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Archiv "Honorarverluste in Österreich: Ärzte treten in den Streik" (19.06.1998)

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en „Burgfrieden, den die Re- publik ausgerufen hat“, wer- de man im Ernstfall stören.

Dr. Reiner Brettenthaler, geschäfts- führender Vizepräsident der Öster- reichischen Ärztekammer (ÖÄK), ließ keinen Zweifel daran, daß die Ärzteschaft die gesundheitspolitische Realität nicht länger hinnehmen will.

Ende Mai trat Brettenthaler gemein- sam mit seinen Amtskollegen aus den Ländern, Dr. Wolfgang Routil, Steier- mark, Dr. Otto Pjeta, Oberösterreich, und Dr. Gerhard Weintögl, Nieder- österreich, in Wien zu einer Informa- tionsoffensive an.

„Wir fordern ein ehrliches Be- kenntnis zur ambulanten medizini- schen Versorgung durch frei niederge- lassene Ärzte“, so Brettenthaler. Am Beispiel der Landärzte machten die vier Ärztekammerpräsidenten ihren Protest gegen Mißstände im Gesund- heitssystem fest. „Der Anschluß der Bauernkrankenkasse (SVB) an die Gebietskrankenkassen (GKK) trifft die Landärzte am Lebensnerv“, sagte der steirische Kammerpräsident Rou- til. Der Hauptverband der Sozialver- sicherungsträger habe aus der Ein- gliederung Honorarverluste von rund 400 Millionen Schilling errechnet, wo- von landesweit rund 6 000 Ärzte be- troffen seien. Die SVB zahlte bisher jährlich rund 850 Millionen Schilling an Honorar für ärztliche Leistungen.

Ab Juli sollen nach Vorstellungen der Politiker die Leistungen für SVB-Ver- sicherte nach den deutlich niedrigeren GKK-Tarifen, die auf viele Patienten und häufige Arztbesuche abgestellt seien, abgerechnet werden. Dazu Routil: „In ländlichen Regionen ha- ben wir es mit wenigen Patienten zu tun, die wesentlich intensiver betreut werden müssen, da sie seltener zum Arzt kommen. Hier kann nicht der gleiche Massentarif wie in Ballungs- zentren gelten.“

Die mehr als 200 000 bäuerlichen Versicherten seien bei der GKK-Ta- rifstruktur nicht zu verkraften. „Man nimmt dem Gesundheitssystem im niedergelassenen Bereich Hunderte Millionen Schilling weg, ohne sie zu kompensieren. Das wird zu nachhalti- gen Schäden für Ärzte und Patienten führen“, prophezeit der ÖÄK-Vize- präsident. Die Folgen: Entlassung von Praxishilfen in Landpraxen, Verkür- zung der Praxiszeiten, Nichtnachbe- setzung von Planstellen oder Schlie- ßung von Ordinationen.

Auch in der Frage der Verwirkli- chung von Gruppenpraxen herrscht nach Angaben von Routil nach wie vor Stillstand. Zwar dürfen Gruppen- praxen laut Verfassungsgerichtshof seit vergangenem Jahr gegründet wer- den. Eine kassenrechtliche Regelung steht noch aus. Gerade diese neuen ärztlichen Organisationsformen seien auf dem Land zur Vermeidung von Krankenhausaufenthalten besonders wichtig. Eine rasche Umsetzung von

„fachgleichen“ und „fachübergreifen- den“ Ordinationen wäre eine Opti- mierung der Patientenversorgung im Sinne der Erreichbarkeit rund um die Uhr. Weiterer Vorteil: Für Gruppen-

praxen sind die notwendigen Investi- tionen, um mit der medizinischen Ent- wicklung Schritt zu halten, deutlich einfacher realisierbar. Auch seien die- se Praxen erforderlich, um durch Ra- tionalisierungen die Kosten einer Pra- xis bei tendenziell fallenden Einnah- men in den Griff zu bekommen. Der Wunsch nach Umsetzung „sozial- rechtlicher“ Gruppenpraxen oder nach der Möglichkeit der Anstellung von Ärzten bei Ärzten „prallt“ am Hauptverband der Sozialversiche- rung jedoch ab, bedauert Routil. Eine Lösung sei zur Zeit nicht zu erwarten.

Ein weiterer Schlag gegen die niedergelassenen Ärzte auf dem Land bedeutet die zu erwartende Schlie- ßung von Hausapotheken. Dazu der oberösterreichische Kammer-Präsi- dent Pjeta: „Die extreme Erleichte- rung bei der Niederlassung von öf- fentlichen Apotheken durch den Ver- fassungsgerichtshof wird die Landbe- völkerung mit voller Wucht treffen.“

Nach dem VfGH- Urteil muß künf- tig die ärztliche Hausapotheke im Falle der Ansied- lung einer öffent- lichen Apotheke schließen. Konse- quenzen für die Patienten sind vor allem in den Öff- nungszeiten be- gründet: „Es ist davon auszuge- hen, daß eine öf- fentliche Apothe- ke in einer klei- nen Landgemein- de keine 24-Stunden-Bereitschaft ha- ben wird“, stellt Pjeta fest. Der Bevöl- kerung werde die sichere Versorgung mit Arzneien durch den Arzt genom- men. In absehbarer Zeit könnten von der neuen Regelung 136 der 943 ärzt- lichen Hausapotheken betroffen sein.

Daraus ergeben sich Pjeta zufolge vor allem für jene Nachteile, die wenig mobil seien, wie kinderreiche Famili- en und alte Menschen. Aber auch Kranke, die der Arzt bei Hausbesu- chen in der Nacht und an Wochenen- den nicht mehr mit Medikamenten versorgen darf, seien betroffen. Die Versorgungsqualität im ländlichen Bereich werde bewußt untergraben.

T H E M E N D E R Z E I T BLICK INS AUSLAND

Honorarverluste in Österreich

Ärzte treten in den Streik

In fast allen Bundesländern bleiben Mitte Juni die Praxen der niedergelassenen Ärzte einen Tag lang geschlossen.

D

Otto Pjeta, Reiner Brettenthaler und Wolfgang Routil (v. l.) traten zu einer Infor- mationsoffensive über die Mißstände im Gesundheitswesen an.Foto: Renate Apostel, ÖÄZ

(2)

Ein Wegfall der Hausapotheke wird auch die Ärzte treffen. Abwan- derungen und Praxisschließungen sind, so Pjeta, absehbar. Bei schrump- fenden Erträgen müßten die Landärz- te ihre Investitionen drosseln oder einstellen. „Künftig wird es manches moderne Gerät nicht mehr geben“, befürchtet der Präsident. „Zudem reißen absiedelnde Ärzte früher oder später auch neu angesiedelte Apothe- ken mit. Was dann? Es darf nicht sein, daß Ärzte von heute auf morgen ihre Apotheke verlieren.“

Weiterer Kritikpunkt der Ärzte:

die medizinische Hauskrankenbe- handlung. „Vor fast einem Jahr hat die ÖÄK der Krankenkasse eine neue Vereinbarung vorgelegt“, so Pjeta,

„aber darüber wurde nicht einmal verhandelt.“ Seit dem Auslaufen des Vertrages über die Hauskrankenbe- handlung herrsche ein chaotischer Zustand. „Obwohl vertragsrechtlich ungeregelt, investieren viele Kollegen aus eigenem Antrieb sehr viel Zeit für die Hauskrankenbehandlung und er- bringen mitunter notwendige medizi- nische Leistungen aus eigener Ta- sche“, berichtet Pjeta. Die Kasse rede sich auf Geldmangel heraus, wenn es darum gehe, die Hauskrankenbe- handlung einem erweiterten Patien- tenkreis zukommen zu lassen. Bei ei- nem Überschuß der Kassen von nahe- zu einer Milliarde Schilling fehle ihm jedoch der Glaube für das Argument.

Der Grund für die unerfreulichen Entwicklungen liegt für Brettenthaler auf der Hand: „Der Politik und der Rechtsprechung ist offensichtlich das Schicksal der Landärzte egal.“ Eben- falls klar ist der Forderungskatalog der Ärztevertreter. Sie wollen Ver- handlungen zu Fragen im Zusammen- hang mit der SVB, die gesetzliche Si- cherung der Hausapotheken, eine kassenrechtliche Regelung der Haus- krankenbehandlung und der Grup- penpraxen sowie die Abschaffung der Krankenscheingebühr und die Ein- führung einer Ambulanzgebühr.

Um den Forderungen Gewicht zu verleihen, bleiben in den meisten Bundesländern Mitte Juni die Praxen der niedergelassenen Ärzte für einen Tag geschlossen. Günter Vielgut Günter Vielgut ist Mitarbeiter des österreichi- schen Magazin „ärzte“, wo er in Heft 19 die Problematik ausführlich erörtert hat.

ie klinische Obduktion ist die letzte und auch bedeutsamste ärztliche Handlung, Todesur- sache und maßgeblich zum Tode bei- tragende Krankheiten festzustellen (14). Diese Information vermag Wis- sen für Ärzte und Pflegepersonal zu bringen.

Einleitung

und Problemstellung

Berliner Sektionsgesetz

Am 4. Juli 1996 hat das Abgeord- netenhaus (Senat) Berlins als erstes Bundesland ein Sektionsgesetz be- schlossen. In der Präambel (§ 1) heißt es (6):

„(Die) klinische Sektion ist die letzte ärztliche Handlung zugunsten des Patienten und der Allgemeinheit . . . (Sie) dient der Qualitätskontrolle und Überprüfung ärztlichen Han-

delns im Hinblick auf die Diagnose, Therapie und Todesursache, der Leh- re und Ausbildung, der Epidemiolo- gie, der medizinischen Forschung so- wie Begutachtung.“

Das Berliner Sektionsgesetz sieht – sofern von dem Verstorbenen selbst nicht anders verfügt – eine (einge- schränkte) Fristenlösung vor, nach der innerhalb eines Tages von den An- gehörigen einer klinischen Sektion (=

klinische Obduktion) widersprochen werden kann. In dem Gesetz näher aufgeführte Ausschlußgründe (§ 3) berücksichtigen unter anderem die Weltanschauung und den Glauben des Verstorbenen sowie die vom Bundes- gerichtshof im Mai 1990 beschlosse- nen Richtlinien des Behandlungsver- trages mit dem Krankenhaus/Klinik (juristische Folgen: [12, 13]; praktische Auswirkungen: [7]). Somit ist Berlin das erste Bundesland mit einem von der Deutschen Gesellschaft für Patho- logie seit Jahrzehnten geforderten so- genannten Sektionsgesetz. Der Ar- beitskreis Pathologie (Ausschuß für Qualitätssicherung ärztlicher Berufs- ausübung der Bundesärztekammer) fordert seit seinem Bestehen (1989) ein (nach Möglichkeit bundeseinheit- liches) Sektionsgesetz.

Obduktionsfrequenz heute unter einem Prozent der Verstorbenen

Warum ein Sektionsgesetz heute?

Können wir nicht doch hierauf ver- zichten angesichts der Fortschritte in der ärztlichen Diagnostik (zum Bei- spiel bildgebende Verfahren, Labor- diagnostik)? Nach einer Umfrage im Jahre 1985 (11) betrug die Obdukti- onsfrequenz der damaligen Bundesre- publik (circa 61 Millionen Einwohner;

circa 710 000 Verstorbene) etwa 5,6 Der Arbeitskreis Pathologie wurde

vom Ausschuß für Qualitätssiche- rung ärztlicher Berufsausübung der Bundesärztekammer eingesetzt und hat sich (in der nun laufenden drit- ten Wahlperiode) unter anderem den Fragen der klinischen Obdukti- on und ihrer Bedeutung für die heu- tige Medizin gewidmet. Derzeitige Mitglieder sind: B. Helpap, Singen;

W.-W. Höpker; Hamburg (Vors.);

U. Pfeifer, Bonn. Der Ausschuß be- richtet über Ergebnisse einer von ihm in Auftrag gegebenen Studie.

Fazit: Klinische Obduktionen sind insbesondere auch zur Qualitätssi- cherung der ambulanten Medizin von hoher Dringlichkeit und müs- sen von den Kostenträgern als eine der wichtigsten Qualitätssicherungs- maßnahmen berücksichtigt werden.

Qualitätssicherung

Die klinische Obduktion

Eine nicht verzichtbare Maßnahme einer Medizin im Wandel

Wilhelm-Wolfgang Höpker, Stephan Wagner

D

(3)

Prozent (somit: circa 40 000 klinische Obduktionsfälle). Für 1995 wird bei einer Bevölkerung von circa 79 Millio- nen Einwohnern und circa 857 000 Verstorbenen von höchstens 10 000 klinischen Obduktionen ausgegangen:

Obduktionsfrequenz somit knapp über 1 Prozent. Der Berufsverband Deutscher Patho-

logen schätzt für 1998 nochmals ei- nen erheblichen Rückgang der kli- nischen Obduk- tionen.

Die Empfeh- lungen der Deut- schen Gesell- schaft für Patho- logie und des Berufsverbandes Deutscher Patho- logen (15) grün- den auf Erfah- rungen, die in den letzten Jah- ren nicht syste- matisch unter- mauert wurden.

Der Arbeitskreis Pathologie hat da- her eine aktuelle Erhebung zur Be- deutung der klinischen Obduktion als Qualitätssicherungsinstrument veran- laßt. Aufgrund der Größe des Kran- kenhauses (1 084 Betten), des Ein- zugsgebietes, der Art der klinischen Abteilungen und aufgrund der hohen Obduktionsfrequenz (1994: 45,5 Pro- zent) wurde das Allgemeine Kran- kenhaus Barmbek (AKB, Hamburg) für diese Studie ausgewählt.

Material und Methode

Ausgewertet wurden Fälle von Erwachsenen (21 Jahre und älter), die im Allgemeinen Krankenhaus Barm- bek verstorben waren und bei denen jeweils eine Ganzkörpersektion (un- ter Einschluß des Gehirnes) durchge- führt wurde (16).

Validitätsstudie in einem Großkrankenhaus

Mehr als 70 Prozent der Sekti- onsfälle waren älter als 70 Jahre, fast 50 Prozent älter als 80 Jahre (Grafik 1). Für jeden Sektionsfall wurden im

Rahmen der klinisch-pathologischen Konferenz (9) Hauptbefunde, Ne- benbefunde und Todesursache (in Anlehnung an die Empfehlungen der WHO) festgelegt. Als Hauptbefunde wurden definiert, daß diese nach übereinstimmender Erfahrung der Kliniker und des Pathologen das Ab-

leben des Verstorbenen hinreichend begründen. Nebenbefunden kommt somit diese Bedeutung nicht zu. Die Todesursache beschreibt ein erwei- tertes „Todeseintrittszeichen“ (vgl.

sogenannter Totenschein). Für die Auswertung wurden 24 Hauptbefun- de vorgegeben, deren Validität in Ta- belle 1aufgelistet ist. Ein Befund wur- de dann als „richtig“ (+) gezählt, wenn dieser als klinische Diagnose

„vollständig richtig“ beziehungsweise

„fast richtig“ oder als „zu erweiternd“

klinischerseits angegeben wurde. Ei- ne „zu erweiternde“ Diagnose lag vor, wenn diese keine wesentliche Änderung von Diagnostik (mögli- cherweise: weiterführend) bezie- hungsweise Therapie zur Folge ge- habt hätte. Alle anderen Diagnosen wurden als „falsch“ (–) geführt.

Ergebnisse

Die Hauptbefunde (nach Sensiti- vität geordnet) lassen sich in drei Ka- tegorien zusammenfassen (Tabelle 1).

In Kategorie I finden sich Diagnosen, welche stets oder zumindest in der Hälfte der Fälle klinischerseits kor-

rekt gestellt wurden. Hierzu zählen neurologische Erkrankungen, bös- artige Neubildungen, die akute obere gastrointestinale Blutung. Doch ist bemerkenswert, daß die floride bakte- rielle Endokarditis in lediglich zwei Drittel der Fälle bekannt war, die aku- te Pankreatitis in knapp mehr als der Hälfte der Fälle.

Bei der Aneurys- maruptur (hier:

Ruptur eines Aneurysmas der Bauchaorta) blei- ben dem Arzt verständlicher- weise kaum Mög- lichkeiten zur Diagnostik (vgl.

auch Myokard- ruptur; [9]).

Eine weitere Gruppe von Er- krankungen (Ka- tegorie II) betrifft solche, die in et- wa der Hälfte der Fälle, mindestens jedoch in 10 Pro- zent, richtig diagnostiziert wurden.

Hier fällt auf, daß Myokardinfarktnar- ben (alter Herzinfarkt), aber auch der akute Myokardinfarkt in knapp der Hälfte der Fälle erkannt wurden.

Unzureichende klinische und vor allem vorklinische Diagno- stik von Infektionskrankheiten

Eine besondere Rolle scheinen die Infektionskrankheiten (Pneumo- nie, Urozystitis, Peritonitis, Pyelo- nephritis, Meningoenzephalitis) zu spielen, wobei zum Beispiel die eitrige Meningoenzephalitis in lediglich ei- nem von sechs Fällen diagnostiziert worden war. Für die Lungenarterien- embolie gilt ähnliches wie für die Aneurysma- beziehungsweise die Myokardruptur.

Eine Gruppe von Erkrankungen (Kategorie III) wurde zu Lebzeiten nicht erkannt. Es handelt sich um die Myokarditis (in den hier genannten zehn Fällen sind sieben mit septischer Myokarditis eingeschlossen), die flo- ride Tuberkulose und die perforierte Divertikulitis des Colon sigmoideum mit entsprechenden Komplikationen

(9). !

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Grafik 1

400–

300–

200–

100–

0–

–10 –20 –30 –40 –50 –60 –70 –80 –90 –100 >100

Dezennium

0,3%

2 1,0%

6 3,1%

18 9,0%

53 16,0%

94 22,3%

131 40,0%

232

8,5%

50 0,2%

1

>70 Jahre: 70,6%

>80 Jahre: 48,2%

Altersverteilung der Sektionsfälle (n = 587) des Allgemeinen Krankenhauses Barmbek (AKB, 1994). Mehr als 70 Prozent der Verstorbenen waren älter als 70 Jahre, fast 50 Prozent älter als 80 Jahre, fast 10 Prozent äl- ter als 90 Jahre. – Differenzen rundungsbedingt.

(4)

Diskussion

Auffällig ist zunächst, daß bösar- tige Tumoren und neurologische Er- krankungen in der Regel korrekt, bakteriell-entzündliche beziehungs- weise Kreislauferkrankungen in der Regel nicht vollständig erkannt wor- den sind (3, 5, 8, 9).

Die klinische Diagnostik richtet sich unter anderem nach der therapeu- tischen Relevanz und letztlich nach dem Allgemeinzustand des Patienten.

Ein Maß für die diagnostische Chance

des Arztes mag die Aufenthaltsdauer der Patienten in der Klinik bis zum To- de sein (vgl. Grafik 2). Hiernach war bei fast 60 Prozent der Verstorbenen seit der Klinikaufnahme höchstens ei- ne Woche vergangen. Bei gleichzeiti- ger Berücksichtigung der Altersvertei- lung der Verstorbenen (Grafik 1)wird deutlich, daß eine umfassende klini- sche Diagnostik der dann letztlich auch versterbenden Patienten nur ein- geschränkt möglich gewesen ist.

Dennoch ist es kein Zufall, daß eine Reihe wichtiger (teilweise mel-

depflichtiger) Infektionskrankheiten nicht oder nur unzureichend zuvor außerhalb der Klinik und dann im Krankenhaus hatten erkannt werden können. Und diese Erkrankungen sind durchaus von epidemiologischem Interesse und somit wichtig für die Volksgesundheit (vgl. Berliner Sekti- onsgesetz; [7]) – so die eitrige Menin- goenzephalitis (sechs Fälle), die akute Myokarditis (drei Fälle, septisch be- dingte Myokarditis nicht mitgerech- net) und die floride Tuberkulose (drei Fälle).

Tabelle 1

Validität klinischer (Haupt-)Diagnosen (AKB; Sterbealter > 21 Jahre; Obduktionsrate 45,5 Prozent; Sensitivität nach Rang). Die Kategorien beziehen sich auf die Sensitivität in Prozent: I (100–50); II /49–10); III (< 10).

Kate- Hauptbefund Sektions- Prävalenz Sensitivität Spezifität Positive Negative

gorie fälle Korrektheit Korrektheit

n Pr = a+b a d a d

n Se =

a+b Sp =

c+d Kp =

a+c Kn =

b+d

absolut % % % % %

Nichtepitheliale maligne 1 0,17 100,00 100,00 100,00 100,00

Tumore

Akute Enzephalomalazie 53 9,06 94,34 99,44 94,34 99,44

Hirnmassenblutung 9 1,54 88,89 100,00 100,00 99,83

Maligne hämatologische

Erkrankung 17 2,90 88,24 100,00 100,00 99,65

Leberzirrhose 37 6,32 86,49 100,00 100,00 99,09

I Karzinome (gesamt) 143 25,18 78,32 98,12 93,33 93,08

Obere gastrointestinale 23 3,92 78,26 100,00 100,00 99,12

Blutung

Bakterielle Endokarditis 3 0,51 66,67 100,00 100,00 99,83

Fettembolie 3 0,51 66,67 100,00 100,00 99,83

Akute Pankreatitis 23 3,93 56,52 100,00 100,00 98,25

Aneurysmaruptur 8 1,36 50,00 99,83 80,00 99,31

Akuter Myokardinfarkt 109 18,57 49,54 99,37 94,70 89,60

Myokardinfarktnarben 76 13,22 46,05 100,00 100,00 92,41

Frische Pneumonie 186 31,74 41,94 99,50 97,50 78,66

Akute Urozystitis 5 0,85 40,00 99,83 66,67 99,49

II Ischämische Enterokolitis 22 3,75 36,36 100,00 100,00 97,58

Eitrige Peritonitis 17 2,90 29,41 100,00 100,00 97,93

Akute interstitielle 19 3,24 26,32 100,00 100,00 97,59

Nephritis

Eitrige Meningo- 6 1,02 16,67 100,00 100,00 99,15

enzephalitis

Lungenarterienthromb- 88 15,15 9,09 99,80 88,89 86,01

embolie

Akute Myokarditis 10 1,70 0,00 100,00 – 98,29

Floride Tuberkulose 3 0,51 0,00 100,00 – 99,49

III Perforierte 3 0,51 0,00 100,00 – 99,49

Sigmadivertikulitis

Myokardruptur 3 0,51 0,00 100,00 – 99,49

a = richtig positiv; b = falsch negativ; a+b = Kranke c = falsch positiv; d = richtig negativ; c+d = Nichtkranke a+c = Befundpositive; b+d = Befundnegative

(5)

Diagnostische Trefferquote insgesamt hoch

Es ist nicht Ziel, „Unstimmigkei- ten“ klinischer Diagnostik aufzuzei- gen (2). Hier liegen Lücken in der Na- tur der Sache, seit es Ärzte gibt. Es gilt, diese kontinuierlich bewußt zu machen. Daß die vorklinische und die klinische Diagnostik stimmt und durchaus eine erstaunliche Treffer- quote aufweist, zeigen die mitaufge- führten Maßzahlen für die Spezifität, die positive und die negative Korrekt- heit (Tabelle 1). Der Einsatz der klini- schen und vorklinischen Diagnostik unter den geschilderten einge- schränkten Bedingungen (Grafik 1 und Grafik 2) ist durchaus „spezi- fisch“ und „korrekt“. Es ist Aufgabe des Pathologen, auf eine verbesse- rungswürdige Sensitivität (insbeson- dere auch vor Aufnahme der Patien- ten in die Klinik) hinzuweisen (1).

Die Statistik widerlegt das häufig formulierte Argument gegen eine kli- nische Obduktion, welches lautet: der klinische Verlauf sei „eindeutig“, es sei halt „. . . alles bekannt . . .“.

Folgerungen

Ohne Zweifel müssen sich Ärzte bei zunehmendem Alter der Patien- ten, zunehmender ethnischer Hetero- genität der Bevölkerung sowie zuneh- mender Langzeittherapie chronischer Krankheiten auf eine neue Sympto- matik einstellen (1, 2, 9). In dem vor- liegenden Untersuchungsgut hatten die nicht gestellten Diagnosen mögli- cherweise das Leben der Betroffenen verkürzt (Tabelle 1): Von den dort auf- geführten 13 unzureichend gestellten Diagnosen (Kategorie II, Kategorie III) sind elf möglicherweise therapie- relevant gewesen.

Wir haben uns daraufhin die Fäl- le mit den nicht erkannten Krankhei- ten noch einmal vorgenommen und mit der Herkunft von den jeweiligen Fachabteilungen verglichen. Hierbei ergibt sich, daß die Mehrzahl nicht er- kannter Krankheiten jenen Abteilun- gen zuzuordnen ist, die für andere Spezialdisziplinen ausgewiesen sind.

Ein großer Teil jedoch betrifft die Aufnahmestation mit hier sehr kurzer Verweildauer.

Ärzte müssen sich auf den Kulturwandel der Bevölkerung einstellen

Angesichts des Rückganges der Obduktionsfrequenz bei gleichzeitiger schneller Änderung der Zusammen- setzung der Bevölkerung, bei weiterhin zunehmender Mobilität und letztlich einer erheblichen Umstrukturierung des Gesundheitswesens insgesamt mit komplexer Änderung ärztlicher Be- treuungsmöglichkeiten erscheint eine Stärkung dieses wichtigen Qualitätssi- cherungsinstrumentes dringlich (14).

Das Sterben wird zunehmend aus den Krankenhäusern in Heime und in den häuslichen Bereich verlagert. Diese Menschen bedürfen uneingeschränk- ter ärztlicher Zuwendung. Eine Qua- litätssicherung dieser neuen ambulan- ten Medizin ist notwendig.

Instrument zur

wirtschaftlichen Gestaltung des Gesundheitswesens

Das Wissen um die tatsächlichen Todeskrankheiten und die wichtigen Begleitbefunde ist nicht nur für Erhal- tung und Pflege der Volksgesundheit (7) bedeutsam – die Entwicklung des Gesundheitswesens insgesamt als des mit Abstand größten Dienstleistungs- anbieters des Landes wird letztlich durch die Zahl und Art der Krankhei- ten der Patienten, die mit zunehmen- dem Alter nahezu exponentiell anstei- gende Multimorbidität, die Möglich- keiten kausaler und adjuvanter oder symptomatischer ärztlicher Hilfe und

deren Akzeptanz, letztlich damit von den Patienten selbst bestimmt. Hier schließt sich ein Kreis, dessen Außen- bedingungen durch Finanzierbarkeit und wirtschaftliche Belastung definiert werden. Und unsere Kenntnisse für Entscheidungsvorgänge im Gesund- heitswesen gründen fast ausschließlich auf Maßzahlen einer Todesursa- chenstatistik, deren Mängel bekannt sind (10). Ohne Zweifel kann hier durch eine vertretbare Zahl klinischer Obduktionen (zum Beispiel mit Zu- sammenstellung in einem Register [11]) nicht nur Abhilfe geschaffen, son- dern eine effiziente und wissenschaftli- che Grundlage für eine wirtschaftliche Entwicklung des Gesundheitswesens überhaupt angeboten werden.

Forderungen

Die Kostenträger werden aufge- fordert, dem Kulturwandel der Bevöl- kerung in seinen relevanten Auswir- kungen auf das Gesundheitswesen Rechnung zu tragen. Eine klinische Obduktion kostet weniger als die An- passung (!) einer Zahnkrone, wenn auch die Gesamtkosten (einschließ- lich Histologie) höher liegen. Selbst diese Kosten konnten bislang nicht hinreichend geltend gemacht werden.

Möglichkeiten für die Kostenträ- ger ergeben sich in mehrfacher Hin- sicht:

l Die anstehende Zertifizierung der Krankenhäuser ist auch von der Obduktionsfrequenz abhängig zu ma-

chen; !

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Grafik 2

400–

300–

200–

100–

0–

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Wochen

56,9%

334

16,4%

96 10,2%

60 6,0%

35 2,3%

14

2,3%

14 1,0%

6

1,2%

7

3,6%

21

Aufenthaltsdauer in der Klinik. Sektionsfälle (n = 587; AKB, 1994). Fast 60 Prozent der Verstorbenen waren eine Woche und kürzer in der Klinik.

(6)

l die Kosten der klinischen Ob- duktion sind über einen eigenen Titel

„Qualitätssicherung“ abzurechnen, um die Selbstkontrolle von Abteilun- gen und Krankenhäusern und auch niedergelassenen Ärzten nicht durch zusätzlich aufgebürdete Kosten zu verhindern;

l die neuen Möglichkeiten der ambulanten Medizin erfordern neue Möglichkeiten der Qualitätskontrol- le: von seiten der Kostenträger ist eine ambulante klinische Obduktion vor-

zusehen – organisatorisch werden sol- che seit langem vorgenommen (zum Beispiel im Auftrage der Berufsge- nossenschaften, rechtsmedizinische Obduktion);

l die Möglichkeiten zur Weiter- bildung in klinischen Fächern ist auch an die Obduktionsfrequenz und damit an ein wichtiges Instrument klinischer Qualitätssicherung zu koppeln (vgl.

Approbationsordnung für Ärzte § 3 Abs. 4; [4]).

Fazit

Angesichts der gültigen Recht- sprechung (Bundesgerichtshof vom 31. Mai 1990; Landgericht Köln vom 18. Juni 1991) ist es schwer verständ- lich, daß dieses Instrument der Qua-

litätssicherung nicht auch im Sinne der Rechtssicherheit (gegenüber un- berechtigten Vorwürfen) für Pflege- personal und Ärzte eingesetzt wird (12, 13).

Sogenannte Anfragen bei der Ermittlungsbehörde (diese werden im Auftrage der Staatsanwaltschaft tätig) sind unter anderem ein In- dikator für Rechtsunsicherheit: der- artige Anfragen werden stets dann veranlaßt, wenn der Hergang des Sterbens als solcher unklar gewe-

sen ist oder aber die Möglichkeit eines Verschuldens-Vorwurfes ge- genüber dem Pflegepersonal oder den Ärzten gegeben sein könnte (Tabelle 2).

So ist es schon bemerkenswert, daß bei 1 293 Verstorbenen (AKB, Hamburg; 1994) in 14,2 Prozent und damit in 184 Fällen eine Mitteilung an die Staatsanwaltschaft erfolgte – ein schuldhaftes Verhalten von Ärzten und Pflegepersonal jedoch in allen Fällen nicht hatte nachgewiesen wer- den können.

Hier vermögen definitive und eindeutige Befunde sowie eine recht- lich-korrekte Vorgehensweise den Angehörigen, dem Pflegepersonal und den Ärzten und letztlich auch den Patienten Vertrauen und Sicherheit zu vermitteln.

Literatur

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11. Höpker W-W: Chancen und Nutzen eines bundesweiten Obduktionsregisters. Pa- thologe 1985; 6: 165–176.

12. Jansen C: Die Klinische Sektion aus juri- stischer Sicht. Pathologe 1992; 13: 1–13 (hier: Urteil des Bundesgerichtshofes vom 31. 5. 1990 – IX ZR 257/89).

13. Jansen C: Unterbliebene Sektion und Um- kehr der Beweislast im Arzthaftpflichtpro- zeß. Pathologe 1993; 14: 68–70 (hier: Ur- teil des Landgerichtes Köln vom 18. 6. 1991 – 25 O 354/88).

14. Kolkmann F-W: Qualitätssicherung in der Pathologie. Pathologe 1991; 12: 120–122.

15. Pfeifer U: Prävention, Standards der Qua- litätssicherung und zukünftigen Entwick- lungen in der Pathologie. Pathologe 1995;

16: 150–156.

16. Wagner St: Der Stellenwert der Pathologie in der Qualitätsführung der Medizin. Dis- sertation, Fachbereich Medizin der Uni- versität Hamburg, 1997.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1998; 95: A-1596–1600 [Heft 25]

Anschriften der Verfasser Prof. Dr. med. Dr. h. c.

Wilhelm-Wolfgang Höpker Institut für Pathologie

Allgemeines Krankenhaus Barmbek Rübenkamp 148

22291 Hamburg

Dr. med. Stephan Wagner Praxis für Pathologie Köpenicker Straße 21 15711 Königs Wusterhausen Tabelle 2

Sogenannte Anfragen bei der Ermittlungsbehörde (Staatsanwaltschaft) des Allgemeinen Kran- kenhauses Barmbek (1994; Zahl der Verstorbenen n = 1293).

davon:

Grund der Anzahl Rechtsmed. Klinische Keine

Anfrage Sektion Sektion Sektion*

Fraktur 70 1 35 34

unklare Todesursache 54 3 27 24

Sturz/Hämatom 34 4 18 12

Platzwunde

Sturz auf Station 2 0 1 1

iatrogene Todesursache? 7 1 3 3

Intoxikation 5 0 3 2

nicht natürlicher Tod 5 1 3 1

Verkehrsunfall 5 3 1 1

Drogenabusus 1 0 0 1

Unterkühlung 1 0 1 0

184 13 92 79

(= 14,2%) (= 1,0%) (= 7,1%) (= 6,1%)

* Keine Sektion: verweigert. Iatrogene Todesursache: ein Fall mit rechtsmedizinischer Sektion ohne Nachweis eines Fehlverhaltens.

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