E
s waren genau solche politisch moti- vierten Eingriffe in die Finanzauto- nomie der Krankenkassen, die dazu beigetragen haben, dass die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aus dem Ruder gelaufen sind:„Die Krankenkassen werden zusätzliche Mittel bereitstellen, um über den Eigen- bedarf hinaus auszubilden. Außerdem werden die Krankenkassen diese zusätz- lich Ausgebildeten für wenigstens ein Jahr lang nach der Lehrzeit beschäfti- gen“, meldete das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung am 9. August. Ulla Schmidt habe die Initia- tive ergriffen und gemeinsam mit Ver- tretern der GKV und der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di eine Ausbildungsoffensive gestartet.
Genauso wie viele Amtsinhaber vor ihr drängt Ministerin Ulla Schmidt somit die Kassen dazu, eine gesellschaftspoli- tisch gewollte Leistung zu erbringen, die – wenn überhaupt – aus Steuergeldern finanziert werden müsste (denn dann würden alle Bürger die Zeche zahlen, und nicht nur die gesetzlich Krankenver- sicherten). Eigentlich schien Schmidt das Problem der versicherungsfremden Leistungen im GKV-Leistungskatalog er- kannt zu haben. Denn im Zuge der jüng- sten Gesundheitsreform war geregelt worden, dass sich der Bund pauschal mit Steuermitteln an den Aufwendungen für versicherungsfremde Leistungen betei- ligt, wie zum Beispiel Mutterschaftsgeld oder Schwangerschaftsabbruch. Diese Leistungen seien von gesamtgesellschaft- lichem Interesse und sollten weiter zur Verfügung gestellt werden, jedoch nicht allein auf Kosten der Versicherten,hieß es damals. Im Jahr 2004 zahlt der Bund des- halb pauschal eine Milliarde Euro an die Kassen. Für 2005 sind 2,5 Milliarden Euro und für 2006 sowie die Folgejahre zunächst jeweils 4,2 Milliarden Euro ein- geplant. Um das finanzieren zu können,
erhöht die Bundesregierung die Tabak- steuer bis Mitte 2005 um insgesamt 4,5 Cent je Zigarette. Trotz der auf den Weg gebrachten Umfinanzierung der versi- cherungsfremden Leistungen konnte die Ministerin der Versuchung, sich als An- wältin der jungen Generation zu profilie- ren, aber offenbar nicht widerstehen.
Ende 2003 beschäftigten die Kranken- kassen 146 829 Mitarbeiter, die Zahl der Auszubildenden betrug 7 966 (zum Ver- gleich: In den 103 000 Arztpraxen wurden Ende 2002 rund 46 500 junge Menschen ausgebildet – ausschließlich auf Kosten der Kassenärzte). Dies entspricht einer Ausbildungsquote von 5,4 Prozent. Um diese auf sieben Prozent zu erhöhen,müss- ten demnach 2 428 Auszubildende neu eingestellt werden.Um den Kassen den fi- nanziellen Spielraum für die Neueinstel- lungen zu geben, wird die im GKV-Mo- dernisierungsgesetz verankerte Begren- zung der Verwaltungsausgaben punktuell aufgehoben.Dies habe Staatssekretär Dr.
Klaus Theo Schröder den Kassen zugesi- chert, berichtete die „Frankfurter Allge- meine Zeitung“, der ein entsprechendes Schreiben vorliegt. Auch die Landes- aufsichtsbehörden und das Bundesver-
sicherungsamt spielen mit: Sie kündigten an, Neueinstellungen zu Ausbildungs- zwecken nicht zu beanstanden.
Die direkten Verwaltungskosten der Krankenkassen steigen seit 1991 kontinu- ierlich (Grafik) und summierten sich im Jahr 2003 auf 8,04 Milliarden Euro. Dies sind rund 5,6 Prozent der Gesamtausga- ben der GKV. Mehr als 80 Prozent der Verwaltungskosten sind Personalkosten.
Mit dem GKV-Modernisierungsgesetz wurden die Verwaltungskosten erstmals
„eingefroren“: Bis 2007 dürfen sie nicht schneller steigen als die Löhne und Gehälter. Wenn diese vernünftige Be- schränkung nun für die „Ausbildungsof- fensive“ aufgehoben wird, entfernt man sich von dem Ziel, die Krankenkassen- beiträge zu senken. Tendenziell belastet die Maßnahme die Beitragssätze und so- mit die Lohnnebenkosten. Eine Chance, dass die Unternehmen von sich heraus neue Arbeits- und Ausbildungsplätze schaffen, besteht aber nur dann, wenn die Lohnnebenkosten sinken. Der Faktor Arbeit müsste billiger werden. Langfri- stig hat Ulla Schmidt den Jugendlichen mit ihrer „Ausbildungsoffensive“ deshalb einen Bärendienst erwiesen. Jens Flintrop P O L I T I K
Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 34–3523. August 2004 AA2287
Grafik
Netto-Verwaltungskosten der Gesetzlichen Krankenversicherung
von 1991 bis 2003
10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0
1991 1992 1993 1994 1995 1996 19971998 1999 2000 2001 2002 2003 in Mrd.
Euro
4,70 5,40 5,68 5,99 6,14 6,55 6,45 6,82 7,17 7,30 7,64 8,02 8,04
Politischer Verschiebebahnhof
Doch nichts dazugelernt
Die Krankenkassen sollen mehr Auszubildende einstellen. Weil dies Geld kostet, dürfen ihre Verwaltungskosten steigen. Die Beitragszahler zahlen also mal wieder die Zeche.
Quelle:Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung