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Archiv "Häuser mit Praxen jüdischer Ärzte" (21.11.1997)

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ehr als 50 Jahre nach dem Ende der nationalsoziali- stischen Gewaltherrschaft bemüht sich die deutsche Ärzteschaft immer noch, ihre Vergan- genheit aufzuarbeiten und die Rolle ihrer Kolleginnen und Kollegen während des „Dritten Reichs“ zu ana- lysieren und verstehen zu lernen. Das sagte der Präsident der Landesärzte- kammer Hessen, Dr. med. Alfred Möhrle, zu Beginn der Tagung „Medi- zin und Antisemitismus“ in Frankfurt am Main. Die Ärzte versuchten damit eine Aufgabe zu bewältigen, die ande- re Berufsgruppen noch gar nicht oder nur mit geringem Erfolg angegangen hätten.

„Biologistisches Denkmodell“

Daß gerade die Ärzteschaft sich vor allem in jüngster Zeit mit ihrer un- rühmlichen Vergangenheit beschäf- tigt, hält der stellvertretende Direktor des Sigmund-Freud-Instituts in Frank- furt, Dr. med. Wolfgang Leuschner, jedoch für dringend erforderlich.

Schließlich seien 22 Prozent aller deut- schen Ärzte Mitglieder der SS ge- wesen, betonte er.

„Doch was hatte die nationalso- zialistische Ideologie den Ärzten ei- gentlich zu bieten?“ fragte Möhrle.

Seiner Ansicht nach suggerierte ein

„biologistisches Denkmodell, geprägt durch Sozialdarwinismus, Eugenik und Rassenhygiene, die Vorstellung, ein gesundes, schönes und starkes Volk ,züchten‘ zu können, wenn man

nur die ,Erbkranken‘ von der Fort- pflanzung ausschlösse und ,lebens- unwerte‘ Individuen ,eliminiere‘“.

Grundlage für dieses Denken sei ein in der Schicht der gebildeten Deut- schen tief verwurzelter Pessimismus hinsichtlich des Untergangs tradierter Wertebilder gewesen, verbunden mit einem übersteigerten Glauben an die Naturforschung, die Technik und auch die Medizin.

Im Gefolge der von Joseph Ar- thur Comte de Gobineau vertretenen These von der Überlegenheit der

„Arier“ entstanden zahlreiche Gesell- schaften in Deutschland, die unter den „Ariern“ wiederum die „Germa- nen“ herausgehoben sahen und zum Idealbild des deutschen Menschen machten. In Deutschland, wo der An- tisemitismus bereits seit dem Mittelal- ter tief verwurzelt war, wurden die

„Nicht-Arier“, besonders die Juden, für die wirtschaftliche Not, die Ar- beitslosigkeit und den Verlust an Ein- fluß der Ärzte verantwortlich ge- macht. Jüdische Ärzte wurden, so Möhrle, als Konkurrenten der deut- schen Ärzte ausgemacht und zügig und konsequent aus ihren Positionen vertrieben.

Auf die lange Tradition der Po- lemik gegen jüdische Ärzte wies Prof. Dr. phil. Wilhelm F. Kümmel hin, Direktor des Medizinhistori- schen Instituts der Johannes-Guten- berg-Universität Mainz. Zunächst hätten die Kirche und danach auch die christlichen Kollegen mit zahlrei- chen Vorurteilen gegen die jüdischen Kollegen aufgewartet. Demgegen- über habe die Bevölkerung den Wis-

sens- und Kenntnisstand der jüdi- schen Ärzte durchaus geschätzt. Im 19. Jahrhundert habe man den jüdi- schen Ärzten zunehmend eine mate- rialistische Auffassung unterstellt, und man benutzte ein bevölkerungs- politisches „Proporzargument“. Die Medizin werde in „Wesen und Me- thode eingedeutscht“, hieß es bei- spielsweise in Theodor Fritschs

„Handbuch der Judenfrage“ aus dem Jahr 1919. Die Nazis hätten dieses Repertoire der Vorwürfe gegen jü- dische Ärzte übernommen.

Nach Ansicht der Psychoanalyti- kerin Dr. med. Margarethe Mitscher- lich hat eine unbarmherzige, autoritäre Gesellschaft dazu geführt, daß die Ver- brechen der Ärzteschaft möglich wur- den. In der autoritätsgläubigen Gesell- schaft Deutschlands sei Erniedrigung an der Tagesordnung gewesen, worun- ter vor allem die als Sündenböcke ab- gestempelten Juden leiden mußten.

Vielen sei ein Wegsehen und Nichtwis- senwollen daher nicht schwergefallen.

Dr. phil. Werner Bohleber, Vorsit- zender des Frankfurter Psychoanalyti- schen Instituts, versuchte mit den Mit- teln der Psychoanalyse, „den wahrhaf- ten Charakter des nazistischen Antise- mitismus und seinen Erfolg“ aufzu- klären. Seiner Ansicht nach hat im 19. Jahrhundert die Idealisierung der eigenen Nation das Gegenbild des Juden geformt, das als Behälter für ne- gative Projektionen fungierte. Es habe sich ein Antisemitismus entwickelt, der durch die organismische Idee der Nation und durch die Biologisierung

A-3158 (26) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 47, 21. November 1997

P O L I T I K TAGUNGSBERICHT

Medizin und Antisemitismus

Verfolgung und Ermordung jüdischer Ärzte

Die ideologischen Quellen des Antisemitismus in der Medizin aufzudecken war eines der Anliegen einer Veranstaltung mit dem Thema „Medizin und Antisemitismus“ Anfang November in Frankfurt am Main. Auf der gemeinsam von der Landesärztekammer Hessen, dem Sigmund-Freud-Institut und dem Frankfurter Psychoanalytischen Institut organisierten Tagung berichteten Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen dar- über, wie Ärzte in der Zeit des Nationalsozialismus zu Tätern oder zu Opfern wurden.

Häuser mit Praxen jüdischer Ärzte

Rund 50 Fotografien von Frankfurter Häusern, in denen jü- dische Ärzte in der Vorkriegszeit ihre Praxen hatten, hat die All- gemeinärztin und Delegierte der Landesärztekammer Hessen, Dr.

med. Birgit Drexler-Gormann, zu- sammengetragen. Die Dokumente wurden anläßlich der Tagung „Me- dizin und Antisemitismus“ gezeigt.

Die Ausstellung wird vom 25. 2. bis zum 25. 3. 1998 in der Gedenk- stätte Hadamar, Mönchberg 8, zu

sehen sein. Kli

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der Sprache in der Romantik die Ju- den zu „Agenten der Zersetzung und Verwesung“ machte und ihnen ein Wesen zuschrieb, das sich der Einheit widersetzt habe. Der Antisemitismus habe Gleichgültigkeit, Haß und Ge- walt geschaffen. Dabei hätte auch die Deutsche Psychoanalytische Gesell- schaft keine Ausnahme gebildet. 1935 seien diejenigen ihrer jüdischen Mit- glieder, die noch nicht emigriert wa- ren, dazu gedrängt worden, aus der Gesellschaft auszutreten.

„Ethische

Herausforderungen“

Hand in Hand mit der „Gleich- schaltung“ der ärztlichen Organisa- tionen seien jüdische Ärztinnen und Ärzte aus Krankenhäusern und Pra- xen, aus Hörsälen und von den Lehr- stühlen vertrieben worden, berichtete auch Möhrle. Bald nach der Machter- greifung der Nationalsozialisten sei das Medizinstudium für Juden er- schwert, wenn nicht gar unmöglich ge- macht worden. Die Kampagne gegen die jüdischen Ärzte habe am 25. Juli 1938 in die „Vierte Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ gemündet, mit dem die Approbationen aller jüdi- schen Ärztinnen und Ärzte als mit dem 30. September 1938 erloschen er- klärt wurden. Zwischen 1933 und 1945 seien mehr als 9 000 Ärztinnen und Ärzte aus ihrem Beruf gedrängt, in die Emigration oder den Selbstmord getrieben „oder, wie Millionen ande- re, ganz einfach umgebracht worden“.

Diese Opfer und Vertriebenen müssen „aus der Anonymität der Zahlen herausgeholt werden“, forder- te Dr. med. Siegmund Drexler, Inter- nist und Mitglied des Präsidiums der Landesärztekammer Hessen. Außer- dem könne man „bei einer Reihe von ethischen Herausforderungen“ aus der unrühmlichen Vergangenheit ler- nen, meinte Ruth Lapide, Witwe des kürzlich verstorbenen Religionsphilo- sophen Pinchas Lapide. So werde von den Juden – erst recht nach den Er- fahrungen des Holocaust – Euthana- sie grundsätzlich verworfen. Lapide plädierte für eine Verantwortungs- ethik, die sich „selbst bescheidet bei Eingriffen in die göttliche Schöp- fung“. Gisela Klinkhammer

A-3159

P O L I T I K TAGUNGSBERICHT/AKTUELL

Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 47, 21. November 1997 (27) Infolge der deutschen Wieder-

vereinigung hat sich die Lebenssitua- tion von Familien mit behinderten Kindern in den neuen Ländern erheb- lich verbessert. Das ist, einer Presse- mitteilung des Bundesministeriums für Gesundheit zufolge, das Ergebnis einer vom Ministerium in Auftrag ge- gebenen Studie*. Ursache hierfür sei die Übertragung der rechtlichen Grundlagen und des Versorgungs- systems der alten Bundesrepublik auf die neuen Länder.

Auch in den neuen Ländern wird die Pflege und Betreuung der Kinder und Jugendlichen nahezu ausschließ- lich im Familienkreis (circa 94 Pro- zent) organisiert. Selbst wenn die Mut- ter berufstätig ist, ist sie die wichtigste Betreuungsperson. Ambulante Hilfen wie zum Beispiel Sozialstationen oder familienentlastende Dienste werden nur von knapp 15 Prozent der Famili- en genutzt. Im Rahmen der Studie wurde jedoch deutlich, daß etwa ein Drittel der Familien gerne unterstützt würde. Viele sind über bestehende Angebote aber nicht ausreichend in- formiert. In einzelnen Regionen gibt es zudem noch Versorgungslücken.

Insgesamt positiv beurteilt wurde die Verbesserung der ambulanten und stationären Betreuungsangebote für behinderte Kinder sowie die Verbrei- terung des Therapie- und Hilfsmittel- angebots. Vor allem bei Hilfsmitteln wurden neben dem größeren Ange- bot auch die bessere Verfügbarkeit so- wie die gesicherte Finanzierung durch die Krankenkassen und durch an- dere Leistungsträger hervorgehoben.

Ebenfalls verbessert haben sich für viele Familien die Wohnverhältnisse, auch wenn die Wohnungen nur zu ei- nem geringen Prozentsatz (circa fünf Prozent) behindertengerecht ausge- stattet sind.

Als ungünstig erlebt die Hälfte der Befragten die allgemeine soziale und ökonomische Situation, vor allem die Arbeitslosigkeit eines oder beider Elternteile. Ebenfalls die Hälfte der befragten Familien äußerte sich be-

sorgt über Einschränkungen bei der Ausbildung und der Berufsausübung ihrer behinderten Kinder beziehungs- weise Jugendlichen.

Mehr als die Hälfte der Eltern fühlt sich zudem nicht ausreichend über Versorgungsangebote und Rech- te informiert. Solche Informationen erhalten Eltern vor allem über Medi- en oder im Gespräch mit Ärzten und Therapeuten. Beratungsstellen und Behörden werden in diesem Zusam- menhang als wenig hilfreich erlebt.

Dagegen wird der Informationsaus- tausch mit anderen betroffenen Fami- lien und Selbsthilfegruppen bevor-

zugt genutzt. EB

Neue Bundesländer

Verbesserte Angebote für behinderte Kinder

Familien mit behinderten Kindern in den neuen Ländern finden mehrheitlich, daß sich ihre Situation seit der Wende verbessert hat. Sorgen bereiten ihnen die eigene Arbeitslosigkeit und die einge- schränkten Ausbildungs- und Berufsperspektiven für die Kinder. Foto: Sepp Spiegl, Aktion Sorgenkind e.V.

* Die Studie ist als Band 87 in der Schriften- reihe des Bundesministeriums für Gesundheit im Nomos-Verlag erschienen und im Buch- handel für 56 DM zu beziehen.

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