DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Aktuelle Politik
Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
Offensive Reformpolitik
mit starkem Selbstvertrauen
D
ie Sitzung der Vertreterver- sammlung der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung, der Repräsentanz von jetzt rund 75 000 an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärz- ten, brachte Klarheit in wesent- lichen Fragen, die die Kassen- ärzte derzeit beschäftigen: Was wird die Reform der kassenärzt- lichen Gebührenordnung, des„Einheitlichen Bewertungsmaß- stabes", bringen? Wie wird sich eine künftige Bedarfsplanung bei regionaler Überversorgung auswirken? Wird eine neue Preisvergleichsliste verstärkt Regresse auslösen?
Das Referat des Ersten Vorsit- zenden der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung, Professor Dr. Siegfried Häußler, und das Grußwort des Bundesarbeitsmi- nisters, Dr. Norbert Blüm, gaben aufschlußreiche Antworten, kri- tisch „hinterfragt" in einer regen Diskussion, ergänzt durch detail- lierte Auskünfte der Experten der Kassenärztlichen Bundes- vereinigung wie des Bundesar- beitsministeriums, den Vertre- tern der Medien in einigen Pres- sekonferenzen erläutert. Wer es wissen will: Die Berichte auf den folgenden Seiten geben in ge- raffter Form Antwort auf die Fra- gen, die in Hannover in einer rund siebenstündigen Sitzung behandelt worden sind.
Prof. Häußler hatte von dieser Vertreterversammlung neue Im- pulse für die Weiterentwicklung
Zwei Bundesminister bei der Sitzung am 28. April in Hannover zu Grundsatzfragen der kassenärztlichen Versorgung, der
gesetzlichen Kranken- versicherung und
der Volkswirtschaft
der kassenärztlichen Versor- gung erwartet im Vertrauen dar- auf, daß in der Selbstverwaltung genug Kraft stecke, die anste- henden Probleme zu bewältigen.
Vorweg gesagt: Die inhaltsrei- che Sitzung der KBV-Vertreter- versammlung vermittelte den Eindruck, daß dieses Selbstver- trauen vollauf berechtigt ist.
Der Kurs der KBV zur Reform der kassenärztlichen Gebührenord- nung hat sich erneut als stabil erwiesen. Die diffizilen Arbeiten an der Neuformulierung der Lei- stungskataloge schreiten zügig voran, trotz des empfindlichen Rückschlages durch die schwe- re Erkrankung von Dr. Klaus Dehler, Nürnberg, der die Re- formkommission leitete, und trotz des ebenfalls durch Krank-
heit bedingten zeitweisen Aus- falls des Geschäftsführenden Arztes Dr. Manfred Moewes. An- dere KBV-Vorstandsmitglieder sprangen in die Bresche. Dr. Ul- rich Oesingmann, Stellvertreter Dehlers, leitet jetzt die Reform- arbeiten; Dr. Klaus Voelker küm- mert sich zusätzlich um den im dritten Quartal anstehenden Mo- dellversuch; Dr. Rolf Thier, der Zweite Vorsitzende der KBV, ver- stärkt die Reformkommission.
Spezielle Arbeitsgruppen mit Ex- perten der KV-Vorstände und -Geschäftsführungen wurden gebildet, um nicht nur die neuen Kapitel „Grundleistungen" und
„Labor", sondern den Gesamt- entwurf einer neuen Gebühren- ordnung nach bis ins einzelne gehender Abstimmung mit den Vertragspartnern, den RVO- und Ersatzkassen, bis Jahresende 1986 vorlegen zu können.
Gerade die Reaktion auf die kri- tischsten Fragen ließ den Beob- achter erkennen, daß die Spitze der Kassenärztlichen Bundes- vereinigung nicht nur mit gro- ßem Sachverstand, sondern auch in hohem Verantwortungs- bewußtsein eine ausgewogene Neubewertung der einzelnen Leistungen im Verhältnis zuein- ander ansteuert, wobei für Um- schichtungen nur ein begrenz- tes Finanzpotential zur Verfü- gung steht; denn—so Dr. Eckart Fiedler —: selbstverständlich wird darauf geachtet, daß die Gesamtbalance zwischen den hochinvestiven Leistungen und
Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 19 vom 7. Mai 1986 (21) 1341
Gesundheit ist auch wertvolles volkswirtschaftliches Gut
Zum Abschluß der Veranstaltung „Kassenärztliche Versorgung — Wirtschaftsfaktor in einer modernen Industriegesellschaft", über die auf den Seiten 1353 bis 1360 im einzelnen berichtet wird, hat die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung am 28. April 1986 die folgende Resolution verabschiedet:
„Derzeit sichern rund 75 000 Ärzte in eigener Praxis, aber auch im Krankenhaus eine hochwertige flä- chendeckende, patienten- und wohnortnahe ambulante ärztliche Versorgung der Sozialversicherten;
dies sind mehr als 90 Prozent unse- rer Bevölkerung. Ihre Leistungen für Kinder, Frauen und Männer rei- chen von der haus- und famili- enärztlichen bis zu einer differen- zierten spezialärztlichen Betreuung.
Durch Förderung und Wiederher- stellung der Gesundheit tragen sie zur Verbesserung der Lebensquali- tät des einzelnen und seiner Familie bei und fördern so auch die gesell- schaftliche und wirtschaftliche Wohlfahrt in Gegenwart und Zu- kunft.
Damit ist die ambulante kassenärzt- liche Versorgung auch ein unent- behrlicher Wirtschaftsfaktor der Bundesrepublik Deutschland. Die Leistungen der Kassenärzte dienen, ökonomisch gesehen, der Deckung lebensnotwendiger Bedürfnisse der Menschen von frühester Jugend bis ins hohe Alter. Nur gesunde und zu- friedene Menschen, sei es als Arbeitnehmer, Gewerbetreibende, Kinder und Jugendliche, Rentner, Unternehmer oder als Landwirte lassen eine Volkswirtschaft blühen.
Es ist deshalb so unsachlich wie tö-
richt, die gesundheitliche Betreu- ung unserer Bürger als Soziallast zu bewerten. Gesundheit ist auch volkswirtschaftliches Potential, sei- ne Pflege vorrangig Investition in dieses Potential.
Durch starke Beschäftigungs- und Investitionsimpulse leistet die kas- senärztliche Versorgung einen we- sentlichen Beitrag zur volkswirt- schaftlichen Produktivität und er- höht somit die Wachstumschance unserer Gesamtwirtschaft. Sie bie- tet direkt und indirekt 500 000 zu- meist hochqualifizierte Arbeitsplät- ze. Mit diesen verbinden sich volks- wirtschaftliche Ausgaben für Löh- ne, Gehälter, Investition und Kon- sum von rund 20 Milliarden DM.
Entsprechend nimmt die kassen- ärztliche Versorgung am wirtschaft- lichen Aufschwung unseres Landes nicht nur teil, sondern trägt als Wachstumssektor selbst entschei- dend dazu bei. Erhaltung bzw. Wie- derherstellung der Arbeitskraft in Millionen von Fällen täglich, Ein- richtung vieler neuer Arbeitsplätze, Investitionen in Milliardenhöhe sind nur einige Größen, die die Fest- stellung unterstreichen, daß die kassenärztliche Versorgung ein po- sitiver Wirtschaftsfaktor in un- serer modernen Industriegesell- schaft ist." ❑
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Reformpolitik
ärztlichen Bundesvereinigung doch sehr angenähert.
Mit der neuen Preisvergleichsli- ste, die auch Kombinationsprä- parate einbezieht, wurde dem
„Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen" infolge des Scheiterns der Verhandlungen zwischen Krankenkassen und pharmazeutischer Industrie eine schwierige Aufgabe aufgebür- det, um deren Bewältigung sich die Experten der Arzneimittel- kommission der deutschen Ärz- teschaft und der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung wei- ter intensiv bemühen.
> Den Kassenärzten kann man sagen, daß viele bisher geäußer- te Befürchtungen um eine sche- matische Einengung der Verord- nungsfreiheit durch die Liste ge- genstandslos sind. Und den poli- tischen Kostendämpfern muß man sagen, daß sie ihre Hoffnun- gen auf die monetären Auswir- kungen nicht allzu hoch schrau- ben sollten.
Der Offensivgeist, der die Arbei- ten der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung in all diesen Sachfragen auszeichnet, zeigte sich dann auch in der Vortrags- veranstaltung des Nachmittags, in der Bundeswirtschaftsmini- ster Dr. Martin Bangemann, Pro- fessor Dr. Dietrich Dickertmann, Dr. Karsten Vilmar und Professor Dr. Gerhard Wittkämper Referate hielten zum Thema „Kassenärzt- liche Versorgung — Wirtschafts- faktor in einer modernen Indu- striegesellschaft".
den Grundleistungen gewahrt bleibt!
Rund zwanzig Ziffern des neuen Grundleistungskataloges wer- den in den Modellversuch kom- men; erst im Vergleich mit der konventionellen Abrechnung wird man die Auswirkungen in etwa erkennen und gegebenen- falls korrigieren können. Ein Rie- senunterfangen jedenfalls, diese Gebührenordnungsreform, über deren stufenweisen Fortschritt
die Ärzteschaft jeweils unverzüg- lich unterrichtet werden soll.
Auch die Neuregelung der Be- darfsplanung ist endlich auf dem Marsch durch die Instanzen der Gesetzgebung. Wenn auch nicht alle Einzelheiten in Hannover be- kanntgegeben wurden (das Bun- desarbeitsministerium wollte der Vorlage im Kabinett nicht allzu sehr vorgreifen), so scheint der Gesetzentwurf den ursprüngli- chen Vorstellungen der Kassen-
Die Kassenärztliche Bundesver- einigung hat mit dieser Veran- staltung im Namen aller deut- schen Kassenärzte zu Recht dar- auf gepocht — und Dr. Eckart Fiedler bekräftigte dies in sei- nem Schlußwort, das auf die oben dokumentierte Entschlie- ßung hinführte —, welche emi- nent große Bedeutung die kas- senärztliche Versorgung als Wirtschafts- und Wachs-
tumsfaktor hat. DÄ
1342 (22) Heft 19 vom 7. Mai 1986 83. Jahrgang Ausgabe A