Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 25⏐⏐19. Juni 2009 A1273
S E I T E E I N S
R
einhold Schulte, Vorsitzender des Verbandes der privaten Krankenversicherung, war verschnupft, als er das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit von Basistarifen in der PKV kommentier- te. Nach eigener Aussage lag dies am Wetter und nicht an der Entscheidung des Gerichts, die für Schulte und seinen Verband eine herbe Niederlage bedeutete – zu- mindest auf den ersten Blick.Zum Hintergrund: Karlsruhe hatte am 10. Juni Ver- fassungsbeschwerden von fünf privaten Krankenversi- cherungsunternehmen und drei privat versicherten Bür- gern gegen Teile der jüngsten Gesundheitsreform zurückgewiesen. Die Unternehmen sehen sich durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz in ihrer wirt- schaftlichen Existenz bedroht. Konkret lehnen sie die Einführung des Basistarifs in der PKV ab. Dieser ist nach Art und Umfang der gesetzlichen Krankenversi- cherung (GKV) vergleichbar und soll auch nicht mehr kosten. Gescheitert ist die PKV außerdem mit ihrer Beschwerde gegen die sogenannte Dreijahresfrist. Da- nach ist der Wechsel eines gesetzlich Versicherten in die private Krankenversicherung erst dann möglich, wenn ein Arbeitnehmer drei Jahre lang die Jahresarbeitsent- geltgrenze von derzeit 48 150 Euro überschritten hat – eine Regelung, von der auch viele junge Ärztinnen und Ärzte betroffen sind. Das Gericht hält auch diese Neu- regelung für zumutbar.
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) war zur Verhandlung nach Karlsruhe gereist und vertei- digte ihre Reform dort als notwendig, weil die Privaten bisher vor allem Junge und Gesunde mit hohen Ein- kommen versichert hätten. Chroniker müssten hinge- gen viel mehr zahlen oder würden abgelehnt. Das Urteil begrüßte die Ministerin folglich ausdrücklich. Doch könnte sich dieser Erfolg als Pyrrhussieg erweisen und die vermeintliche Niederlage der PKV langfristig als Segen für die Privatversicherer. Der Grund: In ihrem Urteil haben sich die Verfassungsrichter für den Erhalt des dualen Krankenversicherungssystems ausgespro- chen. Die private Säule solle „zur Vollfunktionalität ge- langen und ihre Mitglieder in gleicher Weise wie die öf-
fentlich-rechtliche Versicherung umfassend, rechtssi- cher und dauerhaft absichern“, so die Richter. Außer- dem erlegten sie der Politik eine Beobachtungspflicht auf. Die Regelungen dürften keine „Auszehrung des ei- gentlichen Hauptgeschäfts der privaten Krankenversi- cherungen“ bewirken.
Damit muss Schmidt vermutlich einen hohen Preis für ihren Erfolg in Karlsruhe zahlen. Denn für einen Ba- sistarif, der sich nach Aussage der Unternehmen oh- nehin mehr und mehr als Flop erweist, weil er für die Bürger unattraktiv ist, muss Schmidt eventuell auf die Durchsetzung ihres politischen Hauptziels verzichten – die Einführung einer Bürgerversicherung. Ein solches Modell in Reinform ist in einem dualen System – wie es die Richter erhalten sehen wollen – nicht möglich.
„Die Aussagen zum Zweisäulenmodell der Kranken- versicherung sind quasi eine verfassungsrechtliche Lebensversicherung für die PKV“, sagte Verbandschef Schulte. Auch die Bundesärztekammer (BÄK) sieht durch das Karlsruher Urteil das Nebeneinander von GKV und PKV gestärkt. „Das Bundesverfassungsge- richt hat das Existenzrecht der privaten Krankenver- sicherung klar bestätigt, und zwar nicht nur für Zusatz- versicherungen, sondern als eigene Säule neben der gesetzlichen Krankenversicherung“, erklärte Sanitätsrat Dr. med. Franz Gadomski, Vorsitzender des Ausschusses
„Gebührenordnung“ der BÄK.
VERFASSUNGSGERICHTSURTEIL ZUM BASISTARIF
Pyrrhussieg für Ulla Schmidt
Samir Rabbata
Samir Rabbata Redakteur für Gesundheits- und Sozialpolitik in Berlin