Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 27–28|
8. Juli 2013 A 1341G
espannte Erwartung und die Neugier, den SPD- Kanzlerkandidaten einmal persönlich zu erle- ben, trieben die Leute in den Saal. Es mussten zusätz - liche Stühle aufgestellt werden Anfang Juni beim Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit in Berlin.Inzwischen ist Steinbrücks Grundsatzrede auf der SPD- Homepage nachzulesen. Sie zeigt, wie Kandidat und Prof. Dr. med. Karl Lauterbach, Mitglied seines Kom- petenzteams, in den bevorstehenden Wahlkampfwo- chen mit dem Thema Gesundheit umgehen wollen. Die Leitmotive sind mehr Gerechtigkeit, ein Umbau der Kranken- und Pflegeversicherung zur Bürgerversi - cherung sowie mehr Geld und mehr Personal für die Pflege. In Berlin wurde aber auch deutlich, worin des Kandidaten Problem besteht: Auch wenn er sich für die Kranken und Pflegebedürftigen starkmacht, wirkt Steinbrück höchst distanziert und akademisch. Er nimmt emotional nicht mit. Beifall erhielt er vom Fach- publikum, darunter viele Angehörige der Pflegeberufe, nur beim Thema Pflege, als er eine Beitragssatzerhö- hung um 0,5 Prozentpunkte und 100 000 zusätzliche ta- riflich bezahlte Stellen für Pflegekräfte versprach.
Steinbrück registriert in der Bevölkerung „ein weit- verbreitetes Gefühl des Unwohlseins, der Unsicherheit und der Sorge“ über das künftige Niveau der Gesund- heitsleistungen. Gerade unter jungen Menschen und in den unteren Einkommensschichten hätten immer we - niger Vertrauen in das Gesundheitssystem. Daraus lei- tet er ab, dass grundlegende Änderungen nötig seien.
Deshalb wirkt Steinbrücks Bekenntnis an anderer Stel- le, das deutsche Gesundheitssytem arbeite „zweifellos auf einem im internationalen Vergleich exzellenten Niveau“ wie Pflichtrhetorik. Und der tiefgreifende Reformbedarf will auch nicht so recht zu Steinbrücks Feststellung passen, dass er sich seinerzeit als Bundes- finanzminister in der Wirtschaftskrise um einen Be- reich überhaupt keine Sorgen habe machen müssen: um das Gesundheitssystem.
Sein Hauptargument ist die Klage über Ungerechtig- keit und Ungleichheit im heutigen System. Als Beleg dienen einmal mehr die Privatversicherten, die an den anderen Patienten vorbei ins Sprechzimmer rauschten.
Dass Deutschland im internationalen Vergleich bei den
Wartezeiten auf einen Termin in Praxis und Klinik gut abschneidet, erwähnte Steinbrück nicht. Auch nicht, dass der Deutsche Ärztetag sich vor wenigen Wochen eingehend mit dem Thema „Armut und Gesundheit“
befasst hat. Der SPD-Politiker hat recht: Es ist nicht ak- zeptabel, wenn Einkommensschwache im Durchschnitt zehn Jahre früher sterben als Besserverdienende. Aber Ärzte und andere Gesundheitsberufe allein können das nicht ändern.
Steinbrück propagiert die Bürgerversicherung als Lösung für die Probleme der Privatversicherer und als Antwort auf die angebliche Zweiklassenmedizin. Aber sein Bekenntnis klingt, als habe Lauterbach es ihm auf- geschrieben. Dass es einen Unterschied macht, ob die gesetzliche Krankenversicherung zum Einheitssystem mutiert oder ob sie sich einem (heute unzulänglichen) Wettbewerb durch die Existenz einer Versicherungsal- ternative stellen muss, dürfte dem studierten Volkswirt Steinbrück klar sein. Der Wahlkämpfer aber attackiert lieber den Präsidenten der Bundesärztekammer, der die Kopfpauschale aus der Mottenkiste geholt habe und sich für ein System ohne Zukunft starkmache. Das darf Steinbrück sagen. Wenn er aber insinuiert, dass alle, die wie der Deutsche Ärztetag für den Erhalt eines re - formierten dualen Krankenversicherungssystems ein- treten, „allein das Wohl der Ärzte in den Mittelpunkt stellen“, ist das fragwürdig. Umso mehr stellt sich die Frage, was ein Kanzler Steinbrück für das Wohl der Ärztinnen und Ärzte zu tun gedenkt.
GESUNDHEITSPOLITIK DER SPD
Was will der Kandidat?
Heinz Stüwe
Heinz Stüwe Chefredakteur