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"Meine" Frauen im Alter

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Academic year: 2022

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(1)"Meine" Frauen im Alter. Autor(en):. Roth, Heidi. Objekttyp:. Article. Zeitschrift:. Akzent. Band (Jahr): - (1992-1993) Heft 2. PDF erstellt am:. 01.02.2022. Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-843623. Nutzungsbedingungen Die ETH-Bibliothek ist Anbieterin der digitalisierten Zeitschriften. Sie besitzt keine Urheberrechte an den Inhalten der Zeitschriften. Die Rechte liegen in der Regel bei den Herausgebern. Die auf der Plattform e-periodica veröffentlichten Dokumente stehen für nicht-kommerzielle Zwecke in Lehre und Forschung sowie für die private Nutzung frei zur Verfügung. Einzelne Dateien oder Ausdrucke aus diesem Angebot können zusammen mit diesen Nutzungsbedingungen und den korrekten Herkunftsbezeichnungen weitergegeben werden. Das Veröffentlichen von Bildern in Print- und Online-Publikationen ist nur mit vorheriger Genehmigung der Rechteinhaber erlaubt. Die systematische Speicherung von Teilen des elektronischen Angebots auf anderen Servern bedarf ebenfalls des schriftlichen Einverständnisses der Rechteinhaber. Haftungsausschluss Alle Angaben erfolgen ohne Gewähr für Vollständigkeit oder Richtigkeit. Es wird keine Haftung übernommen für Schäden durch die Verwendung von Informationen aus diesem Online-Angebot oder durch das Fehlen von Informationen. Dies gilt auch für Inhalte Dritter, die über dieses Angebot zugänglich sind.. Ein Dienst der ETH-Bibliothek ETH Zürich, Rämistrasse 101, 8092 Zürich, Schweiz, www.library.ethz.ch http://www.e-periodica.ch.

(2) G. KZENTE. «Meine» Frauen im Alter Als ich jünger war, wollte ich «besonders» sein und ganz anders als alle anderen. Heute freut es mich, wenn ich in mir keimen spüre, was andere gesät haben. Heute verstehe ich mich gern als Glied in einer langen Kette von Menschen, die vor mir waren oder nach mir kommen werden. Und ich schenke weiter, was ich auch geschenkt bekam. Je älter ich werde, umso dringender wird mir das Nachdenken über Menschen, die nicht mehr leben, die aber für meine Wege bestimmend bleiben. Ich suche ihre Fussstapfen. Ich finde die Spuren. ihrer Essenz. Die Mutter Wir wohnten nicht mehr in der gleichen Stadt, aber wir sahen uns oft, schrieben häufig, telefonierten viel. Als mein Mann gestorben war und ich nach Verzweiflung und Freudlosigkeit eine neue Heiterkeit fand und in der Welt der Pferde heimisch wurde, telefonierte sie oft: «Chind», sagte sie,. «gäll häsch Freud a dim Rössli?». Heute spüre ich erst, was sie damit wollte: die Mutter, die das Allein-Zurückbleiben auch kannte, wollte hören, dass es dem Kind wieder so gut wie möglich ging. Auch wenn es in einer Welt war, die nicht die ihre war. Manchmal nur ganz kurze Zwiesprache. Einfach: «Du bisch mer immer es Liebs gsi». Daran denke ich heute, wenn ich mir sage, dass ich nicht alles getan habe, was ich für sie hätte tun können. Wer tut das schon. Dass meine Mutter mir in herzlicher Voraussicht das schlechte Gewissen abgenommen hat, habe ich begriffen und will es auch versuchen. Die Grossmutter. war neun, als sie starb. Sie lebte im Altersheim, Zimmer auf einen MagnoIch. lienbaum. Sie hatte ihre Vorlieben, ihre Abneigungen und ihren Eigensinn. Sie war, was sonst nur noch in alten Schulbüchern vorkommt: die früh verwitwete Waschfrau mit neun Kindem, eins starb als Säugling, eins als junger Mann an der Grippe. «Mer cha scho, wämmer will», das war ihr Leitsatz- und der 23. Psalm «Der Herr ist mein Hirte» ihr Gebet. Eine Art Selbstbeschwörung, denke ich heute. Dass ihre Söhne sie fast bis zur Eifersucht der eigenen Frauen liebten und verehrten, darauf bin ich so stolz wie auf ein besonders starkes Stück Famiiiengeschichte: einmal, als wirklich alles ausweglos schien, ging sie zum Sozialamt. ihr «überreichte» Fräulein Das einen Fünfliber. Kommentar: wenn sie halt wiederkomme, müsse man die Kinder versorgen. «Dänn bhalted Sie Ihre Feufliber!» sagte die Grossmutter, und ich hoffe, sie hat ihn dem Fräulein an den Kopf geworfen. Auch so sind alle ihre Kinder etwas geworden. Etwas? Jemand.. Die Tante war die Älteste, und als einzige Schwester meiner Mutter auch meine Gotte. Ganz klein gewachsen, «weil sie immer für alle sorgen musste», sagten die Leute. Sie sang gern. Hatte eine vielversprechende Stimme. Und heiratete einen gehörlosen Mann, der uns gern das Märchen vom Fischer und «siner Fru» erzählte. Magere Verhältnisse. Aber der Sohn durfte doch studieren. Medizin. Psychiatrie. Sie lehrte mich schreiben durch Abschreiben: Sie schenkte mir ein Puppengeschirr-Porzellan-aus der Tschechoslowakei-ein Tässchen habe ich noch: über einem Leiterwägelchen schwebt ein Schmetterling. Als ihr Sohn seine Praxis eröffnete, sagte er zu seinen Sie. Patienten oft: «Ich mache nichts anderes als meine Mutter am Küchentisch: zuhören». Aber das stimmt nicht ganz. Den Leuten, denen sie zuhörte, schenkte meine Tante auch immer einen Tee ein. Die Meisterin. war 57 und ich noch nicht 19. Sie war Gründerin und Chefin der «Annabelle», ich frisch handelsdiplomiert und verzweifelt. Man hatte mir gerade eine Stelle angeboten, «sehr selbstständige Arbeit»: Rechnungen schreiben über fugenlose Bodenbeläge. «Versuch's doch auf dem Büro einer Zeitung», riet einer. Das war 1954. Und ich meldete mich aufs Geratewohl. Gesucht wurde niemand. Und Claudine liess mich kommen und gab mir DIE Chance. Schreiben, schreibend Erzählen wurde mein Beruf, weil da jemand war, der vom Gärtnern viel verstand und wusste, dass wir alle auf unsere Art Samen sind und nur im richtigen Boden und bei verständiger Sie. Pflege wachsen. Später habe ich von ihr Lebenskunst gelernt. Als sie schon alt und sehr krank war und ich vor einem Besuch nicht ganz sicher war, ob sie mich wirklich sehen wolle, sagte sie: «Kommen Sie doch es geht mir ja auch nicht gut, wenn Sie nicht da sind!» Von ihr habe ich den Ausdruck «feu sacré» zum erstenmal gehört. Heute suche ich dieses Feuer. Manchmal finde ich es. In anderen und im mir.. -. "Die Freundin Zuerst war sie meine Chefin: Nella Suter vom «alten» Pro. Zu Jahresbeginn schickte sie die Termin-Liste. Meine Kinder waren klein, der Weg zum Schreibtisch manchmal lang. Sie war unerbittlich. Zu meinem Glück.. Für alle Fälle «. ®. ®. «. «r. ® ». ». •. «. « # » * *. ». *. *». -. *. A. PRO SENECIUTE Für das Alter. Basler. Versicherungen.

(3) a KZENTE Fortsetzung von Se/te. S. der Mittelpunkt meiner Mitmenschen geworden: mein Interesse zuwenden: zuhören, andere erzählen lassen, die Flaschenentschlüsseln, auffischen, post weitergeben. ist. Das. Arbeit Man verliert sich selber und den eigenen Weg so leicht aus den Augen, wenn alle anderen ihre Ansprüche stellen. Dann wurde sie pensioniert. Wir wurden Freundinnen, reisten gemeinsam, und sie hatte die Grösse, in ihrer Behinderung - Gehstock, Herzbeschwerden, Übelhörigkeit - soviel Hilfe anzunehmen, wie sie brauchte, um selbständig zu bleiben. Man durfte ihr Kommissionen machen, aber nur gegen genaue Abrechnung («sonst kann ich Dich nie mehr um etwas bitten»), und wenn man sich zum Besuch anmeldete, fragte sie nicht nur: «Wann kommst Du?», sie fragte auch: «Wann gehst Du wieder?» und hielt keinen zurück. Sie sagte auch: man muss im Leben immer Freunde anderer Generationen haben, sonst wird man einseitig. Sie konnte so gut erzählen. Noch besser zuhören. Wenn einem ein kluger Mensch zuhört, weiss man selber wieder weiter.. Wenn mich jemand fragt, was ich zu «Frau im Alter» zu sagen habe Ich möchte im Alt-Werden Spuren hinterlassen. Wie meine Mutter. MeineGrossmutter. Meine Tante. Meine Meisterin. Meine Freundin. Meine Nachbarin.. Jung ist man von selber. Aber Altdas muss Werden, so alt werden man lernen. Das Seine sagen. Seine Essenz so bedenkenlos frei fliegen lassen wie der Löwenzahn seine Schirmchen. Wissen, man hat nicht mehr alle Zeit - hat aber diese Zeit - jetzt.. He/c// /?otb. Die Nachbarin Sie wohnte im. Stockwerk unter uns, als die Buben noch klein waren: das Fräulein Würz, pensionierte Sozialarbeiterin, herzkrank und sehr zerbrechlich. Schon die drei Stufen zum Briefkasten machten ihr zu schaffen. Aber sie hatte sich eine grosse Liebe bewahrt: die Liebe zu den Alten Griechen. Zweimal die Woche kam der Griechisch-Lehrer. Als wir auszogen, war sie bei Marc Aurel angelangt. Wir blieben im Kontakt. In einem letzten Brief schrieb sie, sie sei «nicht mehr viel wert», aber - und das weiss ich noch wörtlich: «ich kann immer noch meinen Mitmensehen mein Interesse zuwenden.». Der erste Schritt Frauen müssen sich - auch im Alter mit besonderen Problemen auseinandersetzen: Sie sind, da sie eine höhere Lebenserwartung als die Männer haben, viel eher mit dem Verlust eines geliebten Menschen konfrontiert. Dieses Abschiednehmen bedeutet für viele Frauen im hohen Alter eine Zeit grosser Trauer und schwieriger NeuOrientierung. Oft ist die hinterbliebene Frau auch in einem geschwächten Zustand, weil sie die eventuell über lange Zeit krank gewesene Person mit einem enormen Kraftaufwand bis zum Schluss gepflegt hat. Nach dem Trubel und den. 1/1/enn. e/'nem e/'n k/uger Mensch. zuhört. we/'ss mann se/ber. Formalitäten einer Beerdigung kommt oft erst der Verlust des Menschen, mit dem sie vielleicht Jahrzehnte verbracht hat, zum Bewusstsein: Jeder Gegenstand in der Wohnung weckt Erinnerungen, im Schrank hängen noch die Kleider, ungewohnt ist das Einnehmen der Mahlzeiten so ganz allein. Oft legt sich erst dann die Trauer bleischwer auf die Hinterbliebene. In dieser Phase braucht die Trauernde Beistand. Wie oft fliehen wir vor trauernden, traurigen Menschen. Wiesoeigentlich? Fürchten wir «angesteckt», «in ein Loch gezogen» zu werden? Hinterbliebene brauchen weder rasch geäusserte Trostworte noch übertriebene Anteilnahme. Es genügt, da zu sein, nachzufragen und die Betroffene. w/eder we/'ter.. nicht ganz allein zu lassen. Der Verlust eines Menschen ist nicht so einfach zu überwinden und der Schmerz wird nicht so schnell vorbeigehen. Ich wünsche uns allen mehr Mut, uns mit den «unangenehmen» Dingen des Lebens auseinanderzusetzen. Dazu gehört sowohl der Tod, unser eigener, wie auch der Tod von unseren Mitmenschen, als auch der Umgang mit Menschen, die davon betroffen sind. Tun wir einen ersten Schritt dazu und verhelfen wir damit anderen, wieder einen ersten Schritt aus ihrer Trauer zurück ins Leben zu wagen! Corne//a Lossner Soz/'a/beratung 9.

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