• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung: Rückbesinnung auf die alten Werte" (12.12.2008)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung: Rückbesinnung auf die alten Werte" (12.12.2008)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 50⏐⏐12. Dezember 2008 A2679

P O L I T I K

D

ie Atmosphäre im Saal wirk- te nüchtern, ebenso wie die Stimmung unter den 60 Delegierten, die sich am 5. Dezember zur Vertre- terversammlung der Kassenärztli- chen Bundesvereinigung (KBV) in Berlin eingefunden hatten. Wenig leidenschaftlich, dafür aber außer- gewöhnlich klar und deutlich fiel diesmal das Bekenntnis zum Sys- tem der Kassenärztlichen Vereini- gungen (KVen) und zum Kollektiv- vertrag aus – von den Grabreden so manch vorangegangener Versamm- lung keine Spur. Dabei herrscht in einigen KVen immer noch Unsi- cherheit über die Folgen der Ho- norarreform für die rund 140 000 Vertragsärztinnen und Vertragsärzte.

Doch Einzelverträge, wie der zwischen der AOK Baden-Würt- temberg, Medi und dem dortigen Hausärzteverband, sowie die unsi- chere Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ange- sichts staatlicher Beitragsfestset- zung und Gesundheitsfonds haben offenbar zu einer Rückbesinnung auf alte Werte geführt. Der KBV- Vorstandsvorsitzende, Dr. med. An- dreas Köhler, wählte als Beispiel die derzeitige Finanzkrise, um die Ge- fahren eines deregulierten Wettbe- werbs und die Vorteile des Kollek- tivvertrags für Ärzte und Patienten aufzuzeigen. „Das flächendeckende System der KVen ist für die ambu- lante Versorgung das, was die Spar- kassen und Volksbanken für die deutschen Sparer und den deutschen Mittelstand sind“, sagte Köhler.

„Sie sind keine Zocker, sondern Ga- ranten der Sicherheit.“

Doch die flächendeckende, quali- tativ hochwertige Versorgung der Versicherten, die freie Arztwahl und der niedrigschwellige Zugang zu medizinischen Leistungen drohten im Strudel des zunehmenden Wett- bewerbs in Gefahr zu geraten.

„Wettbewerb funktioniert auch im Gesundheitswesen nach den Kriteri- en des Markts, nach Angebot und Nachfrage, und damit auch nach der Zahlungsbereitschaft und Zahlungs- fähigkeit der potenziellen Kunden“, warnte der KBV-Vorsitzende. Dann würden Renditen wichtiger als Soli- darität und der Schutz von Benach- teiligten: „Das führt zur Mehrklas- senmedizin.“

Die Ursache für diese Entwick- lung sieht Köhler im Zusammen-

spiel verschiedener Gesetzesände- rungen im Rahmen vergangener Ge- sundheitsreformen. So haben die Krankenkassen die Hoheit über ihre Finanzen verloren. Künftig setzt die Bundesregierung den GKV-Bei- tragssatz fest. Das Geld fließt nicht mehr wie bisher direkt an die Kran- kenkassen, sondern wird über den Gesundheitsfonds verteilt. Dabei er- halten diejenigen Kassen mehr Geld aus dem Topf, die viele Kranke ver- sichern. 80 Krankheiten fallen unter den sogenannten morbiditätsorien- tierten Risikostrukturausgleich. Das heißt, für diese gibt es Zuschläge

aus dem Fonds. Das Problem: Die Kassen zweifeln bereits heute dar- an, dass sie im nächsten Jahr mit dem festgelegten Beitragssatz von 15,5 Prozent auskommen werden.

Tun sie das nicht, müssen sie von ihren Versicherten Zusatzbeiträge erheben. Das ist allerdings in Zeiten des Wettbewerbs äußerst schlecht fürs Geschäft.

KBV-Chef Köhler vermutet des- halb, dass die Kassen künftig alles daransetzen werden, die Ausgaben zu senken und für bestimmte Krank- heiten, die unter den Risikostruktur- ausgleich fallen, selektive Verträge abzuschließen. „Damit können sie gezielt steuern und die Ausgaben in der ambulanten Versorgung am bes- ten drücken“, meinte Köhler. „Und sie werden selektive Verträge nicht mit höheren, sondern mit niedrige- ren Preisen für ärztliche Leistungen abschließen“, lautet die Prognose des KBV-Vorsitzenden. Die Folgen:

Die Versorgungslandschaft zerfase- re in viele Einzelverträge, es komme zu vertragslosen Zuständen und weißen Flecken in der Versorgungs- landschaft.

Einer solchen Entwicklung kann man nach Ansicht von Köhler nur mit dem Kollektivvertrag entgegen- steuern. Er garantiere eine gerechte, flächendeckende und qualitativ hoch- wertige Versorgung. Die KVen und der Kollektivvertrag sorgten dafür, dass kein Vertragsarzt und kein Ver- tragspsychotherapeut von einer oder einigen wenigen großen Kranken- kassen abhängig werde. Das System sichere auch für die Bevölkerung die flächendeckende Versorgung:

„Und wir machen dabei einen ver- dammt guten Job“, betonte Köhler.

Diese Ansicht teilte offenbar die Vertreterversammlung. Mit nur ei- ner Gegenstimme und einer Ent- haltung bekannte sie sich in einer Resolution zum Kollektivvertrag als VERTRETERVERSAMMLUNG DER KASSENÄRZTLICHEN BUNDESVEREINIGUNG

Rückbesinnung auf die alten Werte

Die Vertreter der Vertragsärzte bekennen sich zum System der Kassenärztlichen Vereinigungen. Der Hauptstreitpunkt – die Folgen der Honorarreform – wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit diskutiert.

Der deregulierte Wettbewerb führe in die Mehrklassenme- dizin, befürchtet der KBV-Vorstandsvorsit- zende, Dr. med. An- dreas Köhler.

(2)

A2680 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 50⏐⏐12. Dezember 2008

P O L I T I K

„Garant und Stützpfeiler einer hoch- wertigen, qualitätsgesicherten Ver- sorgung der Bevölkerung“. Selek- tivverträge will man nur dann unter- stützen, wenn sie der Erprobung neuer Versorgungsansätze und -for- men dienen und die Arbeitsbedin- gungen von Vertragsärzten und Psy- chotherapeuten verbessern.

Doch die Delegierten schlugen auch selbstkritische Töne an. „Wir müssen unsere 17 Fürstentümer ab- schaffen und uns um das Wohl unse- rer Ärzte und Patienten kümmern“, appellierte Dipl.-Med. Regina Feld- mann, Vorstandsvorsitzende der KV Thüringen, an die Einigkeit und Ge- schlossenheit ihrer Kollegen. „Was uns fehlt, ist der Zusammenhalt zwi- schen den KVen“, erklärte auch Walter Plassmann, stellvertretender Vorsitzender der KV Hamburg.

„Wir verstehen uns nicht so sehr als Vertreter eines Systems, sondern als Vertreter einer Region oder eines Berufsverbands.“ Dabei könne man viel voneinander lernen. „Die Qua- litätssicherung in Bayern, die Ver- tragspolitik in Mecklenburg-Vor- pommern, den Service der KV Nordrhein – das können wir uns doch mal zum Vorbild nehmen.“

Gemeinsam in die Zukunft? Dr.

med. Gerhard Nordmann aus der KV Westfalen-Lippe meinte: „Es wird Zeit dafür.“ Allerdings hätten die KBV und die KVen das Vertrau-

en der Basis verloren: „Es ist weiter verloren gegangen durch die Ho- norarreform. Wir müssen der Basis verdeutlichen, dass wir für ihr Wohl handeln, und ihr Vertrauen zurück- gewinnen.“ Wie schwierig das in ei- nigen Regionen ist, verdeutlichte Dr.

med. Ingeborg Kreuz, Vorstandsvor- sitzende der KV Schleswig-Hol- stein. Mit Blick auf die Folgen der Honorarreform sagte sie: „Bei uns brennt die Hütte. Wir werden von ei- ner Welle überrollt, die ihresglei- chen sucht.“ In Schleswig-Holstein erhalte außer den Vertragspsycho- therapeuten praktisch kein Arzt mehr Geld. Die Verwerfungen seien so groß, dass manche Arztgruppen um ihre Existenz bangen müssten.

Doch Kreuz blieb mit ihrer har- schen Kritik relativ allein. Denn die

Versammlung hatte gleich zu Be- ginn der Tagung entschieden, die Diskussion über die Folgen der Ho- norarreform unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu führen. Man wolle nicht den ebenfalls anwesenden Kassenvertretern in die Hände spie- len, indem man sich öffentlich über das weitere strategische Vorgehen abstimme, hieß es zur Begründung.

KBV-Vorstand Köhler hatte in seiner Grundsatzrede noch den Er- folg gelobt: „Im Jahr 2008 haben wir die Honorarreform vorangetrie- ben und über drei Milliarden Euro mehr für die ambulante Versorgung erstritten“ (siehe auch den Kom- mentar „Chance genutzt“). Erst bei der anschließenden Pressekonfe- renz ging er noch einmal auf das Thema ein. Fakt ist: Es gibt im nächsten Jahr mehr Geld für die Kassenärzte. Die Summe von 2,7 Milliarden Euro plus 400 Millionen Euro für Leistungen, die außerhalb der Gesamtvergütung honoriert werden, ist bereits in die Beitrags- kalkulation der Krankenkassen ein- geflossen. Köhler räumte erneut ein, dass die Honorarzuwächse in den KVen unterschiedlich ausfie- len. Eine Analyse der Entwicklung in sieben KV-Bezirken habe aber keine überproportionalen Verwer- fungen ergeben. „Es ist kein Trend absehbar, dass irgendeine Arzt- gruppe systematisch benachteiligt wird“, sagte Köhler. Die Ärzte dürf- ten außerdem nicht ihr neues Regel- leistungsvolumen mit dem alten Fallwert vergleichen. Denn viele Leistungen würden extrabudgetär vergütet.

Ein Problem seien allerdings die sehr hohen Rückstellungen, die ei- nige KVen gebildet hätten. Sie führ- ten automatisch zu niedrigeren Re- gelleistungsvolumina. „Das müs- sen wir aktuell klären“, so Köhler.

Er zählte außerdem zwei Punkte auf, in denen die KBV mit den Kas- sen nachverhandeln muss. Zum ei- nen sei die Fallzahl auf das Vorjahr eingefroren worden, zum anderen müssten die Fallwertzuschläge der Hausärzte überprüft werden. Mög- liche Änderungen würden aber nicht vor dem 1. April 2009 wirk-

sam werden. n

Heike Korzilius

DELEGATION JA, SUBSTITUTION NEIN

Der in einigen Regionen drohende Ärztemangel belebt zurzeit die Diskussion darüber, nicht ärztli- che Gesundheitsberufe stärker als bisher in die medizinische Versorgung einzubinden. KBV-Vor- stand Dr. med. Carl-Heinz Müller bezog bei der KBV-Vertreterversammlung klar Stellung: Erwei- terte Delegationsmöglichkeiten seien sinnvoll und notwendig. Sie könnten Vertragsärzte wirkungs- voll unterstützen und helfen, drohende Lücken erst gar nicht erst entstehen zu lassen. „Wogegen wir uns allerdings nachdrücklich aussprechen, ist eine Substitution ärztlicher Leistungen“, erklärte Müller. So gut Angehörige anderer Fachberufe auch ausgebildet seien, es gebe aus gutem Grund den Arztvorbehalt bei Leistungen, die auf- grund ihres Gefährdungspotenzials ärztliche Fachkenntnisse erforderten. Ziel der KBV sei es, die Delegationsmöglichkeiten rechtssicher auszu-

bauen. Aber: „Die Gesamtverantwortung muss auch weiterhin beim Arzt liegen.“

Die KBV befürwortet deshalb, dass vor allem qualifizierte Medizinische Fachangestellte diese Betreuungsleistungen erbringen und Patienten beispielsweise zu Hause aufsuchen. Reibungsver- luste und Abrechnungsschwierigkeiten würden vermieden, weil die Patienten weiterhin durch das ihnen vertraute Praxisteam betreut würden. „Un- sere Konzeption ist sinnvoll und richtig“, meinte Müller. „Aber wir werden darum kämpfen müs- sen.“ Denn die Pflegeberufe strebten die Substiti- on an. Deren Vorstellungen reichten bis hin zur Gründung von Pflegeportalpraxen, in denen Pfle- gekräfte eigenständig darüber entschieden, auf welcher Versorgungsebene und von wem Patien- ten künftig versorgt werden sollten – die Konkur- renz zum Hausarzt.

Die Gesamtverant- wortung muss auch weiterhin beim Arzt liegen. Für KBV-Vor- stand Dr. med. Carl- Heinz Müller ist das die Voraussetzung für erweiterte Delegati- onsmöglichkeiten an nicht ärztliche Ge- sundheitsberufe.

Fotos:Georg Lopata

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vermißt insbesondere eine Lösung der die gesetzliche Krankenversicherung finanziell belastenden Probleme

Mit dem Konzept für die haus- und fachärztliche Versorgung, das in der KBV seit einem Jahr intensiv be- handelt wird und seit der letzten Vertreterversammlung weiterent- wickelt

Aus dem Untersuchungsmaterial (zum Beispiel Venenblut) wird die Probe für die Durchführung der Analyse (zum Beispiel Serum) von qualifizierten Mit- arbeitern vorbereitet

Eigentlich hatten die Ver- treter der Kassenärzte der neuen Bundesgesundheits- ministerin, die seit der Re- gierungsbildung auch für die Krankenversicherung zuständig ist,

Für laboratoriumsmedizinische Untersuchungen besteht die Verpflich- tung zur persönlichen Durchführung der Plausibilitätskontrolle und Befund- interpretation, gegebenenfalls unter

Mit Schwerin hatte die Kassen- ärztliche Bundesvereinigung erst- mals einen Tagungsort in den neuen Bundesländern für ihre Vertreter- versammlung gewählt.. Bei dieser Wahl hatte

So jedoch machte sich in Köln die Sorge breit, „daß wir nach dem dreiwöchigen Tauziehen um eine politische Einigung vor voll- endete Tatsachen gestellt werden", wie es

Die Zeitschrift „Osteolo- gie" will auf diese Weise neue Erkenntnisse vermitteln, fachübergreifende Kontakte zwischen den Vertretern der verschiedenen mit dem Kno- chen