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ie Suche nach der Identität von Berufsgruppen sei kein überzoge- ner Luxus oder überflüssige Selbstbezogenheit. Vielmehr sei sie im Bereich der Heilberufe Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit von Ärzten und Pflegenden zu ihren Patienten. Dieses Vertrauen scheint, so Dr. med. Stephan Sahm, Wiesbaden, heute vielfältig bedroht. Mit der The- matik „Heilberufe auf der Suche nach ihrer Identität“ beschäftigte sich die Akademie für Ethik in der Medizin auf ihrer Jahrestagung in Frankfurt am Main.Besonders problematisch scheint oft die Zusammenarbeit zwischen Pflege- personal und Ärzten zu sein. Mehr als eine Million Pflegepersonen seien in Deutschland tätig; sie bildeten die größ- te Berufsgruppe im Gesundheitswesen.
Dennoch erlebten sich Krankenschwe- stern oft als „ärztliche Hilfsdienste“, stellte die Medizinethikerin Irmgard Hofmann, München, fest. Ärztliches Handeln werde quasi als Expertenhan- deln gesehen. Pflegende würden dage- gen das ersetzen, worin die meisten Menschen im Normalfall ihre eigenen Experten seien. Dabei würde oft nicht anerkannt, dass es erhebliche Unter- schiede in der professionellen Pflege gebe. Fehlende gegenseitige Anerken- nung führe besonders bei den Pflegen- den zu Demotivation, sagte auch Prof.
Dr. med. Winfried Hardinghaus, Ge- orgsmarienhütte. Ein Haupthindernis auf dem Weg zu einer besseren Koope- ration zwischen Ärzten und Pflegeper- sonal sieht er allerdings in der mangeln- den Kommunikation untereinander.
Aber auch in der Kommunikation mit den Patienten unterscheiden sich die Berufsgruppen voneinander. Dies erläuterte Dr. med. Giovanni Maio, Lü- beck, anhand einer Untersuchung an österreichischen Krankenhäusern. Dort habe man festgestellt, dass sich profes-
sionsübergreifend die überwiegende Mehrheit der Befragten für eine umfas- sende Aufklärung der Patienten aus- spricht. In beiden Berufsgruppen be- steht Einigkeit darüber, dass die Erst- aufklärung in den Verantwortungsbe- reich des Arztes falle. Und doch wird Aufklärung nicht zur rein ärztlichen Aufgabe gemacht. Vielmehr findet nach Auffassung der meisten Befragten eine Rollenverteilung statt: Der Arzt klärt auf, die Pflegekraft betreut nach.
Zu dieser pflegespezifischen unter- stützenden Nachbetreuung gehöre nach Ansicht der Pflegenden die seeli- sche Unterstützung genauso wie die Be- antwortung offener Fragen und die Übersetzung des ärztlichen Sprachco- des in eine patientengerechte Sprache.
Die Untersuchung stützt das stereotype Bild des Arztes als Überbringer der
„harten“ Diagnose und der Pflegekraft als seelische Betreuung, so Maio.
Das Motiv der Fürsorge sei traditio- nell die Motivation des Handelns der Pflegekräfte, stellte Dr. med. Gerald Neitzke, Hannover, fest. Für Ärztinnen und Ärzte steht dagegen traditionell das Heilen als Motivation ihres Han- delns im Vordergrund. Diese Motiva- tionen wirkten identitätsstiftend nach innen und gleichzeitig abgrenzend nach außen. Sie führten zu einem Konkur- renzverhalten der einzelnen Berufe in der Medizin untereinander, folgert Neitzke. Er plädiert für eine gemeinsa- me Motivation, die sich am ehesten als
„Begleitung kranker Menschen in ihrem Kranksein“ beschreiben lasse.
Eine an dieser gemeinsamen Motivati- on orientierte Identität aller Berufs- gruppen in der Medizin ermögliche die Teamarbeit.
Der Hauptgeschäftsführer der Bun- desärztekammer, Prof. Dr. med. Chri- stoph Fuchs, empfiehlt den Ärzten ebenfalls, trotz der zahlreichen Schwie- rigkeiten, denen sie gegenüberstehen,
sich nicht nur als Heiler und Macher zu verstehen, sondern auch als Begleiter und, wo nötig, als „Steuermann“. Fuchs fordert als identitätsstiftende Motivati- on „die so wichtigen Aussagen der Be- rufsordnung zum Patienten-Arzt-Ver- hältnis oder die ethischen Positionen, die die Ärzteschaft interprofessionell entwickelt hat, auch wirklich zu ken- nen“. Sie sollten so in die ärztliche Pra- xis einfließen, dass sie den Patienten auch nützten, forderte Fuchs. Es stim- me ihn nachdenklich, wenn er feststel- len müsse, dass die Grundsätze zur ärzt- lichen Sterbebegleitung der Bundesärz- tekammer von der Mehrzahl der Pfle- gekräfte gelesen und beachtet wurden, ein Großteil der Ärzte diese Grundsät- ze jedoch nicht kenne. Wenn es gelinge,
Wertebeständigkeit und Fähigkeit zum Ordnungswandel in ärztliches Handeln einfließen zu lassen, bräuchte man auch kein neues ärztliches Selbstverständnis.
Positive Ansätze für eine verbesserte Zusammenarbeit stellte Annette Lau- pert, Frankfurt am Main, vor: In vielen Diskussionen mit allen Mitarbeitern wurden in den Jahren 1996 und 1997 am Zentrum für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie des Klinikums der Jo- hann Wolfgang Goethe-Universität ge- meinsame Zielvorstellungen „zum Wohle der Patienten“ entwickelt (siehe Abbildung). Gisela Klinkhammer T H E M E N D E R Z E I T
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A2832 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 43½½½½27. Oktober 2000
Ethik in der Medizin
Der Arzt als „Steuermann“
Mediziner und Pflegepersonal auf der Suche nach einer neuen Identität
An diesem „Leitbild“ versuchen sich alle Mitar- beiter der Kinder-Onkologie in Frankfurt zu ori- entieren.