Kritik an den Plänen Warnung vor den Folgen
Resolution der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
„Als wenig überzeugend wertet die Vertreterversamm- lung der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen zur Strukturreform im Gesundheits- wesen. Die zentralen Probleme der gesetzlichen Krankenversi- cherung bleiben ungelöst: die Fi- nanzierung der Krankenversi- cherung der Rentner, der über- proportionale Ausgabenzuwachs im Krankenhaus und die Überka- pazitäten im Gesundheitswesen.
Statt dessen sollen wieder einmal Versicherte und Ärzte herhalten.
Das ist angesichts der Stabilitäts- beiträge der Kassenärzte in den ganzen letzten Jahren geradezu unerträglich.
■Deshalb warnt die Vertreter- versammlung mit allem Nach- druck vor Eingriffen in das Kas- senarztrecht, die die anerkannt leistungsfähige kassenärztliche Versorgung in wesentlichen Be- reichen schwächen und das Arzt-Patienten-Verhältnis emp- findlich beeinträchtigen würden.
■Eindringlich warnt die Vertre- terversammlung der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung auch vor den unkontrollierbaren Fol- gen einer totalen Erfassung und Weitergabe von Patientendaten unter dem Vorwand der Trans- parenz. Der geforderte Datenträ- geraustausch berührt weitaus sensiblere Daten als die vehe- ment kritisierte Volkszählung.
Abermillionen von Kranken- scheinen, unzählige Rezepte und sämtliche Arbeitsunfähigkeitsbe- scheinungen in einer giganti- schen Datenbank könnten gegen unbefugte Abrufe und Datenmiß-
brauch kaum geschützt werden.
Hinzu kommt ein krasses Miß- verhältnis zwischen dem immen- sen Kosten- und Verwaltungsauf- wand einerseits und einem äu- ßerst fragwürdigen Nutzen ande- rerseits. Der geplante Daten- austausch verfehlt vollends sei- nen Sinn, wenn Hunderte von Millionen Mark für Bürokratie aufgebracht werden müssen und andererseits die Versicherten kräftig zur Kasse gebeten wer- den.
■Daher fordert die Vertreter- versammlung den Gesetzgeber auf, geeignete Transparenzmaß- nahmen der Selbstverwaltung von Krankenkassen und Kassen- ärzten zu überlassen. Solche Maßnahmen müssen dem Recht der Versicherten auf Daten- schutz und dem gemeinsamen Interesse an Kosten- und Lei- stungstransparenz unter Wah- rung der Verhältnismäßigkeit der Mittel Rechnung tragen.
■Die beabsichtigte Erhöhung der Arzneigebühr von 2 auf 3 DM verschärft die bestehende Fehl- steuerung und bietet keinen An- reiz für eine sparsame Inan- spruchnahme von Arzneimitteln.
Die Einführung eines Festbetra- ges für Wirkstoffe, bei denen ne- ben Markenpräparaten auch Ge- nerica vertrieben werden, gibt Anlaß zu Bedenken, sofern der Qualitätsnachweis nicht lücken- los gewährleistet ist. Die Aus- wahl der Arzneimittel muß aus Gründen der Therapiesicherheit beim Arzt bleiben und darf nicht an den Apotheker delegiert wer- den. Die erwarteten Einsparef- fekte sind mehr als fragwürdig.
■ Eine Reihe weiterer Beschlüs- se der Koalitionsvereinbarung geben ebenfalls Anlaß zu Be- sorgnis. Größte Wachsamkeit und harten Widerstand gebieten insbesondere bekannt geworde- ne ‚Denkspiele' aus dem Bundes- arbeitsministerium. Vor diesem Hintergrund fordert die Vertre- terversammlung der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung den Bundesarbeitsminister und alle verantwortlichen Politiker mit Nachdruck auf, dafür Sorge zu tragen, daß die Kassenärzte und ihre versicherten Patienten im Zuge des Gesetzgebungsverfah- rens nicht erneut mit einer Flut von überflüssigen Bestimmungen und bürokratischen Kosten- dämpfungsvorschriften über- schwemmt werden.
Was die Selbstverwaltung aus eigener Kraft regeln kann, muß der Staat nicht reglemen- tieren. Das Arzt-Patienten- Verhältnis gründet auf Ver- trauen und verträgt keine bü- rokratische Gängelei. Die Versicherten müssen sich dar- auf verlassen können, daß ih- nen ärztliche Hilfe ohne Sorge vor unübersehbarer finanziel- ler Belastung gewährleistet ist.
Der Arzt muß - unter Wah- rung des Grundsatzes der Notwendigkeit und Wirt- schaftlichkeit - die Freiheit haben, seinen Patienten nach den Regeln der ärztlichen Kunst versorgen zu können.
Eine Reform der GKV, die anerkannte Strukturmängel nicht beseitigt und reine Kostendämp- fungsmaßnahmen mit neuen Be- lastungen der Krankenkassen durch die ordnungspolitisch fragwürdige Einbeziehung des Pflegerisikos in deren Leistungs- katalog verbindet, wird unserem
Gesundheitswesen schon in na- her Zukunft neue finanzielle Pro- bleme
schaffen." ❑(5. Dezember 1987)
Dt. Ärztebl. 84, Heft 51/52, 19. Dezember 1987 (17) A-3505