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Archiv "Interview mit Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD): „Ärger über die Gesundheitspolitik? Dafür gibt es keinen Grund!“" (26.06.2009)

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P O L I T I K

Frau Ministerin, als Sie im Januar 2001 Bundesgesundheitsministerin wurden, gab es Schlagzeilen wie „Ärztetag prangert Ausbeutung junger Ärzte an“,

„KBV: Alle Ausgabenbudgets auf- heben“, „Lage in Kliniken unerträg- lich“. Wenn Sie das Gesundheitswesen damals und heute vergleichen: Sind Sie mit Ihrer Politik zufrieden?

Schmidt: Der Gesetzgeber hat in den letzten Jahren sehr viele Refor- men beschlossen, die produktiv für das Gesundheitswesen waren. Man-

ches hat viel Protest hervorgerufen, wird heute aber von allen als gut ak- zeptiert. So wurde das DRG-System als das Ende des Krankenhauses hingestellt. Heute wissen wir: Die Verweildauer konnte verkürzt wer- den, es konnten effizientere Struktu- ren aufgebaut werden. Mehr als die Hälfte der Kliniken sind auf einem guten Weg.

Was noch?

Schmidt:Ich habe mich sehr für die Einführung der Qualitätssicherung eingesetzt. Auch für die Disease- Management-Programme, die an- fangs als Teufelszeug bekämpft wurden. Heute werden Sie überall hören, dass sich dadurch die Versor- gung der Diabetiker oder der Brust- krebspatientinnen verbessert hat. In den vergangenen Jahren wurde end- lich die Vorsorge gestärkt und der Anspruch auf Rehabilitation oder palliativmedizinische Versorgung ausgeweitet. Ich bin mit diesen Fort-

schritten zufrieden, auch wenn ich gern noch mehr erreicht hätte.

Zur Zufriedenheit der Ärztinnen und Ärz- te kommen wir gleich noch. Bei Ihrem Start wirkten Sie damals eher konsens- orientiert, Sie beriefen einen Runden Tisch zur Vorbereitung der nächsten Ge- sundheitsreform ein und schafften das Arzneimittel-Kollektivbudget ab. Heute hat man den EIndruck, dass Sie eher konfrontativ Politik machen, vor allem gegenüber den Ärzten.

Schmidt:Erstens: Mit Ärzten spre- che ich viel und häufig, auch mit Ver- bänden und Facharztgruppen. Aber nicht mit jedem Verband sind die Ge- spräche produktiv. Zweitens: Wenn Sie mir ein Beispiel nennen, bei dem die im Konsens getroffenen Verein- barungen eingehalten wurden, kön- nen wir gerne darüber sprechen. Bei der Steuerung der Arzneimittelaus- gaben beispielsweise ist von den Ärztevertretungen bis auf seltene Ausnahmen nichts auf den Weg ge- bracht worden. Einsparungen wur- den da erzielt, wo der Staat reagiert hat. Die Debatte läuft doch so: Es wird über Staatsmedizin geklagt, aber die Partner der Selbstverwal- tung nutzen die gesetzlichen Mög- lichkeiten nicht, einigen sich nicht.

Dann ruft man nach dem Staat, der das Problem regeln soll, um an- schließend wieder über mehr Staats- medizin und Bürokratie zu klagen.

Da liegt der Webfehler des Systems.

Die meisten Ärzte sehen das ganz an- ders. Die Fallpauschalen im Kranken- haus zum Beispiel gelten vielen Klinik- beschäftigten als Beispiel für eine

„Ärger über die Gesundheitspolitik?

Dafür gibt es keinen Grund!“

Die Bundesgesundheitsministerin über unzufriedene Ärzte, angemessene Honorare, die Zukunft der ambulanten Versorgung und die Priorisierung von Gesundheitsleistungen

INTERVIEW

mit Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD)

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 26⏐⏐26. Juni 2009 A1337

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P O L I T I K

verfehlte Politik. Ein nach Neuseeland ausgewanderter Arzt schreibt in sei- nem Brief an die Redaktion: „Der Kran- ke und seine Behandler werden in eine Maschinerie gedrängt, in der ökono- misch hocheffizient medizinische Maßnahmen in möglichst kurzer Zeit erbracht werden sollen. Die Zeit für Zuwendungen bleibt auf der Strecke.“

Schmidt:Sie werden immer Men- schen finden, die im Nachhinein so etwas schreiben oder es so erleben.

Ich besuche viele Kliniken. Jenseits bestehender Probleme höre ich in gut organisierten Häusern, dass die Fall- pauschalen das bessere System sind.

Früher wurden quasi Bettgestelle be- zahlt. Ich weiß nicht, wo die deut- schen Krankenhäuser heute stünden, wenn wir das fortgesetzt hätten. Da- mals wurde viel Geld verschwen- det, das dringend für die Versor- gung gebraucht wird. Das DRG- System ist richtig. Probleme sind vor allem entstanden, weil die Länder ihrer Verpflichtung zur Investitions- finanzierung der Krankenhäuser nicht ausreichend nachgekommen sind.

Von Arbeitsverdichtung haben Sie bei Ihren Klinikbesuchen nichts gehört?

Schmidt:Natürlich. Ich sehe vor al- lem, dass die Arbeit sich verdichtet hat, weil zum Beispiel Stellen von 50 000 Pflegekräften abgebaut wur- den. Und weil manche Häuser bei der Personalplanung nicht darauf achten, dass mehr ältere und multi-

morbide Menschen in den Kliniken behandelt werden. Das sind die Her- ausforderungen, auf die wir zum Beispiel mit dem Programm zur Einstellung von bis zu 17 000 neuen Pflegekräften reagiert haben.

Also alles nur eine Folge schlechten Managements?

Schmidt:Nicht nur, aber auch. Ich sehe, dass in Kliniken, die gut aufge- stellt sind, die überkommene Hierar- chien abbauen, Chefärzte in die tägli-

che Arbeit miteinbeziehen und die Qualifikation jedes Einzelnen nut- zen, weniger von Ärzten und Pflege- kräften über Überlastung geklagt wird. Wenn es Kritik gibt, muss man genau nach den Ursachen fragen. Die Lösungswege sind nicht schwarz- weiß, sondern vielschichtig.

Der Unmut vieler Ärzte richtet sich aber weniger gegen ihre Chefs als gegen die Politik.

Schmidt: Das muss ja deswegen nicht richtig sein. Aber es ist sicher der scheinbar einfachere Weg.

Ärger und Verdruss über die Arbeits- bedingungen gibt es nicht nur im Kran- kenhaus, unabhängig vom Honorar . . .

Schmidt: Die Honorarfrage kann man aber nicht einfach beiseite- schieben. Ich bezweifle überhaupt, ob man im Gesundheitswesen Geld- fragen weglassen kann. Denn der pu- re Altruismus ist nicht bestimmend.

Aber es geht doch nicht immer nur ums Geld. Unter den Ärzten wächst der Verdruss über ständig neue Vorgaben, Auflagen, zu viel Bürokratie.

Schmidt:Der Ärger ist berechtigt.

Auch ich bin für Bürokratieabbau.

Auf Bundesebene haben wir alles, was an Bürokratieabbau möglich ist, auf den Weg gebracht. Die Part- ner vor Ort müssen das umsetzen.

Eine europäische Vergleichsstudie hat ergeben, dass Ärzte in Deutschland am wenigsten Zeit für ihre Patienten ha- ben, nämlich durchschnittlich 30 Pro- zent weniger.

Schmidt:Entscheidend ist: Wie orga- nisieren Ärzte ihre Arbeit? Wenn Sie mit jungen Ärzten reden, sagen die, dass es gut wäre, wenn die Arbeit, die zum Beispiel eine Krankenschwester oder eine Medizinische Fachange- stellte machen kann, auch von ihr übernommen würde. Dann hätten sie mehr Zeit, mit Patienten zu reden, die Diagnose zu stellen und einen Thera- pieplan zu entwickeln. Es ist rück- ständig und überflüssig, dass Ärzte nicht nur selber die Daten des Patien- ten aufrufen, sondern auch selber in den Computer schreiben, was sie ver- ordnen. Oder dass junge Ärzte die Röntgenbilder heraussuchen. In ande- ren Ländern bekommt der Arzt einen optimal vorbereiteten Patienten vor- gestellt. Auch bei uns funktioniert das stellenweise. Es gibt Ärzte, die von

„Praxislust“ statt „Praxisfrust“ reden.

Aber es ist noch mehr Veränderungs- wille innerhalb der Ärzteschaft nötig.

Warum kommt Ihr Plädoyer für eine Ar- beitsteilung bei Ärzten so an, als ob es darum ginge, sie in ihren ureigensten Kompetenzen zu beschneiden?

Schmidt: Das müssen Sie die Ärzte fragen, nicht mich.

Es ist noch mehr Veränderungswille innerhalb der Ärzteschaft nötig.

A1338 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 26⏐⏐26. Juni 2009

Fotos:Georg J.Lopata

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 26⏐⏐26. Juni 2009 A1339

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Wir fragen aber Sie.

Schmidt: Ärzte sollten sich, ihrer Kompetenz bewusst, auf das kon- zentrieren, was sie wirklich können.

Eine Krankenschwester kann nicht den Arzt ersetzen. Ein Pharmazeut, der in der Klinik mehrere Stationen berät, kann das auch nicht. Aber der Arzt muss auch nicht Kranken- schwester und Pharmazeut gleich- zeitig spielen. Ich sehe doch, dass viele Haus- und Fachärzte am Burn- out-Syndrom leiden, weil alle fünf oder zehn Minuten ein neuer Patient ins Behandlungszimmer kommt.

Was ist die Aufgabe des Arztes?

Schmidt:Der Arzt ist Arzt, weil er der Einzige ist, der Diagnosen stellen und Therapieempfehlungen geben kann. Aber die Krankenschwester oder Medizinische Fachangestellte kann den Arzt oder die Ärztin ent- lasten, sodass er oder sie wieder mehr Freude an der Tätigkeit hat. Die Vergütung dieser Arbeit soll auch nicht vom ärztlichen Honorar abge- hen, sondern extra bezahlt werden.

Aber wenn die Ärzteschaft Angst vor Schwester AGnES oder ähnlichen Projekten hat, verbaut sie sich diese Wege. Am Gesundheitsministerium oder am Parlament liegt das nicht.

Geht alles wirklich so schlecht voran?

Schmidt: Ich wäre die Letzte, die al- les über einen Kamm schert. Es gibt viele gute Abstimmungen auf regio- naler Ebene, vieles wird zwischen Kassen, Ärzten und anderen Betei- ligten gut geregelt. Das Gesund- heitswesen funktioniert deswegen noch so gut, weil trotz aller Debat- ten und Störmanöver von Funk- tionären 85 Prozent der Ärzteschaft täglich eine sehr gute Leistung brin- gen. Aber ich habe mittlerweile eben nur noch ein sehr begrenztes Ver- trauen darin, dass mit einer be- stimmten Funktionärsschicht im Ge- sundheitswesen überhaupt eine Zu- sammenarbeit möglich ist. Dort hat das Partialinteresse letztlich immer Vorrang vor dem Gemeinwohl.

Einerseits verweisen SIe darauf, dass die Politik vieles regeln müsse, weil es anders nicht ginge. Andererseits heißt es regelmäßig: „Das waren nicht

wir, das war die Selbstverwaltung.“

Das passt doch nicht zusammen.

Schmidt:Deutschland hat aber nun mal ein selbst verwaltetes Gesund- heitswesen, in dem der Staat die Rah- menbedingungen festlegt und die Selbstverwaltung die konkrete Aus- gestaltung übernimmt. Der Gemein- same Bundesausschuss hat per Ge- setz eine große Eigenständigkeit er- halten. Denn was zum Beispiel an neuen medizinischen Verfahren von den Krankenkassen erstattet wird, kann doch nicht der Gesundheitsaus- schuss des Bundestages entscheiden.

Das kann nur die Ärzteschaft selber, weil es eine medizinische Frage ist.

Ähnlich ist es bei der Honorarvertei- lung: Kein Politiker kann entscheiden, wie eine ärztliche Leistung im Verhält- nis zu einer anderen zu bewerten ist.

Stichwort Honorarreform: DIe Politik kann doch nicht behaupten, sie habe damit nichts zu tun. Schließlich gibt sie auch hier Bedingungen vor und setzt einen Finanzrahmen.

Schmidt: Aber die Rahmenbedin- gungen haben nicht zu den Proble- men geführt, die es derzeit noch gibt.

Ich lege Wert auf die Feststellung, dass der Gesetzestext zur Honorarre- form, so wie er jetzt ist, von der KBV als Voraussetzung gesehen wurde, um die Reform überhaupt umsetzen zu können. Ich würde mich freuen, wenn der ein oder andere für das, was er wollte, auch mal die Verantwor- tung übernimmt. Natürlich kann ein so komplexes neues System nicht von Anfang an optimal funktionie- ren, das weiß ich. Aber wie das Ho- norar vor Ort am besten unter den Ärzten verteilt wird, kann nur die zu- ständige KV wissen.

Das Interesse der Politik war es doch, die Reform schnell umzusetzen. Das Honorar sollte endlich bundesweit an- geglichen werden, deshalb auch keine Konvergenzphase wie bei der Ein- führung der Fallpauschalen. Dafür ist die Politik doch verantwortlich, oder?

Schmidt: Nein. Das neue Ho- norarsystem ist im Grundsatz schon mit der Gesundheitsreform 2004 be- schlossen worden. Im Grunde wa- ren Elemente wie die Regelleis- tungsvolumina schon 1998 in der Seehofer-Reform enthalten. Jetzt haben wir das Jahr 2009. Wenn ich Ihnen folgen würde und wenn es dann noch mal eine Konvergenz- phase von zehn Jahren gäbe, glau- ben Sie wirklich, das würde besser funktionieren? Probleme resultieren doch nicht aus der Zeitknappheit.

Der Bewertungsausschuss hat eine Konvergenzphase akzeptiert, damit auf der regionalen Ebene bei der Honorarverteilung im Bedarfsfall besser nachgesteuert werden kann.

Wir haben auch akzeptiert, dass Weiterentwicklungen wie die Mor- biditätsorientierung oder die Hono- raranreize für unterversorgte Gebie- te mehr Zeit brauchen.

DIE KÄMPFERISCHE

Bunt sieht es aus im Büro von Ulla Schmidt. Blumen- sträuße stehen auf den Regalen, und in einer Ecke hängt eine Girlande. Die Bundesgesundheitsministerin hatte Ge- burtstag. Am 13. Juni ist sie 60 Jahre alt geworden.

Manche hätten ihr statt Rosen wohl lieber einen Kaktus geschickt. Denn populär ist die SPD-Politikerin nicht. Ärzte werfen ihr Gängelung und Einflussnahme vor. Viele Patien- ten stöhnen über gestiegene Kosten für Gesundheit.

Und dennoch: Während Kanzler, Kabinettsmitglieder und Koalitionen wechselten, blieb Schmidt eine Konstante. Nun ist sie mit acht Jahren im Amt länger Ministerin als alle ihre Vorgänger. Dabei wäre der Kabinettsposten fast nur eine kurze Episode im Leben der ehemals alleinerziehenden Mutter geworden. Ende 2002 stand sie – so wurde ge- munkelt – kurz vor dem Rauswurf. Sie durfte bleiben, und die vormalige Gleichstellungs-, Familien- und Rentenpoliti- kerin entwickelte sich zu einer Spezialistin für das Gesund- heitsressort, die auch mit harten Bandagen kämpfen kann.

Heute hält zumindest ihre Partei zu ihr. Das Glück- wunschschreiben von SPD-Chef Franz Müntefering zu ihrem 60. Geburtstag liest sich wie ein Arbeitszeugnis, No- te: sehr gut. Ob sich die gelernte Sonderschullehrerin da- mit noch einmal bewerben muss, wird sich nach der Bun-

destagswahl zeigen. SR

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A1340 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 26⏐⏐26. Juni 2009

P O L I T I K

Eher wenig Zeit ist noch für ein anderes Vorhaben: den Abschluss von Hausarzt- verträgen bis zum 30. Juni. Wird der

§ 73 b SGB V denn bleiben? Oder in der nächsten Legislaturperiode geändert?

Schmidt:Nein, der § 73 b steht.

Ist es denn sinnvoll, dass ein privater Verband plötzlich eine Monopolstellung vom Gesetzgeber bekommt?

Schmidt: Das war der Wille der Hausärzte. Hätten die KVen die Inter- essen der Hausärzte besser vertreten, wäre nie so eine große Bewegung hin zu einer eigenen Vertretung entstan-

den. Wenn nun mehr als die Hälfte der Hausärzte in einer Region will, dass ihr Verband Verträge schließt, dann ist das ein Stück Demokratie.

Die Kassen werden unter Druck ge- setzt, mit dem Hausärzteverband abzu- schließen. Dadurch können Verträge entstehen, die gut für den Verband sind, aber nicht gut für die Patienten.

Schmidt:Auch diese Verträge müs- sen sich im Rahmen der gesetzli- chen Vorgaben halten, was die Wirt- schaftlichkeit angeht. Die Kranken- kassen müssen verhandeln, um für die Versicherten das Beste heraus- zuholen. Wer sich allerdings nicht an den Tisch setzt und damit nicht zu einem Vertrag kommt, für den entscheidet dann das Schiedsamt.

Sie befürchten nicht, dass die flächen- deckende Versorgung leiden könnte?

Schmidt:Nein, die beteiligten Haus- ärzte sind ja immer noch in der KV und da in der Pflicht.

Der KBV-Vorstandsvorsitzende, Dr. An- dreas Köhler, verweist darauf, dass es ein bisschen Kollektivvertrag nicht ge- ben kann, ebenso wenig wie ein biss- chen schwanger. Wie soll dann die Sicherstellung funktionieren?

Schmidt: Die umfängliche KV- Planung und der Kollektivvertrag haben doch nicht verhindert, dass es gleichzeitig Über- und Unterversor- gung gibt. Der § 73 b ist ein Weg,

die gute hausärztliche Versorgung in der Fläche zu sichern und Anrei- ze für die Weiterbildung zum Fach- arzt für Allgemeinmedizin zu ge- ben. Ich bin nicht gegen die KVen.

Sie können Dienstleister sein und werden noch genug Aufgaben ha- ben, zum Beispiel im Rahmen der Honorargestaltung und der Qua- litätssicherung. Aber sie müssen sich verändern.

Sie haben am Anfang unseres Ge- sprächs beklagt, dass Ärzte zu wenig veränderungswillig sind. Hausärzte sind Ärzte. Wieso glauben Sie an deren Veränderungsfähigkeit?

Schmidt: Durch die Verträge der vergangenen Jahre ist schon viel passiert. Da, wo es sie gibt, bewegt sich auch etwas. Ich will eine besse- re Qualität, und dafür soll auch ein Stück mehr Honorar gezahlt werden.

Noch ein Themenwechsel. Gerade hat das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung zum Basistarif der PKV getroffen. Ihre Linie wurde bestätigt.

Aber das Gericht hat auch darauf hin- gewiesen, dass PKV und GKV neben- einander bestehen bleiben müssen.

Können Sie nun Ihre Pläne für eine Bürgerversicherung begraben?

Schmidt: Nein. Im Urteil steht:

Wenn der Gesetzgeber entscheidet, dass es zwei Systeme geben soll, dann darf er auch das private System mit sozialstaatlichen Aufgaben be- trauen, solange einer wirtschaftli- chen Tätigkeit dadurch nicht der Bo- den völlig entzogen wird. Entschei- dend für mich ist, dass das Sozial-

staatsprinzip Vorrang vor Unterneh- mensinteressen hat und dass alle zu Solidarität und Risikoausgleich her- angezogen werden können. Also eine Entscheidung für oder gegen eine Bürgerversicherung war das nicht.

Apropos Entscheidung: Vor dem Deut- schen Ärztetag hat Professor Hoppe eine Debatte und Entscheidungen zur Priorisierung von Gesundheitsleis- tungen gefordert. Sie haben das als menschenverachtend kritisiert. WIeso haben Sie etwas dagegen, dass er eine Debatte über die Zukunft des Sozialstaats anstößt?

Schmidt:Gestatten Sie, dass ich ein anderes Verständnis von Sozialstaat habe. Dass es eine Liste von Krank- heiten gibt, die man behandelt und andere nicht, und man für diese pri- vat vorsorgen könnte, stimmt nicht mit meinem Verständnis von Huma- nität und dem Artikel 1 des Grund- gesetzes überein.

Alle sollten behandelt werden, hat Hoppe bekräftigt. Es ging ihm um einen Gesundheitsrat als Beratungsgremium, letztlich ja um eine Definition von Gesundheitszielen.

Schmidt: Bei einer Diskussion über Gesundheitsziele wäre ich sofort da- bei. Wir diskutieren auch über Kos- ten-Nutzen-Bewertungen. Und ich habe auch keine Probleme damit, Bürgern die Rabattverträge zu erläu- tern und zu erklären, dass wir eine aufwendige Medizin auf Dauer nur bezahlen können, wenn wir auf man- che Dinge verzichten. Ich bin sehr dafür, dass diskutiert wird, aber bitte nicht mit einer Liste von Krankhei- ten, die noch behandelt werden sol- len, während man andere ausschließt.

Am Anfang stand ein Rückblick, nun ein Ausblick. Wenn in der neuen Bundesre- gierung die SPD wieder regiert, in wel- cher Konstellation auch immer, würde dann die Bundesgesundheitsministerin wieder Ulla Schmidt heißen?

Schmidt: Ich rede nie über unge- legte Eier. Aber mein Ziel ist es, dass die SPD in der Regierung bleibt und dafür sorgt, dass das Ge- sundheitswesen solidarisch bleibt.

Dafür brauchen alle die SPD. I Das Interview führten Samir Rabbata, Sabine Rieser und Heinz Stüwe.

NACH DER WAHL

Die SPD setzt in ihrem Regierungsprogramm für die Bun- destagswahl weiter auf die Einführung einer Bürgerversi- cherung. Die Partei will mehr Steuermittel in den Gesund- heitsfonds geben und die private Krankenversicherung in den Fonds einbeziehen.

Zur Sicherung der ambulanten Versorgung plädiert die Partei für ein Nebeneinander von Kollektivvertrag und Se- lektivverträgen. Kliniken sollen weiter für die ambulante Versorgung geöffnet werden. Dabei soll für gleiche Leis- tung die gleiche Vergütung gezahlt werden.

Ärztliche und nicht ärztliche medizinische Berufe sollen nach dem Willen der Sozialdemokraten stärker als bisher

zusammenarbeiten. SR

Ich bin nicht gegen die KVen.

Sie werden noch

genug Aufgaben haben.

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