Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 39½½½½28. September 2001 AA2461
S E I T E E I N S
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ie Ärzte, so verlautet aus dem Bundesgesundheitsministerium, aber auch aus der SPD-Fraktion, sollten künftig bei Arzneiverord- nungen nur noch den Wirkstoff an- geben, die Auswahl solle dann der Apotheker treffen, und der habe das jeweils Billigste auszusuchen. Damit würde die bisher schon mögliche Aut-idem-Angabe zur Regel. Ledig- lich dann, wenn der Arzt darauf be- steht, dass sein Patient genau das verordnete Medikament bekommt, soll er aut idem ausschließen dürfen.Die Apotheker sind von dem Vorschlag angetan, stärkt er doch, so hoffen sie, ihre Beratungskompe- tenz. Freilich müssten für sie die Handelsspannen neu geordnet wer- den, damit sie motiviert sind, die preiswerten Präparate abzugeben.
Patienten und Ärzte hingegen kann eine solche Umkehr der Aut-
idem-Regelung nicht freuen. Den Pa- tienten würde jedesmal ein anderes Päckchen ausgehändigt, je nach Apo- theker, die sie aufsuchen. Das muss Verwirrung erzeugen.
Für die Ärzte würde eine solche Vorschrift bedeuten, dass ihre The- rapieanweisungen nicht in der Weise ausgeführt werden, wie sie es wün- schen, sondern nur so ähnlich. Das wäre ein Dammbruch. Denn es ist durchaus denkbar, dass die Idee auf andere Verordnungsbereiche ausge- dehnt wird. Die alles überschattende Devise „Hauptsache billig“ kann vieles rechtfertigen.
Wenig bedacht scheint bisher die Haftungsfrage. Wer ist letzten En- des verantwortlich, wenn die er- wünschte Wirkung nicht eintritt oder wenn Nebenwirkungen auftre- ten? Der Arzt, der verordnet hat, dessen Verordnung aber nicht exakt
befolgt wurde, oder der Apotheker, der etwas Ähnliches dem Patienten ausgehändigt hat?
Verlockend scheint für die Berli- ner Politik bislang einzig die Ko- steneinsparung. Man spricht von ei- ner Milliarde, von anderen werden 250 Millionen genannt, wieder an- dere verheißen drei Milliarden. Mit anderen Worten: Niemand weiß Genaues.
Die Gesundheitspolitiker wären besser beraten, auf solche Schnell- schüsse zu verzichten und sich den Strukturfragen des Gesundheitswe- sens im Zusammenhang zuzuwen- den. Wenn kurzfristig unbedingt auf dem Arzneimittelsektor etwas ge- tan werden muss, dann könnte man beispielsweise auf die prozentuale Zuzahlung zurückkommen. Die wäre wenigstens wieder zurückzu- nehmen. Norbert Jachertz
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ichts ist mehr so einfach, wie es zunächst schien. Bundesge- sundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) muss sich mit wachsender Kritik auseinander setzen. Als sie am Abend des 17. September im Willy-Brandt-Haus der SPD in Ber- lin-Kreuzberg eintrifft, um über die„Perspektiven der Gesundheitspo- litik“ zu diskutieren, wirkt sie müde und erschöpft.
Zunehmend spürt sie Gegen- wind. Das Treffen am Runden Tisch am Vormittag blieb vorerst er- gebnislos. Stattdessen drohen die Krankenkassen, die im ersten Halb- jahr 2001 ein Defizit von fast fünf Milliarden DM beklagen, mit Bei- tragssatzerhöhungen und fordern, das Arzneimittelbudget wieder ein- zuführen. Die Opposition wirft ihr Unfähigkeit und Konzeptionslosig-
keit vor – das alles überrascht nicht.
Etwas hat sich jedoch geändert.
Ulla Schmidt muss jetzt ihre gesund- heitspolitischen Ziele auch gegen- über den eigenen Parteigenossen verteidigen. Sie müsse die Dinge wohl mal zurück in die Realität holen, sagt sie sichtlich gereizt im Willy-Brandt-Haus. „Eine Kosten- explosion hat es nicht gegeben.“
Deutschland habe ein leistungsfähi- ges Gesundheitssystem, das Defizit hebe dieses nicht aus den Angeln.
Hintergrund: Vor wenigen Wo- chen, als Schmidt die Daten be- kannt gab, präsentierte der rhein- land-pfälzische Gesundheitsminister Florian Gerster (ebenfalls SPD) sein Reformkonzept – vor kurzem auch in Berlin. Gerster glaubt durch ein aus Arzneimittel- und Honorarbudget zusammengesetz-
tes Gesamtbudget die Probleme im Gesundheitswesen lösen zu kön- nen. Gleichzeitig will er den GKV- Leistungskatalog überprüfen und gegebenenfalls Leistungen streichen (DÄ, Heft 36/2001).
Damit kann Ulla Schmidt sich nicht anfreunden. Die Versorgung sei bereits auf das Notwendige be- schränkt, und dies müsse weiterhin solidarisch finanziert werden. Die Ministerin argumentiert, verteidigt, gestikuliert, interpretiert. Dabei blüht sie allmählich wieder auf. Die Unterstützung der Partei an diesem Abend in Berlin ist Balsam für die Seele – ebenso die der Hausärzte in Hannover (dazu der Beitrag „Mit breiter Brust“ in diesem Heft). Dies kann sie jetzt brauchen, wohl mehr, als sie bei Amtsantritt Anfang des Jahres dachte. Dr. med. Eva A. Richter