patientenversorgung dadurch zu gefähr- den. Die Schließungsaktionen in Sachsen und Sachsen-Anhalt Ende dieses Monats sollen tatkräftig unterstützt werden.

Thomas rief Bundeskanzler Gerhard Schröder auf, die Gesundheitspolitik jetzt endlich zur Chefsache zu machen und in einem parteienübergreifenden Clearing für wirksame Reformen zu sorgen, die nicht wiederum einseitig zu- lasten der Leistungsträger gehen. Sie müssten ordnungspolitischen Tiefgang haben, die Ursachen der Strukturver- werfungen und der permanenten Fi- nanzierungskrisen abstellen. In einer Generalrevision des Rechts der Gesetz- lichen Krankenversicherung sollte oh- ne wahlpolitische Rücksichtnahmen und andere tagespolitischen Opportunitä- ten der zu üppige Pflichtleistungskata- log der Krankenversicherung durchfor- stet und von allen versicherungsfrem- den und -fernen Leistungen entfrachtet werden. Die arbeitsrechtliche Lohn- fortzahlung, medizinisch nicht indizier- te Abtreibungen, der Mutterschutz und der in der GKV eingebaute Familienla- stenausgleich belasteten die Kranken- versicherung jährlich mit mindestens 150 Milliarden DM.

Eine Altforderung des Hartmann- bundes wurde in Leipzig erneut be- schworen: Das Kostenerstattungsver- fahren anstelle des bisher dominieren- den Sachleistungsverfahrens müsse zu- mindest eine Wahloption sein. Dieser Trend werde zudem durch die Recht- sprechung des Europäischen Gerichts- hofes in Zukunft noch verstärkt. Aller- dings will man die Bürokratie nicht noch erhöhen, indem man den Versicherten

bei fortgeltendem Sachleistungsverfah- ren automatisch einen Kontoauszug oder ein Rechnungsdoppel zustellt, oh- ne dass dadurch etwas bewirkt wird.

Vorsicht bei Netzmodellen

Nachdrücklich hat der HB gutgläubige Ärzte davor gewarnt, sich aus vorder- gründigem Interesse und falsch verstan- dener Kollegialität Integrations- und Netzmodellen zu unterwerfen, die von den Krankenkassen ferngesteuert sind.

Dadurch könne „Einkaufspolitik pur“

bewirkt werden, mithin ein Rückfall in Methoden des vorigen Jahrhunderts.

Zudem sei es kurzsichtig, wenn einzelne Gruppierungen von Ärzten sich nur deswegen in solche Modelle einbinden, weil sie kurzfristig einen ökonomischen Vorteil erwarten, aber die „Einkaufs- lust“ der Krankenkassen unterschätzen.

Den Versicherten müssten mehr Wahl- und Selbstbestimmungsrechte auch bei der Inanspruchnahme wählbarer medizi- nischer Leistungen eingeräumt werden, insbesondere jener Leistungen, die nicht durch die paritätische Beitragsfinanzie- rung der Krankenversicherung abge-

deckt werden. Eine sozialverträgliche Kostenerstattung fördere die Leistungs- transparenz und führe in der Regel zu ei- ner pfleglicheren Inanspruchnahme. Al- lerdings müssten angemessene Härtefall- und Befreiungsregelungen gesetzlich festgelegt werden. Kein probates Mittel, um die Finanzkraft der GKV zu stärken und strukturelle Probleme zu beheben, sei die Anhebung der Beitrags- und Ver- sicherungspflichtgrenze etwa auf das Niveau der Rentenversicherung. Solche Maßnahmen wirkten nur kurzfristig, lö- sten aber zugleich höhere Leistungsan- sprüche von Besserverdienenden aus; zu- dem sei der damit verbundene inverse Umverteilungseffekt inakzeptabel.

Als „Ausbeutung pur“ geißelte Tho- mas die Überforderung und Ausnutzung vieler Klinikfachärzte, insbesondere aber der Assistenz- und in Weiterbildung stehenden Ärztinnen und Ärzte durch den Klinikarbeitgeber. Jährlich werde ein Überstundenvolumen von 51 Millio- nen Stunden abgeleistet. Dies sei eine il- legale Subventionierung der Klinikbud- gets zulasten der Krankenhausmitarbei- ter, insbesondere der Ärzte. Dies müsse zur Berufsverdrossenheit und Perspek- tivlosigkeit führen. Dr. rer. pol. Harald Clade P O L I T I K

A

A2498 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 39½½½½29. September 2000

Denekes Summa

Der Titel des voluminösen Werkes klingt nach Fest- schrift: „100 Jahre Hartmannbund – Partner des Fortschritts“. Doch was J. F. Volrad Deneke anläss- lich des Jubiläums vorgelegt hat, geht über die übli- che Festschrift weit hinaus. Selbstverständlich ent- hält das Buch (712 Seiten, Bonn/Berlin, 2000, 68 DM, für HB-Mitglieder 43 DM) den Festschriften- üblichen Anhang mit Dokumentation, Namensli- sten und geschichtlichen Daten (übrigens synop- tisch mit Gegenüberstellung der allgemeinen Poli- tik, der Wirtschaft sowie Ereignissen des Gesund- heitswesens und der Medizin). Doch über fast 500 Seiten beschäftigt sich Deneke in einer geschlosse- nen Darstellung, fußnotenfrei und lesbar, mit Grundfragen der ärztlichen Berufspolitik, Verband- spolitik am Beispiel des Hartmannbundes, einge- bettet in die jeweilige Zeitgeschichte, mit gehöri- gen Seitenblicken auf die wissenschaftliche Ent- wicklung und nicht zuletzt die wirtschaftlichen Be- dingungen, unter denen Berufspolitik stattfand.

Deneke legt größten Wert darauf, die Geschich- te des HB und der Ärzteschaft aus der Zeit heraus zu erklären und zu verstehen. Das ist insgesamt ein wissenschaftlich fruchtbares Unterfangen. Aller- dings stößt diese Methode bei der Darstellung des Dritten Reiches und der Bewertung ärztlichen Ver- haltens in diesen zwölf Jahren sichtlich an ihre

Grenzen. Deneke sieht durchaus das Außerordent- liche der NS-Zeit und das Furchtbare des Gesche- hens; der Versuch, daneben aber auf ärztliche Nor- malität zu pochen, gerät zur Gratwanderung, der Autor in die Gefahr, ins Relativieren abzurutschen.

So verblasst die zwielichtige Haltung des Hart- mannbundes bei der Gleichschaltung und der Aus- schaltung jüdischer und politisch missliebiger Ärz- te. Gleichwohl mag der Ansatz , auch diese Jahre nicht ausschließlich aus Sicht der Kinder- und En- kelgeneration zu beurteilen, kritisch weiterverfolgt werden.

Die Rolle des Hartmannbundes für die Entste- hung der kassenärztlichen Organisationsstrukturen vor 1933 wird trefflich herausgearbeitet. Die Be- deutung des HB in diesen Jahrzehnten kann kaum hoch genug eingeschätzt werden, anders nach 1949. Der HB und mit ihm sein Chronist sehen den Verband als „Schild und Schwert der Ärzteschaft“.

Dem Anspruch wurde er freilich selten gerecht.

Besonders bemerkenswert an Denekes Buch ist die nüchterne, fast macchiavellistische Analyse von Interessenpolitik und ärztlicher Berufspolitik.

Jeder, der Politik macht oder sie beurteilt, wird Ge- winn daraus schöpfen. Deneke, der Jahrzehnte ärztlicher Berufspolitik miterlebt und mitgestaltet hat, gibt hier in hohem Alter und mit ungebroche- ner analytischer Kraft die Summe seiner politischen Erfahrungen und seiner Lebenskenntnis an die

(3)

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 39½½½½29. September 2000 AA2499

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Der Hartmannbund steht für eine qualitäts- und leistungsorientierte, an- gemessene Vergütung und eine darauf abgestellte Reform der Arzthonorie- rung.. Im Bereich der

Den Versicherten müssten mehr Wahl- und Selbstbestimmungsrechte auch bei der Inanspruchnahme wählbarer medizi- nischer Leistungen eingeräumt werden, insbesondere jener

Das Gesetz sei per se ungerecht, auch wenn mög- licherweise der Arztbezug und die Pa- tientenbezogenheit der Daten auf Grund des Einspruches des Bundes- datenschützers

Thomas sagte, daß die Qualitätssi- cherung als eine ureigene Aufgabe der Ärzteschaft geradezu eine Vorausset- zung für die Berufsausübung sei.. Qua- litätssicherung werde

Böhmer ist davon überzeugt, dass Vertei- lungskonflikte dem Gesundheitssys- tem immanent sind und sich nicht lösen lassen, solange der einzelne Patient nicht verantwortlich einbe-

Die Beschwichtigungen der gesundheitspolitischen Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, Birgitt Bender, ließ der Hartmannbund nicht gelten: Gesetzliche und private

ne Leistungs- und Kostentrans- parenz gegeben werden sollte- nicht nur zur Kontrolle, sondern auch zu seiner Information als mündiger Bürger über das, was für ihn an

D er Hartmannbund (Verband der Ärzte Deutschlands e.V.) steht für Beharrlichkeit und Kontinuität in der ärztlichen Berufs- und Gesund- heitspolitik ebenso wie bei der Wahl