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Archiv "Moderne Fragen der Professionalisierung auf dem Gebiet der Medizin" (10.05.1979)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 19 vom 10. Mai 1979

Moderne Fragen

der Professionalisierung auf dem Gebiet der Medizin

Definitionen — Fragen — Thesen

J. F. Volrad Deneke

Als „modern" bezeichnet man das, was neu ist, neuzeitlich, heutig. Das spätlateinische Wort „modernus"

stammt aus der Wurzel von „mo- dus" = „Art und Weise".

Moderne Fragen — die Vokabel legt nahe, jeweils auch zu prüfen, ob es sich nicht vielleicht nur um „modi- sche" Aspekte handelt. „Modi- sches" berührt nach allgemeinem Sprachverständnis das Wesentliche eigentlich nicht; es sieht geradezu davon ab oder darüber hinweg.

„Modern" im Sinne des Neuzeitli- chen ist sich dagegen der Distanz zum Vergangenen bewußt und be- zieht gerade deshalb Geschichte in das Verständnis der Moderne mit ein.

In diesem Sinne geht es also um Fragen, die aktuell sind, und zwar unabhängig davon, ob sie gerade erst aufgetaucht sind oder schon weit her kommen. Die Diskussion fragt damit bewußt in Bewegungs- vorgänge hinein, in die Dynamik von Entwicklungen und Veränderungen.

Beobachtung des sich Wandelnden und des Wandelbaren forscht zu- gleich nach dem Unwandelbaren in der Erscheinungen Flucht. In die- sem Sinne ist auch Zeitloses Be- standteil moderner Fragen.

Sprachgeschichtlich stammt die Wurzel auch dieses Wortes aus dem Lateinischen. Sie wurde im Franzö- sischen als „profession" heimisch.

Die Verlaufsform „Professionalisie- rung" ist erst während der ausge- henden sechziger Jahre dieses Jahr- hunderts aus der anglo-amerikani- schen Soziologie in den Sprach- schatz bundesdeutscher Moderne eingesickert. Dementsprechend ist der Begriff vom „Brockhaus" auch erstmalig 1972 aufgenommen wor- den. Hier lautet die den allgemeinen Sprachgebrauch wiedergebende Er- läuterung:

1. Definition: Professionalisierung ist „der Vorgang, durch den immer weitere Berufe die Eigenschaften (u. a. Rollenerwartungen, Zugangs- erschwerungen), Privilegien (z. B.

Recht zur Auskunftsverweigerung der Journalisten vor Gericht) und die Ausbildungsvoraussetzungen (län- gere Vollzeitausbildung, möglichst an Hochschulen) anstreben, die bis dahin den von Akademikern ausge- übten (meist freien) Berufen zuka- men. Ursachen der Professionalisie- rung sind u. a. tätigkeitsbedingte Spezialisierung, damit verbunden die Notwendigkeit von Leistungs- und Ausbildungskontrollen, eine ex-

„Professionalisierung", aber auch „Deprofessionalisie- rung" — das sind Ausdrücke, die in der gegenwärtigen so- zial- und gesundheitspoliti- schen Diskussion häufig vor- kommen, ohne daß ersichtlich wäre, was die an dieser Dis- kussion Beteiligten (die sich zum Teil dann selbst als „Pro- fessionelle" bezeichnen) da- mit eigentlich meinen.

„Moderne Fragen" — was ist das? „Professionalisierung" — was ist das?

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Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen

Professionalisierung auf dem Gebiet der Medizin

pansive Bildungspolitik sowie der Wunsch nach höherem Sozialpresti- ge eines Berufes".

Interessant an dieser gewiß nicht wissenschaftlich exakten und im De- tail sehr zweifelhaften, aber den ak- tuellen "allgemeinen" Sprachge- brauch fixierenden Erklärung ist

~ die Pointierung auf akademische Berufe,

~ die Betonung zielstrebiger Dynamik,

~ die Befrachtung mit soziologi- schem Vokabular.

Nichts davon ist zufällig, nicht ein- mal die Willkür behaupteter, aber unbewiesener Kausalitäten. Zur Ab- grenzung des Themas mag jedoch eine kürzere Definition dienlicher sein:

2. Definition: Als "Professionalisie-

rung" wird die Entwicklung von Tä-

tigkeiten zu Berufstätigkeiten be- zeichnet. Von jedermann persön- lich, auch in familiärer oder sozialer Subsidiarität geleistete Tätigkeiten werden in Arbeitsteilung institutio- nalisiert zu Tätigkeiten besonderer Art für andere oder für die Allge- meinheit von insoweit aufeinander angewiesenen Minderheiten.

"Gebiet der Medizin"- was ist das?

Die "ars medicina" ist die ärztliche

Kunst, die Heilkunde, die Wissen- schaft vom gesunden und kranken Menschen, von Ursachen, Erschei- nungen, Auswirkungen menschli- cher Krankheiten, ihrer Erkennung, Heilung und Verhütung. ln dieser, das allgemeine Sprachverständnis wiedergebenden Beschreibung ist bereits enthalten, daß Medizin so- wohl Wissenschaft ist als auch Er- fahrung und Kunst. ln der Wortver- bindung mit "Professionalisierung"

treten ökonomische Aspekte hinzu. ln der Bundesrepublik Deutschland umfaßt die Gesamtzahl der in aner- kannten medizinischen Berufen Tä- tigen rund 750 000 Menschen, von denen Anfang des Jahres 1978 rund 130 000 als Ärztinnen und Ärzte in

freier Praxis, im Krankenhaus, in Forschung, Verwaltung und sonsti- ger abhängiger Stellung ärztlich, medizinisch, tätig waren. Die Zahl der nichtakademischen Gesund- heitsberufe ist in den letzten Jahr- zehnten noch stärker gestiegen als die Zahl der Ärzte, Zahnärzte, Tier- ärzte und Apotheker.

Moderne Fragen der Professionali- sierung auf dem Gebiet der Medizin - das Thema zielt damit auf die Be- rufsindividuation aller medizini- schen Berufe. Es zielt auf die Unter- suchung des Verhältnisses dieser Berufsindividuationen zueinander sowie auf die hochdifferenzierten funktionalen Beziehungen aller die- ser Berufe zu den Patienten und zum gesellschaftlichen, ökonomi- schen, kulturellen und staatlichen Ganzen.

I. Folgen der Arbeitsteilung für die

berufliche Verantwortung ln keiner Definition des Begriffes

"Professionalisierung" fehlen Hin- weise darauf, daß Spezialisierung und Arbeitsteilung wesentliche Be- wegungselemente dieses Prozesses sind. Es liegt daher nahe, die Gedan- kenführung hier anzusetzen. Er- kenntnisse aus diesem ersten Pro- blemkreis können dann als In- strumentarium in den anschließen- den Detaildiskussionen nützlich werden.

These: Jede Berufsindividuation entwickelt spezifische berufliche Verantwortung.

ln allen Gesundheitsberufen, in den akademischen wie in den nicht aka- demischen, in den unmittelbar auf den Arzt bezogenen ärztlichen Assi- stenzberufen wie in den unabhängig vom Arzt handelnden Gesundheits- berufen, wächst immer mehr berufs- spezifisches Wissen und Können, das als solches auch vom Arzt nicht oder nicht mehr beherrscht wird.

Damit wächst in allen diesen Beru- fen der Gehalt berufseigener und berufstypischer Verantwortung.

1322 Heft 19 vom 10. Mai 1979

DEUTSCHES ARZTEBLATT

These: Im Laufe des sozialen Wan- dels sind bis in die Gegenwart hin- ein Berufstätigkeit und soziale Rol- le aller anderen Gesundheitsberufe der Tendenz zu immer stärkerem Bezug auf die wissenschaftlich fachkompetente Tätigkeit und Ver- antwortung des Arztes gefolgt.

ln jüngster Vergangenheit gibt es Ansätze zu einer neuen Entwick- lung, regen sich Kräfte, diese Ten- denz zum Arztbezug der in Kranken- versorgung und Gesundheitswesen tätigen anderen Berufe zu unterlau- fen oder zu brechen. Die Wechsel- wirkung dieser mit den in der ersten These formulierten Entwicklungs- tendenzen vervielfältigt die Möglich- keit sozialer Autoritäts- und Kompe- tenzkonflikte und verstärkt den Zwang zur Kooperation. Daraus folgt die

Frage: Ist die Führungsrolle des Arz- tes im Bezugssystem der medizini- schen Berufe überholt, einge- schränkt oder nur verändert?

Die Frage hat unmittelbare Bedeu- tung für die Ausprägung der Verhal- tensmuster aller Berufe im Bereich der Medizin gegenüber den Patien- ten. Wenn auf den Arzt bezogene hierarchische Subordination part- nerschaftlicher Kooperation weicht, dann stärkt dies die unmittelbaren Sozialbeziehungen der nichtärztli- chen medizinischen Berufe zu den Patienten. Das hat auch den Arzt entlastende Momente. Zum Beispiel: Wird in dem Arzt zugeordneten Be- rufen die spezifische Berufshaftung in Zukunft an Bedeutung gewinnen gegenüber der Aufsichtspflicht des Arztes?

Frage: Welche Konsequenzen erge- ben sich für den Patienten daraus, daß er mit einer wachsenden Viel- zahl von Trägern selbständiger spe- zifischer Verantwortung konfrontiert wird?

Der Patient verliert die Orientierung. Er sieht sich im Unterschied zur Si- tuation der Jahrhundertwende heute einer Fülle selbständig handelnder

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Professionalisierung

Bezugspersonen gegenüber, deren Funktion und damit auch deren Be- deutung er für sich selbst im Lei- stungsfluß des "Medizinbetriebes"

nicht mehr realistisch einzuschätzen vermag. Das führt zu einem Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgelie- fertseins. Betrachtet man allein die Professionalisierung auf dem Gebiet der Krankenpflege, dann bringt die Sortierung der Pflegebedürftigen nach Alter und Krankheit die Ten- denz zur Konfektionierung dieser humansten aller Dienstleistungen mit sich.

Je fortgeschrittener der Spezialisie- rungsprozeß durch Auffächerung der Berufsbilder, desto höher wird · der Koordinationsbedarf für das Funktionieren des Medizinbetriebes wie zur Orientierung des Patienten.

Aber auch wo eigene Berufe oder eigene Institutionen die Koordinie- rung übernehmen, bleibt jedem am Gesamtprozeß beteiligten Beruf die Pflicht zur Orientierung auf das Ganze. Jede Spezialisierung ist teil- haftig, als Teil einem größeren Gan- zen haftbar.

These: Die Ursprünge aller berufli- chen spezialisierenden Individua- tionen gründen in allgemein menschlichen Notwendigkeiten und Beziehungen.

Es gibt auch auf dem Gebiet der Medizin keine Frage der Professio- nalisierung, die sich nicht als Ablei- tung aus einem allgemein menschli- chen Zusammenhang darstellt. Die- ser Hinweis hat besondere Bedeu- tung für berufsethische und berufs- rechtliche Betrachtungen, weil alle Probleme und Phänomene auch der feinsten arbeifsteiligen Verästelung in ihrem Kern allgemein menschli- cher Natur bleiben und sich immer auf den ganzen Menschen beziehen. Was das an Konfliktreichtum durch Komplexität aller Vorgänge bedeu- tet, läßt sich beispielhaft sehr an- schaulich im Vergleich der Organi- sation industrieller Produktionsbe- triebe. mit der Organisation eines Krankenhausbetriebes erkennen. (Vgl. Abb. 1)

Industrielle Fertigung

D - , ~==~~

CJ) I

Vorbereitung

CJ ;'==== Fe = rt=i g=u n = g= 1 ===-~

Fertigung 2

Prüfung

Verpackung

Versand

000

Spektrum der Woche Aufsätze · Notizen

Abbildung 1: Dienstleistungsvorgang im Krankenhaus im Vergleich zum Pro- duktionsvergang in der Industrie, nach: Peter L. Reichertz, Computer im Dienste der Medizin - Aufgaben, Wege und Bedeutung, tn: Computer-unter- stützte Informationssysteme für Krankenhäuser. IBM Deutschland GmbH 1974, Seite 15

Wenn Professionalisierung als die Entwicklung von Tätigkeiten zu Be- rufstätigkeiten bezeichnet wird, so bleiben Berufstätigkeiten im Sinne dieses unverlierbaren allgemein menschlichen Bezuges eben immer individuell geleistete Tätigkeiten einzelner Menschen. Und diese indi- viduellen Leistungen müssen auch individuell verantwortet werden. Der Begriff verantwortlichen Han- deins und Verhaltens deckt aus- schließlich persönliche, individuelle Verantwortung und Verantwortlich- keit. Arbeitsteilung in beruflicher Teamarbeit teilt mit der Arbeit auch die entsprechende Verantwortung dem einzelnen zu. Das verkürzt für den einzelnen zwar die Zuständig- keit seiner Verantwortung, erleich- tert das Gewicht der beruflichen Verantwortung gegenüber dem Lei- stungsempfänger jedoch keines- wegs.

Für denjenigen allerdings, der medi- zinische berufliche Leistungen in Anspruch nimmt, ist beim Zusam- menwirken vieler Berufstätiger indi- viduelle Verantwortung nun um so schwerer zu identifizieren, als sich analog zu ineinandergreifenden Be- rufstätigkeiten auch die individuel- len Verantwortlichkeilen ineinander

verschränken, ohne miteinander zu verschmelzen. Teamarbeit läßt zu- gleich Teamgeist entstehen, der im Konflikt mit Dritten unversehens aus Kollegen Kameraden, Mitwisser und Komplizen macht. Das Krähensyn- drom ist unerwünschte Begleiter- scheinung erwünschter Sozialisie- rungsprozesse.

II. Die Dynamik der Entwicklung

Schon bei der B·egriffsbestimmung des Wortes "Professionalisierung"

ist darauf hingewiesen worden, daß es sich hier um Bewegungsvorgän- ge handelt, um Entwicklungen, um Veränderungen in größeren ökono- mischen und kulturellen Zusam- menhängen.

These: Die Dynamik von Prozessen der Professionalisierung vollzieht sich innerhalb der Industriegesell- schaft

C> als Werden neuer und Vergehen

überkommener Berufe,

C> in wechselnden

gungsphasen und

Beschleuni- C>

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Heft

19

vom

10.

Mai

1979

1323

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Umweltschutz Biomedizintechnik

Entwicklung Vertrieb

Redakteur Tierversuch

Biotechnologie Klinik

Unfall-und Gesundheitswesen

Arbeitsschutz Öffentlicher Dienst

Entwicklung der Technik

Entwicklung der Medizin

Bioingenieur

Verantwortung Loyalität Autorität

interdisziplinäres Denken

Entwicklung der Biologie

Anpassung der Technik an den Menschen

Abbildung 2: Aufgaben der Bioingenieure nach E. Dörling, Bio-lngenieurwe- sen, Würzburg, 1972, Seite 14, zitiert in: Heinrich Schipperges, Medizinische Dienste im Wandel, Baden-Baden 1975, Seite 90

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Professionalisierung auf dem Gebiet der Medizin

I> mit unterschiedlichen Be- schleunigungsfaktoren in den ver- schiedenen Wirtschaftszweigen und Berufsgruppen.

Auf dem Gebiet der Medizin vollzieht sich dieser Bewegungsprozeß inner- halb des noch immer anhaltenden Aufstiegs der Dienstleistungsberufe mit einem im Vergleich zu vielen an- deren Berufsfeldern überproportio- nalen Beschleunigungsfaktor. Es genügt die Rückerinnerung an die Entwicklung allein in diesem Jahr- hundert, über eine Zeitspanne also, die von noch heute Lebenden mit- erlebt worden ist, um zu erkennen, daß die überkommene Vorstellung eines Lebensberufes, für den man sich einmal bildet und den man ein Leben lang ausübt, nur für eine Min-

derheit von Berufen gilt — Berufen, deren Art und Weise der Berufsaus- übung sich zudem im Laufe eines Berufslebens mehr oder weniger schnell und ständig verändert.

Einige wenige Beispiele:

Das Berufsbild des Zahnarztes, das sich erst im Laufe des 19. Jahrhun- derts in zwei Ausprägungen institu- tionalisiert hatte, dem akademi- schen des Zahnarztes und dem sich immer höher qualifizierenden Hand- werklich-Technischen des Dentisten wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem einheitlichen Berufsbild zusammengeführt. Das Berufsbild der Zahnarzthelferin ist neu entstan- den, und die Zahntechnik ist in eige- ner Berufsindividuation vervoll-

kommnet worden. Der Beruf wird unverändert fast ausschließlich in wirtschaftlicher Selbständigkeit ausgeübt.

Zur gleichen Zeit hat sich im ärztli- chen Beruf ein Spezialisierungspro- zeß vollzogen, dessen Auffächerung und Spannbreite so groß ist, daß sie die Einheit des Berufsstandes nicht zuletzt durch Interessendifferenzie- rung in Frage stellt. Die Weiterbil- dungsordnung der Ärzteschaft ent- hält zur Zeit 26 Gebietsbezeichnun- gen, 14 Teilgebietsbezeichnungen und weitere 15 Zusatzbezeichnun- gen. Aus den relativ wenigen, dem Arzt in seiner Tätigkeit und bei der Pflege von Kranken assistierenden Berufen hat sich ein ganzes Heer von spezialisierten, hochqualifizier- ten und zunehmend auch akade- misch gebildeten Berufen entwik- kelt, das in ganzen Bereichen von ärztlichen Weisungen unabhängig operiert.

Ein weiteres Detail aus dem Ent- wicklungsfluß: Während die Berufs- tätigkeit des niedergelassenen prak- tischen Arztes um die Jahrhundert- wende ihre Schwerpunkte bei der Behandlung von Infektionskrankhei- ten, in der kleinen Chirurgie und in der Geburtshilfe hatte, liegt der Schwerpunkt der Tätigkeit des nie- dergelassenen praktischen Arztes und Arztes für Allgemeinmedizin heute bei der Inneren Medizin und bei der Dauerbetreuung von chro- nisch kranken Menschen jenseits des 50. Lebensjahres und mit mul- tipler Diagnostik; sein Tätigkeitsfeld überschneidet sich zu schätzungs- weise 80 bis 90 Prozent mit dem der meisten niedergelassenen Interni- sten.

In der gleichen Zeit ist der im 19.

Jahrhundert zu einem akademi- schen einheitlichen Beruf institutio- nalisierte Tierarztberuf in der freibe- ruflichen Existenz bis in die jüngste Zeit hinein immer mehr in Frage ge- stellt worden. Die technologischen Veränderungen in Landwirtschaft und Verkehrswirtschaft (Motorisie- rung) haben diesem Beruf viele Tä- tigkeitsfelder genommen oder ver- engt. Neue Entwicklungen scheinen

1324 Heft 19 vom 10. Mai 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Leistungserwartung (individuelle Nachfrage) mehr oder weniger von Kostenüberlegungen gesteuert

Leistungsangebote

>-4+ „Markttransparenz" (pluralistischer Komplex (Mehr oder weniger zutref- mehr oder weniger preis- fende Kostenkenntnis) 1 bzw. honorarabhängig)

Mehr oder weniger fixierte Vorurteile über die Qualität bestimmter Leistungsangebote

Vorwiegend staatlich gewährleistete Mindest - qualifikation

Mehr oder weniger kon- krete Leistungserwartung

Mehr oder weniger zutref - fende Vorstellung über das Leistungspotential

Nach Art, Umfang und Glie - derung fest umrissenes Leistungspotential

Symptomatisch und organ- Symptomatisch und organ- >—r* Mehr oder weniger zutref- >14 systematisch mehr oder systematisch determinierte fende Kenntnis über das weniger spezialisiertes

Nachfrage Leistungspotential L Leistungspotential

>*

Ganzheitliche definierte Lebenserwartung

Unspezialisierte Lenkung, Koordination und Durchführung der Nach- fragebefriedigung (z.B. in Allgemeinpraxen,Polik lini ken u. ä.)

4-1--< Konkretisierung, Modifizie- rung und Manipulation der Leistungserwartung

Abbildung 3: Die Markttransparenz des medizinischen Leistungsangebotes für den Patienten, nach: J. F. Volrad Deneke, Die Markttransparenz des medizini- schen Leistungsangebotes für den Patienten, in: Herz/Kreislauf, 2. Jahrg. Nr. 3.

Baden-Baden 1970. Seite 152.

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Professionalisierung

sich im Zusammenhang mit der Wei- terentwicklung der modernen Frei- zeitgesellschaft, der Tierhaltung auf der Sozialbrache und der Sehnsucht wenigstens nach einem animali- schen Partner bei der wachsenden Zahl alleinstehender und vereinsa- mender Menschen in den Steinwü- sten der Industriegesellschaft anzu- bahnen. Die Kleintierpropaganda der Tierfutterproduzenten operiert insoweit erfolgreich in einen wach- senden Markt.

Neue Berufe schieben sich auch i n- terfakultativ und interdisziplinär in das überkommene Gefüge, entste- hen aus dem wachsenden Koordi- nierungsbedarf gleichsam zwischen den Verästelungen der Spezialisie- rung. Der Bioingenieur ist ein Bei- spiel für solche aus dem Koordina- tionszwang entstehende Berufsindi- viduation. (Vgl. Abb. 2)

Aktuell ist die Diskussion um ein neues Berufsgesetz zur Institutiona- lisierung des Berufes nichtärztlicher akademisch gebildeter Psychothe- rapeuten. Am Beispiel der sich hier heute vollziehenden Berufsindivi- duation wird deutlich, wie die glei- chen Dienstleistungen neben- und miteinander unprofessionalisiert und mehrfach professionalisiert, al- so konkurrierend ausgeübt werden können. „Kleine Psychotherapie"

wird von Familienangehörigen und Freunden ebenso betrieben wie von professionellen, kirchlich besolde- ten Seelsorgern und von akade- misch gebildeten Psychologen der verschiedensten Schulen, wie von Ärzten mit und ohne einschlägige spezialisierende Weiterbildung.

These: Wenn, wo und soweit der Mensch sich nicht in der Lage sieht, Bedürfnisse durch persönli- che oder in familiärer bzw. sozialer Subsidiarität erbrachte Leistungen zu befriedigen, entwickelt er Nach- frage nach beruflichen Leistungen, für die in der modernen Gesell- schaft und Wirtschaft insoweit ein Markt entsteht.

Diese These korrespondiert mit der Feststellung, daß die spezialisieren-

de Professionalisierung von der Ent- wicklung in Wissenschaft und Tech- nik und der Umsetzung der entspre- chenden Fortschritte in Produktion und Konsum motiviert wird. Die Pro- fessionalisierung erscheint zwi- schen diesen beiden korrespondie- renden Thesen als Bewegungsvor- gang in einem polaren Spannungs- feld. Daraus folgt die

Frage: Welche Probleme ergeben sich, wenn zwischen berufsspezifi- zierender Entwicklung des Lei- stungsangebotes und der Entwick- lung entsprechender Nachfrage Dis- krepanzen entstehen?

Diskrepanzen können dadurch ent- stehen, daß die berufliche Speziali- sierung schneller fortschreitet, als sie von der Nachfrage her akzeptiert wird. Sie können auch dadurch ent- stehen, daß z. B. durch die moderne Publizistik spezifizierende Nachfra- ge in einem Umfang geweckt wird, dem kein entsprechendes Angebot gegenübersteht. Wenn Angebot und Nachfrage einander in etwa entspre- chen, können Diskrepanzen schließ- lich durch mangelnde Transparenz

des Leistungsangebotes entstehen.

Auf dem Gebiet der Medizin liegt dies um so näher, als hier zunächst einmal die Nachfrage sich selbst un- vergleichlich unsicherer ist als auf den meisten Feldern der Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen.

Weder ist sich der Patient stets der Motivation der Inanspruchnahme des Arztes voll bewußt, noch vermag der Arzt diese immer sofort voll zu durchschauen. Und schließlich ver- mögen beide eigentlich nie ganz ab- zusehen, ob die Leistungserwartun- gen sich auch erfüllen lassen oder erfüllen werden; denn der Mensch ist auf alle Fälle sterblich, und auch in der Medizin ist Irren menschlich.

In der Markttransparenz gibt es nicht zuletztaus diesem Grunde besonders augenfällige Unterschiede zwischen gewerblichen und medizinischen Leistungsangeboten. Ist schon die Leistungserwartung des Patienten vielfach weniger konkret als jede ge- werbliche Leistungsnachfrage, so verstärkt sich die Unsicherheit da- durch, daß auch die Vorstellung des Patienten vom medizinischen Lei- stungspotential vielfach höchst un- genau und oft überzogen ist. Das gilt

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 19 vom 10. Mai 1979 1325

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Professionalisierung auf dem Gebiet der Medizin

auch bei symptomatisch oder organ- systematisch zutreffend determinier- ter Nachfrage. (Vgl. Abb. 3)

Gerade auf dem Gebiet der Medizin wird man daher gut daran tun, den Ursachen der Entstehung von Ange- bots- und Nachfrage-Diskrepanzen sorgfältig nachzugehen. Dabei spie- len die Massenkommunikationsmit- tel nicht zuletzt deswegen eine ent- scheidende Rolle, weil Angebot und Nachfrage auf dem Gebiete der Me- dizin ihren Ausgleich in der Bundes- republik Deutschland nicht in erster Linie über den Markt, sondern durch gesetzliche Regelungen des Staates erfahren. Auch wo staatliche Rege- lungen scheinbar oder tatsächlich noch Freiräume gelassen haben, gibt es kaum einen Markt im echten Sinne dieses Wortes, weil statt des-

sen Beihilfen der öffentlichen Hand und versicherungswirtschaftliche Kollektivregelungen den Ausgleich von Angebot und Nachfrage mani- pulieren.

Nachfrage auf dem Gebiet der Medi- zin, die ja primär und zunächst im- mer individuelle Nachfrage ist, ent- wickelt sich unter diesen Umstän- den zunächst ohne unmittelbar wirksame Kostenkomponente. Der gesetzliche Anspruch auf Behand- lung und Pflege nach zeitgemäßem Stand der medizinischen Forschung macht eine von Kostenüberlegun- gen befreite Nachfrage nahezu unendlich; denn was aufgrund des heutigen Standes der medizinischen Wissenschaft machbar ist, um vor- handene Chancen für Heilung, Lin- derung und Verlängerung von Lei-

den auszuschöpfen, das ist schon jetzt nicht mehr bezahlbar - auch nicht, wenn dafür das gesamte Volkseinkommen eingesetzt würde.

Damit nicht genug: Die Nachfrage auf dem Gebiet der Medizin wird so lange alle Möglichkeiten auch künf- tiger Entwicklung der medizinischen Forschung übersteigen, als der Wille des Menschen zu leben und zu über- leben sich in Nachfrage nach medi- zinischen Leistungen umsetzt. Dies ist ein durchaus „modernes" Pro- blem, weil heute und hier nur ganz wenige Menschen sich dessen be- wußt und damit zufrieden sind, daß ihr Sterben allgegenwärtiger Be- standteil ihres Leben ist. Mit der Ver- drängung von Sterben und Tod aus dem persönlichen wie aus dem öf- fentlichen Bewußtsein verbindet sich die Nachfrage nach Medizinie- rung stimulierend das Eindringen der Medizin und des Körperkultes in die von Religion und Religiosität freibleibende Leere. (Vgl. Abb. 4)

III. Tendenz zur Objektivierung der sozialen Beziehungen Bei der Erörterung des Begriffes

„Professionalisierung" wurde eine Definition des Begriffes „Beruf"

ausgespart. Eine Analyse des Selbstverständnisses von Beruf und Berufstätigkeit kann einer solchen Disputation jedoch nicht entraten.

Frage: Was bedeutet den auf dem Gebiet der Medizin Berufstätigen ihr Beruf?

Zunächst: Zwischen dem ständi- schen Berufsgedanken, der auf so- zial-ethischem Fundament den Be- rufsträger als ganzen Menschen ei- ner höheren Einheit zuordnet, und dem erwerbswirtschaftlichen Be- rufsgedanken, der den Menschen in das Zweierlei von Erwerbsperson und Privatperson aufspaltet, hat sich für die Gegenwart kein für alle Beru- fe gültiger Berufsbegriff entwickelt.

In breiten Schichten herrscht der mit dem Klassengedanken korrespon- dierende, wirtschaftliche Berufsge- danke vor. Besonders in traditionel-

Die Maslowsche Bedürfnispyramide

Selbst- verwirk - lichungs- bedürfnis

Anerkennungs - bedürfnis

Fremdbestätigung

— Selbstachtung

Zugehörigkeitsbedürfnis

» Wir - Gefühl «

» Stammesgeist «

Sicherheitsbedürfnis

— materielle physische

— psychische Sicherheit

Grundbedürfnisse

—Essen ,Trinken,Kleidung ,Wohnung, Sexualität —

Abbildung 4: Die Maslowsche Bedürfnispyramide nach: Georg Weiss, Welche Aufgaben hat das Pharma-Marketing heute und morgen?, in: pharma forum, 3.

Jahrg. 1976, Heft 6, Seite 19 (Nach: A. H. Maslow, Psychologie des Seins, München 1973)

1326 Heft 19 vom 10. Mai 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Landeskrankenhaus-

gesellschaft Honorar- und Leistungsverträge Kassenärztliche Vereinigung

6;

n 9

en

Krankenkasse Bezahlung

der Leistungen

N N Patient r.0 (Kassenmitglied)

>,

Kassenärzte (Praktische Ärzte und Fachärzte)

Landes-Apotheker-Verein

Krankenhäuser ei°

Verband Leistungs-

vertrage

721

Apotheke

Abbildung 5: Die Freistellung des sozialversicherten Patienten von Kosten- überlegungen, nach: Wilhelm Rößler und Herbert Viefhues, Medizinische Soziologie, Stuttgart und New York, 1978, Seite 93

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Professionalisierung

len Berufen hat der— dem Gedanken einer funktional gegliederten Gesell- schaft verwandte — ständische Be- rufsgedanke seine Gültigkeit nicht verloren.

Für die Berufe auf dem Gebiete der Medizin gilt sicher, daß hier das Selbstverständnis der Berufstätig- keit noch immer mehr oder weniger streng dem Gedanken der Berufung verpflichtet ist. Selbsteinschätzung und Selbstverständnis aber stehen nicht selten in Widerspruch zum tat- sächlichen Handeln und Verhalten.

Es ist daher wohl realistisch festzu- stellen:

These: Die Professionalisierung al- ler medizinischen Dienste charak- terisiert sie in der Industriegesell- schaft auch als „Erwerbstätigkeit".

Mit der Einschiebung des Wört- chens „auch" ist in dieser Formulie- rung die Tür offengeblieben für al- truistische Elemente der Berufung.

Das gilt nicht zuletzt für die Erwar- tungen, die von den Leistungsemp- fängern in die Träger dieser Berufe gesetzt werden.

Eine Fülle von berufsspezifischen Konflikten entstehen daraus, daß die Erwartungen der Leistungsempfän- ger zwar in Übereinstimmung mit dem Selbstverständnis dieser Beru- fe, aber eben nicht in Übereinstim- mung mit der gelebten Wirklichkeit stehen. Das gilt übrigens nicht weni- ger für das Verhalten der Leistungs- empfänger. Zwar wird besonders altruistisch motivierter Einsatz er- wartet, die Inanspruchnahme medi- zinischer Leistungen erfolgt gleich- wohl wie die Inanspruchnahme von Kfz-Reparatur-Werkstätten oder Kosmetiksalons.

Andererseits: Wenn die Dienste der Behandlung und Pflege von Kran- ken nicht mehr in Erfüllung familiä- rer oder nachbarlicher Pflichten oder um Gotteslohn geleistet wer- den, dann werden mit der Einfüh- rung der Entgeltlichkeit für diese Dienstleistungen auch soziale Ab- hängigkeiten des Patienten abge-

baut — jedenfalls soweit er in der Lage ist, die Leistungen zu bezahlen oder in Form von Versicherungslei- stungen und Staatsversorgung in Anspruch zu nehmen. (Vgl. Abb. 5) Hierarchische und psychologisch wirksame Abhängigkeiten werden also durch kommerzielle oder durch Abhängigkeiten von staatlichen und halbstaatlichen Organisationen und ihrer Erfüllungsgehilfen ersetzt. Da- bei erfolgt gleichzeitig eine Entla- stung auch des sozialen Umfeldes des Leistungsempfängers. Familie und Nachbarschaft verlieren inso- weit an sozialer Konsistenz. Wo z. B.

familiäre Heimpflege durch profes- sionelle Anstaltspflege ersetzt wird, ändern sich nicht nur für den Pflege- bedürftigen die Bezugspersonen und der Charakter der Beziehungen zu diesen, da ändern sich auch Ge- halt und Beziehungsstruktur der um die Heimpflege entlasteten Familie und Nachbarschaft.

These: Professionalisierung von menschlichem Handeln und Ver- halten bedeutet in der modernen Industriegesellschaft auch Objekti- vierung des Handelns und Verhal- tens und damit Abbau der emotio- nalen Elemente in den zwischen- menschlichen Beziehungen der Berufstätigen zu allen Bezugsper- sonen ihrer professionalisierten Tätigkeiten.

In der Medizin ist die Intensivstation zum Musterbeispiel der Versachli- chung der Leistungsbeziehung ge- worden. Aber dem Abbau der emo-

tionalen Elemente sozialer Interak- tion kommt in allen medizinisch re- levanten Tätigkeiten und Beziehun- gen eine kaum zu überschätzende Bedeutung zu. Die individuelle Nachfrage nach professionellen Lei- stungen auf dem Gebiete der Medi- zin ist mehr oder weniger stark emo- tional motiviert, gesteuert und re- flektiert. Dies gilt um so stärker in einer Zeit und für Menschen, denen Gesundheit das höchste Gut ist — das höchste Gut!

Die von der Ärztekammer Nordrhein ins Leben gerufene Aktion „Mehr Humanität im Krankenhaus" ist nicht zuletzt ein Ausdruck der um sich greifenden Erkenntnis, daß der Prozeß der Professionalisierung in unserer Gesellschaft zu einer Di- stanzierung von Mensch und Mensch führt, die dem emotionalen Verlangen und der humanen Not- wendigkeit in den Beziehungen me- dizinischer Berufstätigkeiten nicht gerecht zu werden vermag.

Es handelt sich hier nicht um einen Vorgang, der notwendigerweise je- dem Professionalisierungsvorgang eigen ist. Vielmehr handelt es sich um ein Spezifikum der Professiona- lisierung in der Industriegesell- schaft, in der gewerbefleißigen Ge- sellschaft, in einer Gesellschaft, die ihre professionellen Beziehungen rationalisiert, angeblich „wertfrei"

stellt, im wesentlichen aufgrund natu rwissenschaftlich-mechanisti- schen Weltverständnisses. Ver- gleichsweise: Eine Professionalisie- rung auf dem Hintergrund z. B. reli- giös bestimmten Weltverständnis-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 19 vom 10. Mai 1979 1327

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46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69';0 71 72 73 74 75 76

Abbildung 6: Zahl der ärztlichen Approbationen in der Bundesrepublik Deutschland 1946 bis 1976, nach: Klaus Gehb, Die ärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland — Ergebnisse der Ärzte-Statistik zum 1. Januar 1978 Köln, 1978, Seite 19

7500- 7000- 6500- 6000- 5500- 5000- 4500- 4000- 3500- 3000- 2500H 2000- 1500- 1000- 500-

7268

5433

5403• 5559

4923 5173

4960 4353

3795 • 3844

3414

• 3015 2929 .3557

2860

2559 . 2768 2949

2231. .2413 2248

1969

• 1677

.1526 1538

1183

1038 970

.585 490

.9752

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Professionalisierung auf dem Gebiet der Medizin

ses, in dem Beruf sich aus Berufung

— im Sinne von „vocatio" — profiliert, schließt das Humane ein und eska- liert insoweit nicht Entfremdung, sondern integriert emotionale und intellektuelle Elemente durch ein moralisches Agens.

Die Objektivierung der sozialen Be- ziehungen auf dem Gebiet der Medi- zin läuft einer Entwicklung genau entgegen, in der immer mehr Men- schen durch die Überforderungen und durch die Einsamkeit in der Massengesellschaft krank werden.

Während also auf dem Gebiet der Medizin die sozialen Beziehungen objektiviert werden, steigt gleichzei- tig die existentielle und lebensret- tende Nachfrage nach medizinisch- relevanter humanitärer, emotionaler Begegnung.

Frage: Kann die Nachfrage nach mehr oder weniger medizinisch-re- levanten emotionalen Begegnungen

durch ein rational geschultes Ange- bot befriedigt werden?

Die Frage ist nicht nur rhetorisch gestellt. (Vgl. Abb. 6) Das Angebot muß rational geschult werden, aber die entsprechende Nachfrage kann nicht ohne „soziales Engagement"

befriedigt werden. Jedenfalls sträubt sich der Mensch, in ganzen Berufs- gruppen zu akzeptieren, daß man kalten Herzens, nur mit Berufsrouti- ne emotionale Effekte — Geborgen- heit, Zufriedenheit — dauerhaft be- wirken könnte. Andererseits ange- sichts der Pawlowschen Reflextheo- rie: Warum eigentlich nicht? Die Be- rufstätigkeiten im Bereich der Medi- zin bestehen —von wenigen Ausnah- men abgesehen — in unmittelbar pa- tienten- und personenbezogenen Dienstleistungen. Persönlicher Kon- takt und Kommunikation als Be- standteile der Dienstleistungstätig- keit bestimmen damit auch die Mög- lichkeiten individueller Ausgestal- tung der sozialen Rollen in diesen Berufen.

Wenn es richtig ist, daß viele Krank- heiten und noch mehr Inanspruch- nahme medizinischer Dienstleistun- gen in der industriellen Massenge- sellschaft Folgen sozialer Konflikte und der Verkümmerung sozialer Be- ziehungen, dementsprechend auch Anrufe um Beachtung des Individu- ums sind, dann gehört es zur sozia- len Funktion dieser Berufe, emotio- nale Beziehungen zu beachten, zu beeinflussen, aufzubauen, zu pfle- gen.

Tatsächlich kann Nachfrage nach Medizinierung heute aus Mangeler- scheinungen aller Bedürfnisberei- che — von den Grundbedürfnissen bis zum Bedürfnis nach Selbstver- wirklichung — auftreten. Welche Überforderungen müssen sich dar- aus ergeben, wenn den Menschen gleichzeitig vom publizistischen Schaustellergewerbe eingehämmert wird: Gesundheit ist machbar!

In diese komplexe soziale Funktion des „Medizinbetriebs" ist das ganze Vorfeld zur eigentlichen medizini- schen Dienstleistung — Arzthelferin- nen und Pflegeberufe — voll einbezo- gen. In dieser Rolle ist nicht länger nur der Arzt, sondern in dieser Rolle können eigentlich alle Berufstätigen im medizinischen Bereich für den Patienten Arznei sein.

Frage: Führen Spezialisierung der Arbeit sowie Objektivierung der Beziehungen im Professionalisie- rungsprozeß zur Reduktion der Be- deutung dualer zwischenmenschli- cher Beziehungen im System der Krankenversorgung und im Gesund- heitswesen?

Mit dieser Formulierung wird Vor- hergesagtes vertieft und konkreti- siert. Die besondere Beachtung, die dem Patient-Arzt-Verhältnis ge- schenkt wird, betont stets die Eigen- art der dualen Beziehung. Die Zwei- samkeit, der Dual ist zwischen Sin- gular und Plural eine soziale Bezie- hungsfigur völlig eigener Art.

Menschliche Individuation und So- zialisation, Entwicklung der Person und des sozialen Wesens im Men-

1328 Heft 19 vom 1.0. Mai 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze . Notizen Professionalisierung auf dem Gebiet der Medizin

schen vollziehen sich vielfältig über duale Beziehungsfiguren: Mutter und Kind, Mann und Frau, Lehrer und Schüler, Arzt und Patient, An- walt und Klient .. .

In weiten Bereichen der Krankenver- sorgung und des Gesundheitswe- sens ist jedoch schon längst diese duale Beziehung teils gefährdet, teils in Frage gestellt, teils unmög- lich geworden.

Das hat auch für die Grenzbereiche berufsethischer Bewährung, wie zum Beispiel in passiver oder aktiver Sterbehilfe, Folgen. Was man in Zweisamkeit oder vor Gott verant- worten kann, läßt sich in einem Team widerstreitender Charaktere nicht ohne Widerspruch rechtfer- tigen.

In welchem Umfange werden weiter- bestehende duale Beziehungen re- duziert? In welchem Umfange wer- den sie vom Arzt auf andere selb- ständig Tätige oder dem Arzt assi- stierende Berufe übertragen? Wo ist es zum Totalausfall dualer Bezie- hungen gekommen?

Inwieweit können duale Beziehun- gen in Krankenversorgung und Ge- sundheitswesen durch Gruppenbe- ziehungen ersetzt werden?

Auf welchen medizinischen Gebie- ten und inwieweit können Gruppen- beziehungen z. B. in der Gruppen- therapie erfolgreicher sein als duale Beziehungen?

Stellen sich dabei besondere Pro- bleme des Persönlichkeitsschutzes in bezug auf Patientengeheimnis und ärztliche Schweigepflicht?

IV. Die Rolle des Staates Der Professionalisierungsprozeß wird in Richtung, Mächtigkeit und Tempo von einer Vielzahl von Fakto- ren beeinflußt Von besonderer Be- deutung — auch wegen der entspre- chenden ausdrücklichen grundsätz- lich geregelten Kompetenz — ist die Rolle des Staates in Legislative, Exe- kutive und Justiz.

These: Der Staat kann die Profes- sionalisierung manipulieren, und zwar durch

> generelle Regelung der Profes- sionalisierungsabläufe,

> spezielle Regelung der Berufs- bildung und der Berufsausübung,

Einflußnahme (mittelbar) auf die Bedingungen aller oder spezifi- scher Professionalisierungsab- läufe.

Staatliche Intervention in die Pro- fessionalisierungsabläufe auf dem Gebiete der Medizin erfolgt vor al- lem durch

> bildungspolitische Maßnahmen,

> staatliche Regelung der Zulas- sung zum Beruf und der Berufsaus- übung,

> Ausgestaltung des Systems so- zialer Sicherheiten,

1> gesundheitspolitische Maßnah- men.

In den Bereich der Bildungspolitik fällt die gesamte Schulpolitik ein- schließlich der Hochschulpolitik.

Wie stark der Staat die Richtung der Professionalisierungsströme allein durch die Hochschulpolitik beein- flussen kann, wird deutlich, wenn man die Berufsstrukturen der Ge- sundheitsberufe verschiedener Län- der miteinander vergleicht. Es kommt z. B. zu fast unvergleichba- ren Berufsindividuationen bei uni- versitärer im Vergleich zur Fach- hochschulausbildung der Ärzte.

Aktuell stellt sich auch auf dem Ge- biete der Medizin die

Frage: Welche Auswirkungen hat die Tendenz staatlicher Ausbil- dungspolitik zur „ Verschulung" der beruflichen Ausbildung, Weiterbil- dung und Fortbildung?

Der Begriff der „Verschulung"

schließt die Tendenz ein, auch be- reits bestehendes allgemeinbilden- des Schulwesen immer stärker der beruflichen Ausbildung dienstbar zu machen. Dies zeigt sich in Theorie und Praxis „berufsbezogener" Ab- schlußjahre in allgemeinbildenden

Schulen. Es zeigt sich in der auf die berufliche Wirklichkeit differenziert bezogenen Auffächerung des mittle- ren und höheren Schulwesens. Es zeigt sich nicht zuletzt darin, daß immer mehr berufsbezogener Plan- zwang aus der Grund-, Mittel- und höheren Schulpädagogik in die Uni- versitäten, diese zu Fachoberschu- len umgestaltend, eingeführt wird.

Die Entwicklung von Natur- und Gei- steswissenschaften ist seit dem spä- ten Mittelalter aus der universitären Verfassung von geistiger Freiheit geflossen. Welche Fesseln für diese geschichtliche Funktion werden der Universität nicht nur in der Lehre, sondern dann auch für den for- schenden Geist durch die Einbin- dung in die staatliche Berufsausbil- dung auferlegt? Was ist von der Konzeption der Universität als ei- ner allgemeinbildenden Hochschule überhaupt noch erhalten?

Bei der Erörterung der Frage nach der Tendenz zur „Verschulung"

sollte nicht vergessen werden, daß Berufsbildung den Zusammenhang mit der Allgemeinbildung nicht ver- lieren darf.

Auch Lernen durch Handeln, Lernen in Betrieb und Praxis bedeutet in diesem Sinne nicht nur Sammeln von Berufserfahrungen, sondern ist Lebenserfahrung im Sinne der Ein- gewöhnung, im Sinne der Sozialisa- tion in Alltag und Berufsleben.

Frage: Inwieweit bedeuten staatli- che Regelungen der Zulassung zum Beruf und der Berufsausübung den ordnenden Vollzug sozialökono- misch und kulturell motivierter Pro- fessionalisierungsvorgänge? Inwie- weit vermögen sie vollzogene und sich vollziehende Professionalisie- rungsvorgänge ideologisch, ziel- orientiert zu korrigieren? Kann der Staat völlig neue Berufsindividuatio- nen ins Leben rufen?

Es gibt für alle drei Teile dieser Fra- ge bejahende Antworten. Allerdings wird man davon ausgehen müssen, daß völlig neue Berufsindividuatio- nen vom Staat nur dann mit Erfolg geschaffen werden können, wenn er

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 19 vom 10. Mai 1979 1329

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Professionalisierung auf dem Gebiet der Medizin

gleichzeitig mit der Profilierung des Berufsbildes auch eine dauerhafte Existenzgrundlage für diese Neu- schöpfung etabliert. Stellenpläne in öffentlichen Haushalten sind dafür ein probates, aber keineswegs das einzige Mittel.

Bei Regelungsbestrebungen des Staates sollte stets untersucht wer- den,

D ob wachsende echte Nachfrage der Bürger,

E> ob neue Entwicklungen in Wis- senschaft und Technik,

> ob politischer Gestaltungswille die Dominanten im Motivationsbün- del zu Neuregelungen sind.

Wirtschaftliche Situation und Erwar- tungen manipulieren den Professio- nalisierungsprozeß. Finanz- und ho- norarpolitische Maßnahmen des Staates werden jedoch als Steue- rungsinstrumente des Professionali- sierungsprozesses vielfach stark überschätzt. Sozialprestige und Nei- gung locken mindestens ebenso- sehr wie Geld. Regionalsteuerung durch ökonomische Anreize ist nach internationaler Erfahrung in aller Regel noch weniger erfolgreich.

Ärzte gehen ebensowenig wie Sprechstundenhilfen wegen besse- rer Verdienstmöglichkeiten aufs Land, wenn dort für Arztkinder keine geeigneten Bildungsmöglichkeiten und für die Sprechstundenhilfen keine Chancen zum Konnubium be- stehen.

These: Für den sozialen Wandel von Selbständigkeit und Abhängig- keit der Berufsausübung in Kran- kenversorgung und Gesundheits- wesen ist die Gesetzgebung auf al- len Gebieten der sozialen Sicher- heit bestimmend.

Die Frage nach Selbständigkeit und Abhängigkeit in der Berufsaus- übung ist nicht nur in den absoluten Zahlen für den Professionalisie- rungsprozeß relevant. Sie ist auch von Bedeutung als Frage nach rela- tiver Selbständigkeit in wirtschaftli- cher Abhängigkeit und damit stets

zugleich die Frage nach Art und Weise der Institutionalisierung von Berufen. Das läßt sich am Beispiel der Geschichte des Kassenarztrech- tes als einer ständigen Auseinander- setzung um die Unabhängigkeit der Berufsausübung bei gleichzeitiger Einbindung in Pflichten sehr an- schaulich demonstrieren.

Selbstverständlich sind aber staatli- che Maßnahmen im Bereich der Weiterentwicklung der sozialen Si- cherheiten für alle Berufe auf dem Gebiete der Medizin von prägender Bedeutung. Art und Weise der Insti- tutionalisierung der sozialen Sicher- heiten verschränkt sich hier mit der Bildungs-, insbesondere Berufsaus- bildungspolitik und mit den Rege- lungen der Zulassung zum Beruf und der Berufsausübung in Kran- kenversorgung und Gesundheitswe- sen zu einer Einheit. Das kann aktu- ell gut beobachtet werden an den Bemühungen um einen Gesetzent- wurf für nichtärztliche akademische Psychotherapeuten. Für deren Be- rufsbild und Berufschance ist es von entscheidender Bedeutung, ob die Sozialversicherung die Bezahlung der Inanspruchnahme derartiger be- ruflicher Leistungen nur „auf Über- weisung durch einen Arzt" zahlt, oder ob der Inanspruchnahmebe- rechtigte sich ohne einen solchen Überweisungsschein gleich beim Psychotherapeuten „auf die Couch legen kann".

Man kann sich ausmalen, welche Kosten der Sozialen Krankenversi- cherung entstehen, wenn 6000 bis 8000 psychotherapeutische Praxen ohne somatische Voruntersuchung auf Krankenschein in Anspruch ge- nommen werden können.

These: Die Rolle des Staates bei der Professionalisierung im Be- reich der Medizin bestimmt sich nach dem Rang der Gesundheits- politik im Gesamtsystem von In- nen- und Außenpolitik sowie nach Art und Richtung des staatlichen Ordnungswillens.

Auf dem Gebiete der Medizin befin- den wir uns in einer Situation gestei-

gerten politischen und staatlichen Gestaltungswillens. Die jahrzehnte- lang vernachlässigte Gesundheits- politik ist in den ersten Rang politi- scher Prioritäten gerückt. Die alte Leninsche Erkenntnis ist auch in der Bundesrepublik Deutschland wieder aktuell geworden, daß nämlich die Ordnungsstruktur der sozialen Si- cherheiten, insbesondere der Kran- kenversorgung und der Gesund- heitssicherung, für die Verwirkli- chung ordnungspolitischer oder planwirtschaftlicher Vorstellungen von besonderer exemplarischer Leitfunktion sein kann.

V. Grenzen

der Professionalisierung Am Schluß der Auswahl von Defini- tionen, Thesen und Fragen zur Pro- fessionalisierung auf dem Gebiet der Medizin sei die Frage nach den Grenzen der Professionalisierung gestellt:

Frage: Gibt es auf dem Gebiet der Medizin Regelmechanismen zur Synchronisation biologischer und ökologischer Ganzheiten mit sich ausgliedernden Spezialisierungen und Rationalisierungen, oder sind der Professionalisierung auf dem Gebiet der Medizin Grenzen gesetzt, an denen der Aufwand für den Fort- schritt und Nachteile daraus den für Mensch und Gesellschaft zu erwar- tenden Nutzen übertreffen?

Die Formulierung der Frage deutet bereits darauf hin, daß für den Be- reich der Medizin Gesetzmäßigkei- ten vermutet werden können, die

nicht auch für andere Lebensberei- che der Industriegesellschaft wirk- sam sein müssen. Die Antwort ergibt sich entscheidend aus dem spezifi- schen Verständnis von „Nutzen" im Gesundheitswesen. Ein weites Feld ...

Die Regelung von Angebot und Nachfrage über den Preis ist ein marktwirtschaftlicher Regelmecha- nismus, der auf seine Weise arbeits- teilige Spezialisierungen und Ratio- nalisierungen mit dem Ganzen des Marktes, mit dem Ganzen der Nach-

1330 Heft 19 vom 10. Mai 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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gesund / gesund zur Vorsorge / leicht / schwer / Frühstadium / gesund mit

krank krank Krankheitsgefühl

bald !

Zentrum für

Gesundheitserziehung Gesundheitsaufsicht Impfungen Beratungen Gesundheits- ausstellungen Gesundheits- aufklärung Ernährung Familienplanung Mütterberatung Schwangeren - vorsorge

Gesundheits - kontrollstelle Vorsorge- untersuchungsamt

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/ Vorsorge-und

Gesunderhaltungsdienste Diabetes

Hypertonie Rheumatismus Geriatrie Adipositas psychische Gesundheit Rehabilitation

1-1i lfspersonal '1»

Aus diesem System gibt es kein Entrinnen mehr.

Der Tod ist gesetzlich verboten worden.

Abbildung 7: Verplantes Bezugsfeld ärztlicher Tätigkeit 1985, nach: Peter Stoll, Team-work - Ärztliche Verantwortung, München 1976, Seite 39

Zentrum für Klinische Behandlung

aller Art Intensivstation Nachsorge Spezielle Therapie Spektrum der Woche

Aufsätze - Notizen

Professionalisierung auf dem Gebiet der Medizin

fragechancen des einzelnen und mit dem Ganzen der Angebotsmöglich- keiten von Produktion und Distribu- tion synchronisiert.

Ein derartiger Regelmechanismus könnte auch für das Gebiet der Me- dizin praktiziert werden. In der europäischen Wirklichkeit und zu- nehmend in aller Welt sind und wer- den jedoch die sozialen Beziehun-

gen der in der Medizin Tätigen aus dem Markt genommen. Das hat sei- nen guten Grund darin, daß die Re- gelung von Angebot und Nachfrage auf dem Gebiete der Medizin aus- schließlich über freie Preisgestal- tung auf dem Markt Wirkungen zei- tigt, die mit den geltenden Vorstel- lungen von sozialer Gerechtigkeit und Menschenwürde - was immer diese Vokabeln auch in concreto be-

deuten mögen - nicht in Deckung zu bringen sind. Andererseits muß be- zweifelt werden, daß allein durch Gesetzeswerk, Verwaltung und Ju- stiz - soziale Gerechtigkeit und Menschenwürde garantierend - ein wirklich funktionierender Regelme- chanismus in Gang gesetzt und auf- rechterhalten werden kann, der die Synchronisation von Ganzheiten mit sich ausgliedernden Spezialisierun- gen dauerhaft bewirkt. (Vgl. Abb. 7) In allen Systemen, in denen dies bis- her versucht worden ist und ver- sucht wird, entstehen nicht nur menschenunwürdige Zwänge, son- dern auch legalisierte oder illegale, graue und schwarze Märkte, die weitab von sozialer Gerechtigkeit den knirschenden Gang von Gesetz- gebung, Verwaltung und Justiz min- destens durch Deputatmedizin schmieren. Die Grenzen der Profes- sionalisierung sind in den unter- schiedlichen Lebensbereichen si- cher unterschiedlich kürzer oder weiter gesteckt. Sie sind in einigen Tätigkeitsfeldern bereits erreicht, wofür die Do-it-you-rself-Bewegung symptomatisch sein mag.

Auf dem Gebiete der Medizin wer- den diese Grenzen dadurch be- stimmt, daß der Mensch ein Ganzes bleibt und jedem spezialisierten Be- rufstätigen in der Medizin immer auch als ganzer Mensch gegenüber- tritt. Wenn und wo die berufliche Spezialisierung in ihrer Detailarbeit diesen ganzen Menschen aus dem Auge verliert, dann und dort sind die Grenzen der Spezialisierung bereits überschritten. Die berufliche Aufga- be kann im Professionalisierungs- prozeß detailliert werden; die beruf- liche Verantwortung aber bleibt in allen Berufen auf dem Gebiete der Medizin stets dem ganzen Men- schen verpflichtet.

(Nach einem Referat in der Deut- schen Richter-Akademie in Trier am 9. Januar 1979)

Anschrift des Verfassers:

Prof. J. F. Volrad Deneke Haedenkampstraße 1 5000 Köln 41 (Lindenthal)

1332 Heft 19 vom 10. Mai 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Referenzen

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