Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 106|
Heft 33|
14. August 2009 A 1587B
eim Boxen wurde die Spruchweisheit „They never come back“ gleich von mehreren entthron- ten Weltmeistern widerlegt. Bei Bundesgesundheitsmi- nisterinnen gibt es weniger Erfahrungswerte. Für Ulla Schmidt, die in so vielen Kämpfen – immer unter Beru- fung auf die Interessen der kleinen Leute – Stehvermö- gen bewiesen hat, war es besonders schmerzhaft, dass SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier für sie„vorerst“ das Handtuch geworfen hatte. Ob er sie nach der Entlastung in der Dienstwagenaffäre durch den Bundesrechnungshof und der Aufnahme in sein Schat- tenkabinett wirklich als Verstärkung im Kampf um Wählerstimmen ansieht?
Wenn Demoskopen zu dem Schluss kommen, „es gärt in der Ärzteschaft“, wenn Ärzte die Zukunft raben- schwarz sehen, wenn nur 14 Prozent aller Bürger von der Gesundheitspolitik der Bundesregierung einen gu- ten Eindruck haben (siehe Artikel: „Ärzte blicken pes- simistisch in die Zukunft“), dann stellen sie der verant- wortlichen Ressortchefin ein desolates Arbeitszeugnis für die vergangenen beiden Wahlperioden aus. Dass Ul- la Schmidt den allseitigen Unmut über die Entwicklung des Gesundheitswesens kürzlich im Interview mit dem Deutschen Ärzteblatt der Ärzteschaft, die nicht verän- derungswillig sei, anzulasten versuchte, spricht für sich. Die Erfahrung vieler Patienten, die verdeckte Ra- tionierung konkret erleben, will die Ministerin nicht wahrhaben. In der Gesundheitspolitik ist deshalb ein personeller und inhaltlicher Wechsel überfällig.
Unter Ulla Schmidts Verantwortung hat es Umwäl- zungen gegeben, daran kann kein Zweifel bestehen.
Aber nicht besser, sondern zentralistischer, staatsnäher, noch bürokratischer und überregulierter ist das Gesund- heitswesen geworden, auch wenn die SPD-Politikerin das vehement bestreitet. Das reicht vom Gesundheits- fonds, mit dessen Einführung die Krankenkassen ihre Finanzautonomie einbüßten, über die in Richtung Zen- tralismus umgekrempelte Struktur der Kassenverbände bis zur ärztlichen Selbstverwaltung, die zur leeren Hülle zu verkommen droht. Der Gemeinsame Bundesaus- schuss wurde zur zentralen Steuerungsagentur mit weit- reichenden Kompetenzen ausgebaut, die direkt in das Arzt-Patienten-Verhältnis eingreift, Detailvorgaben des Gesetzgebers und weitreichende staatliche Beanstan-
dungsrechte kommen einer Fremdbestimmung nahe, das ärztliche Berufsrecht wird immer häufiger durch das Sozialrecht ausgehebelt. Für den vielbeschworenen
„Vertragswettbewerb“ in der ambulanten Versorgung hat Ulla Schmidt kein Konzept. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sollen große Teile ihrer Zuständigkeit abgeben, gleichzeitig aber das Sicherheitsnetz für eine flächendeckende Versorgung gewährleisten.
Schon heute sorgt die Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung regional für erhebliche Konflikte. Im SPD-Wahlprogramm, für das man Ulla Schmidt mit in Anspruch nehmen kann, wird gleich- wohl eine weitere Öffnung angekündigt, ohne dass von einer Prüfung des Bedarfs die Rede ist (siehe Artikel:
„Die SPD will mehr Staat – und mehr Markt“). Nieder- gelassene Fachärzte, die genau wissen, dass Schmidts Parteifreund Karl Lauterbach ihre Praxen unter Beru- fung auf eine angeblich doppelte Facharztschiene ab- schaffen will, werden nicht gerade ihre Zukunftshoff- nungen auf die Sozialdemokraten setzen. Das Renten- und Krankenversicherungssystem soll durch eine Ein- heitslösung ersetzt werden: Ulla Schmidt und ihre Par- tei wollen die private Krankenversicherung (und die Gebührenordnung für Ärzte), später auch die ärztlichen Versorgungswerke abschaffen und in einer Bürgerver- sicherung aufgehen lassen.
Ein wirklich freiheitliches Gesundheitswesen ist nicht das Leitbild ihres Handelns. Es gibt gute Gründe, auf ein anderes Politikkonzept zu setzen. Für die Ministerin sollte nach der Wahl gelten: „She must not come back.“
ULLA SCHMIDT
Das Arbeitszeugnis
Heinz Stüwe
Heinz Stüwe Chefredakteur