A-3041
Seite eins
Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 46, 14. November 1997 (1) inken sie bald, oder stei-
gen sie wieder? Die Rede ist nicht von Aktienkur- sen, sondern von den Beitragssät- zen zur Gesetzlichen Krankenver- sicherung (GKV). „Eine Senkung der Beiträge rückt in greifbare Nähe“, schrieb die „Wirtschafts- woche“ Ende Oktober. Zitiert und gelobt wurde Bundesgesundheits- minister Horst Seehofer. Aufgrund der dritten Stufe der Gesundheits- reform würden die GKV-Ausga- ben seit Juli sinken und die Ein- nahmen steigen – zumindest in Westdeutschland.
Nach den Berechnungen der
„Wirtschaftswoche“ erhöhen sich die GKV-Einnahmen aufs ganze Jahr gesehen um rund fünf Milliar- den DM, weil die Versicherten in verschiedenen Bereichen mehr zu- zahlen müssen. Außerdem soll das
„Krankenhausnotopfer“ von je 20 DM pro Versicherten eine weitere Milliarde DM einbringen.
Daß das Geld reicht, um die Beiträge zu senken, glauben Kas- senrepräsentanten und Sozialpoliti- ker nicht. Selbst Horst Seehofer ist vorsichtig: „Ich nehme jetzt lieber nicht den Mund zu voll“, zitiert ihn die Zeitschrift. Mehrheitlich wird
jedoch versichert, daß man die Beiträge wohl bis Ende 1998 stabil halten könne – was schon positiv wäre. Dennoch gibt es Fachleute, die es eher für realistisch halten, daß die Beiträge zur Krankenversiche- rung wieder steigen werden.
Von den sechs Milliarden DM an Mehreinnahmen werden näm- lich schon knapp vier Milliarden DM benötigt, um die GKV-Defizite aus dem ersten Halbjahr 1997 aus- zugleichen (West: 2,8 Milliarden DM, Ost: 1,1 Milliarden DM). Die ostdeutschen Kassen drückt zudem noch ein Minus in Höhe von rund einer Milliarde DM aus dem Jahr 1996. Deshalb haben sie unerlaub- terweise Kredite von rund 2,3 Milli- arden DM aufgenommen.
Ob das Notopfer Kranken- haus unter dem Strich eine Milliar- de DM bringt, darf man ebenfalls hinterfragen. Nicht alle Versicher- ten werden gleich zahlen. Außer- dem haben die Krankenkassen selbst beklagt, daß erhebliche Teile
des Geldes, angeblich bis zu 50 Prozent, für die Abwicklung der Sonderzahlung gebraucht werden.
Und schließlich kann das, was für Sanierungen in einer Klinik ausge- geben wird, nicht mehr zum Defi- zitausgleich verwendet werden.
Was zudem, wenn auch in ge- ringem Maß, an den Einnahmen zehren könnte, sind Aushilfszah- lungen von West nach Ost. Seeho- fer will den westdeutschen Kran- kenkassen die Möglichkeit zur kas- senarteninternen Finanzhilfe ein- räumen. So könnten sie ihren ost- deutschen Pendants helfen, die Kredite abzulösen.
Es ist zu hoffen, daß die Ent- wicklung der Kasseneinnahmen und -ausgaben im zweiten Halbjahr 1997 den Optimismus von Horst Seehofer und anderen rechtfertigt.
Zuverlässigere Schätzungen liegen aber wohl erst Mitte des Monats vor. So lange hält sich das Bundes- gesundheitsministerium mit Fak- ten zurück. Sabine Rieser
S GKV-Beitragsentwicklung
Schöne Rechnungen
er geplante „große Lausch- angriff“ tangiert das Be- rufsgeheimnis („Schweige- pflicht“) von Ärzten, Anwälten und Priestern – und damit einen zivili- satorischen Fortschritt, auf den ge- rade die westliche Welt besonders stolz ist.
„Der große Lauschangriff droht das Arztgeheimnis zu zer- stören und damit das Vertrauens- verhältnis zwischen Arzt und Pa- tient nachhaltig zu erschüttern“, befürchtet jedenfalls Bundesärzte- kammer-Präsident Dr. Karsten Vilmar. Schon nach der geltenden Rechtslage habe der Arzt durch- aus die Möglichkeit, die Straf- verfolgungsbehörden zu infor- mieren, soweit die Offenbarung zum Schutze eines höherwertigen
Rechtsgutes erforderlich sei. Der vorliegende Gesetzentwurf gehe darüber weit hinaus.
Vilmar fordert Nachbesse- rung: „Ohne entsprechende Aus- nahmebestimmungen steht ein Kernbereich der ärztlichen Be- rufsausübung auf dem Spiel, denn Grundlage einer vertrauensvollen Beziehung zwischen Patient und Arzt ist und bleibt das Patienten- geheimnis und die ärztliche Schweigepflicht.“
Ähnliche Kritik kommt aus den Kirchen und aus der Anwalt-
schaft. Bundesjustizminister Ed- zard Schmidt-Jortzig hat zwar den Kirchen versichert, am Schutz des Beichtgeheimnisses werde sich nichts ändern, denn das Abhören eines Beichtgespräches sei of- fenkundig unverhältnismäßig und daher unzulässig. Doch eine sol- che Versicherung ist reichlich schwach, macht sie doch das Beichtgeheimnis und dessen mög- liche Verletzung zum Gegenstand einer Verhältnismäßigkeitsprü- fung. Und die ist bekanntlich ein weites Feld. Norbert Jachertz