DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
lle Augen warteten auf ihn, doch er kam nicht. Horst Seehofer (CSU), der neue Bundesgesundheitsminister, ließ sich auf der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) am 11. Mai in Köln nicht blik- ken. Mehr noch: Weil der Mann nach Gerda Hasselfeldt mit den Ge- sundheitspolitikern der Koalition volle drei Wochen in Klausur gehen will, fiel auch die mit Spannung er- wartete Podiumsdiskussion ins Was- ser. Die dazu eingeladenen Politiker sagten kurzfristig ab, und die Kas- senärzte blieben unter sich.
Horst Seehofer hätte durchaus einiges für die anstehenden Beratun- gen über neue Weichenstellungen im Gesundheitswesen mit auf den Weg nehmen können, wenn er die Diskus- sionen des Kassenärzte-Parlamentes verfolgt hätte. So jedoch machte sich in Köln die Sorge breit, „daß wir nach dem dreiwöchigen Tauziehen um eine politische Einigung vor voll- endete Tatsachen gestellt werden", wie es Dr. Ulrich Oesingmann, Er- ster Vorsitzender der KBV, formu- lierte. Oesingmann gab zugleich ein deutliches Signal in Richtung Bonn:
„Ein solches Verhalten würde brüs- kieren. Es würde politische Ausein- andersetzungen provozieren, hinter denen der Streit um das Gesund- heits-Reformgesetz an Intensität weit zurücktreten dürfte."
Doch auch ohne die erhoffte po- litische Präsenz: An Brisanz fehlte es den Diskussionen um die Gesund- heits- und Berufspolitik auf der Köl- ner Vertreterversammlung nicht.
Die Vorlagen dazu lieferte neben Oesingmanns Bericht zur Lage ein Beitrag von Professor Eberhard Wil- le, Finanzwissenschaftler an der Uni- versität Mannheim. Wille beleuchte- te die Ausgabenentwicklung und die Finanzierungsmöglichkeiten in der gesetzlichen Krankenversicherung präzise und differenziert. Die nie- dergelassenen Ärzte als Kostentrei- ber? Für Wille entbehrt diese immer wieder erhobene Anschuldigung je- der Grundlage. Wer dort ansetzt, um Lösungen zu finden, greift daneben.
Über die Ausführungen des Gesund-
heitsökonomen berichten wir auf den folgenden Seiten.
Klare Positionen bezog auch Dr.
Ulrich Oesingmann. In seinem Be- richt zur Lage (der in wesentlichen Auszügen in diesem Heft dokumen- tiert ist) sparte der KBV-Vorsitzen- de kaum einen aktuellen Punkt aus.
Seine Forderung an die Politik: Die überwiegend gescheiterte Kosten- dämpfungspolitik des Gesundheits- Reformgesetzes darf nicht unter ei- nem anderen Titel eine simple Neu- auflage erfahren. Das hieße nur noch mehr Vorschriften, noch mehr Reglementierung und noch mehr Kontrollen. Ein reines Spargesetz, ein erneutes Kurieren an den Sym- ptomen helfe nicht weiter.
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Unangenehme Wahrheiten schrieb Dr. Oesingmann unter dem Beifall der Delegierten den Kran- kenkassen ins Stammbuch. In den vergangenen Jahren habe sich zu- nehmend ein „grauer Markt" in der ambulanten Versorgung breit ge- macht: Neben- und Zusatzleistungen der Krankenkassen, die von Yoga bis Bauchtanz reichen. Hier werde ge- klotzt, bei den Kassenärzten dann gekleckert.
Ganz entschieden verwahrte sich Oesingmann gegen eine Einmi- schung von außen in die Vertragsver- handlungen zwischen Kassenärzten und Kassen. Bar jeder Sachkenntnis käme es dabei beispielsweise zu For- derungen wie nach dem „Einfrieren der Arzteinkommen". Der KBV- Vorsitzende dazu: „Die an die Lohn- summe gekoppelte Gesamtvergü-
tung hat bei ständig steigender Zahl der Kassenärzte und wachsenden Praxiskosten in den letzten zehn Jah- ren zu Minusrunden für unser Real- einkommen geführt."
Dem Primärarztmodell des Sachverständigenrates erteilte Dr.
Oesingmann eine Absage — ebenso dem Vorschlag, auf steigende Arz- neimittelausgaben mit einem Bonus- Malus-System zu reagieren. Befür- worten würde man hingegen eine maßvolle Selbstbeteiligung der Ver- sicherten an den Kosten für die Arz- nei-, Heil- und Hilfsmittelversor- gung. Der EBM, so Oesingmann, werde bald novelliert. Die erneute Überarbeitung soll offenkundige Mängel und Fehlentwicklungen be- seitigen. Diese Ankündigung deckte sich im übrigen mit einem Antrag des nordrheinischen Delegierten Dr.
Christian Clausen, der von der VV angenommen wurde.
Erstmals traten diesmal die neu- en Länder mit einem zentralen An- liegen kassenärztlicher Berufspolitik vor die Vertreterversammlung. Dr.
Klaus Penndorf, Vorsitzender der KV Sachsen-Anhalt, wandte sich da- bei im Namen seiner Kollegen ener- gisch gegen die vorgesehene Zulas- sung von Krankenhausfachambulan- zen zur kassenärztlichen Versor- gung. Näheres dazu auf den folgen- den Seiten.
Ein weiterer wichtiger Punkt auf der Tagesordnung war die Stellung- nahme der KBV zur Neufassung der Weiterbildungsordnung — dem zen- tralen Thema des 95. Deutschen Ärztetages. Hierzu gab es neun Be- schlüsse, über die in einem geson- derten Bericht in diesem Heft aus- führlich berichtet wird. JM
Klares Nein zu einem simplen Spargesetz
Kassenärzte wollen von der Politik gehört werden
Dt. Ärztebl. 89, Heft 21, 22. Mai 1992 (17) A1-1921