Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 106|
Heft 37|
11. September 2009 A 1799 Die moderne Medizin befindet sich ineinem grundlegenden Transformati- onsprozess, der mit einer Verände- rung der Identität der Medizin einher- geht. Dies scheint den Autoren des
Bandes bewusst gewesen zu sein, als sie namhafte Internisten, Neurologen, Gynäkologen, Chir- urgen und Psychosomatiker an- lässlich einer Tagung zu Ehren des 120. Geburtstags von Viktor von Weizsäcker zusammenführ- ten, um sein Konzept einer „All- gemeinen Medizin“ mit der heu- tigen Wirklichkeit der modernen Medizin zu konfrontieren. An- liegen des Buches war es, die Grenze des rein naturwissen- schaftlich-technischen Zugangs auf die Medizin kenntlich zu machen und den Dialog zwischen Patient und Arzt in seiner Bedeutsamkeit für die ärztliche Heilkunde zu unterstreichen.
Unter dem Begriff einer Allge- meinen Medizin verstand Viktor von Weizsäcker eine bestimmte ärztliche Einstellung, die das Subjekt des Kranken in den Mittelpunkt rückt, und zugleich eine allgemeine Wis- senschaft vom kranken Menschen, die sich am Anthropologischen ori- entiert. Dementsprechend ist das Buch in vier Teile aufgeteilt, die die- se beiden Pole der Allgemeinen Me- dizin aufgreifen und vertiefen. Im ersten Teil gehen namhafte Autoren
auf die Allgemeine Klinische Medi- zin als Voraussetzung einer moder- nen Heilkunde ein. Herausragend ist hier der Beitrag von Hans-Christian Deter, der in überzeugender Weise verdeutlicht, dass die moderne Me- dizin den Arztberuf zu einer reinen Vermittler- oder Moderatorenfunkti- on herabstuft und dabei die Mit- menschbeziehung zunehmend mar- ginalisiert. Sehr lesenswert auch die Ausführungen von Günther Berg- mann, der auf das unheilvolle Ef - fizienzdiktat aufmerksam macht.
Wenn unter DRG-Bedingungen eine radikale Beschleunigung hergestellt wird, gerät nach Bergmann die psy- chosoziale Dimension der Erkran- kung weiter aus dem Blickfeld, weil das hierfür notwendige Innehalten wegrationalisiert wird.
Dem menschlichen Körper als Gegenstand oder Subjekt in der Be- handlung widmet sich der zweite Teil des Buches. Während Johannes Köbberling den Begriff der Wissen- schaft in der Medizin problemati- siert, stellt Elk Franke kritische Rückfragen an das herrschende Pa- radigma der Handlung in der Be- handlung, und Günter Gebauer fragt in seinem philosophischen Aufsatz nach der Normativität des Körpers.
Der dritte Teil widmet sich dem ärzt- lichen Selbstverständnis. Einige Bei- träge stellen hier die Rolle des Ge-
sprächs in den Mittelpunkt, andere betonen in direktem Rückgriff auf Viktor von Weizsäcker das Allge- meine in der ärztlichen Begegnung mit dem Kranken. Besonders ein- drücklich ist hier der Beitrag von Fritz von Weizsäcker, der die Rück- bindung an das Allgemeine als Not- wendigkeit zur Vermeidung einer in- haltlichen Entfremdung durch die Fülle des Partikularwissens überzeu- gend herausstellt. Beiträge von Wer- ner Herzog, Sven Olaf Hoffmann und Dieter Janz gehen schließlich im vierten Teil auf die enorme Ausstrah- lungskraft der Person und der Werke von Viktor von Weizsäcker ein und verdeutlichen die Chancen und Schwierigkeiten der institutionellen Einrichtung einer Allgemeinen Kli- nischen Medizin in Deutschland.
Das Buch ist eine sehr gelungene Verbindung einer Bestandsaufnah- me der Lehre von Viktor von Weiz- säcker mit den heutigen Herausfor- derungen einer Medizin, die – un- terstützt durch das marktwirtschaft- liche Credo – sich heute immer mehr von der ärztlichen Heilkunde entfernt. Wie aktuell Viktor von Weizsäcker gerade heute noch ist, belegt dieser Band sehr eindrück- lich. Die Lektüre dieses faszinie- renden Bandes ist jedem ärztlich Tätigen anzuraten, damit wieder neu ins Bewusstsein kommt, dass Heilkunde ohne anthropologische Reflexion auf das Wesen des Men- schen nicht möglich ist. Giovanni Maio ALLGEMEINE MEDIZIN
Dialog zwischen Arzt und Patient unterstreichen
Hans-Christian Deter (Hg.): Allgemeine Kli- nische Medizin. Ärztli- ches Handeln im Dialog als Grundlage einer modernen Heilkunde.
Vanden hoeck & Ru- precht, Göttingen, 2007, 236 Seiten, kar- toniert, 19,90 Euro
Medizin/Naturwissenschaft
Birgit Drexler-Gormann: Jüdische Ärzte in Frankfurt am Main 1933–1945. Isolation, Vertreibung, Ermor- dung. Mabuse-Verlag, Frankfurt am Main 2009, 143 Seiten, Paperback, 16,90 Euro
Manfred Spitzer: Das Wahre, Schöne, Gute. Brücken zwischen Geist und Gehirn. Schattauer, Stuttgart, New York 2009, 208 Seiten, kartoniert, 19,95 Euro Uwe Nixdorff (Hrsg.): Check-up-Medizin. Prävention von Krankheiten – Evidenzbasierte Empfehlungen für die Praxis. Thieme, Stuttgart, New York 2009, 392 Seiten, gebunden, 99,95 Euro
Peter Müller: Zeitzeuge der Medzin. Im Gespräch mit dem Internisten Walter Siegenthaler. Thieme, Stuttgart, New York 2009, 172 Seiten, gebunden, 39,95 Euro
Matthias Kettner (Hrsg.): Wunscherfüllende Medizin.
Campus, Frankfurt/Main 2009, 338 Seiten, kartoniert, 39,90 Euro
Gerald Kolb, Andreas H. Leischker (Hrsg.): Medizin des alternden Menschen. Wissenschaftliche Verlags- gesellschaft, Stuttgart 2009, 353 Seiten, gebunden, 36 Euro
Versorgungsstrukturen
Volker Eric Amelung, Klaus Meyer-Lutterloh, Elmar Schmid, Rainer Seiler, Ralph Lägel, John N. Weather- ly: Integrierte Versorgung und Medizinische Versor- gungszentren. 2. Auflage, MWV Medizinisch Wissen- schaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin 2009, 279 Seiten, gebunden, 44,95 Euro
Susanne Rabady, Erwin Rebhandl, Andreas Sönnich- sen (Hrsg.): EbM-Guidelines. Evidenzbasierte Medizin für Klinik & Praxis. 4. Auflage. Deutscher Ärzte-Verlag, Köln 2009, 1596 Seiten, kartoniert, 99,95 Euro Peter M. Hermanns, Gert Filler: EBM 2009 – Stand 1. 1. 2009 mit Euro-Beträgen auf der Grundlage des bundeseinheitlichen Orientierungspunktwertes.
ecomed MEDIZIN, Verlagsgruppe Hüthig Jehle Rehm, Landsberg/Lech 2009, 960 Seiten, Broschur, 59 Euro
Angela Raffle, J. A. Muir Gray: Screening. Durchfüh- rung und Nutzen von Vorsorgeuntersuchungen. Huber, Bern 2009, 336 Seiten, kartoniert, 39,95 Euro Rainer Welz: Marketing für Gesundheitsberufe. S. Ro- derer Verlag, Regensburg 2009, 242 Seiten, kartoniert, 36,80 Euro
NEUEINGÄNGE
B a N u l d v t g t M l G s Hans-Christian Deter