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(l) Das Elterngebot wird hier wie in einer breiten jüdischen Tradition auf die Versor¬ gung der alten Eltern bezogen

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(1)

ALTERSVERSORGUNG, BEGRÄBNIS UND ELTERNGEBOT

Von Bernhard Lang, Reutlingen

In Mechilta Exodus lesen wir zu Ex 20,12: "Ehre deinen Vater und deine

Mutter. Da höre ich, daß es durch Dinge zu geschehen habe. Die Schrift sagt

nämlich: Ehre den Herrn mit deiner Habe, Spr 3,9; ebenso ehre die Eltern

mit Speise und Trank, mit Kleidung und Reinigung (der Kleidung)." (l) Das

Elterngebot wird hier wie in einer breiten jüdischen Tradition auf die Versor¬

gung der alten Eltern bezogen. Die jüdische Tradition enthält darüber hinaus

die Bestimmung, die Versorgung der Eltern habe aus deren eigenem Vermö¬

gen und nur im Notfall aus Mitteln des Sohnes zu erfolgen; der Sohn kann so¬

gar gerichtlich zur Erfüllung dieser Pflicht gezwungen werden (2). Die jü¬

dische Tradition weiß also, daß die Alten zu den oft mittellosen Mitgliedern

der Gesellschaft gehören und des besonderen rechtlichen Schutzes bedürfen.

Nicht immer war dieser Schutz wirksam. So nennt Ezechiel "Vater und Mut¬

ter" neben Fremden, Witwen und Waisen als personae miserae (Ez 22,7),

und Jesus rügt das Umgehen der Sorgepflicht für die Eltern, wobei er eigens

auf das Dekaloggebot hinweist (Mk 7,8-13). Wie der jüdischen, so ist auch

der christlichen Tradition die konkret-rechtliche Bedeutung des Elterngebots

keineswegs fremd: der Kirchenvater Cyrill im Osten kennt sie ebenso wie

Ambrosius im Westen (3); Luther in seinem Großen Katechismus von 1529

ebenso wie der tridentinische Katechismus von 1566, wobei letzterer eigens

betont, man sei den Eltern ein christliches Begräbnis schuldig. Das deutsche

Märchen- und Erzählgut steht hier wie oft auf der Seite der Schwachen und

überschreibt eine moralisierende Erzählung über die Nachlässigkeit in der

Versorgung des alten Vaters gleich mit ihrer Quintessenz: "Man soll vatter

und mutter in eren han", oder einfach: "Das vierte Gebot " (4).

Neuere wissenschaftliche Arbeiten wissen, daß das Elterngebot nicht vom

Verhältnis immündiger Kinder zu ihren Eltern handelt, sondern sich an er¬

wachsene Kinder betagter Eltern richtet. Jedoch verweisen sie mit Ausnah¬

me von Wilhelm Caspari (5) nicht auf den konkreten Inhsilt des "Ehrens": die

Altersversorgung und das Begräbnis. Daß es sich aber eben darum handelt,

sollen die nun folgenden Beobachtungen plausibel machen.

1. Altersversorgung in Israel

Im Alten Testament gibt es nicht sehr viele Belege für die Pflicht der Kin¬

der, ihre alten Eltern zu versorgen. Nur in einem Fall erfahren wir von den

"normalen" Verhältnissen der Altersversorgung: in der Geschichte von Jakob

und Esau (Gen 27). Der alte und schon blinde Isaak wird von seinem ältesten

Sohn Esau versorgt - so muß man die Geschichte wohl verstehen. Der äl¬

teste Sohn hat die Sorgepflicht und dafür auch den größten Anteil am Erbe (Dtn

21,17). Esau geht für seinen Vater auf die Jagd, um für ihn eine Mahlzeit

herzurichten. Bis hierher wäre die Geschichte garnicht wert, berichtet zu

werden. Aber dann beginnt die dramatische Verwicklung: mit der Mahlzeit

(2)

kommt ihm sein jüngerer Bruder Jakob zuvor - aber das interessiert uns hier nicht mehr.

Alle anderen Texte des Alten Testaments beziehen sich auf verwickelte oder

jedenfalls eigen gelagerte Fälle. Was immer der ursprüngliche Sinn der Le¬

viratsehe ist, sie dient auch dazu, die kinderlose Witwe durch Eingliederung

in die Familie ihres Schwagers zu versorgen; die außerisraelitischen Vari¬

anten der Schwagerehe hatten denselben Sinn (6). Das Büchlein Rut ist eine

reizende Geschichte über das Thema Altersversorgung und Leviratsehe. Zu¬

erst versorgt die verwitwete Schwiegertochter Rut ihre ebenfalls verwitwete

Schwiegermutter Noemi (Rt 2,11; 3,17). Als dann Noemi ein Stück Land an

Boas verkauft und der Käufer die Rut heiratet (7) und Rut einen Sohn bekommt,

dann sind die beiden Frauen ihre Sorgen los: nicht nur Boas versorgt die bei¬

den Frauen, sondern auch der Sohn der Rut wird ihnen eine Stütze im Alter

sein. Als Rut ihren Sohn zur Welt bringt, finden sich die Nachbarinnen zum

Glückwunsch ein. Sie sagen zu Noemi, der ersten Schwiegermutter von Rut:

"Du wirst jemand haben, der dein Herz erfreut und dich im Alter versorgt

( u-l^-kalkel 'ät-sebatek ); denn deine Schwiegertochter, die dich liebt, hat

ihn geboren, sie, die mehr wert ist, als sieben Söhne" (Rt 4,15). Schon im¬

mer war Rut für Noemi eine Stütze, "mehr als sieben Söhne" - sie ersetzte

Noemi die eigenen Kinder und übernahm deren Pflichten. Der Glückwunsch

der Nachbarinnen an Noemi läßt sich noch aus Ps 127 illustrieren: (8) dort

gilt der nicht weniger poetische Gruß dem Vater eines neugeborenen Sohnes;

der Überbringer des Glückwunsches hebt hervor, welchen Beistand der (alte)

Vater von seinem Sohn haben wird, etwa vor Gericht - auch das gehört zu

den Sohnespfliohten (und ist eine vornehmere Pflicht als die Jes 51,18 vor¬

ausgesetzte: das Stützen des betrunkenen Vaters).

Auf dem Hintergund der Sorgepflicht verstehen wir auch den Schluß der

Josefsgeschichte. Als in Kanaan Hungersnot ausbricht, versorgt Josef sei¬

nen Vater Jakob. Er läßt ihn nach Ägypten kommen, sorgt für seinen Unter¬

halt und läßt ihn schließlieh - als letzte Ehre - prunkvoll bestatten (Gen

45-50). Das Besondere dieser Geschichte ist, daß Jakob nicht von seinem

ältesten, sondern von seinem jüngsten Sohn versorgt wird. Aus dieser Er¬

zählung wird aueh deutlich, daß die Bestattung zu den selbstverständlichen

Sohnespflichten gehört; nur im Falle des Nasiräergelübdes macht das Ge¬

setz Israels eine Ausnahme und überträgt die Bestattung anderen (Num 6,7).

Naeh 1 Sam 22, 3f hat David in seiner "Freibeuter"-Zeit seine alten El¬

tern mit sieh geführt und zeitweise beim König von Moab unterbringen und

versorgen lassen - das wohl deshalb, weil er ihnen seine abgelegenen und un¬

bequemen Schlupfwiikel nicht zumuten konnte. Vielleicht spielt der Text auf

die Sitte am, alte Menschen am Königshof in Ehrenpension zu nehmen. Diese

Sitte läßt sieh immerhin einmal sicher belegen: Nach 2 Sam 19,32-41 bietet

David dem greisen Barsillai an, ihn in Jerusalem zu versorgen; von dem

ausgesehlagenen Angebot macht dessen Diener Kimham Gebraueh. Hierher

gehört wohl auch das ausgesehlagene Angebot des babylonischen Kommandan¬

ten Nebusaradan an den greisen Jeremia, ihn nach Babylon mitzunehmen und

dort ehrenvoll zu versorgen (Jer 40,1-6). Solche Alterspensionen waren

am babylonischen Hof offenbar nieht ungewöhnlich: König Ewii-Merodaeh hat

Jojaehin nach 37jähriger Haft begnadigt und an seinem Hof in Babylon ver¬

sorgt (2 Kön 25,27ff).

Wie für die biblisehe Zeit, so haben wir auch für die nachbiblisehe Zeit

(3)

nicht sehr viele Zeugnisse für die Sorgepflicht der Kinder (9). Im Buch To¬

bias ist die Pflicht, Vater und Mutter zu begraben, eigens erwähnt (Tob 14,9).

Darüber hinaus mag es genügen, eine kuriose Bemerkung Philons anzuführen.

In seiner Auslegung des Elterngebots nennt er die (angebliche) Fürsorge der

jungen Störche für ihre alten Eltern (Über den Dekalog 113-118). Die Fabel

über die Pietät der Störche und ihre "Biologie der Zehn Gebote" (W. Wickler)

findet sich übrigens schon bei Aristophanes (10).

2. Altersversorgung in der Umwelt Israels

In der Umwelt Israels waren die Verhältnisse nicht anders: überall haben

die Kinder ihre betagten Eltern zu versorgen. So halten assyrische Gesetze

die Versorgung der Witwe durch ihre Söhne eigens fest (ll). Die ägyptische

Lehre des Anii fordert den Sohn zur Dankbarkeit gegen die Mutter auf: er sol¬

le ihr doppelt so viel Brot geben wie sie ihm einst (12). Eine schon ältere

Ägypterin namens Naunachte enterbt einige ihrer Kinder, weil diese sich nicht

um sie kümmern (13), denn der Ägypter erbt nur, wenn er als Gegenleistung

die Altersversorgung und die Bestattung des Erblassers sicherstellt (14). In

Ugarit belegt ein epischer Text, daß der Sohn seinen Vater z.B. vor Gegnern

verteidigt und schützt (vgl. Ps 127, 4f); ihn "bei der Hand nimmt", wenn er

betrunken ist (vgl. Jes 51,18)j kultische Pflichten als sein Nachfolger über¬

nimmt; ihm die (jeweils vor der Regenzeit fällige)(l5) Reparatur des flachen

Hausdachs abnimmt und für saubere Kleidung sorgt (16). Der in Sichem ge¬

fundene Keilschriftbrief handelt vielleicht von Bediensteten, deren Lohn aus¬

bleibt und die daher ihre alten Eltern nicht versorgen können (17). In Athen

ist die Sorgepflicht der Kinder durch Gesetz geregelt und auf Vernachlässi¬

gung steht Strafe und Verlust der Kandidatur für öffentliche Ämter (18).

Besonders aufschlußreich sind Zeugnisse für die Sorgepflicht der Kinder

des Zweistromlandes. Eine altbabylonische Adoptionsurkunde enthält folgen¬

den Passus: (19)

Asukija ist (von nun an) sein Vater und — (NN) seine Mutter. Solange

sie leben, wird er sie ehren und sie versorgen (i-pal-la-ab-su-nu it-ta ¬

na-bal-su-nu) . Außerhalb und innerhalb der Stadt wird er ihnen Ehrfurcht

erweisen ( pa-la-fai-su-nu e-pa-as) .

Die Adoptionsurkunde enthält nicht nur einen Hinweis auf das neue Sohnesverhält¬

nis des Adoptivsohnes, sondern umschreibt auch seine Pflichten: er muß sei¬

ne Eltern ehren, d.h. in erster Linie: er muß sie im Alter versorgen. In Nu¬

zi wurden zahlreiche Adoptionsurkunden aus der Zeit um 1400 v.Chr. gefun¬

den; sie geben uns über die Sohnespflichten noch nähere Auskunft. So be¬

stimmt eine Urkunde, der Adoptivsohn Wullu habe seinem Adoptivvater "Nah¬

rung und Kleidung" zu geben (20). In einem anderen Vertrag verlangt die Adop¬

tivmutter von ihrem adoptierten Sohn lediglich, daß er sie "wie eine Mutter

ehrt" (2l). Dabei meint "ehren" ( palafau ) nichts andres als "versorgen".

Ein weiteres Dokument sagt, der Ädoptivsohn solle seinen Adoptivvater eh¬

ren, und legt auch fest, wie das zu geschehen habe: (22)

Jedes Jahr soll Chutija an Chanadu ein Gewand als Kleidung, fünf Esels¬

lasten Gerste und zwei Eselslasten Weizen als seinen Unterhalt liefern.

Wenn Chanadu stirbt, soll ihn Chutija beweinen und ihn begraben.

Um diese Leistung erbringen zu können, erhält Chutija das gesamte Vermö¬

gen seines Adoptivvaters. - Zum Schliiß noch ein Spruch von einem altbaby¬

lonischen Tafelfragment: "Wenn einer seinen Vater nicht ehrt (la i-pa-la-afa ).

(4)

geht er schnell zugrunde. "(23) Eine hübsche Parallele zur Formulierung des

Dekalogs !

3. Zur Semantik von "ehren"

Man darf sich das "Ehren" im Alten Testament nicht abstrakt vorstellen -

meist sind es Geschenke und Gaben, mit denen jemand geehrt wird. Der kana¬

änitische König Balak will den Seher Bileam ehren, wenn dieser einen Fluch

gegen Israel schleudert (Num 24, llff). Mit "ehren" ist dabei keine inhalts¬

lose Geste gemeint, sondern eine reiche Belohnung, ein Honorar. So ist denn

auch gleich von einem "Haus voll Silber und Gold" die Rede. Als kultischer

Terminus bezeichnet "ehren" die Ehre, die man Jahwe oder einem anderen

Gott durch Abgaben erweist, etwa durch Darbringen von Feldfrüchten, Tieren

oder auch durch Silber- und Goldwaren (Spr 3,9; Mal 1,6; Dan 11,38). Ein¬

mal wird ein Priester von Schilo getadelt, weil er seinen clerus minor mehr

als Jahwe "ehrt", d.h. konkret: weil er einen zu großen Opferanteil für das

Tempelpersonal einbehält (iSam 2,29). Nur ein einziger Text, Mal 1,6, läßt

durchscheinen, daß die Ehrung Jahwes durch Gaben ihre Entsprechung in der

Ehrung des menschlichen Vaters hat.

Auch außerhalb des Hebräischen haben die semantischen Äquivalente für

"ehren" eine durchaus konkrete Bedeutung. Das gilt für das akkadische paläfau

und kubbutu ebenso wie für das ägyptische imabw , für das griechische t lm-I^

ebenso wie für das lateinische honor und honorarium . In den Adoptionsurkun¬

den aus dem Zweistromland ist uns das Verb palafau bereits begegnet; es be¬

deutet nicht nur "einen Menschen respektvoll behandeln", sondern umschreibt

das pietätvolle Verhalten des Adoptivsohnes und impliziert die oft einzeln ge¬

nannten Pflichten. Für paläbu kann auch kubbutu stehen, ein Wort, das mit

dem hebräischen kibbed etymologisch verwandt ist (24). Das ägyptische Ad¬

jektiv un|jjw bedeutet "(durch ein Einkommen) versorgt", aber auch in einem

mehr abstrakten Sinn "geehrt" (25). Das griechische TL[if) ist "stark ma¬

teriell orientiert", (26) was dem aufmerksamen Leser von Septuaginta und

Neuem Testament nicht entgeht. So verläßt Paulus die Insel Malta nicht, ohne

daß er besonders geehrt, d.h. mit allem Nötigen versehen wird (Apg 28,10).

Wenn die Gemeindevorsteher "doppelter Ehre ( TLiii*! ) für wert erachtet wer-

den"(l Tim 5, 17) soll, dann sichert ihnen diese Bestimmung ein gutes Einkom¬

men. Ebenso verhält es sich mit den Anweisungen "Ehre den Arzt!" (Sir 38,1

LXX), "Ehre den König!" (1 Petr 2,17) und"Ehre die Witwen!" (l Tim 5,3):

der Arzt bekommt ein Honorar, der König Steuern und die Witwe erhält in ur¬

christlicher Zeit ein Honorar für Gebete, die sie nicht nur als fromme Übung,

sondern auch zur Sicherstellung ihrer Altersversorgung verrichtet (27).

Schließlich steht auch der konkrete Sinn von honor und honorarium fest. Noch

heute meint Honorar nach dem lateinischen honorarium das Entgelt des Arz¬

tes, Rechtsanwaltes oder Schriftstellers. Aus der Kirchengeschichte läßt sich

die Ehrung der Gäste anführen, die Benedikt von Nursia seinen Mönchen zur

Pflicht machte: omnibus congruus honor exhibeatur (Regula S. Benedicti 53);

"allen Gästen die gebührende Ehre erweisen" meint natürlich: jeder Gast soll

standesgemäß untergebracht und versorgt werden.

Der Semantik von "ehren" entspricht die Semantik der Opposita: die Eltern

"verachten" (28) und ähnliche Ausdrücke bedeuten, sich nicht um ihre Ver¬

sorgung kümmern. Dafür ein Beispiel. Spr 19,26 heißt es: "Wer den Vater

mißhandelt, die Mutter wegjagt, ist ein verkommener, schändlicher Sohn. "

(5)

Es gibt nichts Schlimmeres, als seine alten Eltern unversorgt auf die Straße zu setzen.

4 . Das Elterngebot im Dekalog

Zuletzt ein Hinweis darauf, wie sich das Elterngebot in den Dekalog ein¬

fügt.

Erstens: Wie die übrigen Gebote bezieht es sich auf eine konkrete, äußer¬

lich feststellbare Handlung. Das Verbot "Begehre nicht deines Nächsten Frau"

ist nur scheinbar eine Ausnahme: es verbietet nicht den Neid als innere Re¬

gung (wie man lange gemeint hat), sondern eine konkrete Handlung, wie zu¬

letzt W.L. Moran (29) nachgewiesen hat. Es ist verboten, einen anderen aus

seinem Besitz zu verdrängen und sich an seine Stelle zu setzen. Wahrschein¬

lich ist auch die Totalpfändung verboten.

Zweitens: Wie die übrigen Dekaloggebote bezieht sich das Elterngebot auf

ein Kapitalverbrechen, auf dem Todesstrafe steht. Nur scheinbar fallen das

Verbot des Diebstahls und das Verbot des falschen Zeugnisses aus der Reihe.

Sie empfehlen nicht allgemein ein hohes Eigentums- und Wahrheitsethos, son¬

dern verbieten Menschenraub (30) und die Falschaussage in einer Kapital¬

sache vor Gericht.

Drittens: Wie die übrigen Dekaloggebote ist das Elterngebot Glied eines

Gebotspaares. Hartmut Gese (31) hat auf diesen Sachverhalt hingewiesen:

das erste und zweite, dritte und vierte, fünfte und sechste Gebot usf. gehö¬

ren zusammen und umschreiben jeweils einen gemeinsamen Rechtsbereich.

Das Elterngebot gehört, nach der masoretischen Uberlieferung gezählt, zum

Tötungsverbot. Aber hier wird man mit Gese die abweichende Reihung des

Papyrus Nash, Philons (Uber den Dekalog 121) und eines Teils der Septua¬

ginta vorziehen und das Verbot des Ehebruchs mit dem Elterngebot zusam¬

mennehmen. Das ergibt ein schönes Gebotspaar: das Verbot des Ehebruchs

schützt die Familie vor Zerstörung von außen, das Elterngebot schützt sie

vor innerem Zerfall. Somit gehört das Elterngebot zu den wichtigsten gesetz¬

lichen Regelungen Israels. Erst eine spätere Zeit hat das Reihungsprinzip

verkannt und das Eitergebot auf die religiöse Dekalogtafel gestellt (32). Auf

diese Weise wurden die Eltern mit göttlicher Autorität ausgestattet. Der

Preis dafür war groß: man hat die Krücke der Betagten gegen den Prügel

für die Kinder eingetauscht.

Anmerkungen

1. Mechilta d'Rabbi Ismael zu Ex 20,12 (ed. H.S. Horovitz/l.A. Rabin,

Frankfurt 1931, 231). Die Reihe "Speise, Trank, reine Kleidung" begeg¬

net hier in einer - sehr sachgemäßen! - Übertragung; ursprünglich

wird mit "Speise, Trank, reiner Kleidung" Gott am Feiertag geehrt, vgl.

etwa Sifre Num § 147 zu Num 28,18. Der Wortlaut weiterer Listen von

Sohnespflichten und ihre schriftgelehrte Diskussion ist wiedergegeben bei

Strack-Billerbeck I 7o5ff, III 614. Vgl. F. Böhl, Das rabbinische Ver¬

ständnis des Handelns in der Nachahmnung Gottes: Zeitschr. für Missi-

onswiss. Religionswiss. 58 ( 1974) 134-141 hier 139f.

2. Strack-Billerbeck I 709; G. Blidstein, Honor Thy Father and Mother.

Filial Responsibility in Jewish Law and Ethics, New York 1975.

3. Cyrill von Jerusalem, Taufkatechese VII 15f; Ambrosius, Lukaskommentar

VIII 73-79.

(6)

4. J. Bolte/G. Poh'vka, Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der

Brüder Grimm II, Leipzig 1915, 136.

5. Die Bedeutung der Wortsippe kbd im Hebräischen, Leipzig 1908, 34-48.

In manchen vorkritischen Bibelkommentaren finden sich ähnliche Ausle¬

gungen, etwa bei Hugo Grotius und A. Calmet.

6. W. Kornfeld, Schwagerehe, in: H. Haag, Bibellexikon, Einsiedeln ^1968,

1561f.

7. Vgl. Th. and D. Thompson, Legal Problems in the Book of Ruth: VT 18

(1968) 79-99; D.A. Leggett, The Levirate and Goel Institutions in the Old

Testament, Cherry Hill N.Y. 1974.

8. Vgl. H. Schmidt, Grüße und Glückwünsche im Psalter: Theol. Studien

und Kritiken 103 (1931) 141-150, hier 146ff, und unten, Anm. 16. -

Analog wird der Verlust eines Kindes beklagt: "Die keine Tochter hat,

wird durstig sterben, obwohl die Wasserflasche neben ihr ist, da ihre

Hand entkräftet ist." Dieses Beispiel aus: P. Kahle, Die Totenklage im

heutigen Ägypten, in: Eucharisterion (FRLANT 36,1) Göttingen 1923,

346-399 hier 361 (Nr. 16).

9. Sir 3,12; Tob 4,3; 14, llff; Jubiläen 29,20; Sibyllinen II 273ff (Hennecke-

Schneemelcher II 5o7f); Joh 19,26f; 1 Tim 5,8 ("Wenn Jemand für seine

Angehörigen und besonders für seine Hausgenossen nicht sorgt, so ...

ist er schlimmer als ein Ungläubiger."). - Altersversorgung durch die

Kommunität kannten die Essener, vgl. Philon, Uber die Freiheit des

Tüchtigen 87; Eusebius, Wegbereitung des Evangeliums VII 11; städtisch¬

kommunale, wenngleich entehrende Armenrente kannten die Athener, vgl.

M.E. Pfeffer, Einrichtungen der sozialen Sicherung in der griechischen

und römischen Antike, Berlin 1969, 63-67.

10. Aristophanes, Vögel 1355ff: "Wofern ein Storchenvater alle seine Störch-

linge solange, bis sie flügge sind, ernährt hat, so sollen jene selbigen,

die Jungen, den Vater wiederum ernähren." Vgl. dazu: O. Keller, Die

antike Tierwelt II, Leipzig 1913 (repr. Hildesheim 1963), 193; A. Steier,

Storch, in: Pauly-Wissowa II, 17, 67-73 hier 71. Diese antike Argumen¬

tationsweise ist keineswegs veraltet: auch die moderne Verhaltensfor¬

schung verweist auf Tier-Analoga zum Elterngebot: W. Wickler, Die Bio

logie der Zehn Gebote, München 1971, 184f.

11. Assyr. Recht A § 33, § 46 (G. Cardascia, Les lois assyriennes, Paris

1969, 177f, 226ff).

12. ANET 420f; H. Brunner, Altägyptische Erziehung, Wiesbaden 1957, 166.

13. S. Allam, Hieratische Ostraka und Papyri aus der Ramessidenzeit, Tü¬

bingen 1973, 268-274 (vgl. ebd. 258-267, Schlußsatz der Urkunde). Vgl.

W. Helck, Altersversorgung, in: Lexikon der Ägyptologie I, Wiesbaden

1975, 158f; T. Mrsich, Erbe: ebd. 1235-1260 hier 1245; E. Seidl, Die

Unterhaltspflicht der Töchter und die Kaufehe in den Papyrusurkunden,

in: Atti dell' XI Congresso intemazionale di Papirologia 1965, Mailand

1966, 149-155 (zu Herodot II 35). In Ägypten gab es vielleicht Fälle, in

denen der Adoptivsohn die Auflage erhielt, den Totenkult des Adoptiv¬

vaters durchzuführen, doch sind die Quellen nicht ganz eindeutig, vgl.

S. Allam, De l'adoption en Egypte pharaonique: OrAnt 11 (1972) 277-

295 hier 278f. Der Totendienst ist selbstverständlich Pflicht der Söhne,

jedoch versucht man ihn durch Stiftungen zu sichern: S. Allam, Vom

(7)

Stiftungswesen der Alten Ägypter: Das Altertum 20 (1974) 131-146.

14. E. Seidl, Vom Erbrecht der alten Ägypter: ZDMG 107 (1957) 270-281.

15. So richtig U. Cassuto, Daniel et son fils dans la tablette II D de Ras

Shamra: REJ 105 (1939/40) 125-131 hier 129f; vgl. bTaCanit 6a; Sifre

Dtn § 42 (ed. L. Finkelstein, Berlin 1939, 89); G. Dalman, Arbeit und

Sitte in Palästina I, Gütersloh 1928, 188f; T. Canaan, The Palestinian

Arab House II: JPOS 13 (1933) 1-83 hier 24. Wie unangenehm ein leckes

Dach ist, erfahren wir Spr 19,13; 27,15.

16. 2 Aqht II 16-23. Vgl. Cassuto, Daniel; A. van Selms, Marriage and

Family Life in Ugaritic Literature, London 1954, 100-103; O. Eißfeldt,

Sohnespflichten im Alten Orient: Syria 43 (1966) 39-47 = Kleine Schrif¬

ten IV, Tübingen 1968, 264-270; A. Caquot/M. Sznycer/ A . Herdner,

Textes ougaritiques I, Paris 1974, 424f.

17. In diesem Sinne: F.M.T. de Liagre Böhl, Der Keilschriftbrief aus Sichem:

Baghdader Mitteilungen 7 (1974) 21-30. Allerdings ist der Brief stark

zerstört, so daß keine Sicherheit darüber zu gewinnen ist.

18. W.J. Woodhouse, in: L. Hastings, Encyclopaedia of Religion and Ethics

IX, Edinburg 1917, 471; C. Spicq, Les epitres pastorales I, Paris 4i969,

526f; J. Poncet, En marge des grands auteurs: Les etudes classiques

43 (1975) 129-146 hier 137ff.

19. M. David, Die Adoption im altbabylonischen Recht, Leipzig 1927, 101

(VAT 8947).

20. ANET 219f; CJ. Gadd, Tablets from Kirkuk: RA 23 (1926) 49-161 hier

126f ( Gadd Nr. 51,6).

21. Gadd, Tablets 94f (Gadd Nr. 9,13).

22. E.-M. Cassin, L'adoption a Nuzi, Paris 1938, 278f (Nuzi Nr. 59). Zu

den Nuzi-Urkunden vgl. bes. T.L. Thompson, The Historicity of the

Patriarchal Narratives (BZAW 133) Berlin 1974, 196-297.

23. E. Ebeling, Reste akkadischer Weisheitsliteratur: MAOG 4 (1928/29)

21-29 hier 28f (KAR VIII, 300).

24. Auf paläbu als Äquivalent zu hebr. kibbed wies hin: A. Gustavs, Pa¬

rallelen zur alttestamentlichen Gesetzesbestimmung in akkadischer Weis¬

heitsliteratur: ZAW 48 (1930) 23 lf. Belege für palähu: Cassin, L'adop¬

tion 279, 285, 288, 290, 292; David,Adoption 59; für kubbutu : CAD K,

17f.

25. W. Helck, Wirtschaftliche Bemerkungen zum privaten Grabbesitz im

Alten Reich: MDAIK 14 (1956) 63-75 hier 68ff.

26. J. Schneider, tl^i^ , in: ThWNT VIII, 170-182, hier 171 (mit vielen

Belegen).

27. H.-W. Bartsch, Die Anfänge urchristlicher Rechtsbildungen (Theolo¬

gische Forschung 34) Hamburg 1965, 117-120; Spicq, Les epitres 525.

28. Spr 15,20, Vgl. Spr 20,20; 23,22; Ex 21,15.17; Lev 20,9; Dtn 27,16;

Klgl 5,12; Sir 23,15. Weitere Texte bei K. Berger, Die Gesetzesausle¬

gung Jesu (WMANT 40) Neukirchen-Vluyn 1972, 283f.

29. The Conclusion of the Decalogue: CBQ 29 (1967) 543-554. Es handelt

sich um die semantische Struktur "Emotion für Handlung", vgl. B. Lang,

Zum Verständnis der Bibel spräche: ThQ 155 (1975) 152f.

30. A. Alt, Das Verbot des Diebstahls im Dekalog: Kleine Schriften zur Ge¬

schichte des Volkes Israel I, München 1953, 333-340.

31. Der Dekalog als Ganzheit betrachtet, in: Gese, Vom Sinai zum Zion

(8)

(Beiträge zur evang. Theologie 64) München 1974, 63-80.

32. Philon, Uber den Dekalog 51 und 120; Berger, Gesetzesauslegung 284-

287; H. Kremers, Die Stellung des Elterngebots im Dekalog: Evangeli¬

sche Theologie 21 (1961) 145-161; Böhl, Das rabbinische Verständnis 140.

33. Eph 6,lf; Kol 3,20; Philon, Uber die Opfer Kains und Abels 68. Vgl.

B. Päschke, Religionspädagogische und sozialethische Erwägungen zum

vierten Gebot: Theologia practica 6 (1971) 114-129.

(9)

POESIE UND MAGIE IN GANT 4,12- 5,1

Von Hans-Peter Müller, Münster

Wir unternehmen im folgenden einen sehr partiellen Versuch, nach den

Wurzeln der lyrischen Sprache zu forschen, weil, wer ihrer ansichtig wird,

vielleicht auch der Sprache religiöser Verkündigung wieder gewisser werden

niag. Es wäre dies nicht das einzige Mal, daß das Schöne, nachdem es das

Heilige abgelöst, nun seinerseits dem Heiligen aufhilft: Gott hätte sich dann

gleichsam unter das mysterium tremendum et fascinosum des Ästhetischen

gebeugt als unter eine Knechtsgestalt unter vielen (l). Das Hohelied aber

würde dabei zugleich eine außergewöhnliche Probe seiner problematischen

Kanonizität bestehen und so die Weite der religiösen Sprachmöglichkeiten be¬

zeugen, über die das Alte Testament verfügt.

Die Funktion einer speziell magischen Sprache ist es, bei den Wurzeln des

vital-Mächtigen den Grund menschlicher Existenz namhaft zu machen; ent¬

sprechend hat die älteste Poesie einen ihrer Ursprünge beim Zauberspruch(2).

Binden wir Poesie und Magie aber im Blick auf das Hohelied zusammen, so

kann diese Verbindung freilich nur nach dem Maße einer "zweiten" Naivität

bestehen, wie sie im Lebensgefühl epigonaler Zeiten ihren Platz hat; aus re¬

ligionsgeschichtlichen Erwägungen setzen wir denn auch die Sammlung und

die Endfassung des Hohenliedes im 3. Jahrhundert vor Chr. an (3). Durch

das Stichwort der zweiten Naivität aber deuten wir zugleich eine Alternative

zu den Einseitigkeiten sowohl der natürlichen als auch der mythisch-kultischen

Deutung dieses Textes an, die beide ein naiv-ungebrochenes Wirklichkeits¬

verhältnis bei seinen Verfassern und Tradenten voraussetzen.

1. Ubersetzung

(4,12) Ein verschlossener Garten ist meine Schwester und Braut,

ein verschlossener Garten, ein versiegelter Quell.

(13) Deine Ranken (?) sind ein Granatapfelhain

mit köstlichen Früchten:

(14) Safran, Süßrohr und Zimt

mit allerlei Weihrauchhölzern,

Narde, Myrrhe und Aloe

mit den allerbesten Gewürzen.

(15) Der Gartenquell ist ein Brunnen lebendigen Wassers

und Ströme vom Libanon.

(16) Erwache, Nordwind - Südwind, so komm!

Wehe durch meinen Garten, daß seine Düfte strömen!

Mein Liebster komme in seinen Garten

und esse seine köstlichen Früchte!

(5,1) Ich komme in meinen Garten, meine Schwester und Braut,

rieche die Myrrhe mit meinen Gewürzen.

Ich esse meinen Honig mit meiner Süßspeise (?),

trinke meinen Wein mit meiner Milch.

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