• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Protestaktionen der Ärzte: Wohl dosierte Verknappung" (31.01.2003)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Protestaktionen der Ärzte: Wohl dosierte Verknappung" (31.01.2003)"

Copied!
4
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

P

otsdam, 22. Januar: Rund 550 Ärz- tinnen, Ärzte und andere Heilbe- rufler folgen dem Aufruf der bran- denburgischen Ärzteschaft und machen bei einer Versammlung ihrem Ärger über die geplante Gesundheitsreform und die beschlossenen Sparvorgaben Luft. Für Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) stecken sie mit Pro- testsprüchen beschriftete Arztkittel in Postsäcke. Rostock, 22. Januar: Zu einer Demonstration des Bündnisses Gesund- heit Mecklenburg-Vorpom-

mern sind circa 2 500 Beschäf- tigte des Gesundheitswesens in die Innenstadt gekommen.

Stuttgart, 22. Januar: Etwa 1 300 Ärzte, Arzthelferinnen, Apotheker und Krankenhaus- mitarbeiter haben einen zen- tralen Aktionstag organisiert:

Praxen bleiben auch hier ge- schlossen, stattdessen wird bei einer Versammlung diskutiert.

Der 22. Januar war ein be- sonderer Tag: In mehreren Städten startete die vom Bünd- nis Gesundheit 2000 initiierte Informationskampagne gegen die Gesundheitspolitik der Bundesregierung. Bundesärz-

tekammerpräsident Prof. Dr. med. Jörg- Dietrich Hoppe zog eine positive Bilanz:

Wieder sei deutlich geworden, dass Ärz- te und andere Gesundheitsberufe ihren Job ernst nähmen und deshalb für eine gute Medizin streiten würden.

Die Kassenärztliche Bundesvereini- gung (KBV) hatte tags zuvor in Berlin ihr politisches Aktionsprogramm prä- sentiert und damit eine „Segelanwei- sung“ für Vertragsärzte vorgelegt, die sich an „Dienst nach Vorschrift“-Aktio- nen beteiligen wollen. Ihr Erster Vorsit- zender, Dr. med. Manfred Richter- Reichhelm, betonte, man müsse vor ei-

ner staatlich dominierten Zuteilungs- medizin warnen: „Das geht leider nur, indem wir auch den Patienten die dro- hende Gefahr deutlich machen.“ Am kompromisslosesten hatte sich der Hartmannbund positioniert: Er forder- te die niedergelassenen Ärzte in West- falen-Lippe auf, vom 22. Januar an je- weils mittwochs ihre Praxen zu schließen und die freie Zeit beispiels- weise zur Fortbildung zu nutzen. „Falls notwendig, werden wir diese Aktion auf

die gesamte Bundesrepublik ausdeh- nen“, drohte der Vorsitzende Dr. med.

Hans-Jürgen Thomas.

Die Vertragsärzte im Westfälischen folgten seinem Appell – wie zahlreich, daran scheiden sich die Geister. Der Hartmannbund versichert, dass knapp die Hälfte der 11 000 Praxen am 21. Ja- nuar geschlossen blieb, also rund 5 000.

Die gesetzlichen Krankenkassen vor Ort wollen 2 000 gezählt haben. Wie es um das Protestpotenzial im Ganzen steht, ist schwer auszuloten. Manchen Ärzten liegt es nicht, für ihre Interessen auf die Straße zu gehen.Andere glauben

es ihren Patienten schuldig zu sein, ver- gebene Termine einzuhalten. Etliche scheuen sicher auch Debatten mit den Versicherten oder fürchten, Patienten könnten zu Kollegen abwandern, die sich nicht an Protestaktionen beteiligen.

Dazu kommt, dass diese von Bundes- land zu Bundesland anders ausfallen.

Schon den regionalen Bündnissen Ge- sundheit gehören jeweils unterschied- liche Verbände und Vereinigungen an.

So beteiligte sich in Mecklenburg-Vor- pommern der Hausärztever- band BDA am Aktionstag in Rostock, während er bundes- weit auf Distanz zu derartigen Veranstaltungen geht. Auch die Kassenärztlichen Vereini- gungen (KVen) sind beim Dienst nach Vorschrift zu un- terschiedlichen Einschätzun- gen gelangt. Sie können zudem als Körperschaften des öffent- lichen Rechts nicht agieren wie ein freier Ärzteverband. Den- noch: Abseits stehen sie nicht.

Im Bereich der Berliner KV, deren Vorsitzender Richter- Reichhelm ebenfalls ist, hat eine Vollversammlung die Kol- legen aufgefordert, vom 29. Ja- nuar an für zunächst fünf Wochen rol- lierend die Praxen zu schließen. Die KV will mithilfe von Dienstplänen sicher- stellen, dass stets rund 80 Prozent der Facharztpraxen geöffnet sind und die Sicherstellung so gewährleistet ist.

Die KV Nordrhein hat einen ande- ren Weg eingeschlagen. An Praxis- schließungen wird man sich vorerst nicht beteiligen, sondern mit Flugblät- tern, über die Medien und in direkter Diskussion auf die Information der Pa- tienten setzen. Andere KVen halten es ähnlich (siehe auch DÄ, Heft 3/2003):

Sie setzen auf Gespräche mit Patienten P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 531. Januar 2003 AA229

Ärztekammerpräsident Dr. med. Andreas Crusius erhielt am 22. Ja- nuar viel Beifall, als er in der Rostocker Innenstadt die Fehlentschei- dungen der rot-grünen Bundesregierung anprangerte. Foto: dpa

Protestaktionen der Ärzte

Wohl dosierte Verknappung

Praxisschließungen, Aktionstage – in mehreren Städten und Regionen werden die Ärzte und andere Heilberufler aufgefordert, ihrem Ärger über die

Gesundheitspolitik Luft zu machen. Die Resonanz fällt unterschiedlich aus.

(2)

wie die KV Pfalz, wollen die Vorlage der Eckpunkte durch Ulla Schmidt ab- warten wie die KV Schleswig-Holstein oder beteiligen sich im Rahmen des regionalen Bündnisses Gesundheit an Aktionen wie die KV Mecklenburg- Vorpommern. Die KV Hessen unter- stützt einen Aktionstag der dortigen Gesundheitsoffensive am 29. Januar.

Leicht haben es die Ärzte und ihre Organisationen mit ihrer Haltung nicht – egal mit welcher. Machen sie vorsich- tig Ernst, schließen wohl dosiert Praxen und nehmen nur für wenige Stunden an einer Versammlung teil, wird ihnen mangelndes Berufsethos vorgeworfen.

Verzichten sie auf jegliche spürbare Ak- tion, ernten sie spöttische Kommentare für ihr Zaudern. Dass sie nicht nur die eigenen, sondern ebenso die Interessen ihrer Patienten im Blick haben, ist schwer zu vermitteln. Deshalb betonte Richter-Reichhelm erneut: Nicht die

„Nullrunde“ sei der entscheidende Aus- löser für die Protestaktionen, sondern die Sorge über die angekündigten strukturellen Veränderungen im Ge- sundheitswesen. Gleichzeitig präsen- tierte er die „Segelanweisung“ für einen

„Dienst nach Vorschrift“:

– Die Arzneimittelversorgung wird ohne Ausnahme so gestaltet, wie es Krankenkassen und Politik seit Jahren fordern: maximale Verordnung von Ge- nerika, Verzicht auf Umstrittenes, Sub- stitution teurer Analogpräparate. Ins- gesamt müsse man in Kauf nehmen,

„dass die Arzneimittelversorgung eine Zeit lang nicht optimal ist“, sagte Rich- ter-Reichhelm. Ganz sicher werde es deshalb zu Konflikten mit Patienten kommen. Auch die Heilmittelversor- gung wird strikt an den medizinischen Anforderungen ausgerichtet. Folgever- ordnungen sollten die begründete Aus- nahme und nicht die Regel sein.

– Unkoordinierte Praxisschließungen gefährden den Sicherstellungsauftrag.

Stattdessen soll ein Dienstplan dafür sorgen, dass stets genügend Praxen geöffnet haben. Ärzte, die danach nicht dienstbereit sind, sollten ihren Patienten einen „Tag der offenen Tür“

anbieten. Sabine Rieser

P O L I T I K

A

A230 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 531. Januar 2003

D

ie aktuelle Reformgesetzgebung und die sich anbahnenden Ent- wicklungstendenzen im Rahmen der Strukturreform im Gesundheitswe- sen lassen befürchten, dass die fachärztli- che Versorgung im Bereich der ambu- lanten Behandlung noch mehr als bisher eingeschnürt und Druck ausgeübt wird.

Die fachärztlichen Einzel- und Gemein- schaftspraxen dürften kurzfristig die zu- nehmende Konkurrenz jener Organisa- tionsstrukturen spüren, die sich um das Gesundheitszentrum Krankenhaus her- um als Ambulatorien oder als Praxisver- bund mit zugelassenen Fachärzten eta- blieren. Hinzu kommt: Erklärte Absicht der Politik ist es, spezielle Strukturen für die Durchführung von Disease-Manage- ment-Programmen (DMP) und zur Ab- wicklung der Integrationsversorgung auf vertraglicher Basis zu entwickeln, die sehr stark auf kooperativ tätige Schwer- punktpraxen ausgerichtet sind.

Die freiberuflich tätigen Fachärzte müssen befürchten, in ein Randanbie- ter-Dasein abgedrängt zu werden, wenn sich tatsächlich die fachärztliche Ver- sorgung immer mehr an das Kranken- haus, an Behandlungszentren und poli- klinische Einrichtungen neuer Prägun- gen zentrieren sollte.

Andererseits sind die Auswirkungen des neuen Krankenhausfinanzierungs- systems – Diagnosis Related Groups – und die Implementierung des diagnose- bezogenen Fallpauschalsystems bei der Klinikfinanzierung überhaupt noch nicht absehbar. Mit Sicherheit wird die Spezialisierung, die Verweildauerver- kürzung, die Marktorientierung im Krankenhaussektor voranschreiten. Zu-

dem wird es voraussichtlich zu einer Verlagerung von Behandlungsaktivitä- ten sowohl in den Bereich der ambulan- ten Versorgung als auch in den der Kli- nik nachgelagerten Sektor der Rehabili- tation und Pflege kommen. Auch durch diese Zangenbewegung können nieder- gelassene Fachärzte in Bedrängnis gera- ten. Jedenfalls müssen sie sich rasch um- orientieren, auch was die Vergütung und Honorierung ihrer Leistungen betrifft.

„Doppelte Facharztschiene“

Tatsache ist: Seit vielen Jahren klagen die Parteien und der Sachverständigen- rat für die Konzertierte Aktion im Ge- sundheitswesen darüber, dass für das deutsche Gesundheitssicherungssystem die „doppelte Facharztschiene“ typisch sei und teuer zu finanzierende Fachärz- te sowohl im Bereich der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung als auch im Krankenhaus vorgehalten werden müssen. Insbesondere der Sachverstän- digenrat hat Forderungen und Vor- schläge veröffentlicht, um solche Dop- pelstrukturen zu begrenzen und völlig zu beseitigen. Durch einen anderen Zu- schnitt des nach der Behandlungs- und Leistungsintensität zu gliedernden Ge- sundheitswesens müssten Doppelunter- suchungen und Diagnosen sowie Mehr- fachbehandlungen vermieden werden.

Zu einer Arbeitsvermehrung im sta- tionären Sektor kommt es kurzfristig, wenn es den Krankenhäusern als Insti- tution per Gesetz erlaubt wird, sich über das bisherige Maß hinaus für die ambulante Versorgung zu öffnen und

Krankenhäuser/Vertragsärzte

Fachärztliche Versorgung vor neuen Belastungen

Die aktuelle Reformgesetzgebung und die Eckpunkte für die Strukturreform im Gesundheitswesen deuten darauf hin, dass der Druck auf die fachärztliche Versorgung wächst und diese immer mehr an das Krankenhaus und Behandlungs- zentren konzentriert wird.

Ein juristischer Beitrag zu Dienst nach Vorschrift/„Streik“

von Prof. Dr. Raimund Wimmer ist am 22. 1. 2003 in der

„FAZ“ erschienen. Er kann für begrenzte Zeit abgerufen werden unter www.aerzteblatt.de/aerzteprotest.

(3)

sich als Health Centre (früher: Gesund- heitszentren) zu gerieren. Die Arbeits- aktivitäten der Krankenhäuser und mit- hin der im Krankenhaus angestellten Klinikfachärzte werden auch dadurch erweitert, dass die Krankenhäuser von den Krankenkassen per Vertrag ver- pflichtet werden können, sich an der Durchführung von Disease-Manage- ment-Programmen zu beteiligen.

Sowohl der jüngste (10.) Deutsche Fachärztetag Mitte November 2002 in Köln als auch der Fachausschuss „Inte- gration“ der Bundesärztekammer erör- terten die gewandelte Situation in der fachärztlichen Versorgung, entwarfen ein Entwicklungsszenario und zeigten Lösungsansätze zur Behebung des Di- lemmas auf.

So werden die Fachärzte tangiert

Folgende gesetzliche Regelungen tan- gieren direkt oder indirekt die fachärzt- liche Versorgung:

– Fallpauschalengesetz vom 23. April 2002 mit der Einführung von diagnose- bezogenen Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups) ab Beginn des Jahres 2003 (zunächst als Optionslösung), ab dem Jahr 2004 flächendeckend und ob- ligatorisch und ab Januar 2007 im Rou- tinelauf unter geänderten gesundheits- politischen und rechtlichen Rahmenbe- dingungen;

– das am 1. Juli 2002 in Kraft ge- tretene so genannte Risikostrukturaus- gleichs-Reformgesetz, mit welchem Dis- ease-Management-Programme als In- strumente des Risikostrukturausgleichs und als politisch gewünschten Einstieg in eine sektorübergreifende Indikati- onsversorgung eingeführt wurden;

– Festlegung in der Koalitionsverein- barung, die hausärztliche Versorgung be- sonders zu fördern und ein Anreizsy- stem für Versicherte zur Wahlentschei- dung für diese Versorgungsform in der Gesundheitsreform 2003 zu dekretieren;

– politische Absichtserklärung, ein Einzelvertragssystem neben dem Kol- lektivvertragssystem der Kassenärztli- chen Vereinigungen einzurichten und vor allem zusätzlich Gesundheitszen- tren in die vertragsärztliche Versorgung einzuschalten.

Der Druck auf die fachärztliche Ver- sorgung wird auch durch die im Gesund- heitsreformgesetz 2000 eingeführte Auf- teilung der vertragsärztlichen Gesamt- vergütung in Vergütungsanteile für die hausärztliche und für die fachärztliche Versorgung insoweit erhöht, als gerade die fachärztliche Versorgung infolge der Einbeziehung der psychotherapeutischen Versorgung in den fachärztlichen Vergü- tungsanteil gesetzlich verankert wurde.

Ungemach könnte in dieser Legis- laturperiode den Fachärzten drohen, wenn ein erneuter Anlauf zur Reform der Amtlichen Gebührenordnung für

Ärzte (GOÄ) unternommen wird. Die private Krankenversicherung und die Beihilfestellen des Bundes und der Länder drängen seit langem darauf, dass die Vergütungssätze gesenkt und pauschalierte Vergütungsformen (Ho- norarkomplexe) eingeführt werden.

Dies kann nur darauf hinauslaufen, dass der vertragsärztliche Vergütungsanteil bei der Privatbehandlung sinkt.

Mittelfristig dürfte sich auch deswe- gen die vertragsärztliche Versorgung immer mehr an das Krankenhaus verla- gern, weil die Politik Forderungen un- terstützt, Infrastrukturen des Kranken- hauses gemeinsam mit den freiberuflich tätigen Fachärzten zu nutzen und/oder auf dem Krankenhausbetriebsgelände Facharztpraxen zu installieren oder Facharztkombinate an das Kranken- haus „anzudocken“.

Nach diesem Szenario würde das Krankenhaus mittelfristig zu einem zen- tralen Versorgungs- und Vertragsfaktor aufgewertet werden. Durch die neue Krankenhausgebührenordnung – dia- gnosebezogene Fallpauschalen (Fest- preise) – würden Finanzierungsmittel zentral für Leistungen ausgeschüttet werden, die teilweise auch an ambulant tätige Fachärzte delegiert werden kön- nen. Das Krankenhaus wäre so in der La- ge, die zuarbeitenden und nachbearbei- tenden Ärzte, Rehabilitations- und Pfle- geeinrichtungen auszuwählen, mit denen sie zusammenarbeiten können, dies aber

auch ausschließen können. Langfristig würden auf diese Weise die Fachärzte we- gen ihrer zunehmenden wirtschaftlichen Abhängigkeit an das Krankenhaus ge- bunden. Freiberuflich tätige Ärzte, so die Befürchtungen, wären dann nur noch be- dingt einsatz- und existenzfähig. Schon bald könnte das gestufte Versorgungssy- stem in Deutschland holländische Struk- turen übernehmen und sich auf zwei Ebenen entwickeln: auf der einen Seite die hausärztliche Versorgung in der „er- sten Linie“, auf der anderen Seite die fachärztliche Versorgung, die überwie- gend an das Krankenhaus zentriert wird und teilweise deckungsgleich mit der fachärztlichen stationären Versorgung ist.

Vom DRG-basierten Finanzierungs- system und dem Fallpauschalengesetz sind aber auch Wechselwirkungen zwi- schen ambulantem und stationärem P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 531. Januar 2003 AA231

Grafik

Entwicklung der Allgemeinärzte/Praktischen Ärzte und der Gebietsärzte alte Bundesländer gesamtes Bundesgebiet

Anzahl Ärzte

Gebietsärzte Anteil: 45 %

Gebietsärzte 71 188 = 62,4 %

Allgemein- ärzte/

Praktische Ärzte 42 831 =

37,6 % Allgemeinärzte/

Praktische Ärzte Anteil: 55 % 70 000

60 000 50 000 40 000 30 000 20 000 10 000

1970 1980 1990 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 Jahr

Quelle: Bundesarztregister der KBV, Basis: Vertragsärzte

(4)

Sektor zu erwarten. Bei einer extrem verringerten Verweildauer und einer weiteren Spezialisierung und Konzen- tration auf dem Krankenhausmarkt werden viele existenziell bedrohte Krankenhäuser schließen müssen mit der Folge, dass einerseits ein Konzentra- tionsprozess der fachärztlichen Tätig- keit auf wenige Krankenhäuser mit we- niger stationären Akutbetten erfolgt, andererseits deswegen aber ein erheb- licher Mehrbedarf an fachärztlichen Leistungen in der ambulanten Versor- gung, in der Rehabilitation und vor al- lem in der Pflege eintritt, um die ver- kürzte Verweildauer zu kompensieren.

Der Konzentrationsprozess im Kran- kenhaus – und darauf wies der jüngste (25.) Krankenhaustag in Düsseldorf ein- dringlich hin – wird auch zu einer Verrin- gerung der Weiterbildungsmöglichkei- ten in den Krankenhausfachabteilungen führen, weil eine verkürzte Verweildauer mit einer Konzentration der stationären Behandlung auf wenige Krankenhäuser eine stärker fachärztlich orientierte Be- handlung erfordert (Facharztstandard als Haftungsmaßstab nach höchstrich- terlicher Rechtsprechung). Wenn aber die Weiterbildungsmöglichkeiten ver- knappt werden, sinkt auch die Zahl der weitergebildeten Fachärzte, wenn die Weiterbildung nicht im ambulanten Sektor aufgefangen werden kann. Dies wird aber mangels „finanzieller und per- soneller Masse“ kaum möglich sein.

Verlagerungseffekte

Ein zusätzlicher Bedarf an einer geord- neten Übernahme frühzeitig aus der stationären Behandlung entlassener Krankenhauspatienten in eine stationä- re, teilstationäre oder ambulante Nach- betreuung durch qualifizierte Fachärzte kann auch daraus resultieren, weil ein stärkeres Leistungssegment für die sta- tionsersetzenden und ambulanten Ope- rationen reserviert wird (Grundlage:

§ 115 a SGB V).

Dabei sind fünf mögliche Entwick- lungstendenzen denkbar:

> Das Krankenhaus übernimmt die Nachbetreuung nach Maßgabe von

§ 115 a SGB V als Krankenhausinsti- tutsleistung durch angestellte Fachärzte in eigener Regie. Dies setzt allerdings

voraus, dass ausreichend viele ange- stellte Fachärzte zur Verfügung stehen, um diese Zusatzaufgaben zu überneh- men. Wegen des bereits feststellbaren akuten Facharztmangels in den Kran- kenhäusern (am meisten in den neuen Bundesländern) ist diese Kompetenzer- weiterung des Krankenhauses aller- dings tatsächlich nicht darstellbar – trotz Abbau der stationären Behand- lung und des steigenden Patienten- durchsatzes (Arbeitsverdichtung) im Krankenhaus.

> Weitere Alternative: Das Kranken- haus schließt Verträge mit niedergelas- senen Fachärzten, die sich im Umkreis des Krankenhauses zulassen, und über- trägt diesen konsiliarisch die Nachbe- handlung im Rahmen von § 115 b SGB V gegen Zahlung einer Vergütung aus den Pauschalentgelten. Für das Kranken- haus hat dies den Vorteil, dass die unter Vertrag genommenen Fachärzte gleich- zeitig als Einweisende in die stationäre Behandlung tätig werden.

>Das Krankenhaus entlässt den Pa- tienten nach Abschluss der Akutbe- handlung und stellt es dem Patienten frei, eine eigene Nachbehandlung zu or- ganisieren. Das Krankenhaus benennt lediglich die Haus- und Fachärzte. Die- se Option könnte aber für das Kranken- haus ein erhöhtes Haftungsrisiko be- deuten, wenn dadurch eine Versor- gungslücke entsteht, die das Behand- lungsrisiko erhöht.

> Das Krankenhaus wird über das bisherige gesetzlich zulässige Maß für die ambulante fachärztliche Versor- gung geöffnet (klinikambulatorisches Operieren) und kann im größeren Um- fang mit angestellten Ärzten nicht nur an der ambulanten Nachbehandlung teilnehmen, sondern auch die ambu- lante fachärztliche Versorgung durch- führen. Hiergegen gibt es allerdings bei Beibehaltung der gesetzlichen Bedarfs- planung für die Kassenzulassung ver- fassungsrechtliche Einwände.

> Die Krankenkassen schließen mit Krankenhäusern unter Einbezie- hung zugelassener Vertragsärzte Inte- grationsversorgungsverträge und ertei- len diesem Verbund aus Krankenhäu- sern, Fachärzten, Hausärzten und mögli- cherweise auch Rehabilitations- und Pflegeeinrichtungen einen Gesamtver- sorgungsauftrag für gesetzlich Versi-

cherte, die diese Betreuungsform wäh- len (Struktur analog den Health Mainte- nance Organizations).

Erhöhte Anforderungen an eine strukturierte Versorgung von chronisch Erkrankten lösen auch die gesetzlich verankerten DMP aus. Die festgelegten Krankheitsbilder sollen auf der Grundla- ge evidenzbasierter Leitlinien und von Clinical Pathways im Krankenhaus er- bracht werden. Daraus kann auch eine Umstrukturierung der fachärztlichen Anforderungen, Kompetenz und Ver- sorgung resultieren, insofern Spezial- behandlungsprogramme überwiegend in bestimmten Praxen (Schwerpunktpra- xen) und Versorgungsketten mit er- höhten qualitativen Anforderungen er- bracht werden (müssen). Die Kranken- häuser werden versuchen, um einer vor- schnellen Schließung durch die Bedarfs- pläne der Länder zu entgehen, in diesem Bereich auch ambulatorisch zu expan- dieren, um den Verlust an stationären Behandlungsmöglichkeiten durch eine ambulant ausgerichtete Schwerpunkt- praxis wettzumachen. Allerdings wird dies ebenso wie das ambulante Operie- ren entscheidend davon abhängen, wie die Vergütungsbedingungen gestaltet werden. Hier sind durch die geltenden sektoralen Budgets enge Grenzen ge- setzt. Heute gibt es bereits gravierende Disparitäten in der Finanzierung, die ei- nen Trend zur fachärztlichen Versorgung am Krankenhaus forcieren könnten, wie Dr. med. Axel Munte, der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Bay- erns, München, beim Fachärztetag in Köln betonte. Die Öffnung der Hoch- schulambulanzen, die Einführung von stationären Fallpauschalen für typisch ambulante Eingriffe (wie etwa für die Kolposkopie) mit einer drei- bis vierfach höheren Vergütung führen zu einer fi- nanziellen Auszehrung der Praxen nie- dergelassener Fachärzte. Die honorarpo- litischen Rahmenbedingungen und die ungleiche Finanzierung von Facharzt- praxen und Krankenhäusern benachtei- ligen die niedergelassenen Fachärzte.

Die Investitionskosten der Kranken- häuser (rund 10 Prozent der Gesamt- kosten) werden im stationären Sektor durch den Staat gezahlt, der niedergelas- sene Facharzt als risikotragender Unter- nehmer muss diese aus seinem Umsatz bestreiten. Dr. rer. pol. Harald Clade P O L I T I K

A

A232 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 531. Januar 2003

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Bei den berufstätigen Ärzten hat die Zuwachsrate ebenfalls deut- lich über dem langfristigen Durch- schnitt gelegen: fast 6500 Ärztinnen und Ärzte Netto-Zugang bedeutet über

ur operativen Behandlung ei- ner Vielzahl von Krankheitszu- ständen hat sich im Laufe der letzten Jahre das endoskopische Ver- fahren gegenüber dem offenen Ver- fahren schon

Denn je weiter das Krankenhaus geöffnet wird, desto schwerwiegender werden die Auswirkungen auf die ambulante fachärztliche Versorgung sein, und de-.. sto entscheidender wird

Daraus geht hervor, daß in allen Bundeslän- dern Regelungen über die Berufs- pflichten der Ärzte, die die Ver- pflichtung zur Versorgung von Pa- tienten auch an Wochenenden

> Das Krankenhaus wird über das bisherige gesetzlich zulässige Maß für die ambulante fachärztliche Versor- gung geöffnet (klinikambulatorisches Operieren) und kann im größeren

„Wir müssen über neue Wege nachdenken – über eine Stär- kung des kooperativen Belegarztwesens, über eine Konsiliartätigkeit der nieder- gelassenen Fachärzte im Krankenhaus

Ich glaube, dass man die KVen, auch wenn ihre Rolle gegenüber den Ärzten als Selbstkon- trollorgan nicht immer ange- nehm ist, in Zukunft eher stärken muss, als dass man sie

Nach Befragungen der DKG werden 14 Prozent der Krankenhäu- ser die interne Budgetierung erst mittel- oder langfristig einführen, nur 16 Prozent aller befragten