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Archiv "Moderne Physik und Grundfragen der Medizin: Patient als Subjekt" (17.11.2000)

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große Ermutigung“ sein, so die Auto- ren, dass man „bereits in der Naturwis- senschaft als einer der Grundlagendis- ziplinen der Medizin“ sich nicht scheut, nicht vollständig Quantifizier- bares anzuerkennen. Die Quanten- theorie führt zwar auf naturwissen- schaftlichem Weg zu einer Neufassung des Subjekt-Objekt-Problems, aber:

„Um dann das Gesicht der Objekti- vität zu wahren, wird die so entstande- ne Ungewissheit über das Objekt in ei- ne berechenbare Ungewissheit, die Unbestimmtheitsrelation umgedeutet;

so als ob die Unsicherheit, weil bere- chenbar, selbst ein objektiver Sachver- halt wäre.“ (Viktor von Weizsäcker:

Pathosophie, Vandenhoek und Rup- recht, Göttingen 1956, Seite 185). Und allgemein ist zu berücksichtigen: „Die- ses theoretische Denken nützt bei der Krankheit nur, wenn es praktisch ange- wendet wird.“ (Pathosophie, Seite 12).

Dies tun die Autorenanwälte aber lei- der nicht. Sie verraten stattdessen die Interessen ihres Mandanten-Subjekts, wenn sie resümierend feststellen:

„Dem Arzt begegnen alle Patienten mit ihrem klinischen Befund und den mit naturwissenschaftlichen Methoden analysierten Laborparametern . . .“.

Da hilft es dem Angeklagten – dem kla- genden Subjekt – nicht, dass es um seine Biografie und die psychosozialen Pro- ble-

me bereichert wird. Der klinische Be- fund, egal wie weit gefasst, ist das Er- gebnis einer Methode, ist also schon auf dem Weg (meta-hodos) zum Objekt und hat die Begegnung von Arzt und Patient, die Beziehung zweier Perso- nen, hinter sich gelassen. Eine neue Sichtweise benötigt nicht die Quanten- theorie; um nicht Handeln am bloßen Objekt zu sein, braucht sich eine selbst- bewusste Medizin nur darauf zu besin- nen: „Die ärztliche Handlung beruht offenbar auf der Beziehung von Arzt und Krankem.“ (Pathosophie, Seite 264). Die Möglichkeit einer neuen Sicht muss diese begegnungsreiche Bezie- hung/beziehungsreiche Begegnung berücksichtigen und darf auch in der Grundlagenmedizin nicht von ihr abse- hen, da sie nicht nur der Beginn, son- dern auch das Ziel ärztlichen Handelns ist.

Dr. med. Jochen Faig Neurologische Abteilung Weserbergland-Klinik 37669 Höxter

Patient als Subjekt

Die Subjekt-Objekt-Thematik gehört durch die wachsenden Ansprüche des Patienten auf mehr Mündigkeit in der medizinischen Praxis seit Jahren zum Alltag. Allerdings wird die geforder- te „ganzheitliche“ Behandlungsweise noch nicht allein durch die Berück- sichtigung „psychosozialer Faktoren“

erreicht.

Wie am Beispiel der Quantenphy- sik hergeleitet, „schafft“ der Physiker durch die Wahl seines experimentel- len Aufbaus „seine Umwelt“, er ist handelndes Subjekt, indem er die Welt

„in seine Form“ bringt. Mit dieser Be- trachtungsweise – das eigentliche des Subjektseins liegt in seinem aktiven Handeln – wird das Subjekt allerdings weiterhin wie ein Objekt behandelt, denn es wird von außen betrachtet.

Ohne die einzige real zur Verfügung stehende Subjekterfahrung – die Selbsterfahrung – bleibt der Subjekt- begriff inhaltslos. Es ist eine Umwen- dung der Blickrichtung erforderlich – die Selbstbeobachtung.

Im Zentrum der Subjekterfahrung steht die Erfahrung „Ich“ – das, was mich veranlasst, mir diesen Namen zu geben, der nur dann mich meint, wenn ich ihn ausspreche. In dieser Fähigkeit – sich selbst „Ich“ nennen können – liegt (noch) keinerlei individuelle Prä- gung, obwohl das „Subjektive“ allge- mein als etwas rein „Persönliches“ be- handelt wird.

Diese überpersönliche Qualität des

„Ich“ ist zu erfahren in der Beobach- tung des eigenen Denkvorgangs. Das Denken als Quelle des Bewusstseins bemerkt seine eigene Existenz und Aktivität nicht, da es damit beschäf- tigt ist, Inhalte hervorzubringen, Bil- der im Bewusstsein zu erzeugen. Das Denken selbst kann nicht zu einem gleichartigen „Bild“ in diesem Sinne werden, denn dann ist es schon „Ge- dachtes“ geworden. Man kann es nur wiederholen, um den Prozess des Den- kens zu spüren: eine Blickwendung vom Objekt zum Subjekt. Das „Ich“

ist nichts zu Sehendes, sondern das Se- hen selbst – die Quelle der Aufmerk- samkeit.

Dieses „Ich“ ist für ein den ganzen Menschen umfassendes Menschenbild nicht zu ersetzen oder abzuleiten. Der Patient hat ein Gespür, ob der Arzt in ihm diese Instanz anerkennt und sie im therapeutischen Prozess sogar her- ausfordert, oder ob er sie ignorieren oder manipulieren will. Dieses „Ich“

ist in der Anthroposophischen Medi- zin innerstes Glied eines Gesamtorga- nismus, der für den Arzt auf vier Ebe- nen zu untersuchen ist und erst so die menschliche „Ganzheit“ ausmacht.

Zur Erfassung der Ebene des physi- schen Organismus gehört neben der körperlichen ärztlichen Untersuchung die naturwissenschaftliche Befunder- hebung mit Labor und apparativen Untersuchungstechniken.

Die physische Organisation unter- liegt während des Lebens den Gesetz- mäßigkeiten einer höheren Lebensor- ganisation, die sich in der Gesamtheit der sich primär selbst regulierenden physiologischen Vorgänge äußert und die Grundlage für die Entwicklung von Gesundheit bildet. Hierher gehören ei- nige traditionelle medizinische Kon- zepte, wie klassische Verfahren der Naturheilkunde, der Homöopathie, in dem sie den Organismus als Träger der Selbstheilungskräfte behandeln – was mehr ist, als unter „pathophysiolo- gisch“ verstanden werden kann.

Durch die Erlebnisfähigkeit des menschlichen Organismus kommt ei- ne „seelische“ Ebene in Betracht – die

„psychosozialen Faktoren“.

Darüber hinaus kommt beim Men- schen über sein Selbstbewusstsein die

„Subjekt“ oder „Ich“ genannte vierte Ebene seiner Existenz zum Tragen. Sie äußert sich in seiner Erkenntnisfähig- keit und der Möglichkeit, aus seinem Leben selbst etwas zu machen, nicht nur Bestandteil der Natur zu sein, son- dern sich zum Kulturschaffenden zu entwickeln. Ohne die Subjekt-Qualität auf beiden Seiten bleibt die Arzt-Pati- ent-Beziehung unpersönlich. Patien- ten beanspruchen heute eine Medizin, in der sie sich auch auf dieser Ebene wiederfinden können. Der Streit zwi- schen „Schulmedizin“ und „Ganzheits- medizin“ ist von daher „unmensch- M E D I Z I N

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lich“ und für den Patienten unwürdig, da er ihn vor unangemessene Alterna- tiven stellt.

Dr. med. Hendrik Vögler Beurhausstraße 7 44137 Dortmund

Duale Sichtweise bevorzugen

Die Physik als wesentliche Grundla- genwissenschaft prägt sehr stark das Welt- und Menschenbild unserer west- lichen Kultur und ihrer Medizin. Ent- gegen der Ankündigung streifen je- doch Schmahl und v. Weizsäcker die Quantentheorie nur, mit der sich auch Einstein nur schwer anfreunden konnte („Gott würfelt nicht“). In der Quantentheorie wird neben der Auf- hebung einer unabhängigen Objekti- vität auch die Kausalität in ihrer allge- meinen Gültigkeit eingeschränkt und durch eine rein statistische Beschrei- bung ersetzt. Letztendlich werden Ob- jektivität und Kausalität durch Wahr- scheinlichkeitsaussagen ersetzt (2).

Dadurch ergeben sich weitergehende Anregungen für die Medizin.

Metaphorische Übertragung des Welle-Teilchen-Dualismus, wie häufig in der Esoterik benutzt, erbringt kei- nen Erkenntnisgewinn. Aber die mo- derne Physik kann die Medizin zu ei- genen Doppelaspekttheorien und zur Berücksichtigung des Arztes als wirk- samen Teil in komplexen Wechselwir- kungen ermutigen. Mit dem Vordrin- gen der Medizinforschung in moleku- lare und atomare Strukturen wird zu- dem das Verständnis für die Quanten- theorie innerhalb der Medizin, bei- spielsweise in der Genetik oder auch in der Psychiatrie und Psychotherapie unmittelbar bedeutsam.

Die von den Autoren beschriebene Berücksichtigung psychischer Fakto- ren entspricht nicht der quantentheo- retisch implizierten Aufhebung der Subjekt-Objekt-Spaltung, sondern ob- jektiviert vielmehr auch die Psyche.

Die Redeweise von somatischen und psychischen Faktoren stammt aus der klassischen kausalen Physik und gera- de nicht aus der Quantentheorie.

Welle-Teilchen-Dualismus und Un- schärferelation sprechen eher gegen die Möglichkeit einer so genannten

ganzheitlichen Sichtweise des Patien- ten. Stattdessen muss eine gleiche Wertigkeit und Kooperation physika- lisch-chemischer und psychosozialer Aspekte gefordert werden, die jeweils situationsbedingt ihre Gültigkeit ha- ben, jedoch nicht gleichzeitig von ein und demselben Arzt gesehen werden können. Diese Sichtweisen werden sich aller Voraussicht nach nicht zur Deckung bringen lassen und der Ver- zicht auf eine der beiden Sichtweisen oder der Versuch, eine durch die ande- re zu erklären, würde mit einem Ver- lust an Verstehen bezahlt werden müs- sen.

Durch seine Untersuchung legt der Arzt den Patienten auf eine Objekti- vität fest, die es so vorher nicht gege- ben hat, was in der Physik einen Kol- laps der Wellenfunktion erzwingt.

Diese scheinbare Objektivität zwingt lebendige Komplexität in starre sin- guläre Zustände und beraubt sie ihrer übrigen Möglichkeiten. Der Arzt muss dabei seinen Anteil an dieser ein- schränkenden Wirklichkeitskonstitu- tion berücksichtigen. Dies geschieht beispielsweise in der so unphysika- lisch anmutenden Psychoanalyse mit ihrem Übertragungs-Gegenübertra- gungskonzept und ihrer Abstinenzfor- derung als möglichst wenig eingreifen- de und also wenig verobjektivierende Untersuchungshaltung.

Wenn man der Quantentheorie wei- ter folgt mit Ersatz individueller Kau- salität durch statistische Wahrschein- lichkeit, werden unserem üblichen kausalen Denken paradox erscheinen- de Befunde, beispielsweise unerklärli- che Fernwirkungen denkbar.

In der Medizin wird heute sicher überwiegend ein monistisches physi- kalisch-naturwissenschaftliches Welt- bild zugrunde gelegt, das den Geist le- diglich als Epiphänomen physikalisch- chemischer Prozesse des ZNS an- sieht. Bezüglich des Descartesschen Dualismus widerlegt die Quanten- theorie lediglich die Beobachtbarkeit einer für sich bestehenden res extensa, über die (Nicht-)-Existenz einer von der physikalischen Welt getrennten res cogitans kann sie gar keine Aus- sagen machen. Ob wir das Bewusst- sein und andere Phänomene mit einer dualistischen, monistischen oder Dop-

pelaspekt-Theorie erklären wollen, bleibt eine philosophische Entschei- dung. Eine Doppelaspekttheorie mit einem physikalisch-chemischen und einem psychischen Aspekt, ähnlich dem Welle-Teilchen-Dualismus in der Physik, hat derzeit sicher viele Vor- züge (1).

Literatur

1. Nagel T: What does it all mean. Oxford University Press 1987.

2. Wuchterl K: Streitgespräche und Kontroversen in der Philosophie des 20. Jahrhunderts. Bern, Stutt- gart, Wien: Haupt 1987.

Dr. med. Gottfried Maria Barth, M.A.

Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter der Universitätsklinik Tübingen Osianderstraße 14

72072 Tübingen

E-Mail: gottfried.barth@med.uni-tuebingen.de

Zur Lösung von Grundfragen

Quantenphysik, Relativitätstheorie und Heisenbergs Unschärferelation haben zwar die Newtonsche Physik re- lativiert, aber sie bleiben selbst auf den atomar-subatomaren Bereich be- schränkt. Dagegen spielt sich alles, was wir von Leib und Seele des Men- schen wissen, ausschließlich auf zel- lulärer und molekularer Ebene ab,

auch in

der kognitiven Neurobiologie, die den Descartesschen Objekt-Subjekt/

Leib-Seele-Dualismus überwunden und der Descartesschen „res cogitans“

wieder zwei Qualitäten hinzugefügt hat, die schon Platon und Aristoteles kannten. Die platonisch-aristotelische Dreiteilung in Geist, Mut und Trieb entspricht exakt den ZNS-Funktionen in Hirnstamm, limbischem System und Großhirnrinde.

Im Hirnstamm sind Triebe wie Hunger, Durst, Sex und andere le- benswichtige Funktionen lokalisiert.

Das limbische System ist der ebenfalls unbewusst funktionierende Genera- tor aller Gefühle und Emotionen.

Während der Hirnstamm den Herz- schlag steuert, entsteht im limbischen System die Herzenswärme, die Liebe, der Glaube, die Hoffnung, allerdings auch Hass, Kleinmut, Angst, Furcht und Verzweiflung. Die Großhirnrinde ist schließlich der Sitz von Geist, Be- M E D I Z I N

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wusstsein und kühlem Kalkül. Im Ge- gensatz zur Warmherzigkeit des lim- bischen Systems ist die Kaltherzig- keit deshalb ein charakteristisches Produkt der Großhirnrinde, ebenso die naturwissenschaftliche Medizin und die Quantenphysik.

Aber Arztsein ist mehr als medizi- nisches Neokortex-Wissen. Minde- stens gleichrangig ist die im limbi-

schen Sy-

stem lokalisierte Empathie als so ge- nannte emotionale Intelligenz. Schon Blaise Pascal wusste davon („Le coeur a ses raisons, dont la raison ne connait pas“), aber die naturwissenschaftliche und vom Neokortex dominierte Medi- zin wählt ihre Studienbewerber vor- rangig nach hohem IQ beziehungswei- se guter Abiturnote aus und auf der medizinischen Karriereleiter sind die irrationale Seele und Gefühle höchst brüchige Sprossen.

Die heutige Arzt-Patient-Bezie- hung leidet keineswegs an der Descar- tesschen Subjekt-Objekt-Polarität, son- dern an ihrer wissenschaftlichen Spe- zialisierung, Rationalisierung, letzt- lich an ihrer Seelenlosigkeit. Daher sind die Gegensätze zwischen „natur- wissenschaftlicher“ und „psychosozia- ler“ Medizin weder durch Quanten- sprünge zu überspringen noch durch die Heisenbergsche Unschärferelation zu verwischen. Der gute Arzt über- windet die Kluft zu seinem Patienten nicht durch die Neokortex-Rationa- lität der Quantenphysik, sondern mit- hilfe seiner Empathie. Wie wenig das eine mit dem anderen zu tun hat, hat niemand so deutlich demonstriert wie gerade Albert Einstein. Der Schöpfer der genialen Relativitätstheorie führte eine emotionale Krüppelexistenz, zeitlebens unfähig zu tieferer mensch- licher Bindung. Doch diese Fähigkeit ist im Lehrplan der naturwissenschaft- lich-medizinischen Fakultäten noch heute weitgehend ausgespart, obwohl auch „emotionale Intelligenz“ gelernt werden kann, allerdings nicht theore- tisch wie das technisch-medizinische Wissen, sondern durch „learning by doing“.

Ein allgemein tieferes Verständnis für die Struktur unseres Zentralner- vensystems zeigt nicht nur das Zusam- menspiel von Leib und Seele, sondern

bestätigt auch alte, religiös-philoso- phische Lebensweisheiten. Noch vor zweihundert Jahren heilten Ärzte we- niger mithilfe von Neokortex-Wissen und mehr mit ihrem limbischen Sy- stem, also mit Glaube, Liebe und Hoffnung. Sie hatten damit so viel Er- folg wie noch heute jeder Arzt, der an die Wirkung des verschriebenen Pla- cebos glaubt. Schließlich ist es der Glaube, der heilt, der Glaube des Arz- tes zusammen mit dem seines Patien- ten. „Dein Glaube hat dir geholfen“, sagte deshalb der Heiland Jesus zu ei- nem Geheilten.

Literatur

1. Benson H: Heilung durch Glauben. Die Beweise.

Selbstheilung in der neuen Medizin. München: Hey- ne 1997.

2. Müller HE: Atopie und Angst. Med Welt 1999; 50:

375–383.

3. Roth G: Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Kogniti- ve Neurobiologie und ihre philosophischen Konse- quenzen. 5. Auflage. Frankfurt/Main: Suhrkamp Ta- schenbuch Wissenschaft 1999.

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Hans E. Müller c/o Laborpraxis John

Campestraße 7 38102 Braunschweig

Erkenntnisfragen stellen

Warum wird trotz Heisenbergscher Unschärferelation eine „neue“ ganz- heitliche Medizin zwar anhaltend ge- fordert, aber doch nur bruchstückhaft umgesetzt? Warum wünschen wir sie uns zwar, haben aber nur eine un- scharfe Vorstellung davon, wie sie aus- zusehen habe? Weil sich unser moder- nes Existenzverständnis seit minde- stens einem Jahrhundert in einer mehr oder weniger deutlich empfundenen Krise befindet, zu der zwar die moder- ne Physik (vielleicht ungewollt) ihren Beitrag leistet, die sie aber nicht löst.

Medizin ist ein Spiegel der Gesell- schaft, die Gesellschaft ist ein Spiegel der in ihr meinungsbildend wirkenden Wissenschaften. Das Problem der schmerzhaft empfundenen Subjekt- Objekt-Spaltung ist dabei vor allem auch ein erkenntniswissenschaftlich- philosophisches. Ich will es andeuten:

Es ist falsch, zu sagen: „Das Denken ist bloßes Produkt des Subjektes.“

Denn das Denken bildet, wie alle an- deren Begriffe auch, die Begriffe

„Subjekt“ und „Objekt“. Mithilfe des Denkens stelle ich mich als Subjekt den Objekten gegenüber. „Ich darf niemals sagen, daß mein individuelles Subjekt denkt; dieses lebt vielmehr selbst von des Denkens Gnaden.“ Die- ser Satz aus der Philosophie der Frei- heit R. Steiners kann bei demjenigen, der das zugrunde liegende erkenntnis- wissenschaftliche Problem sieht, an- haltendes Nachdenken auslösen:

Auch in allem anderen, was wir er- kannt haben oder erkennen könnten, also in unserer Wirklichkeit, finden wir potenziell unser (?) Denken und die von ihm hervorgebrachten Begrif- fe in festgehaltener Form wieder. In- sofern ist es bezeichnend und nicht verwunderlich, dass sich für die mo- derne Physik „erkannte“ Materie in Mathematik, also in das von ihr ver- wendete Begriffliche auflöst. Ist Mate- rie deshalb unerkennbar, weil wir ihr immer „unsere“ Gesetze und Beob- achtungsbedingungen modellartig überstülpen müssen, ehe wir sie er- kennen können? Oder ist „unser“

Denken mit den Kräften der Natur, mit den wirkenden Naturgesetzen po- tenziell wesensverwandt und wenn ja, in welcher Wechselbeziehung? Wirkt in der Natur Geistiges, also Begriffli- ches, welches uns zuerst in unserem Denken beobachtbar ist? Inwiefern ist dann unser Denken wirklich unser Denken? Wie können wir zur Klärung dieser Fragen die Beobachtung des Denkens schulen? Und auch: Was für eine Rolle spielt Kunst und Religion in diesem Zusammenhang? Solange diese Fragen als unwissenschaftlich abgelehnt werden, wird sich die Frage nach der Erkenntnisfähigkeit und der Wirklichkeitsfähigkeit des Menschen und infolgedessen auch die Subjekt- Objekt-Spaltung nicht lösen lassen.

Solange wird sich aber auch eine wirk- lich ganzheitliche Medizin kaum be- grifflich souverän durchdrungen und durch einen breiten gesellschaftlichen Konsens abgestützt verwirklichen las- sen.

Dr. med. Till Reckert

für das Anthroposophische Ärzteseminar an der Filderklinik

Haberschlaiheide 1 70794 Filderstadt M E D I Z I N

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Schlusswort

Wir danken für die Leserbriefe. Sie spiegeln das große Interesse an den von uns behandelten Fragen wider und geben Anregungen zur weiteren Arbeit an der Thematik.

Die Mehrzahl der Briefautoren stimmt der von uns geforderten, Soma und Psyche integrierenden ganzheitli- chen Betreuung des Patienten zu. Die- se setzt selbstverständlich, wie in un- serem Beitrag betont, eine genaue Diagnostik mit Einsatz naturwissen- schaftlicher Methoden voraus. Eine ganzheitliche Sicht des Menschen und die Anwendung reduktionistischer Prinzipien in der Prävention, Diagno- stik und Therapie von Erkrankungen schließen sich somit keineswegs aus (3). Wir stimmen diesbezüglich den Ausführungen von W. Gerok zu dieser Thematik (2) und dem auf unseren Beitrag bezogenen Editorial von H.-P.

Zenner (6) zu.

Im Folgenden nehmen wir zu eini- gen in den Leserbriefen angesproche- nen Punkten in der gebotenen kurzen Form Stellung.

Wir weisen darauf hin, dass wir nicht, wie einige Briefautoren an- zunehmen scheinen, Analogieschlüsse von der Unschärferelation der Quan- tenphysik auf „Unschärfen“ bezie- hungsweise Ungenauigkeiten in der medizinischen Diagnostik ziehen. Wir haben die Heisenbergsche Unschärfe- relation als wichtige Gleichung bezie- hungsweise „Ungleichung“ der Quan- tenphysik erwähnt, um an ihr zu erläu- tern, dass in der modernen Physik eine strikte durchgehende Trennung von Subjekt und Objekt nicht aufrecht er- halten wird.

Die Quantenphysik, welche die

„klassische“ Physik als Grenzfall ent- hält, hat – entgegen der Auffassung ei- niger Briefautoren – auch für die Biologie und Medizin große Bedeu- tung. Nach dem Erkenntnisstand der klassischen Physik wären die Atome und Moleküle instabil. Die nach den damaligen Vorstellungen um den Atomkern kreisenden Elektronen müssten in diesen „hineinstürzen“.

Erst die Quantenphysik lässt verste- hen, dass Atome und Moleküle stabil sind. Dies gilt selbstverständlich auch

für die Atome und Moleküle des menschlichen Körpers, beispielsweise die DNA als Träger der genetischen Information. Die Erkenntnisse der Quantenphysik sind deshalb auch für die Medizin sehr wichtig.

Bezug nehmend auf die in den Le- serbriefen aufgeworfenen Fragen nach der Bedeutung der Physik für die Medizin sei hier noch einmal unser Hauptanliegen verdeutlicht:

Auch Ärzte, die stark in der Natur- wissenschaft – und das ist fast immer die durch die klassische Physik ge- prägte Naturwissenschaft – verwurzelt sind, bejahen in aller Regel die Not- wendigkeit der Einbeziehung von psy- chosozialen Faktoren in die Betreu- ung von Patienten. Sie glauben aber nach unserer Beobachtung oft, mit der Einbeziehung der Psyche eine Grenze zu einem weniger streng wissenschaft- lichen Bereich zu überschreiten. Hier ist es hilfreich, über die durch die klas- sische Physik geprägte Naturwissen- schaft hinaus die Erkenntnisse der modernen Physik in die Denkstruktu- ren der Medizin einzubeziehen. Wie in unserem Beitrag ausgeführt, wird hier eine strikte durchgehende Grenzzie- hung zwischen Subjekt und Objekt nicht aufrecht erhalten. Wir sind uns be- wusst, dass damit keine abschließende Lösung der großen Frage Psyche: So- ma, Subjekt: Objekt ermöglicht wird.

Unser Beitrag will aber Mut machen zu einem neuen Nachdenken über diese Fragen und zu einem Sich-Loslösen von alten Denkgewohnheiten und Grenz- ziehungen.

Abschließend möchten wir Hin- weise zu einigen weiteren in den Zu- schriften angesprochenen Fragen ge- ben:

Gedankliche Zusammenhänge, aber auch wesentliche Unterschiede bezüglich der Einbeziehung des Sub- jekts in der Quantenphysik und in der

„anthropologischen Medizin“ Viktor von Weizsäckers sowie seine Ausein- andersetzung mit der Physik wurden an anderer Stelle dargestellt (4, 5).

Der Titel der in einer Zuschrift zi- tierten Descartesschen „Meditatio- nes“, die er 1641 veröffentlicht hat, lautet in der deutschen Übersetzung vollständig: „Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, in denen

das Dasein Gottes und die Verschie- denheit der menschlichen Seele vom Körper bewiesen werden“ (1). Aus dieser Formulierung des Titels und dem Gesamttext der „Meditationes“

ergibt sich: Die zentrale These von Descartes ist die substanzielle Ver- schiedenheit von res cogitans und res extensa, Seele und Körper. Erst in der sechsten und letzten Meditation be- spricht er dann ihre wechselseitigen Beziehungen. – Zur Entwicklung der Auffassungen vom Zusammenhang von Psyche und Soma in der Philoso- phie nach Descartes, beispielsweise bei Spinoza, sei auf Ausführungen an anderer Stelle verwiesen (4, 5).

Die in den Leserbriefen angeschnit- tenen Fragen, die in diesem Schluss- wort nur ausschnittsweise behandelt werden können, machen die Weite und Wichtigkeit der behandelten The- matik deutlich; diese bedarf weiterer intensiver Diskussion.

Literatur

1. Descartes R (lateinisch/deutsch): Meditationes de prima philosophia in quibus Dei existentia et ani- mae humanae a corpore distinctio demonstrantur / Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, in denen das Dasein Gottes und die Verschiedenheit der menschlichen Seele vom Körper bewiesen wer- den. Hamburg: Felix Meiner, 3. Aufl. 1992.

2. Gerok W: Die Bedeutung von Philosophie, Bioma- thematik, Biometrie und Modelltheorie für die Me- dizin. Med Klin 1998; 93: 501–506.

3. Schmahl FW: Some theoretical remarks regarding the integration of somatic and psychosocial risk fac- tors of coronary artery disease in preventive pro- grammes in occupational medicine. Int J Occup Med Environ Health 1998; 11: 285–289.

4. Weizsäcker CF von: Gestaltkreis und Komplementa- rität. In: Vogel P (Hrsg): Viktor von Weizsäcker. Arzt im Irrsal der Zeit. Eine Freundesgabe zum siebzig- sten Geburtstag am 21.4.1956. Göttingen: Vanden- hoeck & Ruprecht 1956: 21–53.

5. Weizsäcker CF von: Zeit und Wissen. München, Wien: Carl Hanser 1992.

6. Zenner H-P: Die Physik und Grundfragen ärztli- chen Handelns. Editorial. Dt Ärztebl 2000; 97:

A 164 [Heft 4].

Prof. Dr. med. Friedrich W. Schmahl Institut für Arbeits- und Sozialmedizin Wilhelmstraße 27

72074 Tübingen

Prof. Dr. phil. Carl Friedrich von Weizsäcker Maximilianstraße 14c

82319 Starnberg M E D I Z I N

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