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Archiv "Hauptversammlung 1996 des Hartmannbundes: Ende der Duldungsstarre" (01.11.1996)

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ür den Vorsitzenden des Hart- mannbundes (HB), Dr. med.

Hans-Jürgen Thomas, Facharzt für Allgemeinmedizin aus Er- witte/Westfalen, ist die Bestandsauf- nahme klar und eindeutig: Alle fünf Zweige der Sozialversicherung sind noch krisenanfälliger geworden, seit die Finanzmittel über paritätisch fi- nanzierte lohnbezogene Abgaben nicht mehr so üppig fließen und in der Kasse von Bund, Ländern und Kom- munen ständig Ebbe herrscht. Die Politik sei unredlich, wenn sie vorgau- kelt, auch kleinste Risiken und Vor- kehrungen gegen die Wechselfälle des Lebens könnten über die sozialen Si- cherungssysteme und die Sozialhilfe ohne ausreichende Mittel uneinge- schränkt finanziert werden.

Die Globalisierung aller gesell- schaftlichen Bereiche und die ökono- misch an Maastricht ausgerichteten Direktiven des Bundeskanzlers ge- winnen nach Einschätzungen von Dr. Thomas auch die Oberhand über die gesundheitspolitischen Perspekti- ven für die Weiterentwicklung des Gesundheitssicherungssystems, wie sie in den Petersberger Gesprächen auch mit der Ärzteschaft abgespro- chen wurden. Die Stafette von weite- ren dirigistischen Kostendämpfungs- gesetzen sei ein weiteres Indiz dafür, daß permanente gesetzgeberische In- terventionen weitere unerträgliche Reglementierungen und drastische Eingriffe in die berufliche Unabhän- gigkeit und existentiellen Grundlagen

des Arztberufes mit sich brächten. Es sei infam, die Ärzte erneut dafür ver- antwortlich zu machen, daß „jährlich mindestens fünf Milliarden DM für überflüssige und medizinisch nicht notwendige Leistungen“ ausgegeben

werden und das Arznei- und Heilmit- telbudget überschritten worden sei.

Keiner gesellschaftlichen Gruppe würde zugemutet werden, daß sie un- verändert hochqualifizierte Leistun- gen nach strikten Sparvorgaben er- bringen muß, ohne daß ihr dafür ange- messene Vergütungen gewährt wer-

den. Das SPD-„Alternativ“-Konzept eines politisch gesteuerten Global- budgets ist für den HB ein „Rück- schritt ins vergangene Jahrhundert“, das bekämpft werden müsse. Die Fest- schreibung einer globalen Sippenhaft bei Budgetüberschreitungen in der Arzneiversorgung ebenso wie Verord- nungstestate durch die Patienten schürten Mißtrauen und führten in ein System, das zu anderen Ufern treibt.

Der Hartmannbund will die

„Duldungsstarre“ der Ärzte durch Aktionen und zum Teil unkonventio- nelle, zum Teil unbequeme Reform- Alternativen überwinden. Die Re- form-Optionen haben manche Ähn- lichkeit mit den Eckpunkten der Ko- alition, die von HB-Chef Thomas als

„erfrischend realitätsbezogen“ be- zeichnet wurden. Eine Durchforstung des überzogenen und zum Teil obso- let gewordenen Leistungskatalogs der GKV sei vordringlich. Der HB signa- lisierte allerdings nur dann seine Un- terstützung bei den nächsten Reform- schritten, wenn dabei die Ärzte nicht erneut als Erfüllungsgehilfen und staatliche Sparkommissare einge- spannt werden.

Berührungspunkte zu den eige- nen Forderungen sieht der Hart- mannbund im Ansatz der Koalition, daß künftig alle Versicherten das Kostenerstattungsverfahren wählen können. Die konzeptionellen Grund- lagen zu diesem Ansatz hatte der frühere Hartmannbund-Vorsitzende, Dr. med. Friedrich Thieding, bereits Mitte der sechziger Jahre in seiner unverändert aktuellen Streitschrift

„Der Arzt in den Fesseln der Sozial- politik“ gelegt. Das Kostenerstat- tungsverfahren sei dem anonymen Sachleistungssystem überlegen. Der Hauptmangel des Krankenscheinbe- zugssystems sei seine Intransparenz und Steuerungsineffizienz. Zudem führe dieses Verfahren unter den Bedingungen des Budgets zu Ratio- nalitätenfallen und Mengenauswei- tungen, die nicht durch Gegenmaß- nahmen der Politik und durch die Selbstverwaltung verhindert werden könnten. Die Folgen sind längst an- geprangert:

l ruinöser Punktwertverfall;

l Qualitätsminderung infolge des Abbaus auch von nicht kostendecken- den ärztlichen Leistungen;

A-2849 Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 44, 1. November 1996 (33)

T H E M E N D E R Z E I T TAGUNGSBERICHT

Hauptversammlung 1996 des Hartmannbundes

Ende der Duldungsstarre

Der Hartmannbund (Verband der Ärzte Deutschlands e.V.) hat dazu aufgerufen, bei der Konsolidierung der Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) „nach Kräften“ mitzuwirken. Allerdings sei die Fortsetzung der Kosten- dämpfungspolitik kein zielführendes Handlungskonzept. Die freiberuflich täti- gen Ärzte und die Klinikärzte dürften nicht erneut einseitig als Lastenträger einer weitgehend hausgemachten Defizit-Politik der Krankenkassen eingespannt wer- den. Die Freiberuflichkeit, Unabhängigkeit der Ärzte und die freie Arztwahl müßten mit allen Mitteln gestärkt werden. Die HB-Hauptversammlung in Baden- Baden Mitte Oktober faßte zur aktuellen Gesundheitspolitik 34 Beschlüsse.

Dr. Hans-Jürgen Thomas, 1. Vorsitzender des Hart- mannbundes (Verband der Ärzte Deutschlands e.V.) vor der Hauptversammlung seines Verbandes am 18. Oktober im Kongreßhaus zu Baden-Baden:

„Krankheit läßt sich ebensowenig sozialisieren, wie die Gesundheit marktwirtschaftlichen Gesetzen folgt.“

Foto: Frank Pfennig, Mönchengladbach

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l Gefährdung einer flächendek- kenden, gleichmäßigen Patientenver- sorgung;

l Einschränkung der Vertrags- freiheit und ein Übermaß bürokrati- scher Kontrollvorschriften mit sach- fremder Einflußnahme.

Mit der Umstellung vom Sachlei- stungs- auf das Kostenerstattungsver- fahren ließe sich nach Überzeugung des Hartmannbundes zugleich ein ge- rechteres Bewertungssystem in Mark und Pfennig auf festen kalkulatori- schen Grundlagen für die Arztleistun- gen installieren.

Für Umstellung auf Kostenerstattung

Der frühere HB-Vorsitzende, Dr. med. Siegfried Häussler, hatte be- reits in den siebziger Jahren empirisch nachgewiesen, daß bloße Kosten- kenntnis über Arztrechnungen nicht zur pfleglicheren Inanspruchnahme der Versicherungsleistungen veran- laßt. Deshalb plädiert der HB für ein Kostenerstattungsmodell mit sozial verträglichen Selbstbeteiligungsvari- anten. Zunächst sollte die Umstellung kurzfristig im Bereich von zwei oder drei Kassenärztlichen Vereinigungen erprobt werden, vorausgesetzt, alle Versicherten und alle Ärzte der Regi- on beteiligen sich. Nur eine Wahlmög- lichkeit für die Versicherten, wie sie die Koalition vorschlägt, reiche nicht aus, sie sei vielmehr nur ein erster Schritt. A la longue strebt der Hart- mannbund einen Ausstieg der Ver- tragsärzte aus dem Sachleistungssy- stem an, nicht aber eine Konvergenz oder einen totalen Systemschwenk der gesetzlichen zur privaten Kran- kenversicherung. Die sozialen Rah- menbedingungen bei der Leistungs- gewährung sollten beachtet werden.

Die Beibehaltung der paritätischen GKV-Finanzierung wird unterstellt, allerdings unter Überprüfung der Fi- nanzierungsbasis. Mehr Finanzie- rungsgerechtigkeit bedingten, versi- cherungsfremde Leistungen aus der gesetzlichen Versicherung auszugren- zen oder diese kostengerecht durch den „Veranlasser“ zu finanzieren (Sparvolumen: mindestens 10 Milliar- den DM). Die Kassenärztlichen Ver- einigungen und die KBV hätten auch

in einem auf Kostenerstattung umge- stellten System wichtige Koordinie- rungs-, Inkasso- und Selbstverwal- tungsfunktionen auf der Basis genos- senschaftlich organisierter Körper- schaften. Allerdings müßten die Kas- senärztlichen Vereinigungen gegen- über der KBV gestärkt und organisa- torisch reformiert werden. Ziel: Re- duzierung der Mandatsträger in der Vertreterversammlung; mehr Pro- fessionalität und Schlagkraft der be- rufspolitischen und administrativen Führungsgremien. Eine gesundheits- politische Richtungsänderung bedeu- tet für den HB aber auch eine Umstel- lung des Leistungskatalogs und eine Überprüfung der Leistungsberechtig- ten in der gesetzlichen Krankenversi- cherung. Von dieser Aufgabe könn- ten die Leistungserbringer die Politik nicht entbinden.

Geklagt wurde auch über den rückläufigen prozentualen Anteil des GKV-Arzthonorars am gesamten Ausgabenbudget der Krankenversi- cherung. Dieser Anteil sank innerhalb der Budgetierungsphase (1993 bis 1995) von 17 auf 15,3 Prozent in den alten und von 14,2 auf 12,9 Prozent in den neuen Bundesländern. Damit sei – auch im Hinblick auf die höhere Zahl der an der vertragsärztlichen Ver- sorgung teilnehmenden Ärzte, die verschlechterte demographische Ent- wicklung und den permanenten medi- zinischen Fortschritt – die „Schmerz- grenze“ erreicht. Der frühere 20-Pro- zent-Anteil am GKV-Ausgabenku- chen für Kassenärzte sei anzustreben;

dies bedeutete bei einem GKV-Ausga- benvolumen von rund 280 Milliarden DM p. a. rund 60 Milliarden DM (1995: rund 38 Milliarden DM).

Der Hartmannbund rief den Ge- setzgeber und die Krankenkassen auf, den „Chipkarten-Tourismus“ einzu- schränken und den Mißbrauch rigoros zu unterbinden. Allerdings müsse das Recht zur freien Arztwahl uneinge- schränkt wie bisher gelten. Die Chip- karte könne so programmiert werden, daß Fachärzte der gleichen Richtung nur einmal im Quartal in Anspruch genommen werden können (andern- falls sind Zuzahlungen wie in Däne- mark oder Privathonorare fällig).

Nachhaltig unterstützt der HB die aktuellen arzneimittelpolitischen Initiativen der Kassenärztlichen Bun-

desvereinigung: So soll auf Selbstver- waltungsebene eine Liste von „nicht gesichert wirksamen Arzneimitteln“

aufgestellt und den Kassenärzten eine erweiterte Negativliste an die Hand gegeben werden. Das rechtswidrige Durchgriffsrecht der Krankenkassen über eine Globalhaftung aller Ver- tragsärzte bei Budgetüberschreitun- gen wird abgelehnt und ein Muster- prozeß (in Niedersachsen) unterstützt.

Bis zum Aussetzen der Maßnahmen sollten alle Vertragsärzte nur noch Arzneimittel auf Privatrezepten aus- stellen. Dadurch würde zwar das Ver- tragsrecht verletzt, aber die Grundsät- ze des (höherrangigen) ärztlichen Be- rufsrechtes blieben gewahrt. Notwen- dig seien Vorgaben und Informationen über kollegiale Qualitätszirkel, was effektiv verordnet werden kann und soll und was als echte Innovation auf dem Medikamentensektor gilt.

Klinikbudgets knebeln Ärzte

Auch die Kolleginnen und Kolle- gen von der „Klinikfront“ bekamen in Baden-Baden durch den Hartmann- bund Unterstützung: Starre, unbefri- stete Budgets führten zu einer Ver- schlechterung der Versorgungsqua- lität, zur Rationierung und zu drasti- schen Leistungseinschnitten zu Lasten der Patienten. Verstöße gegen das seit 1. Januar 1996 geltende Arbeitszeitge- setz könnten ebensowenig hingenom- men werden wie die Unterbezahlung von Klinikärzten und die dienstlich angeordnete Ableistung von unent- geltlichen Einsatz- und Bereitschafts- diensten oder die Beschäftigung aus- schließlich über zeitlich limitierte Ver- träge. Eine gesetzlich vorgeschriebene oder dienstvertraglich angeordnete Haftung der Krankenhausärzte (zu- mindest der leitenden Ärzte) bei Budgetüberschreitungen, ohne gleich- zeitig deren Mitwirkungsrechte zu verankern, sei skandalös; hier müßten die Aufsichtsbehörden eingreifen und die Berufsverbände aktiv werden.

Auch dem Verlangen der Kranken- kassen, die Krankenhäuser je nach Finanzlage und Bedarfsnotwendig- keiten einzukaufen oder ihnen zu kündigen, müsse ein Riegel vorge- schoben werden. Dr. Harald Clade A-2850 (34) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 44, 1. November 1996

T H E M E N D E R Z E I T TAGUNGSBERICHT

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