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Archiv "SPD-Gesundheitspolitik: Gesundheit muß für alle bezahlbar sein" (14.08.1998)

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A-1955

P O L I T I K AKTUELL

Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 33, 14. August 1998 (23) lauten: Wo sind die Milliarden geblie-

ben? In Sonntagsreden setzt sich die SPD für eine Verbesserung der Situa- tion der Ärzte ein, um dann alle Ge- setzesvorhaben der Koalition, die konkrete Verbesserungen bringen, zu diffamieren.

Keine Geschenke

Bisher sind nicht nur keine „Mil- liarden“ bei den Ärzten angekom- men, sondern anders herum wird eher ein Schuh daraus. Die Umsetzung so- wohl des Regelleistungsvolumens als auch der Richtgrößen ist bisher nur unzureichend verwirklicht worden.

Uns geht es dabei nicht um „Geschen- ke“ für die Ärzteschaft, sondern um die Sicherstellung einer zeitgemäßen, hohen Qualitätsanforderungen ent- sprechenden ambulanten ärztlichen Versorgung der Versicherten. Dabei haben die Krankenkassen Mitverant- wortung für das Morbiditätsrisiko zu übernehmen, auch wenn sie sich wei- terhin dagegen wehren. Permanent fallende Punktwerte mit der Folge, aktuell nicht zu wissen, wie hoch eine erbrachte Leistung vergütet wird, ist für einen freien Beruf auf Dauer un- zumutbar.

Sollte die Selbstverwaltung bis Ende 1998 mit der Umsetzung der Re- gelleistungsvolumen und der Richt- größen nicht entscheidend weiter- kommen, werden wir im Falle der Wiederwahl gesetzgeberisch aktiv werden, um dem dargestellten politi- schen Willen zum Durchbruch zu ver- helfen.

Auch mit den „Strukturverträ- gen“ haben wir im Vertragsbereich ein innovatives Instrument einge- führt. Diese eröffnen die Möglichkeit von Budgetvereinbarungen, in die auch die veranlaßten Ausgaben ein- bezogen werden können. Entschei- dend ist, daß dies auf freiwilliger Basis zwischen den Kassenärztlichen Verei- nigungen und den Krankenkassen ge- schieht und nicht durch gesetzliche Budgetvorgaben.

Neben diesem wichtigen Thema muß es in der nächsten Legislaturperi- ode gelingen, durch geeignete Maß- nahmen den „Chipkarten-Tourismus“

einzudämmen. Die bisher auf dem Tisch liegenden Vorschläge sind noch

nicht entscheidungsreif. Hier bedarf es erneuter Gespräche zwischen Ärz- teschaft, Kassen und Politik.

Auch in den nächsten Jahren werden wir uns mit Entschiedenheit gegen die Überlegungen von Opposi- tion und der Krankenkassen wenden, die Ärzteschaft über Einkaufsmodel- le honorarmäßig „in den Griff zu be- kommen“. Die freie Arztwahl ist ein ebenso hohes Gut wie die Erhaltung der Freiberuflichkeit des Arztes. Wir wollen keine Zulassungssperre ab 1999, sondern die Entscheidungsfrei- heit der Ärzte auch für die Form ihrer

Niederlassung. Es muß unstrittig bes- sere Kooperationen zwischen ambu- lantem und stationärem Bereich ge- ben, aber nicht durch eine Verstär- kung der Kassenmacht, sondern auf- grund freiwilliger Vereinbarungen.

Wir brauchen Anreize, auch finanziel- ler Natur, und keinen Gesundheits- sowjet, der der „gesundheitspoliti- schen Landschaft“ seine Ideologie aufzwingt. Wir lehnen daher jede Form der Listenmedizin ab. Einseiti- ge Experimente zu Lasten der Lei- stungserbringer sind mit der Union

nicht zu machen. )

ie soziale Krankenversiche- rung mit dem Solidar-, Sach- leistungs- und Selbstverwal- tungsprinzip, der medizinischen Voll- versorgung sowie der paritätischen Fi- nanzierung hat sich bewährt. Dies hat auch an der Schwelle für das nächste Jahrhundert Gültigkeit: Gesundheits- leistungen sollen sich nur nach dem medizinisch notwendigen Bedarf und nicht an der Dicke der Geldbörse ori- entieren. Auch wenn diese Prinzipien als feste Orientierungspunkte dienen, sind Anpassungen des Finanzierungs- und Leistungsgeschehens an verän- derte gesellschaftliche Rahmenbedin- gungen in der Vergangenheit mehr- fach erfolgt.

Die Ausgangssituation

Die Bundesregierung und CDU/CSU und FDP haben in der Ge- sundheitspolitik einen Paradigmen- wechsel vollzogen: Mit dem Beitrags- entlastungsgesetz und dem 1. und 2.

GKV-NOG steigt die Zuzahlung für

die Patientinnen und Patienten auf rund 20 Milliarden DM oder 1,15 Bei- tragssatzpunkte zusätzlich zu ihrem Krankenversicherungsbeitrag. Im Klartext: Die Zuzahlung wird syste- matisch als dritte Finanzierungssäule ausgebaut. Die Botschaft des Bundes- gesundheitsministers lautet schlicht:

Einspar- und Rationalisierungspoten- tiale in der GKV seien erschöpft, der medizinische Fortschritt unter den ge- gebenen Umständen nicht mehr be- zahlbar; deshalb müsse „mehr Geld“

ins System fließen. Und das heißt für die Bundesregierung: „Höhere Ei- genbeteiligung für Patienten an den Behandlungskosten.“

Das Gesundheitswesen und sein über die Gesetzliche Krankenversi- cherung finanzierter Teil wird zum ökonomischen Wachstumsmarkt er- klärt. In der Logik dieser Politik ste- hen zur vermeintlichen Problemlö- sung nur zwei Alternativen zur Wahl, die von der Koalition – wie das Bei- tragsentlastungsgesetz und die bei- den Neuordnungsgesetze – kombi- niert eingesetzt werden. Einerseits

SPD-Gesundheitspolitik

Gesundheit muß für alle bezahlbar sein

Klaus Kirschner, SPD-MdB, gesundheitspolitischer

Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, zu aktuellen Fragen der Gesundheitsreform

D

(2)

werden immer weitere Leistungsein- schnitte im solidarisch finanzierten GKV-Bereich des Gesundheitswe- sens vorgenommen, andererseits werden, wegen der verweigerten Steuerungsinstrumente, die nicht zu vermeidenden überproportionalen Ausgabensteigerungen in der GKV durch (tendenzielle) Abkoppelung des Arbeitgeberanteils am GKV-Ge- samtbeitrag allein den Versicherten aufgebürdet. Das ist eine Politik, die zur Sanierung der GKV einer Unter- nehmensphilosophie folgt, die auf Erhöhung der Preise und Verschlech- terung der Produkte setzt, anstatt Wirtschaftlichkeitsreserven zu mo- dernisieren und die Produkte zu opti- mieren.

Sozialdemokratische Gesundheitspolitik

Es bedarf deshalb eines abgestuf- ten Konzepts von kurz- und mittel- fristigen Gesetzesvorhaben, deren Wirkungen teilweise eine gewisse Zeit brauchen (zwei bis drei Jahre).

Der Weg führt also nur über Strukturreformen. Es muß allerdings auch darüber nachgedacht werden, ob weiterhin die Bemessungsgrundlage bei Arbeitslosigkeit auf 80 Prozent abgesenkt bleibt (Beitragsausfälle von rund fünf Milliarden DM/Jahr), ob die erhöhte Beitragszahlung für das Krankengeld an die Renten- und Arbeitslosenversicherungen beibe- halten wird (800 Millionen DM/Jahr), ob die Mutterschaftsleistungen nicht als gesamtgesellschaftliche Aufgaben über Steuern zu finanzieren sind (drei Milliarden DM/Jahr), ob die Mehr- wertsteuer auf Arzneimittel in der bis- herigen Höhe bleibt oder abgesenkt werden sollte (zirka fünf Milliarden DM/Jahr).

In einem „100-Tage-Programm“

muß es zunächst darum gehen, die GKV zu stabilisieren. Deshalb ist es von existentieller Bedeutung, direkt ein Globalbudget, mit dem die gesetz- lichen Krankenkassen arbeiten kön- nen und das für Beitragssatzstabilität sorgt, einzuführen. Die globale Aus- gabensteuerung folgt dabei der Er- kenntnis, daß der Gesundheitsmarkt grundsätzlich ein Markt ohne Sätti- gungsgrenze ist. Gleichzeitig ist zum

Erhalt der GKV erforderlich, die neu eingeführten und systemwidrigen Pri- vatisierungselemente Beitragsrückge- währ, Wahltarife und Kostenerstat- tung wieder abzuschaffen. Das gilt auch für die Privatisierung des Ver- tragsverhältnisses zwischen Patienten und Zahnärzten bei der Zahnpro- thetik. Revidiert werden muß zudem die völlig widersinnige Koppelung von Beitragssatzerhöhungen mit Zu- zahlungserhöhungen, so wie sie das 1. NOG vorsieht. Die SPD ist nicht bereit, die Patienten für Versäumnisse der CDU/CSU- und FDP-„Gesund- heitspolitik“ in Haf-

tung zu nehmen. Wei- tere Geiselwerkzeuge für die Patienten wie die Streichung des Zu- schusses zum Zahner- satz für Versicherte, die nach dem 31. De- zember 1978 geboren sind, müssen revidiert werden. Die erhöhte Arzneimittelzuzah- lung ist zunächst in ei- nem ersten Schritt für chronisch Kranke spür- bar zurückzuführen.

Die erhöhten Zuzah- lungen insgesamt wer-

den dann im Rahmen der in Stufe II und Stufe III des SPD-Programms freigesetzten Sparvolumina Schritt für Schritt zurückgeführt.

Da sich die Gesundheitspolitik der SPD an Gesundheitszielen orien- tiert, muß der gesetzliche Präventi- onsauftrag – bereits im Sofortpro- gramm – für die Krankenkassen wie- der eingeführt werden – jetzt aber mit klaren Qualitätsvorgaben für die Krankenkassen.

Eckpunkte für echte Reformen

Es müssen dringend Vertragssy- steme und Versorgungsformen inner- halb des Gesamtbudgets geschaffen werden, die tatsächlich flexibel und verläßlich sind. Dabei müssen ambu- lante und stationäre Behandlung, Prävention, Rehabilitation und Lang- zeitpflege organisatorisch enger ver- zahnt und die Informationsweiterga- be als erste Stufe eines neuen Gesund-

heitsnetzwerkes verbessert werden.

Die Schlüsselfunktion bei den not- wendigen Vernetzungen wird dem Hausarzt zukommen. Auch für den Patienten kann er eine „Schlüsselrol- le“ einnehmen. Voraussetzung für die Stärkung der hausärztlichen Versor- gung ist insbesondere ein getrenntes, ausreichend ausgestattetes Budget vorwiegend mit Fallpauschalen für Ärzte, die hausärztlich tätig sind, und ein eigenes abgeschlossenes Kapitel im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM). Für den Arzneimittelbereich werden effektive preis- und qualitäts- steuernde Regelun- gen, zum Beispiel über Preisverhand- lungen, über eine Po- sitivliste und gegebe- nenfalls über quali- tätsorientierte Zuzah- lungsregelungen, die dann zu einer nach- haltigen Entlastung chronisch Kranker führen, eingeführt. In der Krankenhausver- sorgung ist die duale Finanzierung schritt- weise und beitrags- satzneutral durch eine Finanzierung aus ei- ner Hand zu ersetzen. Dabei ist die gleichberechtigte Mitverantwortung der Krankenkassen in der Kran- kenhausbedarfsplanung unbedingte Voraussetzung. Das Selbstkosten- deckungsprinzip ist nicht nur im Ge- setzestext, sondern tatsächlich abzu- schaffen. Die kostenorientierte Ver- gütung muß durch eine leistungsori- entierte Vergütung ersetzt werden, die sich, bis auf wenige Ausnahmen, pauschal ausrichtet. Das Kranken- hausfinanzierungskonzept der SPD sieht im übrigen kein Krankenhaus- notopfer vor.

Notwendig ist eine grundlegende und innovative Umstrukturierung we- sentlicher Bereiche des Gesundheits- wesens. Im deutschen Gesundheits- wesen besteht auch ohne die Privati- sierung von Gesundheitsrisiken, ohne die Aufgabe der solidarischen Funkti- on der GKV und ohne den Ausstieg der Arbeitgeber aus der paritätischen Finanzierung ein beträchtlicher Spiel- raum für Kostensenkungen, und das ohne Abstriche an der Qualität. ) A-1956

P O L I T I K AKTUELL

(24) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 33, 14. August 1998

Klaus Kirschner Foto: Bernhard Eifrig, Bonn

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